Solarium: Redebeitrag vom 09.10.2023

Sehr geehrte Genossinnen und Genossen,
liebe Unterstützer und Unterstützerinnen der israelischen Selbstverteidigung.

Für uns als kommunistische Gruppe gibt eigentlich kaum etwas zu den aktuellen Ereignissen in Israel zu sagen, als festzuhalten, dass Antifaschismus immer auch Solidarität mit Israel meinen muss. Doch leider scheint das nicht zu reichen.

Was sich am Wochenende artikuliert hat, ist nicht der antikoloniale Befreiungskampf eines Frantz Fanon, sondern dessen kleiner hässlicher Bruder, der die schon immer fragwürdigen – jedoch in klassenkämpferischer Rhetorik gebändigten – nationalistischen und antisemitischen Tendenzen zu seinem Wesenskern erklärt hat. Es geht der Hamas um nicht weniger als um die erneute Artikulation einer schon tausendmal ausgesprochenen Vernichtungsdrohung. Es geht darum zu zeigen, dass man zu allem bereit ist und unter Inkaufnahme des eigenen Todes möglichst viel Juden, Jüdinnen und all jene, die sich nicht intensiv genug von ihnen distanzieren, umbringen will. Dabei werden nicht zufällig Zivilist*innen – insbesondere alte Menschen, Frauen und Kinder – entführt und auf brutalste Weise misshandelt. All dies geschieht mit derselben Botschaft: Der islamistische und antisemitische Terror versucht all jenes Leben zu vernichten, dass nicht in sein Weltbild passt. Gerade an israelischen Frauen wird dabei ein besonders patriarchaler und faschistischer Machtanspruch artikuliert, dem eigentlich jeder Mensch mit Verachtung begegnen müsste, dem irgendetwas an Worten wie Emanzipation oder Revolution zu liegen scheint.

Dass dies nicht der Fall ist, überrascht nicht, spricht jedoch Bände. Denn überall tauchen sie jetzt wieder auf, jene angeblichen Kommunist*innen, Sozialist*innen und sonstigen „Pseudolinken“, die im jüdischen Staat selbst das Problem der Staatlichkeit an sich überwinden wollen – ohne zu verstehen, dass es gerade jene kapitalistische Staatlichkeit ist, die den Antisemitismus erst ideologisch notwendig macht. Der eigene brutale Herrschaftsanspruch der Hamas, gegen den Menschen in Gaza immer wieder – leider nicht erfolgreich – aufbegehrt haben, wird legitimiert, indem man alles Übel dem zionistischen Feind zuschreibt. Menschen auf beiden Seiten des Konfliktes werden für die Hamas zu bloßen Zahlen, deren Zweck einer brutalen Logik der Eskalation untergeordnet wird. Insgeheim wird jede*r palästinensische Tote als ideologische Bestätigung ebenso bejubelt, wie es bei toten Juden in aller Öffentlichkeit – auch auf deutschen Straßen – geschieht. Doch der Antizionismus der Berliner Republik äußert sich häufig auch subtiler.

Zum Beispiel, wenn während des Tagesordnungspunktes „70 Jahre Gründung des Staates Israel – In historischer Verantwortung unsere zukunftsgerichtete Freundschaft festigen“ die Kritik am israelischen Staat von keiner Partei ausbleiben kann. Der neue Antizionismus gibt sich freundschaftlich und geschichtsbewusst. Gerade unter Freund*innen möchte man ehrlich sein und Spannungen ansprechen. Insbesondere über die leidige Meinungsverschiedenheit, die den deutschen Handelspartner und gleichzeitigen israelischen Todfeind, die islamische Republik Iran betrifft, muss auf Augenhöhe und ergebnisoffen diskutiert werden können. Unter Freund*innen kann man sich auch auf darauf aufmerksam machen, dass man ja aufgrund der gemeinsamen Geschichte eine gemeinsame Verantwortung bezüglich der Erinnerung hat und niemand diese Erinnerung für „nationalen Egoismus“ missbrauchen sollte. Dabei vergisst man, dass in der gemeinsamen Geschichte der eine Staat diejenigen industriell vernichten wollte (und es beinahe geschafft hat), die der andere Staat heute beschützen will – genau wie man vergisst, dass Israel nur eine einzige Handlungsmöglichkeit gegenüber dem Iran hat, will es dieses Schutzversprechen gegenüber seiner Bevölkerung einhalten. Die Selbstverteidigung mit allen notwendigen Mitteln ist für Israel die einzige Möglichkeit zu existieren.

Was die Befürworter des Terrors und die falschen, weil deutschen Freund*innen Israels gemein haben, ist die Staatskritik am falschen Objekt. Was an den abstrakten Verhältnissen zu denunzieren wäre, können sie einzig und allein am jüdischen Staat ausmachen. Ihnen erscheint Israel als Grundübel einer Welt voller Leid und Elend. Schaut man ganz genau hin, so finden sich in Dietmar Bartschs freundschaftlichen Feststellungen, dass Israel „nur in einem sicheren Umfeld“ sicher leben könne die gleichen Anmaßungen wie in der Propaganda des iranischen Regimes: Israel wird die Verantwortung für die Probleme innerhalb der arabischen Staaten gegeben. Der Unterscheid kann auch nur ein rein stilistischer sein, da sich beide Seiten – angebliche Israelfreund*innen und offene Israelhasser*innen – einig in ihrem Staatsfanatismus sind. Undenkbar erscheint es ihnen, dass ein Staat notwendigerweise Gewalt ausüben muss, um überhaupt existieren zu können. Recht und Ordnung scheinen ihnen vom Himmel gefallen zu sein und nicht als Produkt einer gewaltausübenden Entität. Die Gewalt, die sie in diesem Rechtsfetischismus verdrängen müssen, erkennen sie in Israel und wollen sie mit Israel aus der Welt schaffen. Doch auch diejenigen unter unseren linksradikalen Genoss*innen, die von der allgemein von Staaten ausgehenden Gewalt etwas wissen, tun sich schwer damit, neben der roten Fahne auch die israelische Fahne zu tragen. So sehr sie auch bemüht sind, nicht allein Israel, sondern das allgemeine staatliche Prinzip zu kritisieren, so wenig scheinen sie sich darauf einlassen zu können, daraus eine aktive Parteinahme für den jüdischen Staat zu machen. Für sie ist Israel ein Staat unter vielen, dessen „bürgerlichen Charakter“ sie nicht müde werden zu betonen. Auch können sie es nicht sein lassen, sich eine Meinung zur israelischen Politik und dem israelischen Ministerpräsidenten zu bilden. Als ob der israelische Ministerpräsident irgendetwas damit zu tun hätte, dass die negative Aufhebung der Klassen im Antisemitismus für autoritäre Bewegungen auf der ganzen Welt einen besonderen Reiz bereithält. Insbesondere mit wem er international zusammenarbeitet, erachten sie dabei für erwähnenswert. Auch hier werden sich Illusionen über die Handlungsspielräume von Politik im Allgemeinen und israelischer Politik im Besonderen gemacht. Der Staat Israel kann es sich nicht erlauben, irgendeine Meinung gegenüber anderen Staaten zu haben – außer der zentralen Frage: unterstützen sie uns bei der Selbstverteidigung oder nicht?

Und genau deshalb geht es nicht darum, dass Israel im Gegensatz zu anderen Staaten irgendwie humaner wäre, sondern darum, dass Israel durch die Inhumanität der anderen Staaten zur einzig möglichen Verteidigung der Jüdinnen und Juden geworden ist. Wer es mit dem Kommunismus ernst meint, der kann weder seine Staats- und Kapitalkritik vergessen, noch die Opfer ihrer negativen Formen – Antizionismus und Antisemitismus – auf den St. Nimmerleinstag der Revolution vertrösten. Mag im sozialistischen Antizionismus der Zwischenkriegsjahre noch die Hoffnung auf die Emanzipation der Juden zu Sowjetgenoss*innen aufgehoben gewesen sein, so hat spätestens der Hitler-Stalin-Pakt dieses Moment auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt und den Antizionismus zu einer durch und durch konterrevolutionären Sache gemacht.

„Hitler hat den Menschen“ – wie Theodor W. Adorno festhielt – „im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen.“ Wo früher noch die berechtigte Hoffnung darauf bestand, dass wenn, wie Marx sagt, „alle Verhältnisse“ umgeworfen sind, aus Juden und Deutschen gleichermaßen Menschen werden können, so gilt angesichts der schrecklichen und im Wortsinne konterrevolutionären Gewalt des Antisemitismus – der aus herrschender und beherrschter Klasse eine einheitliche Nation und aus Juden zur Vernichtung freigegebene Opfer machen will – heute in erster Linie eines: „Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Dieser Imperativ ist so widerspenstig gegen seine Begründung wie einst die Gegebenheit des Kantischen, ihn diskursiv zu behandeln wäre Frevel.“ Der israelische Staat ist und bleibt in der aktuellen, staatlich organisierten Welt die einzige Möglichkeit einer jüdischen Selbstverteidigung – also im Stande der Unfreiheit die unmittelbare Bedingung der Möglichkeit Auschwitz zu verhindern.

Erst in einer befreiten Gesellschaft lässt sich dieser notwendige jüdische Partikularismus mit der geeinten Menschheit versöhnen – und diese Versöhnung wird sicherlich nicht durch systematische Vergewaltigungen und Exekutionen der Zivilbevölkerung erreicht, wie wir sie gerade erleben. Und deswegen gilt heute wie an jedem anderen Tag: Die israelische muss neben der roten Fahne von allen getragen werden, die im Kommunismus mehr als ein intellektuelles Hobby sehen und den Glauben an die erlöste Menschheit nicht einem besserwisserischen Zynismus geopfert haben.

In diesem Sinne:
Krieg den deutschen Zuständen,
Antifa heißt Solidarität mit Israel
& für den Kommunismus.

Sonnige Grüße, Solarium – kommunistische Gruppe Bremen.