Freie Radikale: Coronabekämpfung – Gegen Kapital und seine Mutanten

Anbei veröffentlichen wir einen eingesendeten Text der Gruppe: Freie Radikale. Mehr Infos zur Gruppe auf www.freie-radikale.net .

Vor eineinhalb Jahren ist eingetreten, was – genau wie der drohende Klima-Kollaps – seit langem absehbar war: Die beispiellose Zerstörung intakter Ökosysteme führte zu einem viralen spillover und einer weltweiten Pandemie: Entwaldung, Wildtierhandel und Erderwärmung hatten wilde Tiere ihrer natürlichen Lebensräume beraubt, sie in engen Kontakt mit Menschen gebracht und ihre Krankheitserreger bekamen so die Chance, auf diese überzugehen. Nicht nur Covid-19, auch HIV, Ebola und das Zikavirus sind so entstanden. Die kapitalistische Vernutzung der Natur ist die Ursache dieser Pandemie und sie wird weitere hervorbringen.

Anders als z.B. die vietnamesische, australische oder kubanische Regierung erweisen sich die europäischen und viele andere Staaten als unfähig, angemessen auf diese Bedrohung zu reagieren. Sie führen vielmehr unbeirrt ihr Tagesgeschäft fort, das darin besteht, den kapitalistischen Verwertungsprozess mit auf Jahrzehnte angelegten Strategien zu befördern (etwa wenn es um den Zugang zu Rohstoffen, Förderung zukünftiger Technologien oder um die Eroberung wichtiger Märkte geht) und das dadurch verursachte Elend von Präsident*innen und anderen preiswerten Festredner*innen beweinen zu lassen. Sie gehen mit der Pandemie um, wie sie mit sozialen Katastrophen umzugehen gewohnt sind, und begannen dementsprechend erst zu handeln, als es für mehrere Tausend Menschen bereits zu spät war. Und auch dann setzen sie vor allem auf eine technische Antwort. Denn Impfstoffe und Intensivmedizin schützen und heilen nicht nur, sondern ermöglichen es der Pharmaindustrie auch, ihren Schnitt zu machen. Prävention und die Beseitigung der Ursachen stehen nicht auf ihrer politischen Agenda.

Insbesondere die deutsche Regierung versucht, die Pandemie fast ausschließlich durch Maßnahmen zu bekämpfen, die die Interessen der maßgeblichen Kapitalfraktionen der Exportindustrie nicht antasten: Geschäfte, Restaurants, Theater, Kinos, Clubs und Schulen wurden geschlossen, Bewegungsfreiheit und Privatleben drastisch eingeschränkt; Arbeiter*innen dagegen werden gezwungen, ihre Gesundheit in den Fabriken, Büros und öffentlichen Verkehrsmitteln aufs Spiel zu setzen, und wohnungslose Menschen mit dem Appell, sich in den eigenen vier Wänden zu schützen, verhöhnt. Wer sich auf der Straße oder bei der Arbeit infiziert, ist selbst schuld und selbst bei größeren Coronaausbrüchen in Fabriken wie z.B. bei VW in Hannover wird die Arbeit nur kurz unterbrochen. Diese Politik vermag gegen das Virus natürlich nur wenig auszurichten, belastet die oberen Schichten der Gesellschaft dafür aber kaum und die mittleren und unteren umso mehr; sie musste Widerstand provozieren.

Dass dieser Widerstand in Deutschland emanzipatorisch ausfallen sollte, war freilich kaum zu erwarten: Weil die Medien genauso zuverlässig schlecht über erfolgreiche Pandemiebekämpfung in anderen Ländern wie über das Leiden in den hiesigen Krankenhäusern informieren, unterschätzen viele die Krankheit und wissen nicht, dass sozialere und wirksamere Maßnahmen möglich wären. Außerdem bringt der herrschende Konkurrenzdruck eine „No risk no fun“-Mentalität und eine Unfähigkeit zur Empathie hervor. Die Wut, die sich in den Protesten gegen die Coronamaßnahmen Bahn bricht, ist daher blind und von Todesverachtung, nämlich von einer Missachtung des eigenen Lebens und desjenigen der Anderen geprägt; die Proteste konnten zum Spielfeld irrationaler, antisemitischer und anderer rechtsextremer Verschwörungstheorien werden.

Diese Art von Protest kommt der Regierung gerade recht. Der rechte Wahnsinn bietet ihr einerseits die Möglichkeit, sich als regulierende Vernunft aufzuspielen, und gibt andererseits ihrer Missachtung wissenschaftlicher Prognosen und Sabotage von Maßnahmen, die tatsächlich wirksam wären, willkommene Rückendeckung. Der freundschaftliche Umgang der Polizei mit den Pandemieleugner*innen und Impfgegner*innen drückt nicht nur die privaten Neigungen einzelner Polizist*innen aus.

Nachdem es lange so aussah, als müsste die Linke mit antifaschistischen Aktionen die herrschende Politik gegen die Corona-Leugner*innen verteidigen, befindet sie sich nun wieder in offenem Widerspruch gegen die Regierung. Mit der Zero-Covid-Kampagne haben radikalreformerische Forderungen eine breitere Öffentlichkeit gefunden. Auch wir treten für einen solidarischen Lockdown, die Freigabe der Impfstoffpatente und bessere Ausstattung und Entlohnung im Gesundheitssystem ein.

Wir finden solche Forderungen aber nur sinnvoll, solange sie in taktischer Absicht vorgebracht werden und die strategische Orientierung auf die Überwindung von Staat, Nation und Kapital nicht aus dem Blick gerät. Denn es ist der kapitalistische Konkurrenzkampf, der die Unternehmen – bei Strafe der Pleite – zwingt, ihre Profitinteressen gegen alle andern Unternehmen und gegen die von ihren Lohnzahlungen abhängigen Menschen durchzusetzen und gegen jede Vernunft die menschlichen und natürlichen Ressourcen bis zur Erschöpfung zu plündern. Solange noch nicht alle wilden Tiere ausgestorben sind, wird dies zu immer neuen spillovers und pandemischen Wellen führen. Alle Maßnahmen gegen die Pandemie müssen nutzlos bleiben, solange nicht der auf der Natur lastende kapitalistische Verwertungsdruck beseitigt ist.

Eine solidarische Gesellschaft, in der an die Stelle des Herrschaftsinstrumentes Staat eine Form gleichberechtigter Koordination und Organisation treten würde, wäre nicht nur in der Lage, auf eine bereits entstandene Pandemie besser zu reagieren. Sie ließe sich beim Kampf gegen ein Virus nicht von den kurzfristigen und partikularen Interessen einer herrschenden Klasse ablenken, sondern würde rechtzeitig alle Ressourcen auf die Abwehr verwenden und könnte Medikamente und Impfstoffe allen gleichermaßen und kostenlos zur Verfügung stellen. Nur eine Gesellschaft, in der die Ware-Geld-Beziehung und die Profitorientierung aufgehoben sind und deren maßgebliche Triebkraft nicht mehr die Kapitalverwertung ist, wird auch verhindern können, dass sich solche Pandemien wiederholen und die Klimakrise ungebremst fortschreitet. Erst die befreite Gesellschaft kann die reflektierten Bedürfnisse der Menschen befriedigen und Menschheit und Natur aus ihrem Status als bloßem auszubeutenden Arbeitskräfte- und Rohstoffreservoir emanzipieren.

freie radikale – die verhältnisse zum tanzen bringen, Berlin

Kapital, Staat, ihre Fetische und dieses deutsche Scheiszland.

Im folgenden möchten wir die überarbeitete Version eines internen Diskussionspapier mit Skizzenhaften Überlegungen für einen antideutschen Materialismus veröffentlichen, um die analytische Grundlage unserer bisher veröffentlichten Flugblätter offen darlegen zu können. Es geht uns darum um nichts weniger, als um den Versuch die Basis der vom antideutschen Materialismus ausgehende kommunistische Kritik der Welt aufzuzeigen. Dabei geht es uns allerdings nicht um besserwisserische Arroganz – die überlassen wir dem GegenStandPunkt und dem lokalen Ableger Argu.Diss – sondern um den Anstoß einer (nicht nur) in Bremen notwendigen Diskussion über linksradikale Gesellschaftskritik, die sich weder darin begnügt die Farce zu vergangenen linken Tragödien zu sein, noch – bewusst oder unbewusst – Erfüllungsgehilfin politischer Parteien zu werden. Die im folgenden skizzierten Begriffe erachten wir als Basis dieser Kritik.

Weil wir das nun folgende bereits als Flugblatt zugespitzt haben und weil es eigentlich um etwas anderes geht, sind die Verweise auf den Aufruf von NIKA Nordwest für die Demonstration gegen Thilo Sarrazin in Bremen bewusst implizit gehalten. Der bewusste Bezug zum Aufruf soll dennoch nicht verdrängt werden und hier nochmal vorangestellt werden. Die im Flugblatt geäußerte Kritik soll an dieser Stelle viel mehr als pars pro toto für eine kritisierenswerte Lage linker Kritik genommen werden.1 Des Weiteren sei bereits vorab angemerkt, dass das nun folgende keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann und will, sondern lediglich versucht ein wenig Grundsätzliches über einen antideutschen Materialismus zu sagen, der die Basis unserer Kritik an einer viel zu wenig radikalen Linken ist.

Das Kapital:

Anders als die antikommunistischen Marxisten es raunen, ist das Kapital kein Kreis von Personen, der in irgendwelchen Räumen über die Welt herrscht. Der von Marx erkannte Widerspruch von Kapital und Arbeit, der vom Marxismus erst zum Grundwiderspruch aufgeblasen wurde, um dann personifiziert zu werden, ist nicht die wesentliche Bestimmung des Kapitalismus. Jene wäre erst, mit einem Begriff von einer Vergesellschaftung, in der das Kapitalverhältnis zum totalen System geworden ist, also eine alles Denken und Handeln bestimmende Totalität erreicht hat, zu haben. Doch wie drückt sich diese Totalität aus, wie lässt sie sich auf den erforderlichen Begriff bringen?

Wer in Marx einen Theoretiker des Kapitals – und darin unterscheiden sich die meisten seiner Anhänger nicht voneinander, egal ob sie früher Sozialdemokraten, Stalinisten, Trotzkisten oder neuerdings Autonome und Antinationale sind – sehen möchte, der erwartet implizit das Begreifen und vernünftige Darstellen einer absolut unbegreiflichen und unvernünftigen Angelegenheit.2 Polemisch gesagt: Wenn es Marx nur darum gegangen wäre, das Wesen der Totalität theoretisch darzustellen, anstatt es als Unwesen zu denunzieren, dann hätte er lediglich Hegel interpretieren und keine Kritik der politischen Ökonomie schreiben müssen. Wenn er eine Theorie des Kapitals zu schreiben versucht hätte, dann hätte er dadurch in das Kapitalverhältnis eine Vernunft hineingelegt. Er wäre Linkshegelianer geblieben, anstatt den Versuch zu unternehmen, Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen und der idealistischen Theorie eine materialistische Kritik entgegenzustellen.

Wenn Jahrzehnte später nun Adorno unter dem Eindruck der Shoah und im Anschluss an Marx davon sprach, dass das Ganze das Unwahre und das Wesen des Kapitals ein Unwesen sei, dann sind das weit mehr als bloße akademische Spielereien mit hegelscher Dialektik, sondern es ist Ideologiekritik par excellence und damit notwendiger Anknüpfungspunkt für jede linksradikale Gesellschaftskritik. Hegel brachte, als Metaphysiker des Tausches, wie kein zweiter die Art und Weise, in der sich die bürgerliche Gesellschaft konstituiert, zu einem Bewusstsein. Welches, – und das meint der Ideologiebegriff – für den Erhalt dieser Gesellschaft zwar notwendig, auf Grund seiner Affirmation der Spaltung der Gattung in Herrschende und Beherrschte, allerdings grundsätzlich falsch ist.

Es kann aber auch nicht richtig sein, da die einzige Wahrheit über das paradoxe Verhältnis des Werts, welches den Einschluss aller durch alle im Ausschluss aller durch alle erreicht, dessen Abschaffung wäre. Das heißt, dass die gesellschaftliche Synthese, die das Kapitalverhältnis stiftet, alle ausschließt, weil es die Individuen zu Arbeitskraftbehältern und die sinnlichen Dinge zu Waren atomisiert und zugleich alle einschließt, in dem alles auf den Wert bezogen und dadurch miteinander austauschbar (und damit vergleichbar) wird. Der Mensch wird im sozialen Verhältnis des Wertes als bloßer Arbeitskraftbehälter sowohl vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen, als auch als Verkäufer der Ware Arbeitskraft im Marktzusammenhang eingeschlossen.

Jede Theorietisierung dieses real-existierenden völligen Widersinns eines automatischen Subjekts des Kapitals, eines sich selbstverwertenden Wertes, eine ewig voranschreitende Prozession von Geld – Ware – mehr Geld, wäre eine Rationalisierung und damit Legitimierung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, deren Abschaffung gerade das Ziel der kommunistischen Kritik ist. Der polemische Gehalt des marxschen Begriffs vom automatischen Subjekt liegt gerade in seiner paradoxen und theologischen Dimension: zum einen ist etwas entweder automatisch oder es ist Subjekt, zum anderen ist die Selbstverwertung des Wertes ein Zirkelschluss und deshalb logisch nicht korrekt und doch ökonomische Realität auf die jede ökonomische Theorie aufbaut.3 In gewisser Weise existiert im Kapitalismus mit dem Wert ein, sich jeder Rationalität entziehendes, göttliches Moment, dass dennoch vom Menschen geschaffen wurde.4

Die allgemeine Gültigkeit erhält dieses abstrakte Wertverhältnis durch seine sinnliche Form: das Geld. Dessen Rätsel – und die Denker der politischen Ökonomie haben bis heute keine Antwort darauf gefunden5 – liegt in seiner zugleich objektiven Gültigkeit als abstraktes Wesen des Werts und in seinem subjektiven Charakter als konkrete Erscheinung in der Geldware. Hier ist zum Einen auf die Unbegreiflichkeit zu verweisen, die in diesem logischen Paradox liegt und zum Anderen auf die weitgehenden Folgen für eine Gesellschaft, in der dieses Paradox zur bestimmenden Synthese – zum Ausschluss aller durch den Einschluss aller – werden konnte.6

Der Staat:

Wenn man wie Marx, über die Bedeutung des Geldes für das Kapitalverhältnis nachdachte und dabei eine britische Pound Sterling Münze in die Hand nimmt – was der gute Karl nach jedem Besuch seines Finanziers Engels tun musste, um seine Familie ernähren zu können – wird deutlich, dass auf der einen Seite der Wert in einer Zahl ausgedrückt wird, während sich auf der anderen Seite der Kopf des Souveräns befindet. Kurzum: es wird deutlich, dass der Staat nicht unbeteiligt an dieser Form der Vergesellschaftung sein kann. Es verwundert demnach nicht weiter, dass Marx nach dem Manifest der kommunistischen Partei und in den Arbeiten zur Kritik der politischen Ökonomie Abstand nahm von der Idee des Staates als Hebel zur Errichtung der befreiten Gesellschaft. Es bezeugt darüber hinaus den konterrevolutionären Charakter aller Erscheinungen des Marxismus-Leninismus und sonstigen sozialdemokratischen Elendsverwaltungsbestrebungen, dass Lenins Buch Staat und Revolution und nicht Staat ODER Revolution hieß. Doch was genau hat der Staat mit dem Kapitalverhältnis zu schaffen?

Wie bereits angedeutet ist das Kapitalverhältnis ein Verhältnis, in dem das Tauschverhältnis eine allgemeine Gültigkeit erlangt. Erst dadurch, dass Waren aufeinander im Tausch bezogen – also: verglichen – werden, entsteht Wert, Ware, Geld und Kapital. Eine Voraussetzung des Tausches ist, dass sich die Tauschenden als Freie und Gleiche gegenübertreten – denn wenn ich etwas einfach so nehmen kann, dann werde ich nicht dafür bezahlen. Diese Freiheit und Gleichheit wird garantiert durch die Vereinigung in Brüderlichkeit im Nationalstaat, der – mit den legitimatorischen Weihen seiner Staatsbürger gesegnet – die Freiheit und Gleichheit (und somit den Tausch) rechtlich garantiert, was auch heißt, dass er Rechtsübertritte ahndet. Dazu darf er nicht nur – als einziger – Gewalt einsetzen (Stichwort Gewaltmonopol), mehr noch: er definiert überhaupt erst was Gewalt ist.

Es ist mittlerweile unter kritischen Historikern nicht unüblich, sich die Entstehung von Staatlichkeit als das Agieren einer Mafiabande vorzustellen und es ist auch für unsere Belange hilfreich, sich den Prozess der ursprünglichen Zentralisation7 – die Entstehung einer Staatlichkeit – unter Berücksichtigung dieses Bildes zu vergegenwärtigen. Betrachten wir also exemplarisch Feudalherren, deren herrschaftliche Sitze nur unweit von einander entfernt liegen und die sich im permanenten Zwist um die zwischen ihnen befindlichen Ländereien befinden. Je länger der Zwist andauert, desto mehr Geld – welches sie von den Bauern, die ihre Ländereien bewirtschaften erhalten – brauchen beide, um ihr Söldnerheer finanzieren zu können. In gewisser Weise besteuern sie die Bauern, damit das funktioniert, müssen sie wiederum alle Gewalt – außer die eigene – von den Bauern fern halten, kurzum: sie verlangen Schutzgeld. Zum Eintreiben dieses Schutzgeldes benötigen sie Bürokraten, zur Aufrechterhaltung des Schutzes benötigen sie ein permanentes und stehendes Heer und so weiter. Langfristig setzt sich einer der beiden durch – oder sie kooperieren, das Gebiet vergrößert sich und damit notwendigerweise der Staatsapparat und das stehende Heer. Am Ende entsteht aus diversen ehemaligen Provinzen ein vereinigtes Königreich.

Das ist die – stark vereinfacht dargestellte – feudale Form von Staatlichkeit, in der die Herrschaft noch unmittelbar durch Gewalt ausgeübt wird und in der die Reichtümer vor allem den Gelüsten der Herrscher dienen. In der Epoche des Merkantilismus gewinnt das kaufmännische Bürgertum immer mehr ökonomische Macht, durch die sie Kompromisse mit der Feudalherrschaft eingehen und Privilegien erlangen können.8 Marx spricht davon, dass die Feudalherrschaft ihre eigenen Totengräber hervorbringt und verweist auf den Moment, in dem sich das Bürgertum gegen die Feudalherrschaft auflehnt und mit der Parole Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sich die Welt nach ihren – auf Tausch basierenden – Vorstellungen einrichtet. Dabei wird jedoch nicht gänzlich mit der Herrschaft des Feudalismus gebrochen und Gewalt nicht einfach durch Recht ersetzt, wie es Liberale bis heute behaupten. Die Herrschaft wird durch das Recht vermittelt und Gewalt wird zur ersten Bedingung und letzten Garantie des Rechts.

Wie alle Waren durch den Wert aufeinander bezogen sind, so sind es die Menschen – die einzig als Träger der Ware Arbeitskraft relevant sind – im Recht durch den Souverän aufeinander. Denn nur, wer über seine Ware Arbeitskraft verfügt, kann diese zu Markte tragen. Erst als Staatsbürger sind sie rechtliche geschützte Subjekte.9 Dieses Rechtssubjekt ist das Ideal des allgemeinen Menschen, der von allen empirischen Besonderheiten und natürlichen Beschränkungen abstrahiert wird. Das heißt, dass der abstrakte Begriff des Menschen dem konkreten Menschen gegenübersteht. Verkörperung dieses abstrakten Bildes vom Menschen ist der Souverän,10 der mit seinem Gewaltmonopol diesen Zustand des Rechts erst ermöglichen kann.

Zwei Sachen, die an dieser Stelle leider ausfallen müssen, aber von Relevanz sind: Erstens muss erwähnt werden, dass der Staat nicht allein existiert, sondern im permanenten Kriegszustand gegenüber anderen Staaten, die – trotz temporärer Kollaboration – in einem Konkurrenzverhältnis zu einander stehen. Zweitens muss angemerkt werden, dass in der Idee der Nation Staat und Souveränität ideologisiert – gewissermaßen erfahrbar gemacht – werden, in dem der bloßen Abstraktion ein mythisches Leben eingehaucht wird. Der erste Weltkrieg ist – wie nicht zuletzt Rosa Luxemburg analysierte – die ebenso brutale wie logische Konsequenz von Staatlichkeit.

Die Subjekte I:

Dass die Waren sich nicht selbst zu Markte tragen können, wie Marx anmerkte, heißt – wenn man an die weiter oben angeschnittene Zentralität der Warenform für die gesamte Vergesellschaftung denkt –, dass der Mensch für Marx das Subjekt der Geschichte ist und bleibt. Das heißt, dass das automatische Subjekt seine Existenz allein der Handlung von nicht-automatischen, ergo menschlichen, Subjekten verdankt; dass die Realabstraktion Staat nur vermittels Subjekten – seien sie Polizisten, Politiker oder Soldaten – erscheinen kann. Wenn Marx allerdings sagt, dass sich die Geschichte scheinbar hinter dem Rücken der Subjekte vollziehen würde,11 spricht er damit das – schon vorher erwähnte – notwendig falsche Bewusstsein der Subjekte an. Er erklärt, dass sie – ohne es zu merken – zu Charaktermasken12 werden und attestiert ihnen einen fetischisierten Alltagsglauben.

Ihre Fetische:

Der Begriff des Fetischcharakters der bürgerlichen Gesellschaft wird von Marx im ersten Band des Kapitals entwickelt. Als solcher ist der aus der aufgeklärten und bürgerlichen Religionswissenschaft stammende Begriff13 zu tiefst polemisch. Als Fetisch gilt der Glaube von sogenannten primitiven Religionen, die in einem Gegenstand – zum Beispiel in einem bunt angemalten Stück Holz – magische Fähigkeiten behaupten. Im Bewusstsein des Verhältnisses von Mythos und Aufklärung, über das Adorno und Horkheimer später ein ganzes Buch14 schreiben sollten, attestiert Marx der aufgeklärten Gesellschaft des Bürgertums einen Okkultismus, der dem der primitiven Völker in Nichts nachsteht. Ein Wuppertaler Foucaultianer brachte diese aufgeklärte Form des mythischen Glaubens auf ein Bild, dessen Tragweite er mit seiner Ablehnung einer negativen Dialektik15 eventuell selbst nicht verstehen kann: „Und wie der erste Mensch vor Blitz und Donner stand, steht der moderne Mensch vorm Kontostand und bangt um seine Existenz. Ängstlich wie er immer war, murmelt er Beschwörungsformeln. Der Glaube ging, die schnöden Sorgen um das Übermorgen blieben.“16

Ohne allzu genau auf die einzelnen Fetische eingehen zu können, seien die für unsere Beobachtungen Wichtigsten an dieser Stelle noch einmal kurz angerissen. Als Warenfetisch versteht Marx die okkulte Annahme, dass jeder Gegenstand schon qua Natur eine Ware sei und damit ein Wert in ihm – also zum Beispiel in einem Tisch – selbst enthalten und nicht erst Ergebnis des gesellschaftlichen Tauschverhältnisses sei. Diese Fetischisierung ist gleichbedeutend mit einer Enthistorisierung des Kapitalverhältnisses, das nicht mehr als bestimmte aktuelle Form von Vergesellschaftung erscheint, sondern als stets allgegenwärtige: Wenn alle Dinge immer Waren mit Wert sind, dann ist das sie umgebende Verhältnis immer das Tauschverhältnis. Analog dazu der Staatsfetisch und der Rechtsfetisch, die einen Menschen qua Natur als Rechtssubjekt sehen (Stichwort: Menschenrechte oder Naturrechte) und somit die gesellschaftlichen Verhältnisse, die diesen Zustand erst hervorbringen, zu einer zweiten Natur werden lassen.17

Die Subjekte II:

In der von Staat, Kapital und ihren Fetischen bestimmten, bürgerlichen Gesellschaft kann der konkrete empirische Mensch – sofern er das Glück hat, ein Staatsbürger zu sein und nicht ohne Papiere im Mittelmeer ertrinken muss – nur in der Subjektform überleben.18 In dieser ist die Individualität zum Accessoire der Persönlichkeit degradiert.19 Sein Denken ist in die Warenform gebannt, die „erkenntnistheoretisch von der Philosophie und triebökonomisch von der Psychologie verdoppelt und rationalisiert wird.“20 Das Individuum steht also nicht im von Soziologie und Feuileton behaupteten Gegensatz zur Gesellschaft, sondern die Gesellschaft hat sich ins Innerste des Individuums eingebrannt. Zum Subjekt wird das Individuum, wenn es in der Lage ist, sich selbst als Eigentümer der Ware Arbeitskraft zu denken, seine eigenen Triebe so zu beherrschen, um zur gesellschaftlichen Produktion beitragen zu können – letzteres hat allerdings mehr mit Glück als Verstand zu tun.21 Kurzum: Subjektform, das heißt – nach einem Worte von Joachim Bruhn – „Kapital verwertend und Staatsloyal“22 zu sein, sprich: „Subjektform ist die Uniform“.23

Das Subjekt ist, wovon es in seinem fetischisierten Bewusstsein nur eine Ahnung (als Existenzangst) entwickeln kann, vollauf prekär. Permanent droht die eigene Wertlosigkeit und damit der Verlust der Subjektivität: „Derart ist das bürgerliche Subjekt verfasst, dass es Identität nicht aus sich selbst erzeugen kann, sondern nur im Prozess einer ständigen Abgrenzung, eines permanenten Zweifrontenkrieges gegen das ‚unwerte‘ und gegen das ‚überwertige‘ Leben. Bürgerliche Subjektivität existiert nur in der vollkommenen Leere der permanenten Vermittlung, die sie zwischen den Waren, im Tausch, und um den Preis der ihr andernfalls drohenden Annihilation zu stiften hat.“24 Die erste Front ist eine Abspaltung und Projektion, der eigenen – sich der Verwertung und Verrechtlichung entziehenden – triebhaften Naturbeschaffenheit, auf einen rassifizierten Menschen beziehungsweise Gruppe von Menschen, dem beziehungsweise denen man den Subjektstatus verweigern muss, um sich selbst als Subjekt wähnen zu können.25 Die Ambivalenzen zwischen Romantisierung der edlen Wilden und dem Streben nach ihrer totaler Beherrschung folgen der dialektischen Logik des Wertes.

Antisemitismus und Antizionismus:

In der zweiten Front werden pathisch die eigenen Sehnsüchte auf die „Gegenrasse als solche“ projiziert. Er ist das mörderische Streben des Bürgertums sich selbst zu rassifizieren, die eigene Subjektivität durch Aneignung des angeblich geheimen Wissens der Juden zu erlangen. Diese Abspaltung findet allerdings zweifach statt: ökonomisch im Antisemitismus und politisch im Antizionismus – das Eine bedingt das Andere so sehr, wie sich Staat und Kapital gegenseitig bedingen.

Dem Antisemiten erscheint das Kapitalverhältnis als Gegenüberstellung von Produktions- und Zirkulationssphäre, wobei die Produktion als „schaffend“ und die Zirkulation als „raffend“ gedacht werden. Dass die Warenproduktion nicht nur ohne die Zirkulation – also den Kauf- und Verkauf von Waren zum Zweck des Profites – nicht kann, sondern selbst bereits die Zirkulation – den Kauf der Produktionsmittel, ihre Aufwertung durch die gekaufte Ware Arbeitskraft und ihren Weiterverkauf – in sich enthält, kann das fetischisierte Bewusstsein, dass die Wertsteigerung auf magische Weise im Gegenstand selbst vermutet, nicht begreifen. Die Trennung und die Abspaltung stabilisiert das System, ist es doch so möglich, die Produktivität des Kapitalverhältnisses gegen seine ihm innewohnende Destruktivität auszuspielen. In Krisenzeiten der Verwertung erfüllt das Pogrom die Funktion des ritualisierten Opfers an die Gottheit des automatischen Subjekts – von der triebökonomischen Funktion ganz zu schweigen. Der Antizionist wiederum trennt die sich gegenseitig Bedingenden Recht und Gewalt, während er letzteres dem vermeintlich künstlich gesetzten jüdischen Staat zuschlägt, um den eigenen Staat als natürlich gewachsene Entität des Rechts halluzinieren zu können. Die Funktion ist in gewissem Maße analog zum Antisemitismus. Die Fetischisierung des Rechts verdrängt die Gewalt, deren Existenz jedoch unwiderlegbar ist, die einem anderen Subjekt mit finsteren Absichten zugeschoben werden muss.

Bei beiden ist der Neid auf das vermeintlich geheime Wissen der Juden und ihrem Staat nicht von der Hand zu weisen, ist das ihnen Unterstellte doch das eigene Verlangen: Verwertung und Herrschaft. Antisemitismus und Antizionismus sind die negative Ökonomie- und Staatskritik in den Formen des fetischisierten Bewusstseins. Beide sind somit gerade nicht Ausdruck einer Archaik oder Feudalität – im Falle des Irans Beleg seines irgendwie vormodernen Daseins – sondern im Gegenteil Ausdruck der bürgerlichen Moderne. Weder Bildungsarbeit noch Politik können irgendetwas gegen sie ausrichten, sind sie doch keine Unwissenheit, sondern logische Konsequenz der bürgerlichen Subjektivität, auf der jede Vorstellung von Politik notwendigerweise beruht.

Eine Kritik an Staat und Kapital, die ihren negativen und fetischisierten Konterpart nicht wahrnimmt, scheitert am eigenen Anspruch. Die Solidarität mit dem Staat Israel, als einzig möglicher Antwort auf den antisemitischen Vernichtungswahn der verstaatlichten Subjekte, steht somit nicht in Widerspruch zur Kritik an Staatlichkeit, sondern ist deren Bedingung. Wenn an den Juden die Übel der Moderne ausagiert werden sollen, dann ist es schlicht und ergreifend fahrlässig und konterrevolutionär, ihnen die Selbstverteidigung – in der einzig ihnen zu Verfügung stehenden Form des Staates – abzusprechen. Wenn der Kommunismus die Befreiung der Menschheit sein soll, dann kann diese nicht mit dem Preis des stets drohenden antisemitischen Mordes errichtet werden.

Dieses deutsche Scheiszland:

Folgt man dem bisher Dargelegten zustimmend, dann bleibt den lesenden Individuen nichts anderes übrig, als sich als antinational, israelsolidarisch und kommunistisch zu verstehen. Das heißt – um es herunter zu brechen – sich kritisch gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft und all der gescheiterten linken Versuche, diese zu überwinden, zu verhalten und darauf zu pochen, dass die staatenlose nicht ohne die klassenlose und die klassenlose nicht ohne die staatenlose Gesellschaft zu machen ist und dass Staat und Kapital sich nicht auf einzelne Personen herunter brechen lassen, sondern ihre Macht als Realabstraktion aus dem notwendigen und falschen Bewusstsein der gesamten Gesellschaft ziehen.26 So radikal diese Haltung – würde sie in letzter Konsequenz durchgezogen – auch gegenüber der gegenwärtigen Linken wäre, so sehr lässt sie doch außer Acht, dass die Lügen von Staat und Kapital beinahe auf mörderische Weise wahr gemacht worden wären und es, neben diversen von den Opfern des Nationalsozialismus gebildeten bewaffneten Widerstandsgruppen, allen voran den Staaten der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika und des Vereinigten Königreichs zu verdanken ist, dass dem nicht geschah. Ebenso wird außer Acht gelassen, dass dieses Unterfangen nicht zufällig von einem bestimmten Staat ausging: Deutschland.

Richard Wagners affirmative Emphase, dass es deutsch sei, eine Sache um ihrer selbst Willen zu tun, bekommt ihre historische Wahrheit in der antisemitischen Vernichtung um der Vernichtung Willen. Ihren materialistischen Gehalt erhält sie durch den Verweis auf Adornos Rede, dass ein Deutscher jemand sei, der keine Lüge aussprechen könne, ohne sie selbst zu glauben.27 Das heißt – in aller Kürze –, dass die Unwahrheiten der bürgerlichen Gesellschaft im Nationalsozialismus auf brutalste Art und Weise beinahe wahr gemacht worden wären, wie die bloß über den Wert vermittelte vermeintliche Egalität der Klassengesellschaft zur Auflösung des Klassenwiderspruchs in der Egalität des Mordkollektivs wurde; wie der Traum von der krisenfreien Ökonomie in der kriegerischen Konsumgemeinschaft realisiert werden sollte.28 Das Erbe dieser Gemeinschaft lebt fort im postnazistischen Sozialpakt, in der Unterstützung antisemitischer Mörderbanden, dem Aufschwingen zur moralischen Weltmacht und in der stetigen Möglichkeit, sich im Angesicht der Krise erneut auf die altvertraute – beinahe erfolgreiche – Krisenlösung zu besinnen.

Auf diesen Unterschied zwischen den Staaten – und Deutschland ist in diesem ideologiekritischen Sinne nicht der einzige, aber der erste deutsche Staat – zu bestehen, heißt sich der Bedingung der Möglichkeit der eigenen Kritik bewusst zu sein.29 Gerhard Scheit fasste treffend zusammen, dass Staat und Kapital zwar die Bedingungen der Möglichkeit der Katastrophe seien, aber selbst noch nicht die Katastrophe. Anders als es aktuell häufig versucht wird, lässt sich das Antideutsche nicht gegen das Kommunistische ausspielen, denn das Bejahen der bürgerlichen Gesellschaft ist die Akzeptanz der Bedingung der Möglichkeit ihres eigenen Umschlags in Barbarei; denn das Beharren auf kommunistischen Idealen und Prinzipien im Angesichts der mörderischen Vernichtungsdrohung staatsgewordener deutscher Ideologie ist schlicht und ergreifend zynisch. Um es in eine Parole zu fassen: Nieder mit Deutschland heißt Solidarität mit Israel und für den Kommunismus.

Die Subjekte III:

Alles was bisher über Subjektivität gesagt wurde, gilt natürlich auch für den deutschen Staat, der nur durch seine Staatsbürger überhaupt sein kann und der sich eben nicht bloß durch Wirtschaftsbosse und Politfunktionäre ausdrückt, sondern in dem jeder einzelne Staatsbürger in eine entsprechende Charaktermaske schlüpft. Das Ausspielen der klassenbewussten Antifa gegen die rassistischen Funktionäre von Staat und Kapital verkennt die gerade in Deutschland (gern) praktizierte Verbindung von Mob und Elite. Verkennt, dass der arbeitslose Faschist in Ostdeutschland mit den Sarrazins, Höckes und den Mitgliedern des Wirtschaftsclubs Havanna in Bremen in einem Verhältnis steht; dass sich die Subjektivität der ersten in Abschiebungen und Bevölkerungspolitik äußern kann, während letztere zum verzweifelten Versuch der Festigung ihrer bürgerlichen Subjektform – und das hat Joachim Bruhn im Fall eines Mörders von Solingen bereits auf dem Konkret Kongress 1993 deutlich dargelegt – einzig und allein der rassistische Mord bleibt.30 Die von buchgläubigen Kommunisten erstrebte Emanzipation der Deutschen zu Menschen, betrifft jeden Staatsbürger auf unterschiedliche Weise, aber doch gleichermaßen. Um eine Parole vom 10ten Dezember aufzugreifen: die Grenze verläuft weder zwischen den Kulturen, noch zwischen klassenbewusster Antifa und Wirtschaftsclub, sie verläuft durch die entfremdeten Subjekte hindurch.31

Dies festzustellen ist nicht gleichbedeutend mit einer Verdrängung der berechtigten Wut auf die Charaktermasken der politischen und ökonomischen Macht oder einer Predigt für den Verzicht auf nonverbale Kommunikation mit autoritären Dreckssäcken – notfalls auch vermittelt über deren Eigentum. Vielmehr ist dies festzustellen, um die Gemeinsamkeiten der rassistischen Formierung im Bewusstsein zu behalten, ohne dabei die einen zum bloßen Fußvolk der Anderen zu machen. Deutscher – und das heißt manifester Antisemit und Rassist – zu sein, ist eine Entscheidung, für die jeder im sartre‘schen Sinne zur Verantwortung zu ziehen ist.

Und ebenso sind Linke zur Verantwortung zu ziehen, die sich nicht in allerletzter Radikalität in eine Fundementalopposition zu diesem widerwärtigen Drecksland begeben und sich ausgerechnet an der Fahne Israels stören. Das Gegenteil von gut ist in der Welt von Kapital, Staat und ihren Fetischen leider, leider, leider gut gemeint.

XOXO,
Solarium – kommunistische Gruppe Bremen.

post scriptum: Zum konkreten Inhalt dieses Textes sind Diskussionsveranstaltungen geplant, außerdem werden wir in den nächsten Monaten versuchen Vorträge zu organisieren, die den im Text artikulierten Ansprüchen an eine Gesellschaftskritik Folge leisten möchten. Dazu bei Zeiten mehr.

1Unser entsprechendes Flugblatt: https://antideutschorg.wordpress.com/2019/12/11/der-staat-bist-du-charaktermasken-abschminken/
2Das zeichnet eine Theorie im strengen Sinne aus, dagegen zielte der Begriff der kritischen Theorie von Max Horkheimer.
3Das hat Marx in seiner Auseinandersetzung mit den ökonomischen Theorien von Adam Smith und David Riccardo erkannt, weswegen er ihnen eben keine alternative ökonomische Theorie entgegen stellte, sondern eine Kritik der politischen Ökonomie.
4Oder auch kantisch: als transzendental Subjekt auf den alle Vernunft bezogen ist.
5Die gesamte Geschichte der Ökonomie als Wissenschaft ist der Streit zwischen der objektiven Wertlehre und der subjektiven Wertlehre, die beide ständig gegeneinander Recht haben und sich doch irren.
6Der Ehrendoktor der Universität Bremen, Alfred Sohn-Rethel, geht dabei so weit , dass er die gesamte Philosophie des Abendlandes seit der Antike als eine versuchte Theoretisierung dieses Geldrätsels versteht – aber dazu bei einer von uns bald geschaffenen Gelegenheit mehr.
7Die notwendig in einem Verhältnis zu der von Marx dargelegten ursprünglichen Akkumulation steht.
8Die Geschichte der Bürgerrrechte der Hansestadt Bremen ist ein Beispiel für die historische Manifestation dieser logisch dargestellten Entwicklung. Wobei selbstverständlich die Komplexität keiner Geschichte – weder die Bremens noch die des britischen Königreiches – nahtlos in dieser linearen Logik aufgeht.
9Die Dialektik einer Aufklärung, die sich in ihr Gegenteil umkehrt, zeigt sich auch im Kolonialismus, durch den als rechts- und staatenlos wahrgenommene Individuen auf brutalste und unmittelbarste Weise ausgebeutet wurden. Der Reiz der nationalen Befreiungsbewegungen für diese Individuen, ob sie sich nun liberal oder sozialistisch artikulierten, liegt in der Verrechtlichung der eigenen Existenz und dem Schutz vor gänzlich irrationaler Willkür.
(Exkurs: Was dieses Moment angeht, so ist nicht nur die Geschichte Vietnams und Kubas, sondern auch die Entwicklung des Realsozialismus im sowjetischen Einflussbereich ein Zeugnis davon, dass der Realsozialismus ein bürgerliches Verstaatlichungsprojekt war, dass sich lediglich im Inhalt – Sozialstaat und Arbeitszwang – von westlichen Nationalstaaten unterschied.)
10Man darf Souverän hier nicht mit den demokratischen Gestalten verwechseln, die temporär in dessen Charaktermaske hineinschlüpfen (und somit selbst auf ein Idealbild von Herrscher bezogen werden). Besonders deutlich wird die Funktion des Souveräns als Verkörperung (der hobbesche Leviathan) dort, wo Person und Funktion zusammengewachsen sind, wie im britischen Königshaus. Die gesamte Fernsehserie the Crown gibt Auskunft darüber, wie wenig Individualität den zur bloßen Charaktermasken degradierten Mitgliedern der Königsfamilie eingestanden werden darf, damit sie ihre Funktion als Idealtyp des Menschen an sich ausüben können. Überhaupt kann in einer Auseinandersetzung mit der britischen Geschichte und den Ritualen der gegenwärtigen Politik viel von einer Souveränität als zu erfüllende Rolle gelernt werden, was in Deutschland im Traum vom Führer und der Projektion auf den amerikanischen Präsidenten verdrängt wird.
11Adorno spricht hier von Ohnmacht.
12Bloßen Funktionsträgern des automatischen Subjekts, hinter denen sich ein empirisches Individuum befindet, dass von sich selbst abstrahieren muss, um funktionieren zu können.
13Wie Marx sehr oft auf Begriffe aus der Theologie und Religionswissenschaft zurückgreift, wenn er versucht die Widersinnigkeit des Kapitals zu fassen.
14Die Dialektik der Aufklärung.
15Wie dieser selbst sagt: „Ich zitier‘ Adorno, doch ich denk nicht dran ihn ernst zu nehmen.“
16Prezident – Menschenpyramiden
17Weil es nicht oft genug gesagt werden kann: eine Linke, die sich auf das Völkerrecht oder die Menschenrechte beruft, ist eine Linke, die in den Formen von Staat und Kapital denkt und damit eine Linke, die ihren einzigen Zweck – die Errichtung der befreiten Gesellschaft – verwirkt hat und damit auf den Müllhaufen (oder Ablagestapel) der Geschichte entsorgt werden kann.
18Der soziale Tod der Subjektlosigkeit ist dabei miteingeschlossen.
19Für alle Kapitalesekreisabsolventen: Das Subjekt verhält sich zum Individuum, wie der Tauschwert zum Gebrauchswert.
20Bruhn, Joachim: „Typisch deutsch“ – Christian R. und der linke Antirassismus, in: Was deutsch ist,Seite 162.
21Der arbeitslose Alkoholiker kann als Deutschrapper über Nacht zum Subjekt werden.
22Bruhn, Joachim: Videomitschnitt vom Konkret Kongress 1993.
23Bruhn, Joachim: Subjektform ist Uniform, auf: https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/bruhn-subjektform-uniform/
24Bruhn, Joachim: Unmesch und Übermensch, in: Was deutsch ist, Seite 96.
25Die vorkoloniale Rassifizierung der britischen Landbevölkerung, die als doppelt freie (frei von besitzt werden und frei von eigenem Besitz) Proletarier zu den Fabriken in die Städte strömte (siehe Malik, Keenan: Multiculturalism and its Discontents) sind ein Beispiel, das diesen materialistischen Begriff von Rassismus gegenüber postmodernen Identitätstheorien deutlich unterscheidet. Aber auch der koloniale Rassismus kann nur im begrifflich hergestellten Bezug der Subjektivität auf Staat und Kapital überhaupt als etwas anderes als bloße Willkür erscheinen.
26Kurzum: sich dem angeblichen Widerspruch zwischen Anarchismus und Marxismus gänzlich zu entziehen.
27Erwähnt sei hier noch Friedrich Engels, der dem deutschen Bürgertum vorwarf, die Mittel – wie den Staat oder den Antisemitismus – der Kapitalakkumulation zum heiligsten Zweck zu verklären.
28Dazu siehe bitte: Scheit, Gerhard: die Meister der Krise.
29Siehe dazu: Redaktion antideutsch.org: Verteidigung der falschen Freiheit, auf: https://antideutschorg.wordpress.com/2019/01/06/verteidigung-der-falschen-freiheit-/ & derselbe: Kann es einen Materialismus geben, der nicht antideutsch ist?, auf: https://antideutschorg.wordpress.com/2018/11/05/wertarbeit/
30Bruhn, Joachim: „Typisch deutsch“ – Christian R. und der linke Antirassismus, in: Was deutsch ist.
31Die Subjekte, die zugleich Individuum wie Charaktermaske sind, sind in sich selbst gespalten.

Clash of… what?

Einige Überlegungen zur Europa-Wahl der Redaktion.

„Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, daß statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staats, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ – Karl Marx1

„In the 1980es the labour party believed that the poor, who did not deserved to be poor, should be helped by the rich, who did not deserve to be rich. Meanwhile the conservatives thought that the poor, who deserved to be poor, should not be helped by the rich, who deserved to be rich.“ – Steward Lee2

I – das Spiegelspiel der Nachkriegsgesellschaft

Bei der kommenden Europa-Wahl könnte noch deutlicher werden, dass nach dem Ende des Kalten Krieges die politischen Koordinaten gründlich über den Haufen geworfen wurden. Das hat sich in Angela Merkels Pragmatismus – mal liberal, mal konservativ und mal christlich-sozial – deutlich abgezeichnet und erlebte mit Macron in Frankreich und dem Brexit im Vereinigten Königreich eine deutliche Manifestation. Auch wenn CDU/CSU und SPD aktuell noch die beiden stärksten Fraktionen im Bundestag stellen: der große politische Konflikt des postfaschistischen Europas – Sozialismus/Sozialdemokratie versus Konservativismus – hat endgültig ausgedient.

Dieser politische Widerspruch, der von linker Seite gerne als Klassenkampf missverstanden wurde, war das politisches Spiegelspiel der Nachkriegszeit, wie es insbesondere von Joachim Bruhn immer wieder kritisiert wurde.3 Die Nachkriegszeit zeichnete sich wirtschaftlich durch eine relative Stabilität aus – Eric Hobsbawm spricht gar vom „Goldenen Zeitalter des Kapitals“.4 Dennoch sahen beide politische Lager ständig die Existenz der Nachkriegsgesellschaft durch die jeweils andere Seite bedroht. Und so dachte die sozialdemokratische Linke in den Kategorien der ökonomischer Krise vulgo Zusammenbruch, während die konservative Rechte die Gesellschaft in der Perspektive der politischen Krisen vulgo Staatsstreich dachte. Die Rechte träumte vom Markt, bei dem der Staat nur dessen Möglichkeit garantiert. Die Linke träumte vom Staat, der den Markt gerecht organisiert. Daraus folgt, dass „die linke Vorstellung von Politik – Addition der staatsbürgerlichen Einzelwillen zum Inhalt der Souveränität im Akt demokratischer Wahl – exakt negativ und daher komplementär zur rechten Vorstellung vom ökonomischen Prozess sich verhält: Addition der individuellen Nachfrage auf dem Markt zum Bestimmungsgrund der Produktion.“5

Die zwei Meinungen, die sich dabei gegenüberstanden, waren zwei Seiten derselben Münze. In ihrer Wechselwirkung erzeugen Citoyen und Bourgeois die staatliche Souveränität. Indem beide beständig ihr Gegenteil produzierten und ineinander überschlugen, blieben sie doch stets zwei Pole derselben Ideologie. Eine Ideologie, die – anders als es der Alltagsverstand will – keine Meinung, keine Wahlentscheidung oder politische Positionierung ist, sondern eben das Oszillieren zwischen zwei Polen: Ökonomie versus Politik, Markt versus Staat, Ausbeutung versus Autorität, Sozialdemokratie versus Konservatismus.

Ihre Oszillation wurde spätestens immer dann deutlich, wenn mal wieder rechte Regierungen staatliche Eingriffe vornahmen, linke Regierungen die Märkte öffneten oder große Koalitionen die Regierungsgeschäfte übernahmen. Es gab keine linke Partei, die tatsächlich konstant linke Politik machte, ebenso wie es keine rechte Partei gab, die tatsächlich konstant rechte Politik machte: Alle Parteien machten Politik für den Staat des Kapitals. Als Verwalter des Garanten der Akkumulation war diese Primat ihrer Politik – je nach ökonomischer Situation konnten dabei die Methoden variieren. Konservatismus oder Sozialdemokratie waren die politischen Idealtypen der Nachkriegszeit in Westeuropa, die nicht nur zufällig auch einige Analogien zum Zweiparteiensystem ihrer politischen und ökonomischen Schutzmacht den USA enthielten. Diese Polarisierung der inneren Politik folgte auf die Polarisierung der Außenpolitik nach der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus: die Einbettung der Individuen in einen demokratischen Rahmen im Sinne der Totalitarismustheorie,6 im Sinne eines westeuropäischen Bündnisses gegen die Sowjetunion. In der Bundesrepublik Deutschland war dies immer auch gleichbedeutend mit einer demokratischen Einspannung des faschistischen Potenzials.

Von der Perspektive seines Endes her, wurde der Inhalt dieses Spiegelspiels, durch die Hauptfigur aus Michelle Houellebecqs Unterwerfung in äußerst pointierter Weise dargestellt: „Es stimmt, dass die Wahlen in meiner Jugend so uninteressant waren, wie man es sich nur denken konnte. Die Dürftigkeit des „politischen Angebots“ war sogar wirklich frappierend. Man wählte einen Mitte-Links-Kandidaten abhängig von seinem Charisma für die Dauer von einem oder zwei Mandaten. Ein drittes wurde ihm aus undurchsichtigen Gründen verwehrt. Dann wurde das Volk dieses Kandidaten beziehungsweise der Mitte-Links-Regierung überdrüssig – hier ließ sich gut das Phänomen des demokratischen Wechselspiels beobachten –, woraufhin die Wähler einen Mitte-Rechts-Kandidaten an die Macht brachten, ebenfalls für die Dauer von ein oder zwei Mandaten, je nach Typ. Seltsamerweise war der Westen überaus stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs. Seit dem Vormarsch der Rechtsextremen war die ganze Sache ein wenig spannender geworden, die Debatten waren vom vergessenen Beben des Faschismus untermalt.“7

II – Nach Nachkriegszeit

Es wird zukünftigen HistorikerInnen überlassen sein, zu bestimmen, welches Ereignis die Nachkriegszeit als Zeit der Blockkonfrontation beendete: die deutsche Wiedervereinigung oder der 11. September 2001? Die neue politische Zeitordnung lässt sich nicht mehr leugnen. Zum einen zeichnet sich die gegenwärtige politische Realität dadurch aus, dass außenpolitische Konflikte fernab der gewohnten Polarität stattfinden. So kennt der syrische Bürgerkrieg beispielsweise unzählige Mitspielern, deren Verhältnisse zueinander – nicht trotz sondern wegen zahlreicher Verflechtungen miteinander – sich tagtäglich ändern. Zum anderen lässt sich das Ende der Polarität auch innenpolitisch in der Zerstückelung der Parteienlandschaft beobachten. Ließen sich zu Anfangs auch die Grünen und schließlich auch PDS/Linkspartei noch einigermaßen in das politische Schema der Nachkriegszeit einordnen – so wussten schon die Piraten bei ihrem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus nicht mehr, wohin sie sich den setzen sollten.

Auch wirtschaftlich ist die Phase der Nachkriegszeit vorbei. Von den hochsubventionierten Landschaften des Postnazismus, die noch 1990 den sogenannten Neuen Bundesländer als blühend versprochen wurden, ist auch im Westen kaum noch etwas zu sehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Bundesrepublik davon ausgegangen wurde, dass die Kinder ihre Eltern ökonomisch und sozial überholen würden, ist größtenteils einer Angst vor der eigenen Überflüssigkeit als Arbeitskraftbehälter und dem Hass auf der dem zu Grunde liegenden Freiheit gewichen.

Durch den Wegfall der Subventionen und die technische Revolution wurde die Formen der Wertproduktion im ehemaligen Westen zusehends verändert. Die Industrie wandert entweder in Niedriglohnländer ab – die zum Teil erst durch den Fall des Eisernen Vorhangs an den kapitalistischen Weltmarkt angeschlossen wurden – oder wird mittels technischer Entwicklungen immer weiter entmenschlicht. Die Leidtragenden sind die TrägerInnen der Ware Arbeitskraft, die die einzige Ware, die sie besitzen, nicht mehr oder nur noch zu stark verschlechterten Konditionen verkaufen können.

III – Krise der Sozialdemokratie

Dies betrifft gerade die Stammwählerschaft der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien. Diese waren in ihrer Politik des aktiven Sozialstaats auf wirtschaftliche Stabilität angewiesen und sahen sich nun gezwungen ihre Politik an die veränderte wirtschaftliche Situation anzupassen. Besonders anschaulich geschah dies in Großbritannien, wo New Labour ökonomisch gezwungen war, das staatliche Eingreifen – also die Politik des aktiven Sozialstaates – rapide weiter zu reduzieren. Das dadurch entstehende Vakuum wurde versucht zu füllen: mittels Identitätspolitik. Damit verbunden versuchte der Staat die eigene Souveränität mit Hilfe eines – meist islamischen – Gegensouveräns zu erhalten.8 New Labour fokussierte „ein Netzwerk lokaler partnerships, in der sich der Wohlfahrtsstaat vorhandener (oder auch nur eingebildeter) kommunitärer Strukturen bediente, um die notorische Finanzierungskrise der Sozialpolitik mittels „Kultur“ zu beheben“.9 Der von der Regierung Blair verabschiedete new deal for communities „strebte sein Ziel konsequent an, nämlich die möglichst kostengünstige Delegation vormals zentralstaatlicher Sozialaufgaben“.10

Die Hinwendung der britischen Sozialdemokratie, die west-europäischen Modellcharakter hat, hin zu den migrantischen Communities war dabei auch eine wahltaktische Entscheidung, um neue Wählerschaften zu erschließen. Dabei verlor Labour jedoch immer mehr den Bezug zu ihrer Stammwählerschaft, die dann mehrheitlich für den Brexit stimmte. Besonders die immigration policy wird immer wieder – beispielsweise vom ex-trotzkistischen pro-Brexit Magazin Spiked! – als Grund für den Niedergang der Sozialdemokratie begriffen.11 Anstelle von Versuchen, dies materialistisch zu begreifen, verfällt man anlässlich dessen in alte trotzkistische Muster zurück und geht davon aus, dass der Arbeiterklasse das revolutionäre Bewusstseins per se innewohnt – lediglich kompromittiert von BürokratInnen. Die Feindschaft richtet sich nicht gegen die staatliche Souveränität – die zur Aufrechterhaltung immer Elemente einer Gegensouveränität beinhaltet – sondern gegen die vermeintlichen Subjekte der Gegensouveränität, die in Wahrheit nur deren Objekte sind.

Die Einwanderer aus Osteuropa sind für das abgehängten Proletariat der deindustrialisierten Midlands in der Krise ihrer eigenen Verwertbarkeit besonders eine Konkurrenz im Niedriglohnsektor, der sich schon immer fast ausschließlich aus den „neuhinzugekommenen Habenichtsen“ rekurrierte.12 An ihnen werden die Widersprüche des Nationalstaats, als Garanten der Kapitalakkumulation, exekutiert: „Es ist der ideologische Überbau der etatistisch garantierten, kapitalisierten Gesellschaft und damit die praktische Gedankenform, in der die profitable Verwertung des Menschen als gesellschaftlich inszenierte Spaltung der Menschheit in wertes und unwertes Leben sich ausspricht.“13

Was bei Spiked! hingegen deutlich erkannt wird: die britische Sozialdemokratie demonstriert die Krise der westeuropäischen Sozialdemokratien am deutlichsten durch ihre Unfähigkeit, von der Selbstzerstörung der Konservativen zu profitieren. Trotz der andauernden Brexit-Blamage der Tory-Regierung um Theresa May, trotz der totalen Zerstrittenheit ihrer Partei über das britische Verhältnis zu Europa, gelang es der Labour Party bei den kürzlich abgehaltenen Kommunalwahlen 84 Sitze zu verlieren. Dazuhält man bei Spiked! schadenfroh fest: „Yes, the Conservative Party lost 1,330 seats, an undeniable disaster. But under such favourable conditions, Labour should have been gaining hundreds of new councillors, not ending the night with a deficit.“14 Wer schlussendlich vom Versagen der Tories und der Unfähigkeit der Sozialdemokraten profitieren kann und soll, dass kann ebenfalls dortnachgelesen werden: „The Brexit Party is the earthquake british politics needs“.15

IV – die politische Formation des Souveränismus

Der Souveränismus ist nicht nur die Leitidee des Brexits, sondern aller europäischen Rechten. Sie greifen das etatistische Versprechen der Sozialdemokratie auf und stellen seinen implizit nationalistischen Kern offensiv ins Schaufenster. Im Vordergrund des Wahlkampfs stehen darüber hinaus vor allem kulturelle Symbole der jeweiligen Nachkriegs-Nostalgie:16 wie die bürgerliche Kleinfamilie, die „christliche Wertegemeinschaft“ oder teilweise sogar die Vorgängerwährungen des Euros. Dabei sprechen souveränistische Parteien sowohl breite Teile der konservativen als auch der sozialdemokratischen Wählerschaft an. Sie sprengen sprichwörtlich den politischen Rahmen der Nachkriegszeit. Bereits nach der letzten Europawahl stellte Kenan Malik ernüchtert fest:

„Nehmen wir die Ukip. Weil sie im Wahlkampf sowohl für die Labour-Partei als auch für die Tories gefährlich geworden war, wurde sie von Politikern jeder Couleur sowie von den Medien stark angefeindet. Etwa mit der Enthüllung, dass der Parteivorsitzende Nigel Farage sich aus einem illegalen EU-Fonds bedient hat. Die rassistischen, sexistischen und schlichtweg schwachsinnigen Ansichten zahlreicher Ukip-Mitglieder, Stadträte und Abgeordneter sind öffentlich skandalisiert worden. Gemäß den alten Regeln der Politik hätten solche heftigen Angriffe die Wahlaussichten der Partei negativ beeinflusst. Das war aber nicht so. Die Kritik der Medien, die politische Häme und die öffentlichen Bloßstellungen haben Farages Popularität wenig geschadet. Eher das Gegenteil ist geschehen.“17

Auf welchem Stier reitet Europa in die Zukunft?
photo by Dinesh Weerapurage

Die Politik der Souveränisten und der AfD ist die des gallischen Dorfes in der Globalisierung. Sie betreiben eine Entgrenzung des bornierten Individuums – vom triebregulativen Stammtisch hinaus auf die Straße, ins Internet oder die Politik – die von einer entweder sozialpädagogischen oder marktorientierten Medienlandschaft gerne aufgenommen wird. Die infantile Entgrenzung geht einher mit einer Regression und der Sehnsucht nach der väterlichen Autorität: dem nationalstaatlichen Souverän, der einen schützen und auch züchtigen möge. Es ist beinahe dieselbe infantile Regression, die sich auch auf ihrer Gegenseite finden lässt und über die in ideologiekritischen Kreisen schon ausführlich geschrieben wurde.

Was in der Tendenz als „neue politische Trennlinien in Europa“18 – wie Kenan Malik zeigt – schon nach der letzten Europawahl erkennbar wurde, hat sich in den letzten Jahren immer weiter inhaltlich konkretisiert. Auf der einen Seite stehen die vom Souveränismus Vertretenen, „die sich aussortiert, enteignet und ohne Stimme fühlen“19 und ihre Hoffnungen auf sozialen Nationalstaat der Nachkriegszeit setzen. Sie richten sich gegen „ jene, die sich im postideologischen, postpolitischen Zeitalter zu Hause fühlen – oder zumindest sich daran anpassen können“.20 Einige Umfragen nach dem Brexit-Votum machen dies deutlich: „Für den EU-Austritt stimmten 81 Prozent der Britinnen und Briten, die den Multikulturalismus für eine »negative Kraft« halten. Die meisten, die für den Austritt stimmten, sind gegen Immigration (80 Prozent), Globalisierung (69 Prozent) und Feminismus (74 Prozent). Hingegen gab es keine relevante Korrelation mit der Ablehnung von Kapitalismus.“21

V – multicultarism22 und die europäische Zivilgesellschaft

Wie das community management in Großbritannien ist auch die europäische Zivilgesellschaft eine der gegenwärtigen Formen der Gegensouveränität und ein Produkt der Grenzen der staatlichen Steuerungsfähigkeiten.23 Die Milieus dieser Zivilgesellschaft umfassen zum Beispiel die sogenannte Generation Erasmus, jene jungen, mehrsprachig und studierten WarenhüterInnen, die den Anforderungen der New Economy entsprechen – auch und gerade in ihrer Bereitschaft niedrige Löhne im Ausgleich für ein kulturelles Kapitel zu akzeptieren. Das multiculturalist Prekariat profitiert von der Freizügigkeit des Binnenmarktes der Europäischen Union, der ihnen dank ihrer Flexibilität und Sprachkenntnissen diverse Möglichkeiten des Arbeitsmarktes offenhält. Auch hier ist das Brexit-Votum ein sehr genauer Gradmesser, wer den Versprechen der Europäischen Union etwas abgewinnen kann und wer nicht. In Deutschland gestaltet sich die Suche nach dem einen Gradmesser deutlich schwieriger. Demonstrationen wie Pulse of Europe oder auch Unteilbar geben bisher nur eine Ahnung von einer genauen demographischen Zusammensetzung.

Die jungen EU-Profiteure sind vor allen in den Metropolen anzutreffen – auch wenn sie oftmals ursprünglich aus der Peripherie stammen. Der Erfolg von Didier Eribons Rückkehr nach Reims hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich ein bestimmtes Milieu mit dem Protagonisten identifizieren kann. Hier wird deutlich, wie sich die sozialen Klassen – eine maßgebliche Strukturierung der politischen Landschaft der Nachkriegszeit – in den subkulturen Milieus des Prekariats auflösen. Das relativ flache Gefälle und die Hierarchien der New Economy werden kulturell egalisiert. Deutlich wird das, wenn Didier Eribon beim Schreiben über seinen beruflichen Start als Journalist gar nicht über ökonomisches, aber viel über vermeintlich soziales und kulturelles Kapital spricht: „Auf völlig unerwartete und ungeplante Weise verschaffte mir der Journalismus Zugang zum und Teilhabe am intellektuellen Leben. […] Ich traf Verleger zum Mittagessen, lernte Autoren kennen[…]. Mit einigen war ich bald befreundet, mit Michel Foucault und Pierre Bourdieu sogar sehr eng.“24

Neben den beruflichen Hoffnungen lockt das Emanzipationsversprechen der Metropole gerade Frauen, sexuelle Minderheiten und gesellschaftliche Außenseiter. So auch Eribon: „Ich war mit der doppelten Hoffnung nach Paris gekommen, ein freies schwules Leben zu führen und ein ‚Intellektueller‘ zu werden.“25 Dies schlägt sich ebenso nieder in der politischen Ausrichtung der Zivilgesellschaft und ihrer politischen Parteien, durch die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung, LGBTIQ-Politiken oder antirassistischer Praxis. Ihre entsprechende Ideologie finden sie im Intersektionalismus, der sowohl die Gleichheit in der prekären Existenz behauptet als auch eine Möglichkeit bietet, die eigene Arbeitskraft bestmöglich zu Markte zu tragen: die Identität.

Die transnationalen Politikformen dieser Zivilgesellschaften sind dabei nicht – wie es der Souveränistmus behauptet – ein Angriff auf die Staatlichkeit. „Die Zivilgesellschaft tritt dort auf, wo die Steuerungsfunktion des Staates an seine Grenzen stößt, er politische Widersprüche nicht mehr autoritär aufheben kann. Sie verbleibt aber in einem Verweisungsverhältnis auf den Staat, ergänzt ihn, ist selbst verstaatlicht.“26 Die Zivilgesellschaft ist die Vermenschlichung des Staates, nicht seine negative oder gar positive Aufhebung. Die Autorität verschwindet nicht, sie wird fluid oder transnational. Die Antinomien Staat und Zivilgesellschaft, Souverän und Gegensouverän bedingen einander und konstituieren sich in der Krise immer wieder gegenseitig neu. Dabei bleibt der schlussendliche Zweck immer derselbe: Garantie der Selbstverwertung des Wertes.

VI – und die Linke?

Zwar wird dieser politische Widerspruch in Deutschland parteipolitisch von der AfD und den Grünen als die beiden Gegenpole ausgetragen, jedoch zwingt er sämtliche Parteien zur Positionierung. Innerhalb der Linken – als Partei und Szene – reproduziert sich die gleiche politische Trennlinie und so auch die gegenwärtige Form des Spiegelspiels der Politik, wie sich im Konflikt Anarchismus und Marxismus das alte Spiegelspiel reproduzierte.27 Beide Seiten brauchen und bedingen sich gegenseitig. Der ideologische Kampf zwischen souveränen Nationalstaat und multiculturalist Transnationalismus trennt die Linke und ihre Parteien. Exemplarisch hierfür stehen zwei Politikerinnen der Linkspartei: Sarah Wagenknecht und Katja Kipping.28 Und die vermeintlich antinationale Linke und die sogenannte ideologiekritische Szene freuen sich anlässlich der neuen politischen Möglichkeiten den Platz zwischen den Stühlen verlassen zu können.

Weil Staat und Souveränität materialistisch falsch gefasst werden, setzt man beispielsweise bei der TOP B3RLIN alle Hoffnungen auf die europäische Multitude.29 Ihre Kritik des Staates geht nicht über die Nörgelei an der „Gesamtscheiße“ hinaus. Sie ist bloßes Etikett geworden, wie der demokratische Sozialismus einer SPD. Sie richtet sich gegen den Inhalt allein und will von dessen Form nichts mehr wissen. Deutlich wird das, wenn in der Jungle World der Marsch durch die Institutionen der Europäischen Union der Nationalstaaten gefordert wird: „the only way out is through“.30 Als hätte es die materialistische Staatskritik eines Johannes Agnioli nie gegeben, kann der Staat nicht abseits seiner autoritären Konkrektionen gedacht werden. Das eint sie in ihrer akademischen Anschlussfähigkeit mit antideutschen MarxistInnen vom Schlage eines Rainer Tramperts. In dessen Jungle World Artikel steht dann auch nicht viel anderes als in dem der linksradikalen Berliner Eventagentur.31

Doch auch die Überbleibsel der ideologiekritischen Szene machen ihren Frieden mit dem Staat: „Wo die Ideologien und mit ihnen die Aussichten auf eine bessere Zukunft zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, heftet sich die Hoffnung an eine nostalgisch verklärte Vergangenheit. Hatten Ideologien noch einen rationalen Gehalt, an den sich anknüpfen ließ – das in ihnen enthaltene Glücksversprechen –, so tritt gegenwärtig ein reines Bekenntnis an deren Stelle. Folglich wird die nostalgische Ideologiekritik immer mehr durch Dezisionismus ersetzt und es ist ganz konsequent, dass sich zahnlos gewordene Ideologiekritiker fast nur noch auf den Souverän beziehen, der die gewünschte Ordnung herstellen beziehungsweise schützen soll. Stattdessen wird die „Restvernunft“ in den Staat projiziert, der angeblich über der Gesellschaft schwebt und, von ihr unberührt, autonom vor sich hin prozessiert.“32Aus notwendiger Kritik am islamischen Gegensouverän und der sie hofierenden post-bürgerlichen und grünen Zivilgesellschaft heraus, sind sie in eine Affirmation des Souveräns verfallen – ohne zu erkennen, dass dieser in der Krise immer schon jene Momente der Gegensouveränität beinhaltete. Sie sind das exakte Spiegelbild der Affirmation der Zivilgesellschaft durch die antinationalen KritikerInnen eines autoritären Nationalstaats.

In der politischen Interpretation nun sowohl pro-europäisch als auch souveränistisch zu haben.

Was Antinationalismus und Ideologiekritik eigentlich einst begriffen hatten, scheint mittlerweile irgendwo ganz hinten im Bücherregal zu verstauben: das Politische ist notwendig antisemitisch. Antisemitismus ist die Denkform der bürgerlichen Gesellschaft und kein Denkfehler in ihr. Sie reproduziert sich immer dort, wo sich Individuen als vermeintlich rechtliche Gleiche bei tatsächlicher ökonomischer Ungleichheit, vermittelt durch die Souveränität – sei sie europäisch oder britisch –, aufeinander beziehen.33 Wenn behauptet wird, dass das Ressentiment gegen George Soros „nichts mit dessen Judentum zu tun“ habe oder mit Zitaten von bekennenden Antizionistinnen zum Frauenkampftag aufgerufen wird, dann wird deutlich was als Erstes diesen politischen Bedürfnissen geopfert werden muss: eine Kritik des Antisemitismus.

VII – Kritik statt Politik.

Die Redaktion antideutsch.org sieht derweil weiter keinen Sinn darin, die Position zwischen den Stühlen zu verlassen und hofft, dass es darüber noch ein Interesse an Kritik abseits der Fallstricke der Politik gibt. Auch wenn es also nicht mehr Teil einer linksradikalen oder ideologiekritischen Mode zu sein scheint, etwas über eine Wahl zu schreiben, ohne dabei eine Wahlempfehlung abzugeben, bleiben wir in diesem Sinne so orthodox wie Meye Schorim. Wer am Sonntag aufstehen und eine Wahlurne aufsuchen möchte soll das nicht unseretwegen tun, das antideutsche Geschäft bleibt das destruktive der Kritik, der politischen Sabotage und der schweigsamen Treue gegenüber der Utopie:

„Kritik ist die Provokation darauf, daß die gesellschaftlichen Individuen die Resultate ihrer Vergesellschaftung sich als Resultate ihres Willens nicht zurechnen können – also die kontrafaktische Unterstellung dessen, daß es außerhalb des Spiegelspiels von Bourgeois und Citoyen ein Anderes noch geben könnte.“34

We know you love us,

XOXO Redaktion antideutsch.org.

  • Fußnoten:
  • 1MEW 1, Seite 401.
  • 2Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=at_zUPnnx3Q
  • 3Vgl. Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates – Thesen zum Verhältnis anarchistischer und materialistischer Staatskritik in: Bruhn, Joachim: Was deutsch ist – zur kritischen Theorie der Nation.
  • 4Vgl. Hobsbawm, Eric J: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20ten Jahrhunderts.
  • 5Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates – Thesen zum Verhältnis anarchistischer und materialistischer Staatskritik, Seite 176.
  • 6Die auf Hannah Arendt zurückzuführende Totalitarismustheorie war fester Bestandteil der amerikanischen Europapolitik und der politischen Praxis konservativer und sozialdemokratischer Parteien. Das hieß konkret: linker Flügel der SPD und rechter Flügel der CDU bildeten die Grenzen der gesellschaftlichen Mitte.
  • 7Houllebecq, Michelle: Unterwerfung.
  • 8Vgl. zur Situation in Großbritannien Malik, Kenan: das Unbehagen in den Kulturen. Zum Verhältnis Souverän und Gegensouverän: Keuner, Hans-Herrmann: Einheit und Zerfall in: Prodomo 21, 2019. Online: http://www.prodomo-online.org/ausgabe-21/archiv/artikel/n/einheit-und-zerfall-1.html
  • 9Krug, Uli: Londonistan is burning in: bahamas 63/2012. Online: http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web63-1.html
  • 10Ebenda.
  • 11Vgl. z.B. Chilton, Brendan: What happened to old labour? Online: https://www.spiked-online.com/2018/09/05/what-happened-to-old-labour/
  • 12Ein Blick in die Geschichte derjenigen, die für die britische Gesellschaft als Einwander galten und die gegen sie gerichteten Ressentiments zeigt deutlich, wie diese „neuhinzugekommenen Habenichtse“ von Anfang an rassifiziert wurden. Das fing mit der britischen Landbevölkerung an die in die Städte kamen, setzte sich fort mit Einwanderungsgruppen aus Irland, Pakistan und Indien, Polen und Bulgarien. Nur so lassen sich auch die heutigen Ressentiments indischer Einwanderern aus den 50er Jahren gegenüber den erst kürzlich eingewanderten „bloody poles“ wirklich begreifen.
  • 13Bruhn, Joachim: Unmensch und Übermensch – über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus in: Was deutsch ist – zur kritischen Theorie der Nation, S. 98.
  • 14Ehsan, Rakib: How labour lost it heartlands. Online: https://www.spiked-online.com/2019/05/07/how-labour-lost-its-heartlands/
  • 15O‘Neill, Brandon: The Brexit Party is the earthquake british politics needs. Online: https://www.spiked-online.com/2019/04/29/the-brexit-party-is-the-earthquake-british-politics-needs/
  • 16In Osteuropa ist es eine Vokriegs-Nostalgie.
  • 17Malik, Kenan: Die neue europäische Trennlinie in: Jungle World 23/2014. Online: https://jungle.world/artikel/2014/23/die-neue-europaeische-trennlinie
  • 18Ebenda.
  • 19Ebenda.
  • 20ebd..
  • 21Bassi, Camila: Die da oben in: Jungle World 05/2017. Online: https://jungle.world/artikel/2017/05/die-da-oben
  • 22Die Begriffe multiculturalism und Multikulturalismus sind nicht deckungsgleich, weswegen wir uns für den englischen Begriff in der Form entschieden haben, wie Kenan Malik ihn geprägt hat. Alternativ könnte man auch von „neoliberalen Demokraten“ sprechen, um nicht den tief im souveränistischen Jargon verankerten Begriff zu verwenden. An dieser Stelle soll jedoch der Verweis auf die ursprünglich intendierte gesellschaftskritische Dimension des Begriffs bei Malik verwiesen werden, der ihn gerade nicht als Ersatz für eine Kritik gebraucht.
  • 23Vgl. dazu wieder Keuner, Hans-Herrmann: Einheit und Zerfall in: Prodomo 21, 2019.
  • 24 Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims, S. 224.
  • 25Ebd., S. 223,.
  • 26Keuner, Hans-Herrmann: Einheit und Zerfall in: Prodomo 21, 2019.
  • 27Joachim Bruhn zeigte, wie Anarchismus und Marxismus das Spiegelspiel zwischen Konservativen und Sozialdemokraten innerhalb der Linken noch einmal reproduzierten und sich dabei als kritisch generierten. Ähnliches kann beim neuen Spiegelspiel beobachtet werden.
  • 28Der wie alle Linken TTIP-kritisch eingestellte Flügel um Katja Kipping fällt der Illusion anheim, dass sich der Warenverkehr regulieren lasse, ohne auch den Verkehr der Warenhüter der Arbeitskraft zu regulieren.
  • 29Wie wenig die selbst ernannten „materialistischen StaatskritikerInnen“ vom Staat begriffen haben, zeigt sich in Momenten, in denen wegen des Mobilisierungsfaktors der popkulturellen Referenz ernsthaft „fundamental rights“ gefordert werden oder man vor lauter Rechtspopulismus vergisst, dass Frontex notwendige Bedingung und nicht bloß zu vernachlässigendes Anhängsel ist.
  • 30Wester, Mark (Mitglied Top B3rlin): Transnationalismus oder Barbarei in Jungle World 19/2019. Online: https://jungle.world/artikel/2019/19/transnationalismus-oder-barbarei. Als hätte es weder 68 noch die Grünen gegeben.
  • 31Trampert, Rainer: Und jetzt das Volk in: Jungle World 20/2019. Online: https://jungle.world/artikel/2019/20/und-jetzt-das-volk
  • 32Redaktion Prodomo Bange machen gilt nicht in:Prodomo 21, 2019. Online: http://www.prodomo-online.org/ausgabe-21/archiv/artikel/n/bange-machen-gilt-nicht-2.html
  • 33Vgl. Bruhn, Joachim: Unmensch und Übermensch – über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus.
  • 34Seite 194, Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates – Thesen zum Verhältnis anarchistischer und materialistischer Staatskritik.

Gegen jeden Antisemitismus – auch im Mensch Meier.

Im folgenden dokumentieren wir einen Brief des Aktionsbündnis gegen jeden Antisemitismus in den Räumen der K9, der eine für den 23.02 geplante Veranstaltung im Mensch Meier thematisiert. Der Brief war bereits vor einer Woche ans Mensch Meier gesendet worden. Das Kollektiv bat – da sie sich gerade in einem Prozess befänden – um ein wenig Geduld. Auf Nachfrage erhielten das Aktionsbündnis schließlich am 21.02. eine Antwort ohne Bezug auf unsere Kritik und den Verweis auf das Statement des Arab* Undergrounddas ebenfalls jedwede geäußerte Kritik ignoriert.

Hallo MenschMeierKollektiv,

auf eurer Website verweist ihr auf die Reclaim Your Club-Fibel als Leitfaden für eine emanzipatorische Clubkultur und macht es euch dadurch zur Aufgabe auch die gesellschaftlichen Verhältnisse und diskriminierenden Verhaltensweisen innerhalb linker Freiräume zu benennen um ihnen entgegenwirken zu können. (1) Dennoch stellt ihr eure Räume zum wiederholten Male einer antisemitischen Agitation zur Verfügung. Wir möchten euch deshalb auf euer Versäumnis den Antisemitismus „innerhalb unserer Freiräume“ (2) zu benennen und sich ihm entgegen zu stellen hinweisen. Auch wenn derartige Veranstaltungen öffentlich debattiert werden müssen, schreiben wir diesen Brief vorerst nur für euch, weil wir die Hoffnung auf eine späte Einsicht haben.

Für den 23.02.2019 laden La6izi & Arab*Underground in eure Räume zu DJ-Sets, Livemusik, Performances, einer Ausstellung und einer Filmvorführung ein. Gezeigt werden soll die boiler room Dokumentation Palestine Underground (3) – mit Jazar Crew (aus Haifa) und Sama (aus Ramallah) legen auch gleich zwei der Hauptprotagonist*innen dieser Doku auf. Die bereits bei der Lektüre des ursprünglichen Ankündigungstextes, in dem Haifa zu einer Stadt im „State of Palestine“ erklärt wird, erkennbare antisemitische Gesinnung, bestätigt sich durch den Film oder das Onlineverhalten der angesprochenen DJ*anes noch einmal.

Im Film werden unwidersprochen historisch falsche Tatsachen verbreitet– mit der Absicht Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren. So behauptet Muqata’a, ein Hip Hop-Produzent aus Ramallah, dort „Palestinians co-existed before Israel was created. Palestinian Jews, Palestinian Muslims, Palestinian Christians were all living together here“ (4) . Antisemitische Pogrome – wie 1929 in Hebron – oder die Zusammenarbeit des Mufti von Jerusalem mit den deutschen Nationalsozialisten werden so verleugnet. Selbst die ziemlich zynische Lesart, dass Muqata‘a mit „Palestinian Jews“ lediglich die Juden und Jüdinnen mit Wurzeln im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina meine – in Abgrenzung zu den Zionist*innen, die vor dem Antisemitismus in der Diaspora ins Mandatsgebiet flohen – und er die antisemitische Gewalt demnach als legitimen Antikolonialismus und nicht als Widerspruch zur co-existence sehe, ist historisch nicht haltbar: denn nie wurde beim Morden zwischen Juden und Zionist*innen unterschieden.

Aus dem zionistischen Projekt der jüdischen Selbstverteidigung wird so ein jüdischer Plan von Unterdrückung durch die Zerstörung der authentischen Kultur. Als Referenzpunkt dient dabei eine mythische Kultur der niemals realen co-existence. Die Doku bedient dabei das Topos vom nahezu allmächtigen Zionisten als wurzellosem Kulturzersetzer gegen ein authentisches, mit dem eigenen Boden verwurzeltes und unterdrückendes Volk. Bereits im vorzionistischen modernen Antisemitismus war dies ein klassischer Topos, der stillschweigend der nationalstaatlichen Logik der in der RYC-Fibel problematisierten „gesellschaftlichen Verhältnisse“ (5) folgt. Es wird die eine kulturelle Identität, also eine zutiefst nationalstaatliche Form, beansprucht, deren Behauptung nur durch die ständige Bereitschaft des Kampfes gegen das Nicht-Identische – auf das man all die repressiven Tendenzen der Identitätskonstruktion pathisch projiziert – möglich ist. Dabei ist der konkrete Inhalt nur sekundär von Bedeutung. Die Rolle des Nicht-Identischen fällt historisch den, überall als Raumfremde behandelten, Juden zu. Oder mit den Worten der eingeladenen Jazar Crew aus der Doku: „We are fighting everyday and we are trying to keep our culture strong.“ (6) „It‘s rebirthing the Palestinian community again.“ (7)

Die inhaltliche Ausrichtung des Films passt dabei wunderbar zur der antisemitischen Agitation der ebenfalls als DJane eingeladenen Hauptprotagonistin Sama in den sozialen Medien. Dort teilt sie regelmäßig Artikel mit antisemitischen Motiven von englischsprachigen Blogs, wie am 6. Februar den Artikel Why I accused Israel of Cultural Genocide, (8) welcher den bereits erwähnten Kulturzersetzer-Topos bedient; oder am 17. Dezember 2018 ein Video vom russischen Staatspropagandasender Russia Today, (9) der in Deutschland fleißig und kontinuierlich antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet und nicht zuletzt auch der neuen Rechten zu der Plattform verholfen, die sie mittlerweile hat; oder am 22. Dezember 2018 einen Artikel, der das antisemitische Topos vom jüdischen Kindermörder bedient. (10) Dazwischen auch immer wieder Artikel in denen behauptet wird, dass die Dämonisierung und Delegitimierung Israels kein Antisemitismus sei.

Dass der Arab* Underground seine Veranstaltungen nutzt, um antisemitischer Agitation einen Raum zu geben, sollte eigentlich niemanden überraschen, der sich mit den Aktivitäten der Gruppe beschäftigt hat. So solltet auch ihr bemerkt haben, dass auf der zweiten Veranstaltung des Arab* Underground in euren Räumen unter anderem Kübra Gümüşay gesprochen hat. (11) Bereits kurze Zeit später ein offener Brief, (12) unter anderem von Seyran Ateş – der Mitbegründerin der Moabiter IbnRushd-Goethe-Moschee – unterzeichnet, ihre Verbindungen zu Strukturen mit antisemitischer Ideologie belegte. So bewegt sie sich im engen Umfeld des muslimbruderschaftsnahen Islamischen Zentrum Al-Nour in Hamburg oder trat bei Millî Görüş auf, durch deren antisemitischen türkischen Chauvinismus Erdoğan politisch sozialisiert wurde. Wie lässt sich das mit Aussagen auf eurer Website vereinbaren, die unter anderem behaupten: „Wir sind nicht autoritär, […] nicht patriotisch, […] nicht homophob…“? (13)

Der kulturelle Kampf gegen Israel ist beim Arab* Underground ein immer wiederkehrendes Motiv. So auch bei ihren Veranstaltungen auf der Fusion, wo sie seit 2013 mit einem eigenen Space und Programm vertreten sind. Neben musikalischer Darbietung finden auch politische – meist kulturrelativistische – Veranstaltungen, Vorträge und Workshops statt. Auffällig ist besonders die Nähe zur Kampagne Boycott, Divestments und Sanctions (BDS). Bei ihr handelt es sich um eine internationale Kampagne zur Delegitimierung Israels, durch wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Boykott. In unrühmlicher Nähe zum antisemitischen Aufruf „Kauft nicht bei Juden“ wird hier der „Jude unter den Staaten“ aus der Weltgemeinschaft ausgeschlossen, wie einst auch aus der Volksgemeinschaft. Insbesondere in der Popszene ist diese Kampagne erfolgreich. So verweigern immer wieder Künstler*innen, wie Roger Waters (Pink Floyd), Thurston Moore (Sonic Youth) oder Carlos Santana, Auftritte im Staat Israel. Meist wird dabei international durch die Aktivist*innen der Kampagne immenser Druck in sozialen Netzwerken aufgebaut, bis Künstler*innen – oder wie 2018 auch die argentinische Fussballnationalmannschaft – es ablehnen, nach Israel zu fahren. Thom Yorke, der es mühevoll schaffte, sich mit seiner Band Radiohead diesem Druck anderer Künstlerkolleg*innen zu entziehen, sagt darüber: „It’s deeply distressing that they choose to, rather than engage with us personally, throw shit at us in public.“ (14)

Bereits 2015 wurde Shir Hever, der stets bemüht ist, die wirtschaftspolitische Bedeutung von BDS zu untermauern, (15) der Gaza als das „größte[s] Freiluftgefängnis[…] der Welt“ (16) oder „a testing ground for Israeli military technology“ (17) bezeichnet und dabei immer wieder Vergleiche mit Apartheitregimen zieht, ein Podium zum Thema Freedom for Palestine, and what about us? gegeben. Hever unterschlägt stets, dass die arabisch-islamistische, fundamentalistisch-fanatische Hamas, die selbst keine Meinungsfreiheit zulässt und Kollaborateure verhaftet, immer wieder mit massiven Raketenangriffen (wie z.B. 2008, 2014 oder zuletzt 2018) die israelischen Militärschläge provoziert. Ebenso fällt unter den Tisch, dass die israelische Regierung im Juli 2014 zunächst eine Woche lang mit Gegenangriffen haderte und nach der militärischer Reaktion, der mehrere Warnungen an die Zivilbevölkerung vorausgingn, auf das Angebot Ägyptens zum Waffenstillstand einging, was die Hamas nicht tat. Spricht er von „the Israeli occupation in Palestine“ (18) meint er damit Grenzverschiebungen Israels, die aus dem arabischen Angriffskrieg gegen Israel 1947-49 und dem präventiven Sechstagekrieg 1967 resultierten und mittlerweile von Israel großflächig rückgängig gemacht wurden – was von palästinensischer Seite stets ignoriert wurde. Auch der Rückzug israelischer Siedler*innen und des Militär aus dem Gazastreifen 2005, zog keinerlei Zugeständnisse gegenüber Israel nach sich. Stattdessen folgten darauf regelmäßiger Raketenbeschuss und eine, nach erfolgreichem Kampf gegen die Fatah, autoritär herrschende Hamas.

Auch der linke BDS-Rapper Kaveh hielt 2015 einen Workshop, zum Thema „Political Rap in Germany – from right to left“. (19) Grenzt sich dieser, in seinem Song „Antideutsche / Tahya Falastin“, zwar von der Hamas ab, verbreitet er dennoch deren antisemitische Propaganda vom „Apartheitregime“ bzw. „Besatzungsregime“. Dass in der Knesset arabische Israelis sitzen, arabische Parteien am Politikgeschehen teilnehmen, arabische Israelis freie Arbeitsplatz- und Studienwahl haben, im öffentlichen Dienst tätig sind und seit 2004 in Aufsichtsräten sitzen müssen, interessiert ihn dabei nicht. Mit seiner Forderung nach „roten Fahnen – über Al Quds und Tel Abib“ bzw. „über Gaza und Jenin“ besteht eine nicht geringe Möglichkeit von Hamas oder Fatah verhaftet zu werden, in Israel sitzen Parteien mit diesen Forderungen in der Knesset. Aber davon wollen Antisemit*innen selten etwas wissen. So verwundert es auch nicht, dass er auf Facebook den Film Auserwählt und ausgegrenzt als „eine äußerst einseitige und fragwürdige Dokumentation über Antisemitismus“ beschreibt – fast so als gebe es beim Thema Antisemitismus zwei Seiten, die man gleichermaßen zu beachten habe und nicht Täter*innen und Opfer.

Im Jahr 2018 wiederum traten BDS-Aktivist*innen wie Samir Eskanda und Vertreter der Jewish Antifa Berlin wie Maaya Alfassia beim Arab*Underground auf der Fusion auf. Auf Samir Eskanda’s Facebookprofil prangt ein Header von #israelapartheidweek (20) und schnell fällt die Obsession auf, mit der er sich der Kampagne widmet. Fast jeder seiner Posts enthält Inhalte zum Thema BDS, wobei deren Aktivismus als Lösung aus der vermeintlichen Apartheid proklamiert wird. (21) Er teilt auch immer wieder Artikel von The Electronic Intifada, (22) die bereits im Namen die antisemitischen Pogrome verherrlicht, die 1.064 Israelis und schätzungsweise um die 1300 als Kollaborateure beschuldigten Palästinenser*innen das Leben kosteten. Auch er baute 2017 über Monate hinweg die Diskreditierungswelle gegen Radiohead auf. (23)

Zusammen mit den Aktivist*innen der sich zur BDS und zur antiisraelischen Kampagne Berlin against Pinkwashing bekennenden Jewish Antifa Berlin, (24) ergibt sich die gewünschte Diversität in Diskussionsrunden: antisemitische Palästinenser und eine Jewish Antifa, die von Antisemitismus der über bloßen Judenhass hinaus geht nichts wissen will. Dies konnte u.a. bei der Podiumsdiskussion Cultural Boycott of Israel in Germany ebenso wie im Workshop Beyond (Jewish) Identity: Broadening our Solidarity Networks beobachtet werden. Statt kritischer Auseinadersetzung mit Diskriminierung sollte es dabei hauptsächlich um „the need for identity politics“ gehen – statt Inhalten zählte nur die Herkunft der Person. (25)

Wie unerwünscht jede Form von Kritik tatsächlich ist, zeigte sich auch beim marginalen Protest einer kleinen Gruppe von Aktivist*innen vor und auf dem Space der Arab*Underground mit Israelflaggen und Flyern. Dieser führte direkt zu Handgreiflichkeiten ausgehend von Leuten aus dem Umfeld der Arab*Underground. Wenig später zeigte sich eine Gruppe mit Kufiyahs und großer, geschwenkter Palästina-Flagge aggressiv auf dem Konzert von Keny Arkana und verwickelte erneut Kritiker*innen in eine Rangelei. Die Gruppe KonsensNonsens hat in ihrem Text Boycott, Divestment, Sanction (BDS) auf der Fusion 2018 die Ereignisse um Arab*Underground auf dem Festival – bisher als einzige Gruppe – dokumentiert. (26)

Deswegen fordern wir euch als Kollektiv auf, euch mit den mit euren Räumen veranstaltenden Gruppen und auftretenden Künstler*innen und deren Inhalten auseinanderzusetzen und antisemitischer Agitationen, wie sie am 23.02 zu erwarten sein wird, keine Bühne zu geben.

Aktionsbündnis gegen Antisemitismus in den Räumen der K9

Nachtrag. Mittlerweile hat das Bündnis noch ein paar weitere Sätze zum weiteren Verlauf ihrer Kritik ans Mensch Meier geschrieben:

“Mensch Meier, bezahl doch einfach mit deinem guten Namen.” (27)

Wie wir berichteten, schrieben wir einen Brief ans Mensch Meier, (28) den wir – nachdem das Mensch Meier uns um Geduld bat und dann lediglich auf einen oberflächlichen Werbetext der Veranstalter*innen verwies – am Freitag, den 22.02 veröffentlichten. Kurz darauf publizierte das Mensch Meier ihr Statement, welches uns mehr als ratlos zurückließ. Neben Trivialitäten über die Sozialisation der Kollektivmitglieder und einer völlig zusammenhangslosen und inhaltsleeren Abgrenzung gegenüber der Bahamas wurde vor allem erklärt, dass BDS „gar nicht“ ginge und sich der Arab* Underground selbst gegen Antisemitismus positionieren würde. Beide Aussagen sind nur schwer als Antwort auf unseren Brief zu verstehen, da dieser doch genau die BDS-Sympathie des Arab* Underground darlegt und zeigt, wie sie immer wieder – ob bewusst oder einfach ignorant sei dahingestellt – antisemitischen Agitator*innen eine Plattform bieten.

Leider konnten die Fürsprecher*innen des Mensch Meiers auf Facebook ebenfalls keine argumentativen Erwiderungen zu den veröffentlichten Kritiken vorbringen. Vielmehr wurde reflexartig der Imperativ formuliert, dass sich „Antideutsche“ bitte von der Bahamas zu distanzieren hätten. Bisher gibt es bei uns jedoch noch keine Einigung darüber, ob wir nun Antideutsche oder Kommunist*innen oder gar beides zugleich sind. Bei unserem Vorhaben, Kritik am Antisemitismus und seiner linken Duldung zu üben, haben wir bisher einfach vergessen unsere Identität klar zu bestimmen. Wir geloben Besserung bis zum nächsten Mal und fügen eine Liste aller Zeitschriften, die irgendwer aus dem Bündnis liest, dem nächsten Text bei.

In unserer Kritik wiesen wir unter anderem darauf hin, dass im gezeigten Film Palestine Underground unwidersprochen eine historisch nicht haltbare Aussage getroffen wird, die das antisemitische Massaker von Hebron 1929 ebenso wie die Zusammenarbeit des Mufti von Jerusalem mit dem NS-Regime verleugnet. Jede*r, der diesen Film öffentlich zeigt, muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, dass er*sie die antisemitische Realität – die nicht unwesentlich zur Staatsgründung Israels beitrug – leugnet und so zur Dämonisierung des israelischen Staates beiträgt. Insbesondere das Mensch Meier kann sich nunmehr nicht hinter vermeintlicher Unwissenheit verstecken. Selbiges lässt sich über die anderen geäußerten Kritikpunkte sagen.

Unter diesem Gesichtspunkt kommen wir zur Pointe der Veranstaltung am Samstag. Als nach der Filmvorführung das Podium der Diskussionsrunde mit jener Falschaussage des Films konfrontiert wurde, erwiderte Ayed Fadel (Jazar Crew) nach einem kurzen Tuscheln mit der Moderatorin: „please excuse my lack of historical knowledge.“Warum hat das Mensch Meier ihn und die Teilnehmer*innen des Podiums nicht auf unsere Kritik am Film hingewiesen? Wäre es nicht die Aufgabe des Mensch Meiers, die Veranstalter*innen nach ihrer Stellung zur Kritik zu befragen, um ihnen die Möglichkeit der Rechtfertigung zu geben? Oder fand genau dies statt und Fadel leugnet wissentlich historische Fakten, mit dem Ziel Israel zu delegitimieren? Warum hat dann niemand vom Mensch Meier interveniert?

So oder so hat sich das Mensch Meier mitverantwortlich gemacht, dass in linken Räumen die geschichtsrevisionistische und antisemitische Agitation gegen den jüdischen Staat toleriert wird. Der Club mit emanzipatorischem Anspruch wurde – zum wiederholten Male – zu einem Ort, an dem Antisemit*innen „could embrace our ideologies“ (29) – solange sich diese nur als Teil eines „heritage“ (30) darstellen können.

To be continued,

Aktionsbündnis gegen jeden Antisemitismus (in den Räumen der K9).

P.S.: Wie einige Kollektivmitglieder des Mensch Meiers haben auch wir „gar kein Bock auf diese Diskussion“. (31) Doch waren nicht wir es, die ihre Türen der antisemitischen Agitation öffneten – wir sind nur diejenigen die wenig Verständnis für Antisemitismus in linken Räumen haben.



1 Siehe Seite 5, RYC-Fibel: http://hidden-institute.org/wp-content/uploads/2017/07/RYC-Fibel_Webansicht.pdf

2 Seite 5, RYC-Fibel.

3 YouTube Link: https://www.youtube.com/watch?v=M-R8S7QwO1g . Die folgenden Zeitangaben „in der Dokumentation“ beziehen sich auf diesen Link.

4 Ab 10:41 in der Dokumentation.

5 Seite 5, RYC-Fibel.

6 Ab 0:51 in der Dokumentation.

7 Ab 1:14 in der Dokumentation.

8 Facebook: https://www.facebook.com/sama.abdulhadi/posts/10156139908415003

9 FB: https://www.facebook.com/sama.abdulhadi/posts/10156031076345003?__tn__=-R

10 FB: https://www.facebook.com/sama.abdulhadi/posts/10156040970460003

11 Siehe: https://menschmeier.berlin/event/wunderground2.html

12 In Gänze hier einzusehen: https://www.change.org/p/prof-klaus-vogel-gegen-rechts-ohne-den-politischen-islam8352f001-2c24-4457-a636-2855287ff77e?

13 Siehe: https://menschmeier.berlin/mm/linkssein.html

14 Siehe: https://www.rollingstone.com/music/music-news/thom-yorke-breaks-silence-on-israel-controversy-126675/

15 Siehe: https://www.middleeasteye.net/opinion/why-bds-movement-can-no-longer-be-ignored

16 Siehe: https://www.friedenkoeln.de/?p=13038

17 Siehe: https://www.middleeasteye.net/opinion/gaza-testing-ground-israeli-military-technology

18 Wie es im entsprechenden Ankündigungstext auf S.25 des damaligen Programms heißt.

19 Seite 29 des damaligen Programms.

20 Siehe: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=550683505888­=a.512288200388⇑=3∴

21 Aus einem Post vom 12.10.2018 „[…]the spirit of internationalism lives on in the non-violent boycott, divestment and sanctions (BDS) movement supporting the Palestinian liberation struggle.“

22 Zum Beispiel am 10. August 2018: https://www.facebook.com/samir.eskanda/posts/563371039968

23 Zum Beispiel in seinen Facebookposts vom: 1. August 2017, 17. Juli 2017., 12. Juli 2017., 7. Juli 2017, 25. Juni 2017, 23. Juni 2017, 20. Juni 2017, 13. Juni 2017, etc. & 24. April 2017.

24 Siehe zum Beispiel: https://www.facebook.com/AntisemitismusRechercheBerlin/photos/a.1463499907305026/2127055990949411/? type=3∴

25 Aus dem Fusionforum: „Sag mal willst du mich eigentlich verarschen, du Kartoffel, da haben Jüd_innen und Araber_innen gemeinsam diskutiert, ob das antisemitisch ist sollen die Jüd_innen die dort sitzen selber bestimmen und einschätzen, und nicht irgendwelche zugeballerten deutschen atzen“ | https://forum.kulturkosmos.de/viewtopic.php? f=32τ=23369í=keny+arkanaσ=7465639139c7667ada9fb2e8b6af4a03

26 Siehe: https://konsensnonsens.org/texte/boycott-divestment-sanction-bds-auf-der-fusion-2018/

(27) Muff Potter – Mensch Meier (Boardsteinkantengeschichten): https://www.youtube.com/watch?v=KWUzJ0FHwRk

(28) Unser Brief.

(29) Aus einem öffentlichen Facebook Post: https://www.facebook.com/story.php?story_fbid=10161615537370525&id=840245524

(30) Selber Post.

(31) Statement des Mensch Meier.

Zur Lage in Venezuela

Wenig überraschend hat sich der Amtierende Präsident und Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei PSUV, Nicolás Maduro, bei den Wahlen am 20.05.2018 durchgesetzt. Seine nun zweite Amtszeit wird bis 2025 dauern. Trotz anhaltender Proteste in den letzten Jahren, teils mit blutigem Ausgang, boykottierte das größte Oppositionsbündnis Mesa Unida Democratica (MUD) die Wahl. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 Prozent. Unter anderem erkennen die USA und die EU das Wahlergebnis nicht an.

Was bedeutet das nun für das von einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise gebeutelte Land an der Nordküste Südamerikas?

Der Internationale Währungsfonds prognostiziert der Venozolanischen Landeswährung Bolivares im Jahr 2018 eine Inflation von 13.864 Prozent. Der Mindestlohn einschließlich aller Boni liegt bei knapp 2,5 Millionen Bolívares. Dafür bekommt man einen Karton Eier oder zwei Sandwiches im Café – aber noch nicht einmal ein Kilo Fleisch. Der offizielle Dollarkurs liegt bei 70.000 Bolívar; auf dem Schwarzmarkt werden aber inzwischen bis zu einer Million Bolivares gezahlt. Aus der Haupststadt Caracas verschwindet das Bargeld immer mehr, stattdessen wird elektronisch per Karte bezahlt. In den ländlicheren Gegenden, wo dieses Verfahren nicht oder nur eingeschränkt möglich ist hat sich ein weiterer Schwarzmarktzweig etabliert: Das Bereitstellen von größeren Bargeldsummen gegen Bezahlung des zwei- bis dreifachen Wertes.

In den Regalen der meisten Geschäfte des Landes herrscht gähnende Leere, Lebensmittel kommen zu großen Teilen gar nicht erst dort an, sondern werden von Schwarzmarkthändlern verkauft. So greifen nicht einmal mehr die von der Regierung bei bestimmten Standardwaren festgesetzten Preise. Seit 1,5 Jahren verteilt die Regierung Lebensmittelpakete in dem Versuch eine grundlegende Versorgung der Bevölkerung zu sichern.
Auch die medizinische Versorgung ist desolat, Betriebsmittel für Krankenhäuser, Ärzte, medizinisches Fachpersonal und vor allem Medikamente fehlen.

Es werden kaum noch Devisen in das Land gebracht, Konzerne wie Kellogg´s und General Motors haben sich aus dem Land zurückgezogen, immer weniger Fluggesellschaften fliegen das Land an und die Wirtschaftssanktionen anderer Länder gegenüber Venezuela werden gravierender.
Viele Venezolaner haben inzwischen das Land verlassen oder pendeln täglich über die Landesgrenzen, um im Ausland etwas Geld zu verdienen.
Um die Infrastruktur des Landes steht es schlecht. Die Straßen sind kaputt, die Energie- und Wasserversorgung an vielen Orten unzuverlässig.
Ganz zu schweigen von der Sicherheitslage. Die Korruption innerhalb der Polizeibehörden hat sich verstärkt, immer mehr Gebiete werden von Banden kontrolliert und der Handel hat sich zu einem dedeutenden Teil auf den erwähnten Schwarzmarkt verlagert.

Schuld ist in erster Linie das Versäumnis der Regierung, die unter Hugo Chavez verstaatlichte Erdölförderung auszubauen und zu sichern und gleichzeitig andere Industriezweige zu fördern oder zu etablieren. So hat sich Venezuela nicht vom Erdölpreis und dem Import von Lebensmitteln und Produkten wie Maschinen und Fahrzeugen emanzipiert. Außerdem wurden offensichtliche wirtschaftliche Probleme wie das Monopol des Lebensmittelherstellers Alimentos Polar, welcher Grundnahrungsmittel wie das vorgekochte Maismehl Harina P.A.N. (welches früher aus keinem venezolanischem Haushalt wegzudenken war) oder auch das meistgetrunkene Bier Venezuelas – die „Polarcita“ – herstellt, nicht angegangen. Und das obwohl dies selbst fernab von politischer Ideologie nahe lag.

Das andere große Problem ist die Korruption in den von der Regierung kontrollierten Einrichtungen, es wurde nie ein Weg gefunden diese in den Griff zu bekommen Vom Kleinstadtbürgermeister bis hin zum hochrangigen Regierungsfunktionär in Caracas verschwanden Gelder und die Entwicklung des Landes blieb auf der Strecke.

Außerdem schränkte von Beginn an die Haltung der „Sozialisten des 21. Jahrhunderts“ die internationalen Handelsbeziehungen ein. Aufgrund Chavez‘ für die gesamte Poltitische entwicklung Venezuelas emblematischer „Gegen den Yankee-Imperialismus“-Rhetorik und Außenpolitik blieben am Ende nur noch offene Verbündete wie Iran, Russland, China oder Syrien.

Trotz all diesen Elends ist die Situation für die Bevölkerung keinesfalls klar. Warum setzt der Großteil der Bevölkerung nicht seine Hoffnungen in die Vertreter der Opposition?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte in Venezuela der Diktator Juan Vicente Gómez, nach dessen Tod eine Liberalisierung des Landes begann. Zwischen 1941 und 45 Wurden die sozialdemokratische Partei Accion Democratica und die Kommunistische Partei legalisiert. 1947 trat mit Rómulo Gallegos der erste direkt vom Volk gewählte Präsident sein Amt an, allerdings nur für kurze Zeit. Es folgte ein Militärputsch.
1948 Herrschte eine Militärjunta, ab 1952 dann der Diktator Pérez Jiménez.
Mit seinem Sturz im Jahre 1958 wurde Venezuela eine Demokratie.

Einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erlebte das Land unter Präsident Carlos Andrés Pérez, während dessen erster Amtszeit 1974-79 etwa 240 Milliarden Dollar durch Erdölexporte eingenommen wurden. Der Erdölreichtum wirkte sich vor allem positiv auf die politische Stabilität und das Bildungssystem des Landes aus.
Mit dem Verfall des Ölpreises ab 1983 schwanden die Einnahmen jedoch und es wurde deutlich, dass andere Wirtschaftszweige komplett vernachlässigt wurden, die nötig gewesen wären um die fehlenden Erdöleinnahmen auszugleichen.
Die Folgen waren Rezession und wachsende Auslandsverschuldung.
Venezuela befand sich am Rande des Staatsbankrotts, Sparmaßnahmen, welche als Bedingung für Kredite des IWF auferlegt wurden, wälzte die regierung vor allem auf die armen Teile der Bevölkerung ab. Im Februar 1989 kam es zu Hungerrevolten und Aufständen, die gewaltsam niedergeschlagen wurden.
Es folgten ein Zusammenbruch der etablierten Parteien und 2 versuchte Militärputsche.

Die Wahl Hugo Chavez‘ zum Präsidenten im Dezember 1998 bedeutete den Anfang großer Veränderungen vor allem für die ärmere Landesbevölkerung.

Am wichtigsten sind hier die von der Regierung finanzierten Sozialprogramme zu nennen: Gesundheit (Barrio Adentro), für die Lebensmittelversorgung (Mercal), das Wohnungbauprojekt, das für günstige oder kostenlose Unterkünfte für die Armen und die Mittelklasse sorgt, das Canaima-Programm, das Schülern und Studenten Computer zur Verfügung stellt, die Programme „Mütter des Viertels“ und nun „Haushalte des Vaterlandes“, mit denen die Regierung Hausfrauen in Anerkennung ihrer häuslichen Arbeit finanziell unterstützt und schließlich „Amor Mayor“, das Rentenprogramm; dies sind nur einige der großen Fortschritte, die das Land in Sachen sozialer Gerechtigkeit und zumindest zeitweise beim Schließen der wirtschaftlichen Kluft vorangebracht haben.

Genauso wurde versucht ein System von Basisdemokratie und Partizipation aufzubauen in Form von Kommunen, Räten und Bürgerversammlungen. Ziel war es fast das gesamte aktuelle politische und wirtschaftliche System schrittweise durch ein neues System zu ersetzen, in dem die Kommunen in Kommunale Städte und regionale Föderationen integriert sind, die dann Politik, Produktion und Projekte nationaler Reichweite ausarbeiten. Dies bedeutete auch, von einem Regierungskonzept „von oben nach unten“ zu einem „von unten nach oben“– Konzept überzugehen, und ebenso die Beziehungen zwischen Eigentum, Produktion und Ressourcenverwaltung auf nationaler Ebene zu transformieren.

Die auftretenden Probleme der anhaltenden Wirtschaftskrise zwangen die Kommunen jedoch weitestgehend zu einem Modus der Schadensbegrenzung anstatt weiterer Entwicklung.

Hugo Chavez wird bis heute von großen Teilen der Regierungsanhänger als Held verehrt, für viele Wähler und Anhänger war die Person wichtiger als die politischen Ziele. Allerdings spielte und spielt das Christentum in Venezuela und Südamerika im Allgemeinen eine große Rolle, so passt es, dass der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ sehr gut mit dem sozialen Christentum vereinbar ist. Chávez machte sich die Parole der Sandinisten zu Eigen: „Zwischen Christentum und Revolution gibt es keinen Widerspruch“ (Cristianismo y revolución, no hay contradicción). Ausgehend von der Prämisse, dass die wahre Identität des Christentums die Befreiungstheologie ist. Nicht umsonst betonte Chávez, dass Jesus Christus der erste Sozialist der Neuzeit sei und dass das „Reich Gottes“ hier auf Erden errichtet werden müsse.

Die weit verbreitete Haltung innerhalb der Bevölkerung ist die, lieber den Teufel zu wählen, den sie bereits kennt, als auf die größtenteils unklare Politik der Opposition zu vertrauen. So konnte diese mit großen, teilweise blutig endenden, Protestaktionen in der Hauptstadt oder auch der offenen Forderung nach einer militärischen Intervention der USA für Aufsehen sorgen, legte jedoch kein schlüssiges Konzept für eine Stabilisierung der Verhältnisse vor. Auch Präsident Maduro und die Regierung haben hier keine besonders erfolgsversprechenden Ansätze, zuletzt wurde die Kryptowährung „Petro“ eingeführt.
Fragt man die Bevölkerung auf der Straße dominiert aber eben die Angst vor derm Unbekannten und der Wunsch zu Verhältnissen wie am Anfang der „Bolivarischen Revolution“ zurückzukehren.

Fazit:

Es ist unbestreitbar, dass die Regierung in ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik schwerwiegende Fehler begangen hat und verantwortlich für die Situation im Land ist. Es gibt kein sozialistisches Projekt mehr. Die zentrale Rolle des Erdöls hat die bürokratischen, zentralistischen, klientelistischen und korrupten Strukturen der Vergangenheit reproduziert. Dem bolivarischen Venezuela ist es nicht gelungen, dieses Phänomen zu vermeiden. Außerdem fehlt es an Klarheit über die Maßnahmen der Regierung.

Auf Seiten der Basis herrscht Misstrauen, inwieweit die Regierung weiß, wie sie die Krise lindern oder lösen soll. Korruption bleibt ein großes Problem und der Autoritarismus hat zugenommen. Es gibt viele – auch offene – Kritiken an der Politik der Regierung aus der Basis und auch aus der PSUV selbst, und noch viel mehr von anderen Parteien, die die Regierung unterstützen. Die Ungleichheit hat massiv zugenommen.

Ein Großteil der sozialen Fortschritte, die Venezuela erzielen konnte, wurden in der Krise zerstört – Ob noch etwas von Ihnen übrig ist, wenn sie vorüber geht, bleibt abzuwarten.

Infantile Agitation XVIII

Wer mit offenen Augen durch den beginnenden Frühling geht, der kann an der einen oder anderen Stelle dem Zauber der linken Agitation erliegen. Da werden alle Menschen zu Brüdern, da wird das Leben zum Ponyhof und manchmal wird eben jeder zum Ziel, der sich für ein paar Euro zuständig erklärt, die fragile Ordnung im bürgerlichen Staat aufrecht zu erhalten.

Zur Klassifizierung dieses Gegners wählt man natürlich das Motiv des behelmten faschistischen Knüppelknechts. Was läge näher, da er doch in den Zeiten eines sich anbahnenden bayrischen Polizeigesetzes als akzeptables Ziel erscheint.

Davon, dass die brillanten Macher dieses Prunkstücks linker Agitation die Fälle von häuslicher Gewalt aufklären und den Verkehr regeln wenn mal wieder die Ampel ausfällt, kann man beruhigt ausgehen. Denn selbstverständlich verstehen sie sich viel besser darauf einer Horde Jungmänner Einhalt zu gebieten, die gerade aus der Diskothek mit Flatratesaufen kommen und nochmal Lust haben richtig die Sau rauszulassen.

Und wo doch der Erste Mai vor der Tür steht, kann der Ausschaltung der „Targets“ nichts mehr im Wege stehen. Daher diesen Monat:

aufkleber_target

Was kommt eigentlich nach der Farce?

Das Verhältnis der radikalen Linken zur Realität ist seit Jahrzehnten getrübt. Die eigene gesellschaftliche Ohnmacht lies selbst die letzten Refugien der Vernunft austrocknen. Zwar tanzen einige volltrunkene Stadtindianer noch um die Asche in der Hoffnung, aus der Schlacke zumindest etwas persönlichen Profit zu schlagen, aber außer dem üblichen deutschen Winnetou-Getue ist hier wahrlich nichts mehr zu holen.

Statt sich endlich an die kritische Analyse der historischen Niederlagen der Arbeiterbewegung heranzuwagen, wird fleißig auf scheintote Subkulturen eingeprügelt. Dieses Mal soll es die letzten verbliebenen „antifaschistischen Gruppen“ treffen. Weil selbst den Organisatoren dieser Selbstkasteiungsveranstaltung1 die Relevanz der eigenen Subkultur derart gering erschien, musste in der Ankündigung der zu kritisierende Gegenstand grandios aufgeblasen werden.

Seit wann die Streetfighter gegen die Fußtruppen der Reaktion als Pioniere „zu einer Gesellschaft, die den Kapitalismus überwunden hat“ gelten, bleibt das große Geheimnis der Veranstalter. Selbst die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation wusste bei ihrer Gründung vor über 25 Jahren insgeheim, dass das Konzept des revolutionären Antifaschismus eine ideologische Luftnummer ist. Der Abwehrkampf gegen die Wiedergänger der Nationalsozialisten lies keine Zeit, um über irgendwelche emanzipatorischen Wunschvorstellungen zu referieren. Zumindest nicht dort, wo es tagtäglich brannte…

Die „Reproduktion von traditionell männlichen Verhaltensweisen“ dann zielgenau bei denjenigen zu suchen, die am Geburtstag von Adolf Hitler ebenso wie am alljährlichen Männertag Patrouille liefen oder den christlichen Lebensschützern die Läden demolierten, ist ein absolutes Armutszeugnis. Hier geht es keineswegs um Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, sondern um die Bestätigung von lang gehegten Ressentiments. Der kaum noch existierenden Antifabewegung angesichts der Randale anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg einen aggressiv-männlichen Habitus vorzuwerfen, zeigt die völlige Verkommenheit aller daran Beteiligten.

Dass die Referentin mit den akademischen Referenzen selbst dann nicht ihre privilegierte Position erkennt, wenn sie gerade auf dem Weg ist, der badischen Provinz-Antifa richtiges Benehmen beizubringen, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass eine narzisstisch gekränkte Person noch jede Einladung annimmt, die ihr unterbreitet wird. Es wäre aus unserer Sicht weitaus besser gewesen, aus derselben Stadt einen Referenten einzuladen, der die enormen Wahlerfolge der AfD in Baden-Württemberg analytisch aufbereitet. Das wäre Antifaschismus auf der Höhe der Zeit.

Antideutsche Aktion Baden im April 2018

  1. https://www.facebook.com/events/352298741948616/ [zurück]

Mythos und Wahrheit – Zur Kritik der linken Kurdistan-Solidarität

„Seitdem die Aufstände gegen Assad im März 2011 begonnen hatten und sich blitzschnell im ganzen Land verbreiteten, war das Assad-Regime auf die Hilfe der PKK/PYD angewiesen. Sie waren nicht mehr in der Lage, die kurdische Bevölkerung zu unterdrücken, weil das Regime mit anderen syrischen Gebieten beschäftigt war“, sagte Jian Omar im November vergangenen Jahres im Interview mit der Huffington Post. Gefragt nach der Rolle der Partei der Demokratischen Union (PYD) im syrischen Bürgerkrieg, antwortete der in Berlin lebende Politikwissenschaftler, Pressesprecher der syrischen Oppositionspartei Kurdische Zukunftsbewegung in Syrien und Mitglied des kurdischen Nationalrates:„Aktuell werden die Entscheidungen von den PKK-Funktionären getroffen und die PYD führt sie lediglich aus. Die Befehlshaber und Entscheidungsträger in den kurdischen Gebieten in Syrien sind die Funktionäre der PKK. Darüber haben bereits viele westliche Journalisten berichtet, die vor Ort waren. Die Fotos von Öcalan hängen in den kurdischen Gebieten in Syrien überall.“

Als der Aufstand in Syrien 2012 militärisch eskalierte, handelte die Regierung ein Abkommen mit der PYD aus. Die Partei sollte die politische, militärische und wirtschaftliche Verwaltung über die nordöstlichen Kantone übernehmen und gleichzeitig für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sorgen. Das bedeutete konkret die Unterdrückung jeglicher Opposition. Neuralgische Punkte, wie zum Beispiel der Flughafen in Qamischli, blieben aber weiterhin in den Händen der regierungstreuen Truppen.

Die ideologische Legitimierung ihrer Herrschaft bildete die so genannte „Autonome Demokratische Selbstverwaltung“, kurz, „demokratischer Konföderalismus“. Das ist eine beabsichtigte Irreführung vor allem für die im Westen beheimatete Unterstützerszene.

Die zahlreichen neu aufgebauten lokalen Gremien dienen nicht etwa der Umsetzung der weltweit gepriesenen Basisdemokratie, sondern einer umfassenden Kontrolle der Bevölkerung. Anstatt transparente demokratische Strukturen aufzubauen, bestimmen loyale Autoritäten in den Kantonen die politische Entscheidungsprozesse.

Organisationen und Parteien, die kritisch gegenüber dem Assad-Regime beziehungsweise der PYD eingestellt waren und sind, wurden weder in die neu strukturierte Verwaltung der kurdischen Gebiete noch in das Parlament eingebunden. Demonstrationen gegen die neuen Machthaber sind verboten. Unabhängige Journalisten, Aktivisten und Mitglieder oppositioneller Vereinigungen wurden entführt und gefoltert. Seit 2012 sind mindestens 30 politische Kritiker der PYD ermordet worden.

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Humans Rights Watch berichteten in den vergangenen Jahren über die Schreckensherrschaft der neuen Lieblinge der internationalen Solidaritätsbewegung. Doch kaum jemand interessiert sich für die Berichte von Zwangsrekrutierungen, die Tatsache, dass Kindersoldaten in den Reihen der YPG kämpfen oder über die Vertreibung von ganzen Dorfbevölkerungen.

Ein häufig bemühtes Argument für die kurdische Selbstverwaltung durch die PYD ist der angebliche Schutz von religiösen und ethnischen Minderheiten.

Konkret dagegen spricht das Verhalten der YPG im Oktober 2015 in der Gegend von Tall Abyad. Amnesty International berichtete damals in Le Monde diplomatique: „Mit der mutwilligen Zerstörung von Häusern, in einigen Fällen dem Niederbrennen ganzer Dörfer und der Vertreibung von Bewohnern ohne militärische Rechtfertigung missbraucht die Autonomieverwaltung ihre Macht und verstößt gegen internationales humanitäres Recht; solche Angriffe sind Kriegsverbrechen gleichzusetzen“. Die betroffenen Dörfer waren größtenteils arabisch dominiert.

Ihre Vertreibung wurde mit einer angeblichen Kollaboration mit dem Islamischen Staat (IS) gerechtfertigt, aber ein Beweis wurde nicht geliefert.

Abstrakt muss diese Minderheitenpolitik, ein „Mosaik von Volksgruppen“, wie arabischer Bewohner von Manbidsch im Artikel zitiert wird, als Ethnopluralismus auf lokaler Ebene denunzieren werden. Anstatt das Individuum zu schützen – vor der Unbill des Stammeswesen sowie religiösen Vorschriften – zementiert die PYD genau diese archaischen Verhältnisse und verleiht ihnen teilweise noch mehr Macht als zuvor. Als Vertreter der Minderheiten (seien es Armenier, Araber, Turkmenen oder Tscherkessen) werden die althergebrachten Autoritäten anerkannt und somit auch die überkommenen Traditionen, die angeblich durch die fortschrittliche Politik der PYD Stück für Stück zurückgedrängt werden.

Gerade die gesellschaftliche Rolle von Frauen wird als Prunkstück der syrisch-kurdischen Emanzipationsbewegung hervorgehoben, nur leider entspricht dies eher den Phantasievorstellungen westlicher Männer als der Realität. Frauen arbeiten zumeist in eigenständigen politischen und militärischen Strukturen. Die Geschlechtertrennung wird strikt eingehalten. Eine Zusammenarbeit über Geschlechtergrenzen hinweg gibt es nur auf höchster Parteiebene. In den entscheidenden Gremien sind aber die Männer bestimmend, also im Hauptquartier und beim Militär.

Schwangerschaften innerhalb der militärischen Strukturen sind nicht erlaubt und führen zu harten Bestrafungen. Liebesbeziehungen werden ebenfalls nicht gern gesehen. Auch das angebliche Verbot der Polygamie ist nur eine Schimäre. Eine Mitarbeiterin der Organisation Kongra Star berichtet, dass wegen des „Mangels an jungen Männern“ einige Frauen sich auch auf eine Ehe mit bereits verheirateten Männern einlassen würden: „Wenn alle Beteiligten einverstanden sind, kann der Richter dieses Recht ausnahmsweise gewähren“.

Die vielfach gefeierten Fraueneinheiten der kurdischen Befreiungsbewegung sind für die einzelnen Kombattanten zumeist nur der Ausweg aus archaischen Zwangsverhältnissen. Anstatt als Teenager innerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft zwangsverheiratet zu werden, fliehen sie direkt in die Arme einer Terrororganisation. Die dann erfolgende Indoktrination ist brutal: „Märtyrer zu sein ist das Beste, was es gibt. Angst ist etwas für eure westlichen Frauen in ihren Küchen“, diktierte eine Kommandantin der YPG dem Journalisten Wes Enzinna ins Mikrofon. Junge Frauen die sich als Selbstmordattentäterin „opfern“, werden hierzulande als Märtyrerinnen gefeiert, obwohl dies doch eigentlich den ideologischen Vorgaben widerspricht, wonach der Islamische Staat den menschlichen Leib verachtend als Waffe bereitwillig einsetzt, während die YPG doch zum Schutz der unzähligen bedrängten Menschen nur ihre Verteidigung organisiert.

Einen Märtyrerkult, egal welcher Art, gilt es nicht zu idealisieren, sondern zu kritisieren. Doch solche Widersprüche werden von den europäischen Unterstützern geflissentlich ignoriert, die wackeren Kämpferinnen gegen den Islamischen Staat (oder derzeit gegen die türkische Invasion) werden trotz alledem wie Postergirls im Internet herumgereicht.

Im April des vergangenen Jahres erklärten zwei Kommandanten der Hisbollah, dass sie in der Vergangenheit mit der YPG mehrfach zusammengearbeitet hatten. Das Assad-Regime stritt zwar jegliche Absprachen mit der kurdischen Parteimiliz ab, die Hisbollah-Kommandanten erklärten jedoch, dass sie sich direkt mit der YPG „abgestimmt hatten, als diese in Nordsyrien gegen den Islamischen Staat vorgingen und sich Kämpfe mit syrischen Rebellen lieferten“.

Nachdem die türkischen Armee vor wenigen Wochen im Kanton Afrin mit einem massiven Truppeneinsatz eindrang, kämpfte die YPG gemeinsam mit vom Iran finanzierten schiitischen Milizen und der Unterstützung durch die US-amerikanischen Truppen vor Ort. Diese ungewöhnliche Allianz wurde alsbald von Kämpfern der Hizbollah verstärkt. Der lachende Dritte im Bunde ist mal wieder der syrische Diktator.

Seine Truppen schießen gerade Ost-Ghouta sturmreif, rücken in Idlib gegen die mit der Türkei verbündeten jihadistischen Milizen vor und besetzen gemeinsam mit der YPG Stellungen in Afrin. Spätestens jetzt sollte klar sein: Der Aufstand gegen das ba‘athistische Terrorregime droht nicht zu scheitern, er ist gescheitert. Die antiimperialistische Allianz Iran-Russland-Syrien-Hizbollah hat in weiten Teilen des Landes militärisch die Oberhand gewonnen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis in der Arabischen Republik wieder jene Friedhofsruhe einkehrt, wie vor dem März 2011.

Den Freunden der kurdischen Sache sollte klar sein, dass die wie auch immer gearteten Autonomiebestrebungen nicht nur von der Türkei mit Vehemenz abgelehnt werden. Der Norden Syriens gehört nach Ansicht Assads untrennbar zu seinem Machtbereich.

Spätestens wenn die letzten von sunnitischen Aufständischen gehaltenen Gebiete durch regierungstreue Milizen erobert werden, ist das Experiment demokratischer Konförderalismus in akuter Gefahr.

Eines steht aber jetzt schon fest: die perfide Strategie der syrischen Machthaber und ihrer Verbündeten ist aufgegangen: divide et impera.

Zweiklassengesellschaft zum Frauentag

Zum Weltfrauentag liefert das OAT Konstanz eine saftige Kritik an der laschen Praxis der Konstanzer Frauenrechtlerinnen, die es wagen, diesen Tag nicht aufrecht kämpfend zu verbringen: es sollen Rosen verteilt werden, es wird zum Brunch geladen. Nach dem Geschmack der auf politische Aktion getrimmten Patriarchatsgegner aus Konstanz viel zu wenig am Frauenkampf(!)tag. Sie sollen auf Linie gebracht werden, schließlich ist der Gegner kein geringerer als der „weltweite” Männerbund, für den härtere Geschütze aufgefahren werden müssen:

„Um diesem Problem tatsächlich entgegenzutreten, müssen Männer als Nutznießer des Patriarchats und als Täter von Gewalt gegen Frauen* benannt und kritisiert werden. Gewalt gegen Frauen* entsteht nicht aus dem Nichts, sondern ist Produkt einer strukturell frauenunterdrückenden Gesellschaft. Diese findet sich nicht etwa erst hinter den Grenzen der bürgerlich-demokratischen Wohlstand[s]gesellschaften, sondern prägt unser Leben auch in Konstanz Tag für Tag. Ohne organisierte Aktionen eines feministischen Widerstandes gegen Sexismus und Patriarchat, ohne Frauen*, die für ihre Rechte einstehen und kämpfen, ohne politische Forderungen bleiben Veranstaltungen wie die in Konstanz rein symbolische Akte ohne Folgen. Zum Frauen*kampftag zelebrieren wir einen Feminismus, der das Problem der Gewalt gegen Frauen* an den Wurzeln packt, mit traditionellen Rollenbildern vollständig bricht, die Täter klar benennt und anklagt und der eine befreite Gesellschaft ohne einengende Geschlechtsidentitäten und Patriarchat fordert.”

Wir nehmen dieses Anliegen ernst und kommen der Forderung nach dem Benennen der Täter nach. Um die gewalttätigen Männer, die sich schnell in ihrer Ehre gekränkt fühlen, zu finden, müssen wir durchaus die Grenzen dieses bürgerlich-demokratischen Staates nicht verlassen, nicht einmal das Bundesland müssen wir verlassen. In Laupheim bei Ulm sollte letzte Woche ein junges Mädchen hingerichtet werden; ihr Bruder, ein islamistischer Gefährder und ihr nach islamisch-patriarchaler Heirat aufgezwungener Ehemann sahen sich durch sie in ihrer Ehre verletzt. Die 17-jährige Alaa W. wollte ein selbstbestimmtes Liebesleben führen und wurde zur Ehebrecherin, was nach islamischem Recht den Tod bedeutet. Sie überlebte nur knapp die brutale Attacke.
Nicht nur auf der „individuell-persönlichen Ebene” wurde hier im Namen des Islam Gewalt ausgeübt. Die Tat überbringt gleichzeitig eine Warnung an alle Mädchen und Frauen in streng islamischen Familien, nicht Reißaus zu nehmen – einem sittlich islamisches Leben als Gebärmaschine sollen sie sich beugen.

Nun könnte leicht der Eindruck entstehen, diese Zustände wären ebenfalls gemeint, wenn das OAT davon spricht, dass „Männer eher zu Aggression und Gewalt als Mittel [neigen]. Dies kommt besonders dann zum Tragen, wenn sie sich in ihrer männlichen Ehre angegriffen fühlen.”

Doch ein konkretes Anklagen islamischer Scheußlichkeiten bleibt aus, man flüchtet sich lieber schnell in sichere Gewässer und bemängelt das erst (!) 100 Jahre alte Wahlrecht. Anstatt dieses als eine der wichtigsten Errungenschaften bürgerlicher Emanzipation zu begrüßen und dieses im Sinne eines universalen Feminismus für alle Frauen weltweit einzufordern, erfolgt nur der schwammige Verweis auf die überall auf der Welt gleichermaßen unterdrückten Frauen.
Insgesamt liegt hier also eine Kritik vor, welche man ohne Umstände in den Kommentaren der Tagesschau und diversen Zeitungen finden kann und für die man wahrlich nicht den Text des OAT lesen muss.

Die Ehrenmorde, die Degradierung der Frau zum Besitz eines Mannes, ja die wirklich brutalsten Formen der Frauenunterdrückung, welche in der Community des Alltagsislams Normalität sind, werden nicht angesprochen.
Wer einen ernstzunehmenden Feminismus vertreten möchte und sich solidarisch gegenüber Frauen zeigen will, die unter patriarchalen Strukturen leben müssen, der sollte davon nicht schweigen.

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Alle Zitate: http://oatkn.blogsport.de/images/GewaltgegenFrauen_OATKN.pdf

Liste der in Deutschland verübten Ehrenmorde: http://www.ehrenmord.de/doku/2017/doku_2017.php

Ehrenmordversuch in Laupheim: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/laupheim-maedchen-nach-versuchtem-ehrenmord-ausser-gefahr-15477837.html

Pressemitteilung: Israelhass in der Göttinger Innenstadt – Israelsolidarische Kundgebung nur unter strengen Einschränkungen

An diesem Samstag, den 23. 12. 2017, veranstaltete das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus Jachad eine Kundgebung unter dem Motto „Solidarität mit Israel – Gegen Antizionismus und Antisemitismus“. Dem Aufruf der Kundgebung folgten über 50 Personen, welche sich friedlich für das Existenzrecht Israels einsetzten. „Uns war es wichtig, ein Zeichen gegen Israelfeindlichkeit zu setzen. Immer wieder wird vermeintliche Kritik an Israel als Vorwand für judenfeindliche Ausschreitungen genutzt. Darüber wollen wir aufklären“, so Katja Ölgemöller, eine Sprecherin des Bündnisses. „Es darf nicht sein, dass jüdischem Leben hier und heute mit derart offener Gewalt begegnet wird.“

Die Kundgebung fand außerhalb der Innenstadt hinter dem Albaniplatz statt. Dem ging ein Disput mit der Stadtverwaltung voraus, die einen Standort in der Innenstadt als abträglich für das allgemeine Sicherheitsempfinden beurteilte. „Es schockiert, dass wir gezwungen wurden, unsere friedliche Veranstaltung aus Sicherheitsgründen weitab vom Menschenstrom abzuhalten, während die pro-palästinensische Kundgebung direkt am Bahnhof stattfinden durfte“, so Ölgemöller weiter. „Dabei geht das Gefahrenpotential von der anderen Seite aus: einzelne Menschen wurden nach unserer Veranstaltung sogar von der Polizei dazu angehalten, sich auf dem Heimweg nicht als israelfreundlich oder gar jüdisch erkennen zu geben.“

Die zeitgleich stattfindende antiisraelische Demonstration am Göttinger Bahnhof zeichnete sich durch aggressives Gebaren und antiisraelische Sprechchöre aus. Auf zahllosen Schildern wurde Israel das Existenzrecht abgesprochen und die jüdische Geschichte Jerusalems geleugnet. Personen, die inhaltlich widersprachen, wurden aggressiv bedrängt und mit lauten Rufen eingeschüchtert. Die Polizei verteilte vorauseilend Platzverweise, um eine kritische Begleitung zu vereiteln. Sichtbarer Gegenprotest war von Anfang an nicht erwünscht. Die Polizei machte deutlich, nicht für die Sicherheit israelsolidarischer Menschen sorgen zu können. Dazu Ölgemöller: „Man sollte denken, die Polizei hätte aus den gewalttätigen Aktionen der Pro-Palästinademo im Sommer 2014 gelernt. Stattdessen wird nur mehr Raum für Hass auf Juden und ihren Staat gegeben!“

Wir, das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus – Jachad, sind bestürzt über die heutigen Vorgänge in der Göttinger Innenstadt. Wieder einmal mussten Menschen, die offen ihre Unterstützung für Israel kundtaten, mit Übergriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit rechnen. Wir fragen uns, wie jüdisches Leben in Deutschland unter diesen Bedingungen möglich sein soll. Wieso bietet die Stadt Göttingen offenen Feinden Israels so viel Raum? Insbesondere in einer Zeit, in der es Bundesweit zu israelfeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen in deutschen Städten kommt, sowie vermehrt antisemitische Gewalt in ganz Europa wieder auf dem Vormarsch ist, hätte die Stadt sensibler agieren können.
Allen TeilnehmerInnen, die sich trotz widriger Umstände am heutigen Samstag solidarisch gezeigt haben, danken wir, denn durch sie ist es möglich gewesen, ein Zeichen für Israel und einen friedlichen Dialog zu setzen.

jachad יחד

Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus

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