Antitresen #4 (streaming edition)

Dieses Jahr pausierte das Außenministerium nach heftiger Kritik vorerst die Zusammenarbeit mit Nurhan Soykan, der stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, aufgrund ihrer Verharmlosung antisemitischer Demonstrationen und ihrer organisatorischen Nähe zur nationalistisch-islamistischen Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB). Dieser Vorgang ist bezeichnend für den interreligiösen Dialog und die politische Wühlarbeit legalistischer Islamisten.


Wird über Islamismus gesprochen, werden die meisten an die bekannte, häufig militante Ausformung, den Dschihadismus, denken. Wenig beleuchtet ist bis jetzt der legalistische Islamismus, der versucht mit politischen Mitteln wie Lobbyarbeit Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungsprozesse zu nehmen. Ziel ist eine Gesellschaft nach konservativ-reaktionären Prinzipien.

Die Kritik der hegemonialen Linken am Islamismus nimmt zwar zu, die große Mehrheit umgeht dieses Thema allerdings immer noch in ihren Diskursen. Mal aus falsch verstandener Solidarität gegenüber marginalsierten Gruppen, mal aus Angst rassistische Ressentiments zu bedienen. Das zu schützende Subjekt ist identitätsbildend und das sich als antirassistisch wähnende Subjekt vernachlässigt dabei die eigenen Positionen, die sonst stets gegen autochthone Rechte in Stellung gebracht werden.


Dabei wird gerne vergessen, dass in Deutschland Auslegungen des Islam vorzufinden sind, die aus einer linken Perspektive Gegenstand einer emanzipatorischen Kritik sein müssten. Denn auch wird oft ausgeblendet, dass der Islamismus, egal ob legalistisch oder militant ein zutiefst reaktionäres Weltbild vertritt.


Die Redaktion des neu erschienenen Magazins „tapis“ begibt sich auf die Spurensuche und liefert Recherchen zum Thema Islamismus. Dabei klassifiziert „tapis“ den Islamismus als eine dezidiert rechte politische Strömung und erklärt so, warum der Kampf gegen den Islamismus eben auch ein Kampf gegen Rechts ist.


Wir sprechen mit Tapis über die Veröffentlichung und die Rechercheergebnisse. Stellt uns wie immer eure Fragen und sonst bis zum 24.09. 19h auf YouTube!

Antitresen #3 – Befreiung oder Besatzung?

Vor 75 Jahren kapitulierte die deutsche Wehrmacht gegenüber den alliierten Streitmächten der Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion, dem Vereinigten Königreich und den französischen Truppen der Befreiungsarmee. Der Zweite Weltkrieg war damit zumindest in Europa beendet. Die Siegermächte begannen, die Rahmenbedingungen des kommenden Friedens auszuhandeln. Das stark verkleinerte deutsche Staatsgebiet wurde in vier Besatzungszonen eingeteilt. Vier Jahre später entwickelten sich aus ihnen zwei deutsche Staaten, die sich auf je spezifische Weise vornahmen, mit dem Nationalsozialismus zu brechen: Beide nahmen formal den Antifaschismus als Staatsdoktrin auf. Gleichzeitig waren sie bemüht, eine Kontinuität der deutschen Herrschaft aufrecht zu erhalten – de facto tasteten sie die nationalsozialistische Volksgemeinschaft gerade nicht an.

Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel und im Schnellverfahren die ehemalige SBZ, spätere DDR auf dem Gebiet des heutigen Dunkeldeutschlands an die westdeutsche Bundesrepublik angeschlossen wurde, offenbarten sich die unter Westbindung und Sowjettreue fortwesenden Kontinuitäten in Städten wie Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda. Doch die postnazistische Volksgemeinschaft tat so, als hätten die neonazistischen Mordbanden mit dem eigentlichen Deutschland nichts zu tun, und begann, sich als antifaschistische Zivilgesellschaft zu inszenieren. Das Morden überließ man lieber den Handelspartnern im Nahen und Mittleren Osten. Damit begann eine Verschiebung der Debatte. Wurde die im Sommer 1945 kollektiv erlebte narzisstische Kränkung durch die Teilung wachgehalten, wurde schon alsbald davon gesprochen, dass man ja eigentlich befreit worden wäre. Die eigene barbarische Geschichte wurde zur Erfolgsstory umgedeutet. Fast so, als hätten die Alliierten das friedliebende deutsche Wesen vom fremdartigen Nationalsozialismus befreit. Das deutsche Volk fühlt sich freigesprochen. Man brüstet sich als Aufarbeitungsweltmeister damit, dass andere Länder einen um das Mahnmal der ermordeten Juden in Europa beneiden würden. Die Erinnerung verdrängt das eigentliche Verbrechen.

Was 1985 mit der Rede Richard von Weizsäckers begonnen hatte, mündet heute in die Forderung nach einem Nationalfeiertag am 8. Mai. Die Berliner Republik und die längst total-verstaatlichte Zivilgesellschaft spinnen fleißig den Mythos vom anderen Deutschland und verdrängen die Bedingungen der eigenen massenmörderischen Konstitution. Weder die Profite des Zweiten Weltkriegs noch die bis heute unangetastete, aus strategischen Gründen im Kalten Krieg nur notdürftig entnazifizierte, mörderische Volksgemeinschaft sind noch Thema. Die Nazis werden zum Anderen, zum Nichtdeutschen. An einer Entschädigung der Opfer besteht – das haben der Berliner Zoo oder der Umgang mit Griechenland in der letzten Finanzkrise ausdrücklich bewiesen – überhaupt kein Interesse. Stattdessen geht es darum, sich selbst als moralische Supermacht zu inszenieren. Besonders gerne belehrt man den Staat der Opfer der Shoah, während man mit einem Regime, das kein Hehl aus seinen antisemitischen Vernichtungswünschen macht, innige Handelsbeziehungen eingeht. Wenn es heißt, dass die Sieger die Geschichte schreiben, dann hat Deutschland 75 Jahre später wohl doch noch den Krieg gewonnen.

Wir wollen mit der Redaktion antideutsch.org über ihre Kritik des German Gedenkens und die vor fünf Jahren ins Leben gerufene 70-Years-Kampagne sprechen, die sich kritisch mit dem deutschen Geschichtsbild auseinandersetzte. Wir wollen der Frage nachgehen, wie sich Antifaschist*innen in Deutschland gegenüber des Staatsantifaschismus verhalten können, ohne sich zu ehrenamtlichen Helfer*innen des deutschen Staates zu machen. Wenn der kollektiv vom deutschen Volk begangene Massenmord und der unter alliierter Besatzung munter weiter geäußerte Antisemitismus eines beweisen, dann: ANTIFA GEHT NUR GEGEN DEUTSCHLAND.

09/05/2020 – 19 Uhr, Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=0OkvYCcWyis

Verschoben: Antitresen #2 (streaming edition)

Das Corona-Virus hat die wenigen verbliebenen Nischen, die das Leben in der verwalteten Welt der Kulturindustrie noch erfreulich scheinen lassen, in die Zwangspause verwiesen. Der Staat verordnet Vereinzelung, Atomisierung und ein Ausmaß an Tristesse, das selbst in der sächsischen Provinz bisher so nicht denkbar war. Übrig bleibt einzig und allein die Kontemplation, die durch die immer näher kommenden eigenen vier Wände schwieriger aufrechtzuerhalten ist. Anders als die zahlreichen linksradikalen Rauschangebote, die es erlauben, aus der Kontemplation ins Gespräch zu kommen und die eigene bornierte Subjektivität infrage zu stellen, machen die in diesem Scheiszland zahlreich vertretenen reaktionären Elemente keine Pause. Mehr denn je gilt: Adorno hatte Recht, die Welt ist schlecht.

Grund genug es zu halten mit dem alten Bloch, denn der hatte Hoffnung noch. An diese Hoffnung möchten wir anknüpfen und unserer Aufgabe als Dienstleiter*innen der Dialektik von Klarkommen und Darüber Hinausgehen – vulgo: Betreutem Trinken und kommunistischer Kritik – in diesen Zeiten nachgehen. Unser monatlich konzipierter und bereits fest im linksradikalen Bremer Nachtleben etablierter Antitresen lässt sich nicht unterkriegen. Um die Serie aufrecht zu erhalten, wird unsere Nummer 2 in digitaler Version stattfinden. Wir haben die Grand Dame der radikalen Linken, Junge Welt-Besetzerin und Jungle Word-Mitbegründerin, Elke Wittich, eingeladen, um mit uns bei ein paar Gläschen Sekt – gerne auch alkoholfrei – und einem Stückchen Erdbeertorte – das gibt‘s im Bedarfsfall auch vegan – über die autoritären Versuche einer ideologischen Rationalisierung der aktuellen Krise zu sprechen:

„Daran, dass unvermutet auftretende Ereignisse und Krisen immer auch eine Fülle von Verschwörungstheorien und Falschinformationen zur Folge haben, hat man sich fast schon gewöhnt. Die Coronapandemie ist natürlich keine Ausnahme. Ungewöhnlich ist allerdings, dass es zur Zeit auch eigentlich seriös arbeitende Medien im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums mit den Fakten nicht so genau nehmen.“

In diesem Sinne,
um das Individuum als einzig denkendes Wesen anzuerkennen,
diese Einsamkeit aber in revolutionärer Weise zu transzendieren,
Streaming bis zum Kommunismus.

VERSCHOBEN: Auf den 16.05, ab 19:00, Youtube

Antitresen #1: Was heißt antideutsch heute?

Kneipen-Abend von Solarium – kommunistische Gruppe Bremen
& Vorstellung & Lesung aus DISTANZ MAGAZIN #5.

Antideutsches Denken, sofern dieser Denkstil sich überhaupt fassen lässt, einst mit dem richtigen Anspruch angetreten, mit israelbezogenem Antisemitismus, regressiver Kapitalismuskritik und ahistorischem Marxverständnis von Traditions- und Bewegungslinken zu brechen, war mit einer Kampfansage an Deutsche Ideologie verbunden. Es scheint heute jedoch nur noch zu einer blanken Verteidigung der Wertakkumulation fähig zu sein. Die Rede von der ›Aufklärung‹, den ›westlichen Werten‹ und der ›Zivilisation‹, die man doch gegen allerlei postmoderne Zivilisationsmüdigkeit hoch zu halten gewillt ist, erweckt den Eindruck bloßen Jargons und muss das Existenzialurteil kritischer Theorie, nämlich, dass man es mit einer falsch eingerichteten Gesellschaft zu tun hat, zusehends stärker ausblenden. Statt dessen nimmt man die Spiegelfechterei um Links- und Rechtsantideutsche als Identitätsangebot dankend auf und ist längst so deutsch, dass man sich zur Apologie der AfD und der Nation hinreißen lässt. Das Kapitalverhältnis kann man vor lauter Koran-Exegese nicht mehr erkennen, sondern lässt sich lieber von den Verhältnissen traditionslinker Provenienz dumm machen. In Anlehnung an den programmatischen Text Stephan Grigats von 2007 fragt das Distanz-Magazin deshalb: Was ist antideutsch heute?

Zusammen mit der Redaktion des Distanz Magazins, haben wir die Redaktion Antideutsch.org und Mitglieder der Gruppe zwischen Tür und Angel eingeladen, die jeweils ihre Texte vorstellen.

Redaktion Antideutsch.org:
Antideutsch, das ist die Notwendigkeit die kommunistische Kritik nach dem Ende der Nachkriegszeit unter einer veränderten Weltlage erneut zu formulieren. Das Wörtchen „antideutsch“ betont die besondere destruktive Aufgabe einer kommunistischen Kritik, all die zur Farce geronnen Devotionalien der linken Tragödien wegzuschaffen und in aller Radikalität auf den kategorischen Imperativ Marxens zu beharren und dabei zu keiner Zeit die drohende deutsche vulgo negative Aufhebung des Elends aus den Augen zu verlieren.

Gruppe zwischen Tür und Angel:
Um zu unterscheiden, wann die Wahl zwischen schlechten Alternativen zurückzuweisen ist und wann die Zurückweisung der Alternativen ihrerseits auf schlechte Äquidistanz hinausläuft und dann eben doch Parteilichkeit angebracht wäre, ist politische Urteilskraft gefragt. »Dialektisch zugleich und undialektisch«91 – diese ihrerseits zur Floskel gewordene Anforderung an die Kritik ist auf eine solche Urteilskraft stets angewiesen. Sie gebietet die Solidarität mit Israel als dem größten anti-antisemitischen Projekt, das es jemals gab.

Anschließend an die Diskussion möchten wir auch noch einladen bei uns auf einige Getränke zu verweilen und laden recht herzlich zu einem – auch außerhalb des Themas liegenden – Austausch ein.

Wir behalten uns das Recht vor autoritären Charakteren jeglicher Art den Eintritt zu verwehren.