Redebeitrag vom 27.01.2022

Heute vor 77 Jahren befreiten Rotarmisten der ersten ukrainischen Front unter dem jüdischen Kommandanten Anatoli Schapiro das Konzentrationslager Auschwitz in der heute polnischen Stadt Ośwęicim (Oschwejsim). Heute steht der Name Auschwitz synonym für den industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Das Eingedenken an die Opfer verpflichtet zu dem kategorischen Imperativ, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei, dass nichts Ähnliches geschehe.“ Dieser Imperativ setzt voraus, die historischen Umstände als die Bedingung der Möglichkeit des Geschehenen zu verstehen und ihre Überwindung anzustreben. Es geht hier und heute nicht um den Versuch, das Leid der Opfer nachzuvollziehen oder sich gar mit ihnen zu identifizieren. Es geht darum, die Verhältnisse, die dieses Leid ermöglichten, im Eingedenken der Opfer zu denunzieren. Namentlich sind und waren diese Verhältnisse: Kapital, Staat und explizit der deutsche Staat.

Wer behauptet, das Grauen der Shoah habe sich gegen den Zeitgeist und gegen den Lauf des aufgeklärten Weltgeschehens gerichtet, liegt falsch. Es war die bis zur totalen Verwaltung aufgeklärte Welt, die die Shoah erst möglich machte. Die aufklärerische Rationalisierung realisierte nicht nur den industriellen Fortschritt, ohne den die Mordfabriken des Nationalsozialismus nicht denkbar wären. Sie schuf auch die Grundlage einer Kategorisierung der Welt und der sie bevölkernden Menschen, die ihren barbarischen Höhepunkt in den zu Nummern degradierten Insass:innen der deutschen Lager fand. Dem sich als Revolte gegen die Moderne äußernden Nationalsozialismus lag dabei insbesondere das Ressentiment gegen die kapitalistische Moderne in Gestalt des Antisemitismus zugrunde. Die antisemitische Weltanschauung entspringt aus dem Kapitalverhältnis und bestimmt die Jüdinnen und Juden zum absoluten Objekt. Gegenüber der offen zu Tage tretenden Unvernunft, der Unterteilung in Herrschende und Beherrschte wird der Antisemitismus zum Kitt, weil er scheinbar die Einheit der Gesellschaft von Staat und Kapital garantiert. Jüdinnen und Juden wird die Verantwortung für das Elend in der Gesellschaft angelastet. Antisemitismus zeigt sich als Weltanschauung.

Zwar ist Antisemitismus Teil der allgegenwärtigen Totalität des Kapitals, doch es war die historisch besondere deutsche Konstellation, in der es zum industriellen Massenmord kam. Warum ist der Tod also ein Meister aus Deutschland? Was unterscheidet die Nation der Täter:innen von den Alliierten, was die völkischen von den westlichen Staaten? Während sich die westlichen Staaten auf das Aufbegehren der Bevölkerung gegen die Feudalherrschaft berufen, beruft sich der deutsche Nationalmythos auf das Aufbegehren für die Feudalherrschaft und gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Dieses Aufbegehren wurde als Grund für die sogenannten „Befreiungskriege“ im 19. Jahrhundert betrachtet. Als Befreiung wird nicht etwa die Befreiung des Individuums vom Zwang wahrgenommen, sondern die Befreiung des Volkes von der Fremdherrschaft. In diesem Mythos wird das Individuum dem Volkskörper geopfert, anstatt dass sich die Staatsbevölkerung durch das individuelle Aufbegehren konstituiert. Dadurch werden die Mittel zum Zweck: Die Nation ist nicht länger Mittel zur politischen Herrschaft und Antisemitismus nicht länger Mittel zur nationalen Stabilisierung. Stattdessen werden beide zum eigentlichen Ziel ihrer selbst.

Die Last des historisch singulären Verbrechens der Deutschen – sprich: die Shoah – ist heute vom Rechtsnachfolger des NS-Regimes längst umgedeutet worden und wird mit Verweis auf die besondere historische Verantwortung und die weltweit unerreichte Aufarbeitung und Erinnerungskultur allen Ernstes zur Demonstration einer moralischen Überlegenheit instrumentalisiert. Das post-nazistische Deutschland beansprucht nicht trotz, sondern wegen Auschwitz erneut eine Rolle in der Weltpolitik und jede Israelsolidarität, die sich nicht als radikale Ablehnung des Staates von Auschwitz artikuliert, trägt ihren Teil zu dieser Rolle bei. Das deutsche Gedenken ist ein Selbstzweck, dem niemals Taten folgten. Auch wenn das Ticket und der Jargon andere Absichten vermuten lassen, bleibt das Streben nach einer Welt ohne Antisemitismus Selbstbetrug oder Manipulation, wenn es einen Kompromiss mit dem Staat eingeht oder ihn als Mittel zur Durchsetzung vorsieht.

Das geläuterte und wiedergutgewordene Deutschland und seine außenpolitische Selbstwahrnehmung als Export- und Erinnerungsweltmeister wird dabei idealtypisch verkörpert von seinem ehemaligen Außenminister, der nach eigenem Bekunden wegen Auschwitz in die Politik ging, um dann als Außenminister genau jenes iranische Regime zu hofieren und tatkräftig zu unterstützen, das keinen Hehl aus seinem Bedürfnis der atomaren Zerstörung Israels macht und offen die Vernichtung der 9 Millionen Einwohner:innen des jüdischen Staates propagiert. Doch über derlei Ambivalenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und Jerusalem sollte man doch zumindest auf Augenhöhe und ergebnisoffen diskutieren können. Unter Freund:innen kann man sich auch darauf aufmerksam machen, dass man – auf Grund der gemeinsamen Geschichte – eine gemeinsame Verantwortung bezüglich der Erinnerung hat und keiner diese Erinnerung für „nationalen Egoismus“ missbrauchen sollte, wie die Tagesschau absurderweise festhielt. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass in der gemeinsamen Geschichte der eine Staat genau diejenigen industriell vernichten wollte – und es beinahe geschafft hat – die der andere Staat heute beschützen will. Genauso wird ausgeblendet, dass Israel nur eine einzige Handlungsmöglichkeit gegenüber dem Iran hat, will es dieses Schutzversprechen gegenüber seiner Bevölkerung einhalten. Die Selbstverteidigung mit allen notwendigen Mitteln ist für Israel und seine jüdische Bevölkerung die einzige Möglichkeit zu existieren.

Der Versuch zwischen ehrbarem Antizionismus und bösem Antisemitismus zu unterscheiden blamiert sich dadurch, dass in ihm – meist unbewusst – der Staat gegen das Kapital ausgespielt werden soll. Wie Staat und Kapital sich gegenseitig bedingen, bedingen sich auch die aus ihnen erwachsenden negativen Kritiken einander. Wie Antisemitismus die personifizierte negative Kritik des Kapitals ist, ist der gegen den Juden unter den Staaten gerichtete Antizionismus die negative Staatskritik. Erst in einer befreiten Gesellschaft lässt sich dieser notwendige jüdische Partikularismus mit der geeinten Menschheit versöhnen. In der Welt von Staat und Kapital gibt es nur die Wahl zwischen antisemitischem Massenmord und dem kapitalistisch organisierten jüdischen Staat. Jede antizionistische Israelkritik macht sich also mit dem antisemitischen Mord gemein.

In der Welt von Staat und Kapital scheiterten die jüdischen Hoffnungen auf Emanzipation historisch in doppelter Hinsicht, denn weder gelang ihnen die bürgerliche Emanzipation zu Staatsbürger:innen noch die proletarische zu Sowjetgenoss:innen. Es half ihnen keine soldatische Staatstreue – weder gegenüber dem bürgerlichen noch dem proletarischen Staat – gegen die in Krisenzeiten immer wiederkehrende und neu mobilisierte antisemitische Vereinfachung der Welt. Weder der bürgerlichen Brüderlichkeit noch der proletarischen Solidarität konnten sich Jüdinnen und Juden je sicher sein. Dies bedeutet auch für die materialistische Staatskritik, dass die Solidarität mit Israel als Schutzraum aller Jüdinnen und Juden nicht zur Diskussion steht. Dabei ist es schlicht und ergreifend egal, wie wir als Privatmenschen die aktuelle Regierung oder die dortige außerparlamentarische Opposition bewerten. Es geht nicht darum, dass Israel im Gegensatz zu anderen Staaten irgendwie humaner wäre, sondern darum, dass Israel durch die Inhumanität der anderen Staaten zur einzig möglichen Verteidigung der Jüdinnen und Juden geworden ist.

„Für den Kommunismus“ bedeutet also nicht nur zwangsläufig Krieg den deutschen Zuständen, sondern immer auch Solidarität mit Israel.

Demo: Im Eingedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.

Gedenkspaziergang am 27.01.2020, 18:00 Uhr, Start: am Brill.

„Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat. Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug.“
– Theodor W. Adorno

Am 27. Januar 1945 befreiten Truppen der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Dieser Name steht heute synonym für den industriellen Massenmord der deutschen Volksgemeinschaft an den europäischen Jüdinnen und Juden. In Deutschland und mit Auschwitz manifestierte sich das schreckliche Potenzial einer Weltgesellschaft, die „anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt“ (Adorno/Horkheimer). Den Opfern der Shoah und ihrem Staat sehen wir uns als kommunistische Kritiker*innen dieser Weltgesellschaft verpflichtet.

Obwohl es die industrielle Revolution und die mit ihr einhergehende nationalstaatliche „Ordnung von 1789“ (Horkheimer) war, die diese modernen und rationalisierten Mordfabriken erst möglich machten, war es explizit der deutsche Staat, der das völkische Potenzial der Massenvernichtung wahr werden ließ. Es waren die Armeen des sowjetischen, des britischen, des französischen und des us-amerikanischen Staates, die dieses Verbrechen beendeten. Anlässlich der Befreiung gilt diesen Staaten unser Dank, nicht trotz, sondern weil wir Staatskritiker*innen sind.

Wir möchten gemeinsam schweigend im Eingedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zum ehemaligen KZ Mißler in Findorff gehen. Wir bitten dabei auf Partei- und Organisationsfahnen oder Ähnliches zu verzichten.

(Achtung: vorläufige Ankündigung!)
To be updated: https://www.facebook.com/events/2546848738973679/

Flugblatt zu „Crash the Party“ / AfD-Bundesparteitag in Braunschweig

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“
– Theodor W. Adorno, Minima Moralia

FCK AFD!

An diesem Wochenende sind zahlreiche linke und linksradikale Personen und Gruppen nach Braunschweig gefahren, um gegen den Bundesparteitag der Alternative für Deutschland zu demonstrieren und versuchen, seine Abläufe wenigstens zu stören. Ein derartiger Sabotageversuch gegen den politischen Betrieb in Deutschland müsste von KommunistInnen und anderen Antideutschen eigentlich gut geheißen werden können – würden die Demonstrationen sich auch als ein solcher verstehen. Doch weder wird eine derartige subversive Radikalität unter dem Großteil der Protestierenden Anklang finden, noch wird der sich selbst als explizit linksradikal verstehende Teil der zu Grunde liegenden Analyse zustimmen. Zu sehr ist man verfangen im identitären Abgrenzungsbedürfnis und zu oft reiht man sich ein in das vermeintlich antifaschistische „zivilgesellschaftliche Engagement“, ohne dabei zu merken, dass man sich dabei von den als links gesehenen Parteien der postnazistischen Bundesrepublik vor den Karren spannen lässt.

Es ist – wie viel zu oft – die deutsche Zumutung des Antisemitismus, an dem das Versagen linker Kritik deutlich wird. Während die Lehre der Shoah für Israel und die meisten Jüdinnen und Juden in Europa heißt, dass sie sich niemals voll auf den Schutz einer anderen Staatsmacht verlassen können,1 demonstrierte die radikale Linke nach dem Attentat in Halle gemeinsam, in Abgrenzung zur AfD, mit VertreterInnen eben jener deutscher Parteien, die im Handel mit dem antizionistischen iranischen Regime – der größten Bedrohung die es für Jüdinnen und Juden auf der Welt momentan gibt – alles andere als ein Problem sehen.2 Der Parlamentarismus erscheint in neuem Glanz, weil unter gemeinschaftsstiftenden Parolen wie „Unteilbar“ oder „gegen den Hass“ die Widerwärtigkeiten der Berliner Republik verdrängt werden können.3

Ideologiekritik und Identität?

Bezeichnend dafür ist, dass die durch die Bank weg antizionistischen Ausfälle deutscher PolitikerInnen anlässlich der feierlichen Debatte zu „70 Jahre Gründung des Staates Israel – In historischer Verantwortung unsere zukunftsgerichtete Freundschaft festigen“4 im deutschen Parlament auch in der antinationalen und israelsolidarischen Linken kaum wahrgenommen wurden. Dass Katrin Göring-Eckardt Israel für den antisemitischen Terrorismus gratulierte oder Dietmar Bartsch, als – nach eigener Aussage – linker Politiker und deutscher Staatsbürger, Israel implizit für die Krisensituationen in seinen Nachbarländern verantwortlich machte, fiel der sprachsensiblen Linken nicht einmal auf, weil die „Einzigartigkeit der Shoah“ und das „Existenzrecht“ betont wurden und somit im für das eigene Wohlbefinden angemessenen Jargon gesprochen wurde.5 Das Einzige, was wirklich Aufsehen erregte, war die Rede einer führenden Charaktermaske der neurechten Bewegungspartei, die gemeinhin unter dem Namen Alexander Gauland bekannt ist. Auch wenn sie sich nur in wenigen Punkten vom sonst üblichen postnazistischen Konsens unterscheidet, war sie Grund genug für die Spaltprodukte der israelsolidarischen Linken – fälschlicherweise auch Rechtsantideutsche und Linksantideutsche genannt –, die eigene Reflexionsfähigkeit freudig über Bord zu werfen und sich politisch klar zur Rede zu positionieren. Ist es bloß ein popkulturindustrielles Bedürfnis nach Distinktion und Tabubruch oder das Ersetzen der sich unversöhnlich selbst gegenüberstehenden und deshalb fürs Individuum einiges an Anstrengung bereithaltenden Ideologiekritik, durch die wohlige Wärme einer politischen Identität im „Kulturkampf“?6 Nur weil das allgemeine Niveau der Debatte sich auf einem derartigen Tiefpunkt befindet, erscheinen einzelne Debattenbeiträge überhaupt als klug.

Politische Positionierungen haben es an sich, dass sie zwar mitunter temporär Raum für kritische Erwägungen haben – wie es einige vernünftige Papiere der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigen – aber im Eifer der Tagespolitik zu allem ein instrumentelles Verhältnis einnehmen müssen – wie es die zur Stiftung gehörende Linkspartei jeden Tag zeigt. Da auf einer Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD aber nicht mit allzu vielen sogenannten Rechtsantideutschen zu rechnen ist, soll uns deren wahnhafte Meinung nicht weiter beschäftigen, sondern der meinende Wahn des Kontraparts. Natürlich ist es für jene, die ihre politische Identität auf einer Solidarität zu Israel aufbauen, unmöglich die Israelsolidarität des politischen Feindes stehen zu lassen. Anders eine kommunistische oder ideologiekritische Israelsolidarität, die sich nicht um Tagespolitik scheren muss, sondern sich allein aus der Kritik von Staat, Kapital und ihren Fetischen begründet. Da die Rede inhaltlich aber kaum Unterschiede hergibt, außer der Zuspitzung der Staatsräson auf die Bereitschaft zu töten, muss sich am Wording abgearbeitet werden.7

Deutschland ist scheiße, in der AfD sind die Beweise.

Es ist nicht zu bestreiten, dass die AfD nicht dieselbe Qualität besitzt, wie die bisher bekannten parlamentarischen VertreterInnen des Postnazismus von Union, FDP, SPD, Linkspartei und Grünen. So sehr letztere auch den deutschen Konsens, gegen den Antideutsche und andere KommunistInnen seit der Wiedervereinigung anrennen, reproduzieren und so wenig ihre Phrasen von den angeblich Lehren des Nationalsozialismus mehr sind, als instrumenteller Teil einer politischen Praxis, einer rechtsradikalen und nationalistischen Bewegungspartei wie der AfD sind sie allemal vorzuziehen. Denn jene muss das Andenken an die Shoah gänzlich verdrängen, weil jede Erinnerung an sie, der von ihnen erträumten „Souveränität des ganzen Volkes“ im Sinne Carl Schmitts, samt todesmutigem Heroismus im Sinne Ernst Jüngers, diametral gegenübersteht.

Die AfD ist eine Reaktion auf eine ökonomische und politische Krise, deren Lösungen in der permanenten Mobilisierung eines ganzen Volkes bestehen und deren Erfolg mordlüsternen und autoritären Charakteren in der ganzen Republik Aufwind gibt. Doch die Mordgelüste und die autoritären Charaktere mussten nicht von der AfD geschaffen werden, sie tragen das notwendige, aber falsches Bewusstsein der sozialen, ökonomischen und staatlichen Zurichtungen im Rechtsnachfolger des Nationalsozialismus. Die AfD gewinnt ihre Stärke dadurch, dass die zivilisierten und von den Westalliierten domestizierten Kanäle zur Sublimation von Antisemitismus und rassistischer Mordlust, also Israelkritik und Abschiebung, nicht für alle gleichermaßen zur Verfügung stehen. Eine Kritik der AfD, die all das nicht berücksichtigt, verdrängt die Ursachen, leugnet den stummen Zwang von Staat und Kapital und vergisst die besondere Widerwärtigkeit dieser Zumutungen in Deutschland.

In diesem Sinne: danke, dass ihr da seid!

Nieder mit Deutschland und für den Kommunismus!
– Solarium (Bremen)

Quelle des Bildes: https://www.nationalismusistkeinealternative.net/autoritaere-sehnsuechte-begraben-die-befreite-gesellschaft-erkaempfen/

1 In diesem Kontext stehen auch die Aussagen eines Mitglieds der jüdischen Gemeinde in Halle gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: 
„Die Gemeinde ist sehr, sehr klein. Und über das Video haben wir gesehen, dass er die Türen mit Sprengstoff oder anderen Materialien präpariert hatte. Es gab nur die Möglichkeit, uns in den Räumen zu verstecken und die Tür zu versperren, so gut es eben geht. Wir hatten unfassbare Angst. Die Tür besteht aus Holz und ist nicht sonderlich gesichert gewesen, wie man es etwa aus München oder Berlin kennt. Zudem waren wir unbewaffnet. Es ist ein Wunder, dass wir überlebt haben. Es war wirklich ganz, ganz knapp. Die Fenster sind aus normalem Glas, der Täter hätte nur hineinschießen müssen, schon wäre er drinnen gewesen und hätte ein Blutbad angerichtet. Zudem hat der Täter Molotowcocktails und, glaube ich, Handgranaten an den Türen befestigt. Wir können einfach nur von Glück reden, dass die nicht gezündet haben und die Sukka im Hof nicht Feuer gefangen hat. Denn die Polizei hat 20 Minuten gebraucht, um zu uns in die Synagoge zu kommen, um uns zu schützen.“ 
Siehe: https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/ein-wunder-dass-wir-ueberlebt-haben/  
2 Kurzum: die radikale Linke versagt daran, die Arbeitsteilung innerhalb der antisemitischen Internationalen zwischen der geläuterten und durch die Lektionen aus der Geschichte wieder gut gewordenen Israelkritik der Wirtschaftsmacht Deutschland und den zum Mord bereiteten Antizionisten zu erkennen.
3 An Abschiebungen und Zwangsräumungen sind beispielsweise alle im Bundestag und Landtagen vertretenen Parteien beteiligt.
4 5. Tagesordnungspunkt der 29. Sitzung der 19. Wahlperiode des Bundestages.
5 Unser Dank gebührt an dieser Stelle Daniel Poensgen, der sich durch diese Reden nicht nur gequält hat, sondern sie auch in: Sterben für die Staatsräson. Afd in Israelsolidarität im Bundestag, in: Pólemos #9 treffend in den Kontext zur AfD gestellt hat.
6 Die Skizzierung dieses „Kulturkampfes“ und seiner Spieglung innerhalb der radikalen Linken wurde von der Redaktion antideutsch.org zur letzten Europawahl vorgenommen. 
Siehe: https://antideutschorg.wordpress.com/2019/05/21/europwahl/
7 Auch dazu sei der Artikel von Daniel Poensgen in der Pólemos #9 empfohlen.

Über einige Besonderheiten des jüdischen Staates.

Anlässlich der erneuten Raketenangriffe auf Israel und der niemals ausbleibenden antizionistischen Eskalation nach der israelischen Reaktion; aber auch anlässlich einiger durchaus bedenkenswerter Kommentare, die aus der sogenannte „antideutschen Szene“ darauf erfolgten, dokumentieren wir einen Redebeitrag der Gruppe Antideutsche Kommunisten Berlin aus dem Jahr 2004. Es kann sicherlich nicht schaden, sich noch einmal vor Augen zu rufen, worum es für Kommunisten eigentlich geht, wenn über Israel gesprochen wird.

Über einige Besonderheiten des jüdischen Staates.

Auf einer Konferenz, die den Bau eines Zaunes zum Titel hat, werden vielerlei Banalitäten ausgeplaudert: Dass es sich bei einem Zaun beispielsweise um einen „Trennungszaun“ handelt. Als läge es nicht in der Natur eines Zaunes, etwas vom anderen zu trennen. Die Konferenz behandelt nun nicht den Bau irgendeines Zaunes – schließlich findet dort nicht die internationale Konferenz der Schrebergärtner und Laubenpieper statt -, sondern sie handelt von einem gar schrecklichen Zaun, der neben allerlei anderen Bösartigkeiten, doch so besonders ins Spießbürgerbewusstsein dringt, weil er den unverdienten Titel die Mauer trägt. Warum das Wort die Mauer im Deutschen so eine besondere Bedeutung hat, brauche ich wohl nicht weiter zu erklären und ich werde dieses Wort auch nicht weiter verwenden, sondern schlicht und zutreffend vom Zaun sprechen und die Mauer nur in Erinnerung an kaum bessere, aber weniger aufrührende Zeiten halten. Dass es sich bei diesem Zaun zwar um einen etwas besonderen handelt, gerade diese Besonderheit aber eine Banalität darstellt, die oft in Vergessenheit gerät, darüber will ich im Folgenden sprechen.

Gebaut wird dieser Zaun vom Staat Israel, um seine Bürger vor kaltblütigen Judenmördern zu schützen. Den Verlauf bestimmt Israel nahezu eigenmächtig, da sich auf der anderen Seite kein ernsthafter Verhandlungs- beziehungsweise Kooperationspartner für den Zweck dieser bescheidenen Maßnahme findet. Dass es sich um einen vorläufigen Grenzzaun handelt, ist ebenso offensichtlich wie banal. Jeder Staat steckt im Laufe seines Gründungsprozesses das Territorium ab, innerhalb dessen er sich als Souverän setzt. Der Staat Israel wurde vor über 56 Jahren gegründet, doch ist dieser Gründungsprozess bis heute nicht abgeschlossen, da die Grenzen des israelischen Staatsgebiets nicht eindeutig bestimmt und anerkannt sind. Der Zaun dient dazu, die Grenzziehung gegen die palästinensischen Banden in der Westbank voran zu bringen.

Trotzdem scheinen diese Banalitäten einen Hass herauf zu beschwören, der mehr über die Hassenden aussagt, als über ihr Objekt. Von den zahlreichen Dingen, die an diesem Zaun gehasst und einhergehend so erzählt werden, fällt das der angeblich endgültigen Grenzziehung besonders auf. Selbst Laubenpieper wissen, dass es bei Zäunen auch immer irgendwie um Herrschaft geht. Wem ein irgendwie zur Erklärung seiner trüben Weltsicht allerdings ausreicht, der ist auf der Konferenz besser aufgehoben, allen anderen ist ein kurzer Blick in die Geschichte zu empfehlen:

Bürgerliche Staaten in Europa beriefen sich bei ihrer Entstehung auf eine meist lange Tradition der Herrschaft, die bestimmt wurde durch die Besonderheit der Landschaft, der Sprache oder dem besonderen Hautausschlag, Verzeihung Menschenschlag, der sich auf dem Herrschaftsgebiet befand. Staatsvolk und Staatsgebiet waren also mehr oder weniger bestimmt durch die vorhergehende feudale Herrschaft und mussten nur in der Verfassung festgeschrieben werden. Die Verbrechen der ursprünglichen Akkumulation hatten die absolutistischen Regime weitgehend verübt; die auf den weißen Westen der neuen Herrschaft sich befindenden roten Sprenkler konnten leicht mit der notwendigen Gewalt des Umsturzes des jeweiligen ancien regime erklärt werden. Aufgrund dieser Vorarbeit des Feudalismus fiel es der bürgerlichen Staatlichkeit leicht, die Gewalt, auf der sie beruht, hinter der rechtlichen Legitimation einer Staatsverfassung zu verstecken. In Krisenzeiten allerdings tritt hinter diesem Schein die notwendige Gewalt als direkte Staatsgewalt wieder hervor. Das fundamentale Problem der Staatstheoretiker, dass bürgerliche Staatlichkeit sich mit Gewalt setzen muss, diese aber nicht durch Recht legitimieren kann, da das Recht erst durch die Gewalt in Kraft gesetzt wird, stellte sich in der praktischen Umsetzung also nicht.

Beim Staat Israel verhält es sich da etwas anders. Hier konstituierte sich die Gemeinsamkeit der späteren Staatsbürger nicht aus ideologischen Puzzleteilen, die in der Historie oder Kultur gefunden werden konnten, sondern wesentlich aus der Verfolgung und dem Ausschluss aus den bürgerlichen Gesellschaften Europas. Sein Staatsvolk war schon vor der Gründung dadurch bestimmt, dass Juden die rechtliche Gleichstellung als Staatsbürger und/oder die gesellschaftliche Anerkennung verwehrt wurde. Die Aufklärung und die damit verbundene Emanzipation der Juden zu gleichen Staatsbürgern war gescheitert, denn auch wenn Juden gleiche Rechte zugestanden wurden, so erstarkte der Antisemitismus doch gerade auf dieser Grundlage erneut. Die Assimilation bot keinen Ausweg.

Hierauf reagierte Herzl mit seinem Entwurf eines jüdischen Staates in dem er die Konsequenz aus der Jahrhunderte alten Ausgrenzung zog. Er stellt die bewusste Reaktion auf die allen Juden aufgezwungene Notlage dar. Herzls Blick auf das Problem Antisemitismus war nicht getrübt von ängstlichen Hoffnungen, der Antisemit möge doch noch aufklärbar sein oder würde durch Assimilation den gesellschaftlichen Rückhalt verlieren, sondern bricht gerade mit dieser schüchternen, passiven Haltung. Er fasste den Antisemitismus nicht als ein privates oder regionales Problem auf, als eines, mit dem sich jeder Einzelne oder jede einzelne Gemeinde auseinander zu setzen habe, sondern machte ihn zu einer „Weltfrage“, die nur von vielen Juden kollektiv zu beantworten sei. Weil er das Problem auf diese Ebene hob, konnte er als Lösung von jüdischer Seite die Gründung eines eigenen Staates fordern. Damit eröffnete Herzl die emanzipative Perspektive des Zionismus: Den Unwillen sich mit der Welt so abzufinden wie sie ist und auf der bewussten Selbstverteidigung gegenüber ihr zu bestehen. Nur mit diesem Bewusstsein konnte das zionistische Projekt geschichtsmächtig werden.

Als einzigen Anhaltspunkt für den Staat, den Herzl aus dem Nichts erschaffen wollte, hatte er die Notlage der Juden in Europa, Asien und der Neuen Welt. Er konnte sich weder auf die üblichen irrationalen Legitimationen von Blut und Boden, Geschichte und Kultur, nicht auf Traditionen von Herrschaft und Volk berufen, noch konnte er die Einheit des künftigen Staatsvolkes aus der Synthesis einer Ökonomie gewinnen. Dies musste Herzl sich eingestehen und er versuchte zunächst gar nicht, ein legitimierendes Band aus Sprache, Boden oder Kultur zu knüpfen, sondern entwarf auf dem Reißbrett die Society of Jews als vorweggenommenen staatlichen Souverän, als Synthese von Recht und Gewalt. Die Akzeptanz dieses Souveräns und die Unterwerfung unter ihn sollte sich bewusst in der Beteiligung am zionistischen Projekt äußern. Bei dem Versuch, den Souverän mit rationalen Argumenten zu begründen, verstrickt er sich wie jeder Staatstheoretiker in Widersprüche. Doch Herzl gesteht das Paradox bürgerlicher Staatlichkeit ein, wenn er schreibt, der Auftrag des Staates sei „von einer höheren Notwendigkeit erteilt“. Diese „höhere Notwendigkeit“ stellt bei anderen Staaten Gott, der besondere Charakter des Volkes oder ein anderer Humbug dar. Im Fall des jüdischen Staates ist die höhere Notwendigkeit aber eine gesellschaftlich bedingte, nämlich die Notwendigkeit für Juden, sich organisiert gegen den antisemitischen Hass zu verteidigen.

Die selbstbewusste Gründung und dass er als einziger Staat einen vernünftigen Grund für seine Existenz besitzt, macht die Besonderheit des Staates Israel aus. So kann der israelische Patriotismus einen Schein von Wahrheit für sich reklamieren und es finden sich für Israelis vernünftige Gründe ihr Land patriotisch zu verteidigen. Dies macht sie bei den Bewohnern anderer Staaten so verhasst, die allenfalls Idioten, aber keine Patrioten sein können.

Sowie jede Staatsgründung nur mit Gewalt möglich ist, so ist auch Gewalt notwendig bei der Umsetzung von Herzls Staatsentwurf. Ebenso spielten bei der Konkretion von Herzls abstrakt geplantem Staat Fragen nach Amtssprache und Staatskultur eine wichtige Rolle, die aber erst ausgefochten werden mussten und nicht quasi-ontologisch vorgegeben waren. Das moderne Hebräisch musste neu entwickelt werden, nationale Mythen in Massada oder anderswo mussten nach Jahrtausenden ausgegraben werden. Solch lächerlicher Klimbim kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Staat nicht aus dem Erdboden gewachsen ist. Kein Staat kann offenbar ohne kulturelle und historische Mythen zu seiner Rechtfertigung, ohne das notwendig falsche Bewusstsein auskommen.

Da der Staat Israel von vielen Seiten bedroht wird und er nur mit militärischer Gewalt erhalten werden kann, fällt es Israel schwer, den bürgerlichen Schein zu erzeugen, er wäre nicht auf Gewalt, sondern auf Recht gegründet. Dieser Zustand der permanenten Verteidigung während des Gründungsprozesses drängt dazu, abgeschlossen zu werden, kann aber angesichts des Antisemitismus vorläufig nicht beendet werden. Die schwere Bewaffnung Israels ist der Versuch, die Anerkennung endlich zu erzwingen und den Zustand der permanenten Verteidigung zum Abschluss zu bringen. Doch selbst die Atombombe war offensichtlich als Abschreckung nicht tauglich, um den Frieden zu erzwingen, da die Feinde Israels – wirkliche oder potentielle Selbstmörder – kaum am eigenen Selbsterhalt interessiert sind und daher durch Abschreckung allein nicht in Schach gehalten werden können. Postzionisten wie Zuckermann wollen die Beendigung dieses Zustandes, um wie normale Bürger in einem normalen Staat in Frieden mit ihren Nachbarn zu leben. Sie können diese Normalisierung allerdings nur auf Kosten des völligen Realitätsverlusts zum Programm machen, nämlich dem Bestreiten der vernichtungswütigen Bedrohung Israels.

Die abstrakte Bestimmung darüber, wer israelischer Staatsbürger ist und werden kann, vernachlässigt Sprache und Herkunft und dementiert daher die Mär von ethnisch-kulturellen Gemeinschaften und kratzt am falschen Schein der zur zweiten Natur geronnenen Gesellschaft. Antizionisten hassen an Israel die Erinnerung an ihre eigenen Lügen, die sie zur Legitimation der Herrschaft benötigen, um sich in einer wahnhaften Welt nicht verrückt machen zu lassen. Die offensichtliche Setzung und bewusste Gründung Israels dementiert die Mythen von angeblich naturwüchsigen Staaten. Die nahezu permanente Gewalt, die für Israels Erhalt notwendig ist, erinnert daran, dass staatliche Macht letztlich immer auf Gewalt und nicht auf Recht gründet. Das antisemitische Ressentiment gegen Israel, als angeblich künstliche Ausnahme unter den Staaten, dient zur Ablenkung von der „Künstlichkeit“ der eigenen Staatlichkeit und dazu sie als naturwüchsig zu verklären.

Die selbstbewusste Reaktion der Zionisten auf den Antisemitismus und die Gründung eines wehrhaften Staates verweist gerade in all seiner Beschränktheit und Bedrohtheit darauf, dass Menschen die Möglichkeit haben, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen und Geschichte zu machen. Der antisemitische Hass darauf ist auch der Hass auf Befreiung, auf die wirklich geschichtliche Tat, mit der sich die Menschheit bewusst von den Zwängen der zweiten Natur befreit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Antideutscher Katechismus

Herausgegeben von der
Assoziation Antideutscher Kommunisten ça ira 2003

Der antideutsche Katechismus erscheint anläßlich der antideutschen kommunistischen Konferenz „Gegen die antisemitische Internationale“, Berlin 6.-7. Juni 2003.

Das Original ist auf der Webseite des Verlags als PDF abrufbar.

Das Bild stammt von Joachim Sperl, 2014.

DRAMATIS PERSONAE

Ein Narr
Der Kommunist
Der Agitator
Der Volkstümler
Die Frauenrechtlerin
Der empfindsame Mann
Der Linke
Die Kritikasterin
Der linke Professor
Der Logiker
Der Provinzgelehrte
Der einsame Zeitungsverkäufer
Die Modedenkerin
Der brave Student
Eine Frau aus dem Publikum
Der Antideutsche
Der Feuilletonist
Die Berufsjugendliche

Prolog

Ein Narr.

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des antideutschen Kommunismus. Seine Kraft scheint ungeheuerlich, obwohl es noch stottert und stolpert. Es taucht in Gesprächen wieder und wieder auf, dort stiftet es Skepsis und Verunsicherung. Es hat schon manche Politgruppe gesprengt, manche Freundschaft und WG entzweit. Was vorher fest schien, wird von ihm durcheinander gewirbelt. Besonders Gewitzte wollen es einfach ignorieren, aber so schnell wird man es nicht los, denn die eigenen Zweifel zwingen einen, hinzustarren. Dann schlägt man schamhaft die Augen nieder, distanziert sich geschwind und denunziert es die Sitten zu verderben. Krampfhaft beteuert man, so kühn würde man selbst nicht denken, sondern schön Maß halten und die Extreme vermeiden. Und überhaupt sei das doch alles Wahnsinn. Der Grund für die Aufmerksamkeit ist mitnichten immer die Qualität der Kommunisten, sondern die Verworfenheit des Publikums. Man ahnt, daß sie selbst dann noch gegen einen recht haben, wenn sie irren sollten. Einer ist heute da und stellt sich dem Verhör. Antworten will er auf alle Fragen, dabei treiben sie ihm die Schamesröte ins Gesicht. Höflich will er bleiben, dabei gibt die Welt genügend Grund zum Zorn. Auf die Bühne treten soll schließ- lich doch, was nunmehr 80 Jahre schlief. Dies vorzubereiten ist sein Ziel, auf der Suche nach Menschen, die es teilen. Sehen wir, wie er sich schlägt.

Vorhang auf.

Der Kommunist.

Immer hereinspaziert, meine Damen und Herren! Nur zu. Heute stehe ich Rede und Antwort. Alle dürfen nörgeln, alle dürfen schimpfen, und sogar vernünftige Argumente werden angehört. Wer wirft den ersten Stein?

Der Agitator (für sich).

Ich, wer sonst, bin ich doch die Vorhut der Massen! Muß ich ihnen nicht ein leuchtendes Beispiel sein, wider den Opportunismus? Nur mutig voran!
(mit fiebriger, unheimlicher Energie.) Wie könnt Ihr, die Ihr euch Kommunisten nennt, nur so rückhaltlos hinter Israel stehen? Wißt Ihr denn nicht, daß Israel eine Klassengesellschaft ist wie jede andere auch? Die israelische Bourgeoisie unterdrückt die eigenen Arbeiter und hält sich zudem ein Billigproletariat in den besetzten Gebieten. Ständig redet ihr vom Antisemitismus, doch das ist allein ein Problem der Kleinbürger. Als Kommunisten sollten wir endlich das israelische und das palästinensische Proletariat auffordern, gemeinsam gegen ihre Herren zu kämpfen, heißen die nun Sharon oder Arafat. Die Grenze verläuft schließlich nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten. Ihr seid Kommunisten in Worten, Rassisten in Taten! Der Kommunist. Sehen Sie, in Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung noch stark war und man sich Hoffnung auf die selbstbewußte Umwälzung der Verhältnisse machen konnte, war es verständlich, das Kommunisten wider den Zionismus stritten, der nationale Emanzipation forderte, wo längst die der Gattung anstand. Jedoch nachdem die kommunistischen Parteien versagten, in der Wirtschaftskrise kein Aufstand losbrach und schließlich die ganze Welt tatenlos zusah, wie die Deutschen die Juden ins Gas trieben, ist die Alternative von Kommunismus und Zionismus keine mehr. Namhafte Trotzkisten wie Isaac Deutscher haben dies eingesehen. Der Agitator. Ja, aber selbst der spätere Revisionist Kautsky hatte kritisiert, das der Zionismus nur auf ein „Weltgetto“ hinausläuft, das die zahlreichen einzelnen Gettos zusammenfaßt. Damit aber wird das Problem nur verschoben und der Antisemitismus reproduziert sich als Antizionismus auf höherer Stufenleiter. Ihr selbst sagt doch, das Israel der Jude unter den Staaten sei.

Der Kommunist.

In ihrem Eifer gegen uns, sagen sie dies eine mal die Wahrheit. Sie haben recht, nur ist dies kein Argument gegen den Zionismus. Fürchterlich genug, wenn nicht einmal angesichts der Taten der Deutschen die Menschheit so vor sich selbst erschrak, daß sie doch noch den Kommunismus angepackt hätte. Gerade weil die Menschen bis heute sich weigern, die Katastrophe überhaupt nur zu reflektieren, ist es doch ein Grund zur Freude, daß es den der Vernichtung Entkommenden gelang, sich einen eigenen Staat zu erkämpfen und so der Welt immerhin die Möglichkeit der bewaffneten Selbstverteidigung abzutrotzen. Sie haben vergessen zu erwähnen, daß das ‚Weltjudengetto‘ verteidigt wird.
Indem Sie weiter den modernen Antisemitismus zu einer Schrulle des Kleinbürgertums kleinreden, drücken auch Sie sich vor der Reflektion der Katastrophe. Vergessen ist der große Arbeiteraufmarsch am 1.Mai, bald nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Vergessen die freiwillige Gleichschaltung gleich am nächsten Tage. Es kann schon sein, daß die kleinen Bürger aus ihrer erbärmlichen Stellung zwischen dem einst exterritorialen Proletariat und der verfügenden Bourgeoise recht früh einen aggressiven Antisemitismus hervorbrachten. Aber der Gang der Geschichte hat gezeigt, daß der Antisemitismus als klassenübergreifender Reflex geeignet ist, die Herrschaft auch dann am Laufen zu halten, wenn sie durch nichts mehr zu begründen ist. So dient Ihre Phrase allein der Vernebelung. Der Charakter des Nationalsozialismus ist gerade der, daß alle Antisemiten waren und nicht bloß einige durchgedrehte Kleinbürger.
Desgleichen, wenn Sie starrsinnig die Revolution gegen die Bekämpfung des Antisemitismus ausspielen wollen. Aus Ihrer Agitation hätte ein Argument werden können, hätten Sie gesagt, daß nach wie vor nur die Inbesitznahme des Werkzeugs durch die sich assoziierende Menschheit und die damit einhergehende Erlangung des Bewußtseins den Antisemitismus verschwinden ließe. Aber dies steht in keinem logischen Gegensatz zum Gebot, daß sich Juden nach Auschwitz bewaffnet gegen die verteidigen können müssen, die sie ermorden wollen. Sie geben vor, die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse zu wollen, können aber schon in der Bekämpfung des eliminatorischen Antisemitismus nur eine rassistische Tat sehen, die davon ablenke. Vielleicht wirken Sie deshalb so seelenlos.

Der Agitator (dazwischenrufend). Natürlich sind wir gegen die Hamas und gegen die PLO, aber die Werktätigen selbst…

Der Kommunist (genervt).

Sicher, sicher, schön wäre es, die Palästinenser sorgten dafür, daß die Ausbildungsstätten für lebende Bomben geschlossen werden. Aber, solange sie ihre Kinder in solche Schulen stecken, ist es beruhigend, wenn die israelische Armee ein wenig auf der Hut ist.

Der Volkstümler (polternd).

Klassenkampf hin, Antisemitismus her, klar ist doch, daß Israel ein Bollwerk des Imperialismus darstellt, den Pfahl im Herzen des arabischen Volkes, das für seine Befreiung kämpft. Für euch Salonkommunisten mögen die Selbstmordattentate der Hamas und der PLO zu blutig sein. Aber das Elend, das Israel im Interesse des Weltimperialismus anrichtet, zwingt die Völker zu solchen Verzweiflungstaten. Revolutionen sind nun mal nicht so friedlich, wie Ihr Philister das euch wünscht. Das palästinensische und das arabische Volk will Frieden, und Israel verweigert ihn. Kommunisten sind in erster Linie Antiimperialisten, weil die soziale Befreiung überhaupt nicht möglich ist, wenn eine fremde Nation sowohl die einheimische Bourgeoisie wie auch das Volk unterdrückt. Mein Vorredner geht doch an der Realität völlig vorbei, wenn er verlangt, daß sich das Proletariat beider Nationen gegen die jeweilige Herrschende Klasse verbündet. Die Zionisten sind Profiteure des Imperialismus und deshalb im Zweifelsfall im Lager der jeweils Regierenden. Deshalb muß zuerst die arabische Volkseinheit gegen die zionistisch-amerikanische Aggression erkämpft werden.

(Gelächter im Raum.)

Der Kommunist.

Sieh an, da lacht selbst das Publikum und kann endlich einmal sich gemeinsam klüger wähnen.

Die Frauenrechtlerin (mit ostentativer Bestimmtheit).

Klassenkampf, Bekämpfung des Antisemitismus, Volkskrieg…! Ihr seid doch alle gleich. Mit eurem Militanzfetischismus dreht ihr nur an der Spirale der Gewalt. Dasselbe Potenzgehabe wie Arafat und Sharon, nur um wechselseitige Penetration und patriarchale Herrschaft geht’s: Ein uraltes männliches Prinzip, denn die Gewalt wird auf dem Rücken von Frauen und Kindern ausgetragen.

Der empfindsame Mann (höflich, etwas hastig).

Ja, ja, ja, genau, das ist das Problem, die Gewaltspirale, da muß man beginnen. Mal ganz konstruktiv: Warum unterstützt ihr nicht die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in Israel, also die, die als einzige gewaltfreie Konfliktlösungen thematisieren? Seit Beginn der letzten Armee-Offensive in der West Bank haben hunderte von israelischen und ausländischen Friedensaktivisten versucht, sich den Soldaten in den Weg zu stellen. Mit großem persönlichem Risiko haben TeilnehmerInnen der internationalen Solidaritätsbewegung sich selbst zu Geiseln gemacht, um Zivilisten zu schützen. Dies ist ein Zeugnis von außergewöhnlichem Mut und Selbstaufopferung. Gewaltfreiheit, das muß man lernen, z. B. von Ghandi. So hätte man vielleicht durch gewaltfreie Blockaden die Zerstörung der Flüchtlingslager verhindern können…

Die Frauenrechtlerin (aufbrausend).

…in denen die Menschen wie Tiere zusammengepfercht werden! Und dann kommen die Israelis und zerstören noch das Kleinste, was gerade die Frauen oft mit ihren eigenen Händen aufgebaut haben. Den Islam, den nennt ihr patriarchal, aber wer hat denn den gigantischen Militärapparat samt Atombombe?! Israel sponsored by USA and Germany! Wenn sich aber Menschen gegen den übergestülpten Staat wehren und ihr Leben selber organisieren wollen, dann steht ihr auf Seiten der harten Jungs, die mit Sonnenbrille cool auf ihrem Panzer sitzen und sich einen Dreck um die Kultur scheren, die sie. Das ist die Arroganz der Macht, patriarchal wie eh und je!

Der Empfindsame Mann (einstimmend).

Richtig! Aug’ um Aug’ macht alle blind!

Der Kommunist (trällert vor sich hin).

All the lonely people, where do they all come from…

Der Linke (zornig, aber bemüht, sich zu sammeln).

Jawohl, recht haben Eure Kritiker: Ihr seid dreckige Rassisten, Sexisten und Imperialisten! Sicher, ich bin auch gegen den judenfeindlichen Rassismus und gegen den deutschen Nationalismus. Aber Ihr sagt, daß das Böse aus Deutschland kommt und der „deutsche Weg“ zum globalen Weg wird. Was soll denn das bitte heißen? Daß die islamischen Fundamentalisten, auf die Ihr Euch eingeschossen habt, weil die angeblich nichts anderes wollen, als Euer Israel niederzutrampeln, alles Deutsche sind? Jetzt sollen also die Araber Deutsche sein, damit Ihr die besser hassen könnt. Das ist auch nichts anderes als theoretisch aufgemotzter antiarabischer Rassismus.
Fakt ist: Die israelische Armee unter ihrem nationalistischen Führer Sharon geht äußerst brutal und rassistisch vor. Liquidationen und Massaker sind die Normalität. Ich sag nur Sabra und Shatila. Wer wirklich solidarisch mit den Juden sein will, muß Israel für seinen selbstzerstörerischen und falschen Kurs kritisieren, statt den legitimen Antizionismus, welcher Kritik am jüdischen Rassismus ist, ständig mit dem antijüdischen Rassismus gleichzusetzen. Der Begründer des Zionismus, Herzl, argumentiert doch genauso völkisch wie später die Nazis.

Der Kommunist.

Sie geben sich nicht mal Mühe, ihre Schutzlüge, auch Sie seien gegen den deutschen Nationalismus, zu verdecken. Stellvertretend für die Deutschen nehmen Sie die von Deutschland und mittlerweile auch Frankreich protegierte islamische Reaktion in Schutz, nur um am Ende den Zionismus als nationalsozialistisch zu denunzieren. Es liegt offen zu Tage, daß dies reine Projektion ist, weil bekanntlich das Gründungsmanifest des Zionismus mit der Rassenideologie soviel zu tun hat wie die Zeitung mit der Wirklichkeit, also nichts. Doch was projizieren Sie, wenn nicht ihre eigenen verleugneten Wünsche. Was Sie bei den Antisemiten nicht sehen wollen, wähnen sie in Israel zuhause. Damit basteln Sie bereits jetzt an Ihrem Alibi; alles soll nur Notwehr gewesen sein.
Würden sie das von Ihnen angebetete Faktum tatsächlich anerkennen, so wüßten sie, daß das Zentrum des praktischen Antisemitismus nach 1945 in die arabischen Ländern gerückt und dort zum ideologischen Bindemittel der Massen geworden ist. Die Europäische Union changiert zwischen passiver Duldung und tatkräftiger Unterstützung des Antisemitismus; um noch größeren Schaden anzurichten, fehlt ihr bislang zum Glück die Macht. Noch zwingt die Überlegenheit der Vereinigten Staaten die Europäer zur relativen Zurückhaltung, auch wenn die Anführer der Friedensachse sich zuweilen so aufführen, als hätten sie es nicht nötig, die Machtverhältnisse auf der Welt zur Kenntnis zu nehmen. Gerade die offene Unterstützung antisemitischer Regime und Bewegungen zeigt aber, wohin die Reise gehen könnte. Sie aber können die Blaupausen künftiger Untaten nicht sehen, weil er Ihr bewußtlos angestrebtes Ziel offenbaren würde. Unsere Agitation müssen Sie deshalb als Aggression wahrnehmen, zu viel Kenntnisnahme der Welt würde Ihnen nicht wohl tun, Sie müssen sie aufgeregt abwehren.
Es…

Der Kritikasterin (ruft dazwischen).

Hört, hört, Ihr selbsternannten Kommunisten, Ihr könnt ja nicht einmal argumentieren. So klug wie unsere Klassiker von Marx bis Adorno seid ihr eben nicht. Selbst an den nie erwachsen gewordenen Rabauken Wolfgang Pohrt kommt Ihr nicht heran, sondern seid bloß in Euch selbst verliebte Imitationen. Die wirkliche Welt findet sich auch in Euren Worten kaum!

Der Kommunist.

Recht mögen Sie haben, Frau kritische Kritikerin – doch dann wird die hier von uns gestellte Diagnose noch besorgniserregender. Wenn die schimpfende Linke schon unseren manchmal tatsächlich groben Begriff von der Welt nicht aushält, wie wird er dann erst auf den unendlich feineren reagieren, den Sie einfordern und den Sie sicher in der Lage sind, wie ein Florett zu führen?

Der Kritikasterin (ruft noch einmal dazwischen).

Genau, aber solange ich nicht die ganze Theorie erarbeitet habe schweige ich lieber.

Der Kommunist.

Sicher, man sollte erst im Trocknen schwimmen lernen, ehe man ins Wasser steigt. (sammelt sich wieder.)
Aus den Beschimpfungen gegen uns spricht jedenfalls einzig die Abwehr gegen die Erkenntnis der Welt. Das eigene schwache Ich, das nur mit Mühe zusammengehalten wird, droht auseinanderzufliegen. Deshalb muß alles, was wir sagen, unter Bann gestellt werden. Kritisiert man die bornierten Völkergemeinschaften, so heißt das ‚Rassismus’. Unterscheidet man zwischen Wahn und Vernunft in den derzeitigen Machtverhältnissen, wird ‚Imperialismus’ geschrieen. Nimmt man die sinnliche Welt zur Kenntnis, schallt es zeternd von überall ‚Sexismus’. Selbst der Geschlechtsakt wird als Penetration denunziert, weil man längst aufgegeben…

Die Frauenrechtlerin.

Jetzt reicht es endgültig! Arroganter Phallogozentrist!

Der Agitator.

Rassist in Taten!

Der Volkstümler.

Imperialistenknecht!

Der Empfindsame Mann.

Denkt doch mal an Ghandi.

Die Linke.

Ihr penetriert die Völker, …

Die Frauenrechtlerin.

…wie ihr die Frauen penetrieren wollt!

Der Linke, der Volkstümler (im Duett kreischend).

Sabra und Shatila, Sabra und Shatila, Sabra…

(Ein Bierglas fliegt zum Podium und ein Stein fliegt zum Fenster hinein).

Rufe von draußen.

Juden raus!

Antwort draußen.

Das heißt jetzt ‚Zionisten raus’!

Der Narr.

Ein Auftakt nach Maß, aber jetzt gebt wieder Ruhe. Wir wollen doch hören, was er noch zu sagen hat, wenn er nicht gezwungen wird, den Psychiater zu mimen. (Er schnippst mit dem Finger, worauf sich die Lage beruhigt.)

Der linke Professor.

Schön, daß wieder Zivilität eingekehrt ist. Wir wollen uns doch als fähig erweisen, die intersubjektive Kommunikation zu pflegen. Also, ich als Marxist bin immer für den Knecht und gegen den Herrn. Die Palästinenser sind die Knechte, die sich mit Verzweiflungsterror zur Wehr setzen, und die Israelis die Herrn, welche die illegitime Besatzung immer weiter aufrechterhalten. Es gibt keine andere Lösung für den Frieden, als den Palästinensern endlich ihren eigenen Staat und damit eine Lebensgrundlage zu geben. Ihnen muß auch im Prinzip die Solidarität von uns Linken gelten in diesem Konflikt. Ihr aber rechtfertigt fern von jeder Realität in Israel jede Untat von Sharon & Co und denunziert in einem manichäischen EntwederOder-Denken jede demokratische Kritik an der Besatzung als faschistisch und antisemitisch, so als ob ihr Walsers erfundene Moralkeule wirklich schwingen wolltet. Es ist zwanghaft, wie ihr ständig die deutsche Geschichte bemühen müßt. Ihr verharmlost das Menschheitsverbrechen in Auschwitz, indem ihr die absolute Singularität von Auschwitz bezweifelt. Doch mit der Wirklichkeit im Nahen Osten hat dies wenig zu tun: Israel ist in seiner Existenz nicht bedroht. Seit seiner Gründung führt dieser Staat ständig Krieg gegen seine Nachbarn, besetzt Gebiete, bricht ohne Unterlaß UN-Resolutionen. Statt auf die Kriegstreiber muß die Linke deswegen auf die Kräfte des Friedens und des Dialogs setzen: Gush Shalom!, Uri Avnery, Hans Lebrecht, Moshe Zuckermann, Norman Finkelstein, Felicia Langer, Shraga Elam – das müßt ihr rezipieren, dort sind die Anschlußpunkte zu finden, wenn wir eine wieder erstarkte Linke haben wollen.

Der Kommunist.

Wenn sie sagen, daß Sie Marxist sind, dann nur in jener unsäglichen Tradition, die alle Stringenz aus dem marxschen Denken herausnimmt und beliebig einige Brocken in das ansonsten schön subjektive Weltbild integriert, um sich den Anschein von Radikalität zu geben, und dabei doch nur der immer gleiche triviale Konformist zu bleiben. Es braucht, um Sie zu widerlegen, nicht mehr als ein ‚manichäisches’ Denken. Für den Knecht, also das Proletariat, war Marx, weil er ihm zutraute, die freie Assoziation zu bilden. Sind die Knechte Antisemiten, warum sollte ein vernünftiger Mensch ihnen die Stange halten? Ihre vom Verhalten des ‚Knechts’ unabhängige und also generelle Parteinahme für den Knecht ist selbst so schablonenhaft, wie sie es uns unterschieben.
Sie nennen die Besatzung illegitim und nörgeln weiter, daß Israel UN-Resolutionen bricht – als ob der Völkerchor nicht ein gefährlicher Haufen wäre, den einzig die Bildung einer Front gegen die USA einigt. Die Besatzung ist weder illegal noch illegitim. Alle Staaten müssen die Staatsgründung nach außen verteidigen, solange sie nicht anerkannt werden. So mußte Napoleon zum Beispiel gen Rußland ziehen, den Hort der feudalen Konterrevolution. Das war weder legal noch illegal, sondern jenseits dieses Gegensatzpaars.
Den Vorwurf der Auschwitzverharmlosung kommt heute gerne von Leuten, die keine Rede eines Imam in Palästina zur Kenntnis nehmen und die Charta der Hamas nicht lesen wollen. Lassen wir dies und kommen direkt zu ihrem Sozialdemokratismus. Sie plädieren für ein Bündnis mit den abgeschmacktesten und traurigsten Vertretern der Zivilgesellschaft, die im Gegensatz zu den handfesten, also bewaffneten Argumenten Sharons überhaupt kein Konzept haben, schlimmer noch: die Probleme gar nicht benennen wollen und mit untrüglichem Instinkt auf der Seite der Reaktion stehen. Kein Zufall also, daß solche geltungssüchtigen Schufte wie Uri Avnery nur im feindlichen Ausland, insbesondere in diesem Lande, herumtingeln dürfen, während in Israel kein Hahn nach ihnen kräht. Daß die Friedensbewegung in Israel immer dann schwach wird, wenn der Konflikt eskaliert und die militanten Palästinenser einmal mehr ihr Desinteresse an Verhandlungen beweisen, ist nicht einfach nur mangelnde Standfestigkeit und Prinzipientreue, womit Sie es rationalisieren mögen. Vielmehr liegt der Grund in der naiven Realitätsuntüchtigkeit. Ein Erstarken des Kommunismus sich von der Zusammenarbeit mit diesen Tröpfen zu erhoffen wäre so, als ob man Ghandi in die Partei aufnehmen würde. Statt den Frieden zu postulieren müßten die Palästinenser sich gegen die islamische Massenverdummung und arafatische Autokratie zu Wehr setzt. Ihr Kampf hätte aber wie in Afghanistan und dem Irak nur mit der Unterstützung einer ‚fremden’, in diesem Fall der israelischen, Armee Aussicht auf Erfolg.

Der Logiker (ruft dazwischen.)

Jetzt reicht’s aber langsam! Wie könnt ihr als Kommunisten die Staatskritik aufgrund von Moralismus aufgeben? Kein Staat dieser Welt taugt dafür, die Solidarität mit ihm zu einem Imperativ werden zu lassen. Der Zweck eines Staates ist nicht der Schutz seiner Bevölkerung, sondern deren Unterordnung als sein Staatsvolk. Ihr macht staatsfromme Realpolitik, weil wir Kommunisten keine Macht bilden. Aber dann ist eben die Aufgabe, dies zu ändern.

Der Kommunist.

Es geht um Einschätzung der gegenwärtigen Kräfte, ohne die der Kommunismus nie eine Macht werden wird.

Der einsame Zeitungsverkäufer (wild.)

Dann schätze doch die Lage auch richtig ein! Wenn der große Kladderadatsch kommt, dann ist es endgültig mit der Realpolitik vorbei, es sei denn, Ihr wählt Hindenburg oder propagiert Mussolini statt Hitler. Unsere Lösung ist die soziale Revolution. Etwas mehr Vertrauen in die Kraft der Assoziation. Das Problem ist ja nur, das dieses Ziel niemand angeht.

Der Provinzgelehrte.

Genau! Von der Krise möchtet Ihr nicht reden, weil Ihr Kanalratten seid und ängstliche Muttersöhnchen aus den Metropolen, die sich an die Rockzipfel des Staates klammern. Ich aber habe die Krise!

Der Kommunist (etwas aus dem Konzept.)

Hm. Ohne die Feststellung, daß Kooperation mit der Besatzungsmacht einer ‚Friedenslösung’ ähnlicher sehen würde, als die Gründung eines mindestens protofaschistischen Elendsverwaltungsgebildes, wie es der linke Professor vorschlägt, kommen wir keinen Schritt voran. Nur weil es schlimm um die Welt steht, kann man nicht alles in eins fallen lassen und den Unterschied zwischen Gut und Böse tilgen.

Der Logiker.

Blabla. Sie betreiben linke Realpolitik und merken es nicht einmal. Ihre stets eingeforderte Parteilichkeit führt doch zur Realpolitik, die Sie ja angeblich so negieren. Statt mit Moral müssen Sie endlich mit Fakten und nüchterner Analyse der Verhältnisse anfangen, statt sich hoffnungslos in diese zu verwickeln! Was sich da im Nahen Osten abspielt, ist nichts anderes als Staatsterror gegen Staatsgründungsterror. Da muß man keine Position beziehen, weil beides gleich eklig ist. Die Israelis wollen eben den anderen keinen Staat gründen lassen, weil dies nur die Konkurrenz erhöhe. Und dann bomben sie mit ihrem Staatsinteresse halt lieber alles nieder, was sich da an Infrastruktur aufbaut. Und die Palästinenser wollen bessere Bedingungen, um sich besser auf dem Weltmarkt verwerten zu können. Die machen da halt, was sie müssen, um als Konkurrenzsubjekte überleben zu können. Der Fehlschluß aber ist, daß sie ans Personal ihrer Nation appellieren, dieses möge sie vor den Auswirkungen der Konkurrenz schützen und ihnen Arbeit und Wohlstand bereitstellen: So geht Rassismus. Wenn sich da Palästinenser mit selbstgebastelten Bombengürteln in Israel in die Luft sprengen, dann ist das eine besonders verzweifelte Reaktion darauf, daß die eben keinen Staat, keine Rohstoffe, kein Wasser und keine Waffen haben, was Israel alles ganz schön hat. Das ist der reichste Staat im Nahen Osten, weil die eben von den Amerikanern und ihrer Großmachtinteressenpolitik unterstützt werden. Worum es geht, ist die Kritik der politischen Ökonomie.

Der Kommunist.

Mit Verlaub, guter Herr, ich kenne Sie schon aus Ihren wahrhaft gegen-stand-pünktlichen Vereins- und Flugblättern: Sie nudeln allzeit das gleiche Programm herunter, dreschen immer die gleichen Phrasen, egal, um welchen Gegenstand der Kritik es gerade auch gehen mag. Freilich, Sie wähnen sich als die Inkarnation der Objektivität und über den Verhältnissen stehend. Und Sie haben recht: Sie stehen tatsächlich über den Dingen, die Welt bleibt Ihnen immer völlig äußerlich. Wir mögen uns manchmal verwickeln, aber anders als Sie versuchen wir, die Welt in der Welt zu kritisieren.
Ihrem Jargon, der nichts als der Index Ihrer verdinglichten Denkweise ist, mag außer ein paar Studenten niemand zuhören. Kein Wunder, ist es doch in der Tat recht langweilig, zunächst mit unermüdlicher und unendlicher Redlichkeit haufenweise Fakten zu sammeln, nur um sie dann anschließend in das immergleiche Gerüst einzupassen, welches vorab feststand und sich durch keinerlei Erfahrung ändern wird. Wie einst den alten Kirchenvätern dient ihnen der Blick in die Welt nicht etwa dazu, den kritischen Begriff zu schärfen, sondern es geht lediglich darum, das vorab als wahr Erkannte einmal mehr zu bestätigen. So folgt aus jeder Analyse nur, was Sie eh schon wußten – Staat ist Staat und Kapital ist Kapital und beides gleichermaßen böse. Mit dem Gestus des Allwissens seien Sie abstrakte Banalitäten daher und meinen, sich auf Marx berufen zu können. Marx hat aber mitnichten ein universelles System der Welterklärung aufgestellt, sondern vielmehr das Treiben der Welt danach beurteilt, ob es der von ihm antizipierten Emanzipation nutzt oder schadet.
Sie sagen, die Intifada sei eine normale Staatsgründungsbewegung, Israel ein normaler Staat. Business as usual. Beides nur Inkarnationen Ihrer verehrten Kategorien, die dann in schlechter Tradition einfach abstrakt verworfen werden, so daß im Zweifelsfalle (man denke nur an Jugoslawien) keine Position bezogen wird. Sie verharren in scheinbarer Indifferenz und sind darauf erstaunlicherweise auch noch stolz. Wohlgemerkt: Scheinbare Indifferenz. Denn wenn es um Israel geht, offenbart Ihre Gleichgültigkeit ihr wahres Gesicht, dann wird klar, daß Ihre Weltflucht nur dazu taugt, die schlimmste aller Möglichkeiten ideologisch zu verdoppeln.
Die eine Staatsgründung gibt es nicht und dementsprechend auch kein allgemeines Urteil, alles sei gleichermaßen eklig. Nur ein vergeßlicher Mensch vergißt über das gemeinsame Resultat etwa der deutschen und der französischen Staatsgründung die äußerst wichtigen Unterschiede zwischen der großen französischen Revolution und der Politik Bismarcks.
So vergeßlich aber schwatzen Sie, wenn Sie den jetzigen israelischen Staat gleichsetzen mit dem werdenden Palästina. Während die Israelis ihren erkämpften und funktionierenden Staat und damit ihr Leben verteidigen, kann Arafat nichts weniger gebrauchen als eine Gründung eines eigenen Staates für den die materielle Basis völlig fehlt. Was Sie – in Einklang mit Möllemann – Staatsterror nennen ist die praktische Emanzipation der Juden von der permanenten Vernichtungsdrohung. Was Sie Staatsgründungsterror nennen, hat nichts gemein mit der ursprünglichen Zentralisation der Staatsgewalt, sondern ist Aushängeschild der globalen Bewegung, die präventiv ihre spezielle Krisenlösung propagiert, in völliger Identifikation mit dem Aggressor. Palästina ist keine ordinäre Staatswerdung mit dem Ziel der nachholenden Industrialisierung. Dieser hilflose Versuch ist anderswo längst gescheitert und verworfen. Es geht um die restlose Liquidierung der bürgerlichen Freiheit, weil mit dieser im Krisenfall die sture Aufrechterhaltung der Herrschaft nicht vereinbar wäre. Während es der palästinensischen Bewegung um blutige Konterrevolution geht, verteidigt Israel die aus der bürgerlichen Revolution folgende Freiheit, ohne die keine weitere Emanzipation denkbar ist.
Wer diesen durchaus zentralen Konflikt durch die Einreihung des Zionismus als israelische Variante des allgemeinen Staatsterrors verschwinden läßt und die Palästinenser als ebenso normale Staatsgründungsbewegung verharmlost, der spielt den Antisemiten aller Länder in die Hände. Tatsächlich, Herr objektiver Kritiker, haben Sie sich mit Ihrer impliziten, wenn nicht expliziten Parteinahme gegen den Zionismus den zahllosen terroristischen Nationalbewegungen angeschlossen und damit längst eingereiht unter die vielen strammen Antikommunisten, deren Denken nichts mit Marxens Kritik der Verhältnisse zum Zwecke der Verwirklichung der befreiten Gesellschaft zu tun hat. Hinter Ihrem Antizionismus, welcher im Gewande einer reflektierten Kritik an allem Staatlichen daherkommt, steckt ein ganz gewöhnlicher Antisemitismus. Sie wollen nicht einmal sehen, daß allein die staatlich organisierte Gewalt die Juden vor der Hamas schützt. Sie und Ihre ganze Bagage wissenschaftlicher Begründer des Antizionismus unter dem staubigen Deckmantel der Ausgewogenheit und Objektivität sind Gegenstand vernichtender Kritik im Dienste des Kommunismus.

Die Modedenkerin.

Hier muß ich ihnen ausnahmsweise Recht geben, der Vorredner führt mit seinen abstrakten Allgemeinbegriffen tatsächlich einen totalitären Diskurs. Statt ständig Allgemeinheiten zu konstruieren und von Staat, Nation und so zu reden, muß man das Ganze als Text dekonstruieren. Der ganze Hegelsch-Marxsche Ballast muß über Bord. Aber Sie machen doch haargenau dasselbe. Ständig reden Sie von Juden und Palästinensern; ständig von Israel und Palästina. Aber Israel, das ist doch nicht nur Scharon, das ist auch die Friedensbewegung, und die Palästinenser sind doch nicht alles Antisemiten. Ihr Papst Adorno war da ja viel weiter. Anders als Sie glauben, wollte er mit seinem Nichtidentischen die totalitäre Identitätslogik durchbrechen und so die Vielfalt ermöglichen. Anstatt im binären Denken zu verharren, sollte man sich um eine differenzierte und multipolare Sichtweise bemühen. Aufgrund ihres kollektiven Traumas ist es verständlich, wenn viele Juden Israel primär als ihren Zufluchtsort vor dem Genozid sehen. Aus der Sicht vieler Palästinenser stellt sich die Geschichte jedoch anders dar: Für sie war die Staatsgründung Israels gleichbedeutend mit ihrer Vertreibung, der Nakba. Auch diese kollektive Erzählung ist legitim und muß anerkannt werden; nur so kann es Frieden geben. Aber Ihr arroganten Scharon-Linken verabsolutiert den eigenen Sprechort und setzt dreist auf Konfrontation.

Der Kommunist.

Und wenn einer sagt, in seinem Diskurs ergebe zwei plus zwei fünf, so könnten Sie dagegen auch nichts einwenden. Ihre Ablehnung des allgemeinen und gültigen Begriffs ist das Eingeständnis des intellektuellen Bankrotts, denn was ist Denken je anderes als das Ordnen der Mannigfaltigkeit der Sinneseindrücke durch ihre Fassung unter Begriffe? Ohne Begriffe bleibt im Kopf nur chaotischer Brei zurück.
Denken hat nur einen Sinn, wenn die Aussicht besteht, die begrifflich angeeignete Welt auch praktisch dem eigenen Willen gemäß zu gestalten. Je unbrauchbarer die Welt, je unfähiger die isolierten Produzenten, sich diese mit Lust anzueignen, desto verkrüppelter auch der Begriff der schlechten Sache. So stellte jüngst eine Studie fest, daß in Berlin fast die Hälfte der Schulanfänger mit deutschen Eltern zusätzlichen Sprachunterricht bräuchten, weil Sie nicht in der Lage sind, einen korrekten Satz in ihrer Muttersprache zu bilden. Anstatt diesen Zustand als menschenunwürdigen zu erkennen, gefällt Ihro Majestät Frau Robinson die Situation. Ihr Ideal ist das Irrenhaus, wo jeder seine höchst eigene Erzählung spinnen darf, ohne Angst haben zu müssen, von jemanden zurechtgewiesen zu werden. Ihr Bedürfnis ist infantil, sie sehnen sich nach einer Atmosphäre, wo jeder in seiner Unzurechnungsfähigkeit akzeptiert wird und man noch den größten Blödsinn als Ausdruck der Individualität akzeptieren will. Sie wissen sich aus der Welt, die sie sich nicht aneignen können, nur zu retten, indem sie als Ersatz eine fiktive Diskurswelt in freier Assoziation im eigenen Kopf erschaffen. Da liegt es in der Natur der Sache, daß Sie alle Ansprüche intellektueller Redlichkeit als unverschämte Zumutung von Außen wahrnehmen müssen. Alle, die einen Anspruch auf Wahrheit erheben und Begriffe anstreben, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen können, müssen Ihnen als Bedrohung ihrer persönlichen Autonomie erscheinen. Daher ihr Hass auf Hegel und Marx, daher auch ihr zwanghafter Versuch, Adorno vom marxschen Materialismus zu lösen und in die Postmoderne einzugemeinden.

Die Modedenkerin (platzt dazwischen).

Sie hängen an der Moderne. Aber Heidegger, Sartre und dann später die Postmodernen haben einen Freiheits- und Wahrheitsbegriff, so unbeschränkt, wie Sie ihn sich doch gar nicht vorstellen können, so sehr sind sie im traditionellen Marxismus eines Herrn Engels verhaftet.

Der Kommunist (Sie ignorierend).

Zwar haben Sie den Anspruch, mit den Dingen praktisch etwas Sinnvolles anzufangen, längst aufgegeben, weshalb Sie sich mit der allerabstraktsten und deshalb bloß eingebildeten Freiheit zufrieden geben, statt gerade in der Beschränkung durch das Objekt die Möglichkeit der Freiheit zu erkennen und anzuerkennen. In Ihrem Inneren aber bohrt und nagt die Unzufriedenheit, weil Ihr Körper, allen Ihren gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, kein Diskursprodukt ist, sondern aus Fleisch und Blut besteht und deshalb leidet, wenn seine Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Die notwendige Kehrseite der Bejahung ihres Daseins als ohnmächtiger Wurm ist daher der Hass auf diejenigen, die noch wagen, was sie nicht einmal als Gedanke zulassen können: sich dem Weltlauf entgegenzustemmen, anstatt sich zu seinem bewußtlosen Vollstrecker zu machen. Daher ihr Hass auf Israel, dessen Staatspersonal die Vernichtungsdrohung als objektive Tatsache anerkennt und arrogant genug ist, sich zu wehren. Israel erinnert Sie daran, daß man dem objektivem Faktum auch objektive Fakten entgegensetzen kann. Diese Erinnerung müssen sie aus dem Bewußtsein tilgen und deshalb hetzen Sie für den Revanchismus wie sonst nur die ostpreußische Landsmannschaft, indem Sie die Vertreibung der Palästinenser mit dem Judenmord auf eine Stufe gesetzt wissen wollen. Damit offenbaren Sie Ihr schlafwandlerisch verfolgtes mörderisches Ziel.
Anstatt, nachdem Sie ihre eigene Unzurechnungsfähigkeit eingestanden haben, einfach den Schnabel zu halten, plappern Sie munter weiter und betreiben ihren antiaufklärerischen Irrationalismus, den Sie zärtelnd Postmoderne nennen. Es ist ihnen darum zu tun, dem Denken jeden Anspruch auf Folgerichtigkeit, dem Bewußtsein jeden Bezug zur Realität und der Urteilskraft jede moralische Verbindlichkeit zu nehmen. Damit leisten Sie mit ihren bescheidenen Mitteln einen kleinen Beitrag zur Vorbereitung eines neuen Faschismus. Dieser erfordert von seinem Personal völlige Prinzipien- und Skrupellosigkeit, und genau das ist es, was Sie mit Ihrer unter dem Banner der Vielfalt betriebenen Einebnung aller Unterschiede betreiben. Wenn jeder objektive Begriff zertrümmert ist, kann die Wahrheit am Ende autoritär und willkürlich vom Souverän gesetzt werden, der wie Hitler ausruft: wer Jude ist, bestimme ich. So helfen Sie mit, liebe Bankrotteurin des Intellekts, ohne es selbst zu wissen, den Kapitalismus auch in der nächsten Krise über seinen Bankrott hinweg am Leben zu erhalten.

Der brave Student.

Ich verstehe Euch beide nicht. Aber zu Euch Kommunisten: Ihr sagt, daß Ihr Staaten abschaffen wollt. Aber das müßte doch für alle Staaten gleichermaßen gelten. Eure Kritik an der Linken ist ja nicht völlig falsch, aber Ihr dreht ja doch nur die Vorzeichen um, seid doch genauso Nationalisten. Ihr selbst sagt doch stereotyp, daß die Staatsbürger notwendig Antisemiten sind! Warum soll dies plötzlich für die Israelis nicht gelten. Erst neulich hat doch so ein verrückter Siedler auf unschuldige, betende Araber geschossen; das sind Eure Bundesgenossen.

Der Agitator.

Wer betet, ist nie unschuldig!

Der brave Student.

Ihr macht mit moralischem Getue und scheinbar besonders radikal Euren Frieden mit dem System. Deswegen sucht Ihr einfach ein Identifikationsobjekt. Um dies zu sehen, muß man sich nur mal Eure komischen Demonstrationen anschauen: Ich würde niemals die Fahne eines Staates in die Hand nehmen, das ist doch alles Heimatsuche. Und auch nicht die von Israel. Schließlich ist das mit dem Holocaust eine Sache und zionistische Staatsideologie, die auch nicht besser ist als alle anderen, eine andere. Ich lehne die ganze Gesellschaft mit allen ihren falschen Alternativen ab. Als Kritiker der herrschenden Verhältnisse nehme ich Abstand von allem Bestehenden, um mir den Kopf freizuhalten, und sage, was objektiv gesagt werden muß. Und das ist halt, daß man Staat, Kapital und Nation abschaffen muß, und damit letztlich auch Israel, ganz klar.

Der Kommunist.

Es geht nicht darum, sich mittels Fahnenschwenkens auf identitäre Heimatsuche zu begeben, wenn man sich eindeutig auf die Seite des seit seiner Gründung bedrohten Staates der Überlebenden der Shoa stellt. Vielmehr hat derjenige, der kommunistische Kritik betreibt, sich ohne leere Differenziererei auf die Seite der materiell gewordenen Konsequenz aus antisemitischer Vernichtungswut zu stellen, also auch und gerade hinter seine Exekutive, die IDF. Und dieses Postulat ist kein moralisches Gebot, sondern eines der emanzipatorischen Vernunft.
Für Sie gilt nur die immergleiche Trias des abzuschaffenden Bestehenden: ‚Staat, Kapital, Nation’. So kommt es zur Leidenschaftslosigkeit Ihrer Kritik, selbst wenn Sie zufälligerweise einmal etwas Richtiges treffen – natürlich gehören ‚Staat, Kapital und Nation’ abgeschafft, aber das ist eine Aussage von nur abstrakter Qualität und damit ohne Bedeutung. Es läuft bei Ihnen nur auf den naiven Wunsch hinaus, daß es besser wäre, es bräuchte keine Polizei, keinen Staat und keine Ausbeutung. Solche Träume überläßt man Kindern; will man Genanntes tatsächlich abschaffen, so darf man nicht bei der Abstraktion stehenbleiben. Tatsächlich ist Kritik am Antisemitismus Kritik an den Formen durch die die Menschen miteinander verkehren, aber diese als konkret historische. Im modernen Kapitalismus scheinen die Menschen kein starkes Ich herausbilden zu können, daß die ungemütlich eingerichtete Welt verändern könnte. Statt dessen wird die übermächtige Welt verdrängt – doch ihren Schrecken bekommt man dadurch nicht los. Die blinden Menschen werden verrückt, sie laufen Amok. Oder schlimmer, sie benutzen ihren zweckrationalen Verstand zur Organisation eines kollektiven Angriffs auf alles was auch nur von Ferne an Glück erinnert. Statt sich für die freie Assoziation zu entscheiden exekutieren die Subjekte dann das deutsche Krisenlösungsmodell. Es ist zwar immer noch allein die gesellschaftliche Aneignung der Produktion und Distribution, die die objektive Gefahr einer Weltbarbarei tatsächlich abwenden kann, aber die plant momentan niemand. Die Exekutoren der nationalsozialistischen Krisenlösung gehören – bei aller momentan unpraktischen materialistischen Reflexion – unbedingt bekämpft; wenn allein Israel und die USA dies tun, ist das verdammt nochmal besser als nichts.

Der brave Student.

Ja, wenn es wenigstens so wäre, wie ich mal dachte, daß Ihr Israel wegen des Holocausts nur als Ausnahme aus der ansonsten radikalen Staatskritik nehmen würdet. Aber so ist es ja gar nicht und da bekomme ich nun wirklich Bauchweh. denn neuerdings verklärt ihr sogar die USA als home of the Glücksversprechen. Ha Ha. Was dann daraus folgt, weiß man ja heute..

Der Kommunist.

Ja Sie hören richtig, werter Herr, und schnauben sie ruhig! Kommunisten sind heute in der ärgerlichen Situation, sich auch hinter die USA als Garantiemacht Israels zu stellen: Dies wiederum nicht „identitär“, wie Sie das sich einzig vorstellen wollen und können, sondern weil die USA gerade in Verfolg ihrer Interessen das tun, was sonst niemand tut: sich den überall aufbrechenden Faschisierungstendenzen entgegenzustellen, mit militärischem und ökonomischen Druck. Wenn die Annahme der Feinde der Aufklärung stimmt, daß die USA nur ihre absolute Hegemonie verteidigen, so sagen wir offen: Uns gefällt es, wenn die Amis den Golf kontrollieren und dort keine panarabische Regionalmacht unter Führung eines Hussein sich breitmachen kann. Wenn Sie es nun ernst meinen würden mit ihrer prinzipiellen Kritik aller Herrschaft, so würden Sie nicht so achtlos alles in eins schmeißen, wie es heute Mode ist und wie es ganz ähnlich schon einige Ihrer Vorredner taten. Sie unterstellen uns die Behauptung, alle Staatsbürger seien automatisch eliminatorische Antisemiten, und schließen selbst daraus, der rassistische Siedler sei ebenso ein Prototyp der israelischen Gesellschaft, wie es zweifellos die Selbstmordattentäter für die der Palästinenser sind. Es wurde schon gesagt, daß es den einen Staat nicht gibt. Falsch ist aber auch, daß alle Staaten nur durch ein irrationales Feindbild zusammengehalten werden. Die Franzosen haben ihren Staat revolutionär gestiftet, und der Absolutismus war ebenso ein tatsächlicher Feind wie die konterrevolutionären Truppen aus dem feindlichen, noch feudalem Ausland. Sie brauchten zumindest in ihrer revolutionären Phase kein dem modernen Antisemitismus analoges Wahnsystem, wenn auch einen höchst paranoiden Tugendterror, der zumindest phänomenologisch Züge des Antisemitismus trägt. Anders in Deutschland: Für eine Nationalbewegung brauchte es hier einen kollektiven eingebildeten Feind als völkischen Kitt, der darüber hinwegtäuschen sollte, daß es ebensowenig einen realen Feind gab, der dem französischen Adel und Klerus entsprochen hätte, noch eine revolutionäre Bourgeoisie als selbstbewußter Träger der Staatsgründung existierte. Es ist eines der Hauptärgernisse, daß solche trivialen Unterscheidungen heute so schwer fallen. Israel, um das es ja hier geht, befindet sich in seiner revolutionären Phase, zu der auch die Verteidigung der eigenen Emanzipation gehört. Im Gegensatz zu den französischen Jakobinern geht man dort aber recht besonnen vor. Gegen die zahlreichen Feinde der Juden ist jedoch eine schlagkräftige Armee und ein effektiver Geheimdienst vonnöten, ohne welche man längst verloren wäre. Auch wenn es die Deutschen gerne hätten: Kein Israeli denkt dabei an die ‚Endlösung der Palästinenserfrage’. Die Wachtürme an der Grenze sagen allen, die es durch Vernunft nicht einsehen wollen: Wir lassen uns nicht weiter abschlachten. Daran zu erinnern und Ihnen die Israelfahne zu Ihrem Ärger zu präsentieren macht uns nicht zu Nationalisten. Es geht uns nicht um Folklore, sondern um die Bedingungen der Freiheit.

Der brave Student.

Na ja, Ihr habt ja heute sogar die amerikanische Fahne auf dem Podium stehen. Damit seid Ihr für mich eh indiskutabel geworden. Davon krieg’ ich Bauchweh.

Der Kommunist.

Schön, wie es den werten Herrn fuchst; Wir werden es wohl wieder tun. Solange Kommunisten sich so bockig anstellen wie Sie, erscheint es mir doch sehr beruhigend, wenn die Amerikaner einige Soldaten auf den Weltmeeren segeln lassen.

Der brave Student (erzürnt, beim Verlassen des Raums).

Singt doch zusammen mit George Bush die amerikanische Nationalhymne!

Eine Frau aus dem Publikum.

Ihr Kommunisten vertretet doch die Position, das Existenzrecht Israels folge allein daraus, daß das von den Nazifaschisten an den Juden begangene Unrecht wiedergutgemacht werden müsse. Dem stimme ich als Linke ohne Vorbehalt zu. Aber es kann doch nicht sein, daß dies auf dem Rücken der Palästinenser ausgetragen wird, die an dem, was wir Deutsche getan haben, doch ganz unschuldig sind. Wäre es da nicht gerechter gewesen, den Juden SchleswigHolstein abzutreten und ihnen Kiel als ihr neues Jerusalem zu überlassen, als in Palästina ein ganzes Volk zu vertreiben?

Der Kommunist.

Wer wie Sie die Shoah als Unrecht charakterisiert, benutzt einen hohlen, nichtssagenden und somit falschen Begriff. Zwar kann das Vorhaben, das Geschehene überhaupt in Worte zu fassen, zwangsläufig nicht gelingen. So unbegreiflich, dem Verstande nicht zugänglich, ist dieser Mord an sechs Millionen Menschen. Doch der Versuch, die staatlich organisierte und industriell durchgeführte Vernichtung der europäischen Juden gerade in die Kategorie des Rechts zu schieben, ignoriert, daß sie erklärtes Ziel des deutschen Staates, also notwendigerweise legal und rechtens war. Unrecht war es, daß ein Jude lebte, unrecht war es auch, ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Wer die Shoah als Unrecht beurteilt, verkennt außerdem die welthistorische Zäsur, die sie darstellt, den qualitativen Umschlag innerhalb des Kapitalverhältnisses. Zum einen beraubt das Resultat des klassenübergreifenden wie klassennegierenden Massenmords – das Paradox der klassenlosen Klassengesellschaft – die Gesellschaft ihrer Begreifbarkeit in den klassischen Kategorien der Gesellschaftskritik, zum anderen läßt das Telos der barbarischen deutschen Revolution gegen das Glück ohne Zwang – die Vernichtung der Juden – jeden Versuch der Erklärung dieser Gesellschaft überhaupt zur Unmöglichkeit werden.

Der Logiker, der Feuilletonist (im Duett.)

Alles irrational oder wie. Ihr macht die Erde wieder zur Scheibe und leugnet das Interesse und somit das ABC des Materialismus, wie wir es mühsam gelernt haben. Ihr seid auch bloß Teil der Postmoderne.

Der Kommunist.

Vielmehr umgekehrt. Die Menschen handeln und denken tatsächlich ‚postmodern’, weil durch die Deutschen der Begriff praktisch außer Kraft gesetzt wurde und damit auch die Rechtskategorien. Auschwitz ist kein Unrecht, sondern Inhalt der deutschen Krisenlösung, der Vernichtung der angeblich glücklichen und parasitären Rasse, durch die das mit sich selbst identische Kollektiv sich herstellen möchte. Diese negative Aufhebung des Kapitals auf seiner eigener Grundlage ist das Ende der bürgerlichen Epoche und verurteilt jeden Versuch, nahtlos an bürgerlichen Verhältnissen anzuknüpfen, zum Scheitern.

Der Logiker.

Völlig unbegreiflich also. Deshalb reden Sie auch so viel und so kryptisch. ‚Negative Aufhebung des Kapitals auf seiner eigenen Grundlage’ – diesen Summs können dann Ihre Adepten auswendig lernen: Sie Scholastiker.

Die Modedenkerin.

Ich für meine Wenigkeit habe mit den bürgerlichen Verhältnissen abgeschlossen, wie Sie es jetzt plötzlich fordern. Aber warum dann immer so ein rüder Ton gegen die Postmodernen?

Der Kommunist.

Man kann natürlich auch nicht ohne die bürgerlichen Verhältnisse und ihre progressiven Erzeugnisse auskommen. Was passiert, wenn man die Aufklärung nicht nachvollzieht, dafür sind sie lebendiger Beweis. Deshalb unser Changieren.
Doch zurück zu der Dame, die Israel aus juristischen Erwägungen in Deutschland gründen möchte. Die Shoah als Unrecht zu bezeichnen, heißt sie als Formalität zu behandeln und verkennt das Entscheidende: Der Antisemitismus, der Haß auf das sich dem Zwang zur allgemeinen Gleichheit entziehende, ist die fundamentale Ideologie der kapitalistischen Gesellschaft, zu dessen immanentem Ziel, der Vernichtung der Juden, das Kapital gemäß seiner ‚inneren’ Bestimmung die Menschen treibt, wenn sie sich ihm völlig ausliefern. Die Deutschen waren darin avantgardistisch und konnten glücklicherweise noch einmal aufgehalten werden. Seither erinnert Israel daran, daß wenigstens einigen die Flucht vor der absoluten Verfügungsmacht durch das Kollektiv gelang. Doch der Antisemitismus ist Mordbereitschaft im Wartezustand und verzeiht den Juden ihre Sabotage an der deutschen Mission nie.
Die Bagatellisierung der Shoah als Unrecht drückt die in Deutschland notwendige Bewußtlosigkeit aus, um weitermachen zu können, als ob nichts Bemerkenswertes geschehen sei. Daß die Deutschen im gemeinsam begangenen Mord ihre innere Verfaßtheit ausdrückten und damit auf der Höhe der Zeit oder gar ihr voraus waren, wird verschleiert und verdrängt…

Der Logiker (höhnisch dazwischen).

…ständig müssen Sie von Verdrängung reden. Hi Hi Hi. Als ob der Marxismus nur wegen einer Massenschießerei, einem Vernichtungsfeldzug und der objektiven Überlebtheit des Kapitalismus um eine soziopsychiatrische Abteilung ergänzt werden müßte. Ich komme ganz ohne den Bürger Freud aus und deduzier’ Ihnen das alles aus Staat und Kapital.

Der Kommunist.

…Diese Verdrängung der deutschen Tat ist die Konstitutionsbedingung der postfaschistischen Gesellschaft.
Doch zu den Konsequenzen Ihres Geschwafels: Nachdem sie völlig falsch den deutschen Massenmord als Rechtsbruch klassifiziert haben, kommen Sie zu den Konsequenzen: Israel sei die Wiedergutmachung für die Brechung des Rechts. Das bürgerliche Gesetz sagt, daß ein Unrecht durch eine Strafe wiedergutzumachen ist. Wenn die Shoah zu einem Unrecht und das ‚Existenzrecht des Staates Israel’ zu einem Akt der Wiedergutmachung gemacht wird, so ließe sich die Existenz des Staates Israels folgerichtig als Strafe bezeichnen, die die Deutschen für ihr Unrecht auferlegt bekommen. Ihr Reden vom ‚Existenzrecht’, das Sie widerwillig den Juden zugestehen, zeigt, daß sie tatsächlich als Strafe empfinden was in Wahrheit selbstverständlich ist.
Desweiteren kann aber ein Existenzrecht nicht Inhalt einer ‚Wiedergutmachung’ sein, denn es ist real nicht existent und somit auch nicht zu verabreichen. Wenn ein Staat existiert ist das keine Frage des Rechts, sondern der Gewalt. Ein Staat existiert, wenn der Souverän in der Lage ist, Grenzen zu setzen und sie zu behaupten und nicht, weil ihm ein Größenwahnsinniger die Erlaubnis dazu erteilt. Der Staat ist selbst Gesetzgeber. Nicht nur dies mißachtet, wer von einem Existenzrecht Israels spricht, sondern vor allem, daß zwischen dem Prozeß dessen Staatsgründung und der Frage nach seinem Existenzrecht, das deutsche Selbstgespräch steht, welches die Frage der Gewalt zu einer Frage des Rechts konstruiert, zu einem von Richtern zu entscheidenden und verhandelbaren Fall.
Indem Sie die glücklicherweise durch die eigene Armee erkämpfte und von den USA garantierte, stets prekäre Existenz Israels zum gewährten ‚Existenzrecht’ verdrehen, stellen Sie von vornherein die Frage nach der Daseinsberechtigung von Juden und krönen sich zum Richter über Leben und Tod, auch wenn Sie liebenswürdigerweise das Recht auf Existenz zugestehen. Dies aber wahrscheinlich auch nur solange, wie Ihr subjektiver Unfug nicht durch eine objektive Zusammenbruchskrise des Kapitals sein wahres mörderisches Wesen offenbart.

Der Provinzgelehrte.

Jetzt sprechen Sie endlich die notwendigen Zusammenbruch der Warenproduktion an. In Sachen Krise bin aber ich der Experte und erklär es Ihnen: In diesen Zeiten der finalen Krise ist Israel einerseits ein Brennpunkt der Barbarisierung und Selbstzerstörung des herrschenden Weltsystems. Und tatsächlich ist Israel, und das haben meine Vorredner kaum bedacht, wegen des Antisemitismus als zentraler kapitalistischer Krisenideologie kein Staat wie andere Staaten, sondern in paradoxer Verschränkung die äußerste Notwehr gegen die Konsequenz der kapitalistischen Subjektform. Deswegen muß die Verteidigung der Existenz Israels auch für die neue, endlich fundamentalwertkritische Kapitalismuskritik unbedingt sein. Aber ihr propagiert in weißer Herrenmenschenmanier den Kreuzzug für die westlichen Werte, ganz so wie es der Mullah Samuel Huntington euch eingeflüstert hat. Längst hat die finale Endkrise des auf Warenproduktion beruhenden Systems auch die Metropolen erreicht. Israel geht seinen eigenen Weg in die Barbarei. Der antiarabische Rassismus ist Notbehelf und Ersatz für die dort nicht mögliche antisemitische Krisenform. Insofern setzt ihr als „Sharon-Linke“ innerhalb Israels auf die falschen Kräfte, welche die Krise vorantreiben. Israel ist zwar eine kapitalistische Demokratie westlicher Prägung, aber andererseits gleicht der israelische Alltag in vielerlei Hinsicht bereits dem eines Gottesstaats nach dem Muster der Taliban. Daher auch die Kriegsverbrechen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten. Die Ultra-RechtsTendenz der Gesellschaft hat sich in den Streitkräften am heftigsten durchgesetzt. Das verweist auf die Barbarisierung der israelischen Gesellschaft selbst, die gerade in dieser Hinsicht ein integraler Bestandteil der kapitalistischen Weltgesellschaft ist. Statt also die Jugend zu verhetzen und in einen Kinderkreuzzug für Amerika zu schicken, solltet ihr lieber die Fetischbasiskategorien der bürgerlichen Welt fundamentalkritisieren, als da wären Wert, Geld, Kapital, Staat etc. pp. Was mir Hoffnung gibt, das seid nicht ihr, ihr Afterkommunisten mit euren alles unterhöhlenden Kanalarbeitern, sondern der Schulstreik der Kinder.

Der Empfindsame Mann, die Frauenrechtlerin.

Genau, aber an die Kinder wollt ihr ja nicht denken.

Der Kommunist.

Bitte, Herr Wert- und Krisenkritiker, beinahe möchte ich Sie bedauern. Viele, viele Jahre haben Sie nun gelesen und gearbeitet, um die ultimative Rekonstruktion der Kritik zu leisten, und sich den Kopf dabei an der Welt zerbrochen. Sie haben gelernt, alle Kategorien der Welt hoch und runter zu deklinieren, nur um am Ende den jeweils existierenden Bewegungen hinterherzulaufen und sich dabei als Avantgarde zu halluzinieren. Wie so oft zeigt sich, daß jemand eine Unzahl von Büchern durchackern kann, um am Ende sich dann doch wieder als der gleiche provinzielle Denker zu erweisen, als der auch er begonnen hat, weil er meint, die Welt habe nur auf seinen Beitrag gewartet, die Krise wolle gleichsam nur für ihn kommen. – Aber Recht hat der Provinzler, wenn er auch sonst immer irrt, indem er auf die potentielle Zusammenbruchskrise hinweist, die er allerdings herbeizusehnen scheint. Um so wichtiger aber, daß Israel ein paar Waffen besitzt und die USA die internationale Barbarei militärisch in Schach halten kann. Die Kommunisten brauchen offenbar noch Zeit, um sich zu sammeln.

Der Antideutsche.

Kommunismus, Kommunismus – beinahe mechanisch klammert Ihr Euch an diesem Begriff fest. Seht doch ein, daß der nicht auf der Tagesordnung steht, ihr scheint ja sonst nicht so dumm zu sein. Ihr müßt doch merken, daß der Kommunismus bei Euch nur eine naive Schwärmerei ist, mit der sich dann doch nur zeigt, daß ihr immer noch emotional einer untergegangenen Linken nachtrauert, die ihr nur verklärt. Überhaupt sind hier ja auch wieder nur lauter Linke versammelt, niemand von der amerikanischen Botschaft wurde geladen und kein Vertreter Israels. Auch ihr wollt offenbar nicht klar kriegen, daß es jetzt um Israel geht und die Bekämpfung des weltweiten Nationalsozialismus, nicht um andere zweifelsfrei wünschenswerten und schönen Dinge wie Aufhebung der Warenform oder des Tauschverhältnisses. Mir jedenfalls ist jeder Ausspruch von Rumsfeld wichtiger, als worum Ihr Euch so in Eurer linken Krabbelstube eskapistisch und im Zweifelsfall quietistisch streitet. Ihr seid unorganisiert und nicht realitätstauglich. Ernst braucht man von Euch ohnehin kein Wort zu nehmen.

Der Kommunist.

Die Emanzipation des Deutschen ist die des Menschen, lehrte einst ein Kommunist und wir pflegen sehr buchstabengläubig zu sein, was unsere Klassiker angeht. Der Kraftaufwand, der nötig ist, um die Konterrevolution auf dem Boden der sie hervorbringenden Verkehrsformen zu stoppen, ist ähnlich dem zur Aneignung der großen Industrie. Deshalb muß Beides in Eins fallen. Wenn die USA solange das Schlimmste verhindern, gewährt uns das die dringend benötigte Zeit, unseren historische Auftrag wieder aufzunehmen und die klassen- und staatenlose Gesellschaft zu erkämpfen, bzw. das zuwege zu bringen, was Sie schüchtern und Hegelsch die Aufhebung der Warenform nennen.

Der Antideutsche.

Vor lauter Kommunismus vergeßt ihr den Antisemitismus, wie die Anarchisten und andere Linksradikale. Ich bleibe dabei, Ihr Kommunisten seid auf eitler Identitätssuche!

Der Feuilletonist (räuspert sich und spricht Onkelhaft).

Nun, Ihr Antideutschen scheint ja auch noch nicht so einig zu sein, wie Ihr manchmal tut. Aber, sei’s drum. Warum aber müßt Ihr eigentlich alle Kritik an Amerika als antiamerikanisch verunglimpfen? Ist es nicht ein wenig übereifrig, wenn ihr die Solidarität mit Israel auch auf die USA ausdehnt, nur weil sie als Schutzmacht Israels auftreten? Niemand kann schließlich ernsthaft bestreiten, daß seit `45 die USA die breiteste Blutspur hinter sich her gezogen haben: in Nicaragua, Chile, Kuba, Vietnam usw. Die USA als Weltmacht führen ihre Kriege nicht für Liberalismus und Individualismus, sondern für den Erhalt ihrer Herrschaft und selbstverständlich auch um ganz materielle Dinge wie Öl. O.k., es kann ja sein, in vier von fünf Fällen ist eure Kritik ganz richtig, aber nur weil der Nazi sagt, zwei plus zwei ist vier, ist dies noch lange nicht falsch. Die amerikanische Politik hat überhaupt erst den Nährboden für das Massaker vom 11.9.2001 bereitet. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Stichwort Weltbank und IWF. Außerdem kam dem amerikanischen Imperialismus der Anschlag so gelegen, daß der Verdacht durchaus zulässig ist, der CIA habe zumindest seine Finger mit im Spiel gehabt. Das kam ja auch schon vor einigen Jahren im Fernsehen.

Der Kommunist.

Für aufgeklärte Amerika-Hasser wie Sie scheint die Polemik gegen die Vereinigten Staaten von Amerika Ausdruck simpelster antikapitalistischer Vernunft zu sein. Das geht etwa so: Wenn wir uns einig sind, daß der Kapitalismus ein weltweites Übel ist, die USA aber ein kapitalistischer Staat, dann muß es doch möglich sein, die USA zu kritisieren, ohne gleich antiamerikanisch zu werden. – Und tatsächlich, wer wollte da widersprechen; keiner mag sie ja im Ernst die USA, die nur mit zahlreichen Gefängnissen ihre Gesellschaft am laufen halten können und unsere vehemente Verteidigung eben dieser USA ist dem Zustand und dem Treiben der restlichen Welt geschuldet. Aber diese nicht-antiamerikanische Kritik an Amerika, über die antideutsche Kommunisten angeblich immer herfallen, es gibt es nicht. Und das hat seine Gründe: Das Problem mit den derzeit virulenten Bewegungen ist ja nicht, daß sie auch gegen Amerika agieren würden, als mehr oder weniger zufällige Dreingabe zu dem, was sie sonst noch tun. Das Problem besteht vielmehr darin, daß sich sowohl die Friedensfreunde als auch die Gegner einer sogenannten „Neoliberalen Globalisierung“ über ihren Hass auf die USA überhaupt erst als Bewegungen konstituieren. Nicht die reale USA ist ihr Gegenstand, sondern ihr vom Ressentiment hervorgebrachtes Zerrbild.
Nun gibt es einige, zu denen auch Sie gehören, welche den Globalisierungsgegner- und Friedensfreundemob zwar kritisieren und auch, wie sie meinen, scharf, aber doch immer unter dem Vorbehalt, diese Bewegungen nur nicht vollständig zu vergrätzen, und deshalb immer die ‚echte’ Friedensbewegung und den ‚echten’ Antiimperialismus einfordernd. Sie lügen sich zurecht, in einem von fünf Fällen sei der Antiamerikanismus ein kritischer.
Für Sie sind die USA als kapitalistische Ordnungsmacht, wenn vielleicht auch nicht identisch mit dem Kapital als vergesellschaftendem Prinzip, so doch verantwortlich an den menschlichen Unkosten der weltweiten Wertvergesellschaftung. Wie der hinterletzte demokratische Sozialist geben sie den Amerikanern die Schuld für das Ressentiment, daß sich gegen sie richtet. Das ist klassischer Antiamerikanismus. Auch Sie sagen: So was kommt von so was. Die Verdammten dieser Erde hätten doch Grund genug, sich in Ihrer rechtmäßigen Empö- rung über das Elend, in dem sie leben, gegen eine konkrete, dafür haftbar zu machende Adresse zu wenden: Eben, wie überraschend, die USA – respektive deren Bourgeoisie im Zusammenspiel mit Regierung und Geheimdiensten, IWF und Weltbank. Der Antisemitismus, der hinter dem Antiamerikanismus steckt und zu den eigentlichen Ursachen führt, kann so natürlich nie angemessen thematisiert werden. Sie weigern sich wie alle unserer Kritiker aus der Linken, das Ressentiment gegen Amerika als gefährliche Ideologie zu benennen, mit der sich die autoritären Charakter präventiv vor den bloßen Gedanken an Freiheit schützen wollen. Der Antiamerikanismus ist dabei meist die Form, die sich der Antisemitismus gibt, wenn er sich noch nicht getraut offen aufzutreten.
Ebenso kann umgekehrt nicht ausgesprochen werden, daß es – gerade aus unserem Blickwinkel – die Aufgabe der Zentralmacht ist, die Welt nicht völlig vor die Hunde gehen zu lassen. Sicher wissen wir, daß es ganz anderer Anstrengungen und Lösungen bedarf, um dies auch tatsächlich einzulösen, aber ihren bornierten Fähigkeiten gemäß stehen die USA für den Status Quo und geben uns Zeit.
Die Fakten zur Rationalisierung Ihres Ressentiments holen Sie sich aus der Vergangenheit. So versuchen Sie, ihm objektive Geltung zu verschaffen. Die Schweinebucht fällt Ihnen ein, der Pinochet-Putsch und der Krieg gegen den Vietkong. Und natürlich, daß die USA Bin Laden und Saddam erst mächtig gemacht haben, daß sie also mit ihrer Weltpolitik die Geister erst riefen, die sie jetzt nicht mehr loswerden.
Nun braucht man sich über den emanzipativen Gehalt der US-Außenpolitik während des Kalten Krieges keine Illusionen zu machen: Handlungsleitend war eine antikommunistische Doktrin, Ergebnis der direkten Konkurrenz zur Sowjetunion, die die USA alles ins Visier nehmen ließ, was an Emanzipation erinnerte und in Wahrheit leider auch damals schon oft nur Vorbote der Barbarei war. Aber die historische Konstellation des Kalten Krieges existiert nicht mehr. Die immerschon höchst fragwürdige Hoffnung auf eine am realsozialistischen Weg orientierte Emanzipation hat sich endgültig zerschlagen; sozialrevolutionäre Bewegungen im Trikont sind fast überall völkischen Banden gewichen. Was den USA heute als „Antiimperialisten“ entgegen tritt, verbürgt kein Versprechen auf Emanzipation mehr, sondern das Gegenteil, die Konterrevolution: die Barbarei der Völker gegen die Differenz, gegen Israel und Amerika.
Die USA haben spätestens am 11. September begriffen, daß ihnen in den völkischen Bewegungen, die sie gegen die kommunistischen lange genug unterstützt hatten, ein Feind entstanden ist, dem sie alles zutrauen müssen. Schon aus rein instrumenteller Vernunft befinden sie sich deshalb heute in einem Boot mit Israel und gegen die dschihadistische und arabisch-faschistische Bedrohung. Nicht aus Altruismus oder Menschenfreundlichkeit haben sie den Irak angegriffen, sondern aus wohlverstandenem Interesse, das wir nicht leugnen. Ein Interesse, daß sich in diesem speziellen Fall mit dem jener Menschen deckt, die an der Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft gegen ihre barbarischen Regressionsformen festhalten wollen. Aber deshalb bleibt zwei plus zwei natürlich vier.

Die Berufsjugendliche.

Ihr habt im Prinzip ja recht, aber bemerkt überhaupt nicht, daß sich schon einiges getan hat, gerade in der antifaschistischen Linken. Die Kids tragen statt Palitüchern Stalingrad-T-Shirts und auf Antifademonstrationen sieht man immer wieder Israelfahnen. Statt also immer die Linke zu denunzieren, müßt ihr das Gespräch suchen. Ihr verschreckt immer alle, indem ihr laut ‚Waffen für Israel!’ fordert und auch noch die USA verteidigt und dabei ständig übertreibend vom ‚globalen Faschismus’ redet. Man muß die Leute aber da abholen, wo sie stehen und ihnen nicht das Ergebnis um die Ohren hauen. Ihr lauft Gefahr, nur noch polemisch zu sein, statt sachlich zu argumentieren und geratet zu Apologeten der Zivilisation, die doch in Auschwitz zu sich kam! Es kommt auf einen prinzipiell herrschaftskritischen Standpunkt an, und da müssen auch autoritäre Momente in Israel und den USA kritisiert werden.
Außerdem solltet ihr wieder Deutschland und den Kapitalismus angreifen, statt euch in größenwahnsinniger Weltpolitik zu verlieren. Sicher ist der Kampf gegen den Antisemitismus ein wichtiger Teilbereich. Aber wie die Marxisten bläht ihr diesen einen Widerspruch zum neuen Hauptwiderspruch.

Der Kommunist.

Sicher, es wird viel über Antisemitismus geredet und sogar der kleine Text von Postone wird rezipiert, weil er kurz genug ist und voller Mängel. Doch bleibt dies folgenlos. Oft wird der Antisemitismus auf einen ominösen strukturellen Antisemitismus heruntergebracht und damit von seinem Inhalt abgetrennt. Nur so ist es überhaupt möglich, den Antisemitismus in Deutschland bekämpfen zu wollen, ohne die Bewaffnung Israels zu bejahen und wenigstens zu thematisieren, daß die einzige Internationale, die sich bildet, momentan die antisemitische Internationale ist. Das seminaristische Palavern über den Antisemitismus als auch einem spannenden Thema unter anderen ist nur Alibi für bruchloses Mitmachen, woran dann auch das ergänzende folkloristische Wedeln mit der richtigen Fahne nichts ändert. Wie bitte soll man die nationalpazifistische Volksgemeinschaft kritisieren, wenn man sich weigert, den Charakter der Regime zu benennen, die diese protegiert. Die Deutschen standen bis zuletzt zu ihrem Onkel Saddam – um zu wissen, was die Deutschen wollen, wenn sie es nicht direkt sagen, muß man sich ihr Identifikationsobjekt vornehmen.
Was die offene Bejahung der Kriege gegen das Baath-Regime und gegen die Taliban angeht, so folgt dies der Logik der Israelsolidarität, die sonst zum leeren Wort würde. Sie und Ihre Genossen, die früher noch gerufen haben, Antifa sei Angriff und man müsse den Nazis militant entgegentreten, da diese brutal gegen alles andere vorgehen, Ihr müßtet doch verstehen. Wieso aber kommt Ihr nicht auf antifaschistische Gedanken, wenn sich Mordkollektive bilden, die ihre Begeisterung für den NS nicht einmal bestreiten? Tatsächlich feiert Ihr immer den sowjetischen Sieg in Stalingrad, ohne aber zu thematisieren, daß es eben auch die Amerikaner waren, die Deutschland niederrangen und dies glücklicherweise mit mehr high-tech und damit weniger eigenen Opfern als die eher zu betrauernde Rote Armee.
Nicht weil wir die Rolle der Sowjetunion schmälern wollen, sondern weil sie nun nicht mehr existiert und allein die USA den antifaschistischen Kampf führen, sei euch seltsamen Poplinken empfohlen, den D-Day auf T-Shirts zu preisen und meinetwegen auch auf D-Day-Partys wild zum Takt der großen Trommel zu tanzen. Unsere Stellungnahmen zur Weltpolitik sind jedenfalls wesentlich antifaschistisch motiviert. Das erscheint uns als Voraussetzung aller Kritik notwendig, wo selbst die Antifa die Bedrohung nicht wahrnehmen will, für die der Ausdruck ‚globaler Faschismus’ eher eine Verharmlosung ist, weil die Bewegung, ob offen oder unbewußt, am deutschen Nationalsozialismus anknüpft. Der ‚deutsche Weg’, der im NS schon einmal beschritten wurde, gewinnt aktuell an Attraktivität; selbst Fidel Castro agitiert gegen Israel. Dieser ‚deutsche Weg’ ist die größte Gefahr für emanzipatorische Bestrebungen, und euer Schweigen an entscheidenden Stellen zeigt, wie wenig es euch ernst ist mit dem, was ihr völlig haltlos prinzipielle Herrschaftskritik nennt. Die Dummheit, den Antisemitismus in Euer Potpourri der Widersprüche und in den Multiple-Oppression-Unsinn einzugemeinden, verfehlt, daß die Vernichtung einer halluzinierten Gegenrasse sich schon einmal als das immanente Telos des Kapitals erwiesen hat, und ignoriert, daß die Predigten in den Leipziger Kirchen und Teheraner Moscheen zeigen, daß die Entwicklung zu diesem Telos durch vereinigte militärische Anstrengung der Allierten nur temporär aufgehalten worden sein könnte, wenn sich die Menschheit nicht endlich eines Besseren besinnt, womit anzufangen Sie sich recht beharrlich weigert.

Der einsame Zeitungsverkäufer.

Ihr habt mit Eurer Einschätzung der Welt vollkommen recht. Auch ich gehe davon aus, daß wir in einer Zeit des sich globalisierenden Faschismus leben – der sicher nicht als einfaches Remake des deutschen Faschismus verstanden werden kann. Ziel des Islamfaschismus, der weltweiten Sozialdemokratie und der Nazis ist die Vernichtung Israels. Dieser Staat muß deshalb von allen fortschrittlichen Menschen verteidigt werden.
Dies aber berechtigt Euch nicht, den Namen ‚Kommunisten’ anzunehmen. Die Expropriation der Expropriateure ist eine ganz andere Sache als die notwendige Verteidigung Israels. Um aber die Ursachen des weltweiten Faschismus zu eliminieren, muß der Kapitalismus insgesamt bekämpft werden. Davon lenkt ihr nur ab. Anstatt das Proletariat zu organisieren, wie es einer anständigen Avantgarde zukäme, propagiert ihr eine Neuauflage der Volksfrontpolitik der 3. Internationale. Damit würgt ihr die Revolution ab und predigt den Klassenkompromiß. Ihr seid keine Kommunisten, sondern bürgerliche Antifaschisten.

Der Kommunist.

Sie scheinen ein Marxist-Leninist zu sein, der einiges von unserer Position zunächst additiv adaptiert, um dann aber die alte Position des Klassenkampfes wieder herzustellen, womit im Resultat unsere Kritik schon wieder verschwunden ist. Sie kritisieren uns nicht, sondern verfahren restaurativ. Konkret: Wir selbst gestanden zu, daß sich unsere Parteinahme für die USA aus antifaschistischen Motiven speist, und eben diesen letztlich tatsächlich bürgerlichen Antifaschismus meinen Sie wohl mit dem Vorwurf der Volksfrontpolitik. Doch betonten wir heute immer die Einheit des Kampfes gegen den Antisemitismus und den gegen Unterdrückung bzw. Ausbeutung; wir haben also gerade keine Volksfrontpolitik verfochten. Dies können Sie nicht bemerken, weil ihr Konzept der alte Klassenkampf ist, gegen den wir nicht einwenden, er sei nicht notwendig, sondern vielmehr, daß er unmittelbar nicht statthat und durch ihr rührendes Bemühen auch nicht statthaben wird. Wer…

Der Antideutsche (schroff).

Aha, ihr Kommunisten seid endlich geständig. Ihr wollt auch einfach den alten Klassenkampf zurück. Es gibt sie aber nicht mehr die Klassen, sondern nur noch Völker.

Der Kommunist (ignoriert den Zwischenruf).

Also, wer jetzt als Avantgarde das Proletariat mobilisieren will, der scheitert entweder hoffnungslos oder organisiert das Pogrom. Die ewige Leier von der revolutionären Vorhut, die das Proletariat organisieren müsse, ist ahistorisch. Die Leninsche Partei neuen Typs war bereits ein Regressionsphänomen, um die ohne Aufstand in den ersten Weltkrieg ziehenden Proleten doch noch zum Kommunismus zu treiben. Sie war bereits Antwort auf den erschreckenden Umstand, daß der Stoff nicht von selbst so wollte, wie Marx es vorsah. Er drängt nicht von selbst zur freien Assoziation, sondern fügt sich aktiv dem Weltlauf. Schon der erste Weltkrieg, der das Massenmordpotential des Kapitalismus offenlegte, reichte nicht als Grund hin, sich selbstständig und spontan zu assoziieren. Nur die Knute trieb die zermürbten Massen zur Revolution, in Deutschland blieb sie durch den kompletten Sieg des Opportunismus nur kümmerlicher Aufstand. Nach Auschwitz haben Kommunisten bei Strafe des völligen Untergangs zu reflektieren, was es bedeutet, wenn nicht einmal das Unfaßbare ein Grund zum Revoltieren ist. So richtig also Ihr Punkt, daß nur die soziale Revolution Abhilfe schaffen kann, so hilflos Ihre Analyse. Gerade die Verdrängung des Klassenantagonismus, gerade die Verdrängung der Staatsgewalt, also die Verdrängung aller Widersprüche, bringt den Antisemitismus hervor und kann offensichtlich im Krisenfall die Massen zum Massenmord treiben. Nur die Reflektion des Verdrängten könnte den Kommunismus wieder möglich machen. Deshalb ist der Kampf gegen die Ausbeutung unmittelbar identisch mit dem Kampf gegen den Antisemitismus und dieser kein Ablenkungsmanöver vom Eigentlichen. Deswegen aber – und dies an den unhöflichen Zwischenrufer gerichtet – ist auch das umgekehrte Ausspielen des Kampfes gegen den Antisemitismus gegen den Klassenkampf untauglich, weil eben der Antisemitismus nicht überwunden werden kann, wenn dem Ressentiment nicht Einsicht in den gesellschaftlichen Stoffwechselprozeß weicht. Sie aber, Herr Zeitungsverkäufer, der Sie die Massen als qualitätslosen Stoff akzeptieren und affirmieren wollen, dem von außen das Bewußtsein zugeführt werden soll und kann, Sie stellen sich diesem Problem nicht. Eine Avantgarde ist nicht unnötig. Aber sie kann momentan nur Einzelnen, die von sich aus bereit sind den Ausbruch zu wagen, dabei helfen. Sie kann nur versuchen, die Schmach schmachvoller zu machen, indem sie diese publiziert. Aber sie kann weder von außen Bewußtsein bringen, wo offensichtlich von innen nichts zum Bewußtsein drängt, und sie kann nicht organisieren, was sich aktuell nur als Mord- oder Arbeitskollektiv organisieren lassen will. Historisch war Lenins verzweifeltes und autoritäres Konzept ein Versuch zur Emanzipation in beinahe auswegloser Situation. Die Jahre 1917 bis 1923 gehören zu den hoffnungsvollsten der Menschheit, und dies – nota bene – nicht trotz der Bolschewiken, sondern wesentlich wegen ihrer kühnen Politik, wenn diese auch notgedrungen immer schon konterrevolutionäre Züge in sich hatte, die sich nach dem Ausbleiben der Weltrevolution vollends durchsetzen mußten. Aber wer im Rückblick ignorieren will, daß die Organisationstätigkeit insbesondere der deutschen Sozialdemokratie nicht freie Menschen erzog, sondern zunächst Parteisoldaten und dann Volksgenossen, muß glauben, daß der Sieg des Revisionismus bloßer Verrat war.

Der einsame Zeitungsverkäufer

Aber der Stoff ist hart und kann sich nicht von selbst bewegen. Sie selbst beschrieben doch, wie wenig er von selbst zum Kommunismus tendiert; vielmehr sogar zum Nazifaschismus. Selbst Michelangelo brauchte einen Meißel um in den Marmor eine Form zu bringen. Das war 1917 nicht anders und heute auch nicht.

Der Kommunist.

Statt also ständig die Massen als Massen organisieren zu wollen, sollten Sie daran denken, die Massen vor sich selbst erschrecken zu machen. Die große Umwälzung, wie wir sie uns vorstellen, ist zwar die kollektive Aktion der sich vereinigenden momentan isolierten Produzenten und keiner weiß ob sie ganz ohne den dezenten Einsatz einer Pauke auskommen wird. Aber in dieser gemeinsamen Aktion und durch diese wird die Masse aufgesprengt und sich dissoziieren. Es werden individuelle Kräfte frei werden, an die der immer zum Staatssozialismus tendierende Parteikommunismus nicht denken mag, der schon an die revolutionäre Repression denkt, wenn an Revolution noch keiner denkt. Statt immer organisieren zu wollen, sollten Sie einmal die Arbeiter als Subjekte ansprechen. Schließlich sollen sie sich selbst emanzipieren und nicht emanzipiert werden.

Vorhang fällt.

Epilog

Der Narr.

Nun also ist der Tanz vorbei. Zu oft fiel das erlösende Wort, das zwar nicht falsch wird durch häufiges Erwähnen, aber besser wäre, die Menschen verstünden’s aus der Sache selbst, ohne daß es immer eigens benannt werden müßte. So geht wohl mancher im Publikum mit dem Gedanken nach Hause, daß dieser Kommunist auch niemand hinter dem Ofen hervorholen wird, an dem er selbst sich’s dann gemütlich machen wird. Das Spielchen, das heute getrieben wurde, geht also weiter, oft und oft wird das ganze Spektakel noch aufgeführt werden. Mühsam ist die freie Assoziation.

Pressemitteilung: Israelhass in der Göttinger Innenstadt – Israelsolidarische Kundgebung nur unter strengen Einschränkungen

An diesem Samstag, den 23. 12. 2017, veranstaltete das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus Jachad eine Kundgebung unter dem Motto „Solidarität mit Israel – Gegen Antizionismus und Antisemitismus“. Dem Aufruf der Kundgebung folgten über 50 Personen, welche sich friedlich für das Existenzrecht Israels einsetzten. „Uns war es wichtig, ein Zeichen gegen Israelfeindlichkeit zu setzen. Immer wieder wird vermeintliche Kritik an Israel als Vorwand für judenfeindliche Ausschreitungen genutzt. Darüber wollen wir aufklären“, so Katja Ölgemöller, eine Sprecherin des Bündnisses. „Es darf nicht sein, dass jüdischem Leben hier und heute mit derart offener Gewalt begegnet wird.“

Die Kundgebung fand außerhalb der Innenstadt hinter dem Albaniplatz statt. Dem ging ein Disput mit der Stadtverwaltung voraus, die einen Standort in der Innenstadt als abträglich für das allgemeine Sicherheitsempfinden beurteilte. „Es schockiert, dass wir gezwungen wurden, unsere friedliche Veranstaltung aus Sicherheitsgründen weitab vom Menschenstrom abzuhalten, während die pro-palästinensische Kundgebung direkt am Bahnhof stattfinden durfte“, so Ölgemöller weiter. „Dabei geht das Gefahrenpotential von der anderen Seite aus: einzelne Menschen wurden nach unserer Veranstaltung sogar von der Polizei dazu angehalten, sich auf dem Heimweg nicht als israelfreundlich oder gar jüdisch erkennen zu geben.“

Die zeitgleich stattfindende antiisraelische Demonstration am Göttinger Bahnhof zeichnete sich durch aggressives Gebaren und antiisraelische Sprechchöre aus. Auf zahllosen Schildern wurde Israel das Existenzrecht abgesprochen und die jüdische Geschichte Jerusalems geleugnet. Personen, die inhaltlich widersprachen, wurden aggressiv bedrängt und mit lauten Rufen eingeschüchtert. Die Polizei verteilte vorauseilend Platzverweise, um eine kritische Begleitung zu vereiteln. Sichtbarer Gegenprotest war von Anfang an nicht erwünscht. Die Polizei machte deutlich, nicht für die Sicherheit israelsolidarischer Menschen sorgen zu können. Dazu Ölgemöller: „Man sollte denken, die Polizei hätte aus den gewalttätigen Aktionen der Pro-Palästinademo im Sommer 2014 gelernt. Stattdessen wird nur mehr Raum für Hass auf Juden und ihren Staat gegeben!“

Wir, das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus – Jachad, sind bestürzt über die heutigen Vorgänge in der Göttinger Innenstadt. Wieder einmal mussten Menschen, die offen ihre Unterstützung für Israel kundtaten, mit Übergriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit rechnen. Wir fragen uns, wie jüdisches Leben in Deutschland unter diesen Bedingungen möglich sein soll. Wieso bietet die Stadt Göttingen offenen Feinden Israels so viel Raum? Insbesondere in einer Zeit, in der es Bundesweit zu israelfeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen in deutschen Städten kommt, sowie vermehrt antisemitische Gewalt in ganz Europa wieder auf dem Vormarsch ist, hätte die Stadt sensibler agieren können.
Allen TeilnehmerInnen, die sich trotz widriger Umstände am heutigen Samstag solidarisch gezeigt haben, danken wir, denn durch sie ist es möglich gewesen, ein Zeichen für Israel und einen friedlichen Dialog zu setzen.

jachad יחד

Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus

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