Verteidigung der falschen Freiheit.

Der folgenden Text ist der zweite einer Reihe, die versucht Erfahrungen und Debatten wiederaufzubereiten, die von der Redaktion als zentral für die Entwicklung einer eigenständigen antideutschen Kritik gesehen werden. Dabei können wir nicht beanspruchen, eine fertige Definition dieser Form der Kritik vorzulegen, stattdessen wollen wir in erster Linie zur (erneuten) Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Entstehungsgeschichte anregen.1 Deren zweiter Teil soll von den historischen Erfahrungen und Reflexionen berichten, die im Zweiten Weltkrieg Materialisten veranlassten, für die USA oder Großbritannien ins Kriegsgeschehen einzugreifen und diese in eine historische Konstellation setzen, die als notwendiger Reflexionspunkt antideutscher Kritik gesehen werden muss:

„Vom Anfang des amerikanischen Titanenkampfs an fühlten die Arbeiter Europas instinktmäßig, daß an dem Sternenbanner das Geschick ihrer Klasse hing.“

– Karl Marx2

„Der Hitlerismus ist kein Naturprodukt, der entsteht kraft der angeborenen Schlechtigkeit der Deutschen. Er ist auch kein Zufallsprodukt, das nur aus der übermenschlichen Genialität eines Einzelnen hervorgegangen ist.“

–– Carl Herz3

I – The revolution comes, but it‘s pretty damn German.

Der Pragmatismus gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, welchen Dahlmann als Merkmal der kommunistischen Kritik antideutscher Prägung sah,4 hat eine Tradition innerhalb der materialistischen Kritik. Der Beginn dieser Tradition lässt sich bei Karl Marx und Friedrich Engels finden, in deren Kritik ein Bewusstsein für die Unterschiede zwischen deutscher und anglo-amerikanischer Gesellschaft präsent war. So schrieb Marx in der Einleitung Zur Kritik der deutschen Ideologie: „Das vollendeste Beispiel des modernen Staates ist Nordamerika. Die neueren französischen, englischen und amerikanischen Schriftsteller sprechen sich alle dahin aus, daß der Staat nur um des Privateigentums willen existiere, so daß dies auch in das gewöhnliche Bewußtsein übergegangen ist.“5 Die daraus logische Konsequenz ist für Marx und Engels, die neben Kritikern des Kapitals auch Theoretiker der proletarischen Revolution waren,6 eine (partielle) Parteinahme für die fortschrittlichsten bürgerlichen Kräfte gegen Feudalismus und Reaktion: In den USA sahen sie diese in Abraham Lincoln und seinen Gefolgsleuten.7

Das Behaupten einer linearen Bewegung von Marx bis zur gegenwärtigen antideutschen Kritik wäre alles andere als unproblematisch. Nicht nur ignoriert sie implizit denjenigen Bruch, den Auschwitz für jede kommunistische Kritik bedeuten muss, von dem Marx und Engels – trotz all ihrer Kritik an deutschen Verhältnissen – nichts wissen konnten. Diese Erzählung ignoriert auch, dass zwar rückblickend zu erkennen ist, welche von Marx und Engels analysierten historischen Grundbedingungen die deutsche Staatswerdung 1871 oder deutsche Krisenlösung 1914 vorbereiteten und ermöglichten, es jedoch zu keinem Zeitpunkt unmöglich war, dass sich die Geschichte nicht in anderer Form hätte ereignen können: nämlich als tatsächliche vom Menschen als Gattung gemachte Geschichte, welche mit dem revolutionären Ausbruch aus der Vorgeschichte ihren Anfang nehmen würde. Deutlich wird trotzdem bereits an dieser Stelle eine diesbezügliche Erkenntnis, die für die Ausprägung antideutscher Kritik maßgeblich ist: die Zugehörigkeit zu einer materialistischen Denktradition ist nicht als dogmatische Kontinuität, sondern als Kritik, das heißt als Reflexion auf historische Prozesse, zu betrachten. Das gesamte Werk von Marx und Engels zeugt von dieser stetig erneuerten Reflexion auf die Welt, auch wenn Marxisten genau das meistens überlesen. Insofern soll dieser erste Abschnitt des Textes vor allem daran erinnern, dass die (teilweise aktive) Parteinahme für die bürgerlichen Staaten von Kommunisten und anderen Materialisten aus dem deutschen Herrschaftsgebiet nicht aus heiterem Himmel (aus einer bloßen Laune der Protagonisten oder Verrat der Klasseninteressen heraus) geschah, sondern sich aus der kritischen Reflexion im Sinne des historischen Materialismus selbst ergab.

Bereits 1931 erkannte das Institut für Sozialforschung in Frankfurt unter der Leitung von Max Horkheimer die Notwendigkeit, sich vom Marxismus entfernen zu müssen, um das kritische Denken mit Marx weiterführen zu können. Die Erfahrungen der in Deutschland gescheiterten Revolutionen der Jahre 1918/19 ließen die Mitarbeiter des Instituts am ökonomistischen Modell des Marxismus zweifeln. Während Marxisten seit dem Tode Marx damit begannen, am marx‘schen kategorischen Imperativ zu schleifen und mit der Sowjet Union sich ein Herrschaftsapparat auf den Marxismus berufen konnte, hielten sie umso mehr am kategorischen Imperativ Marx‘ und der Notwendigkeit des Umwerfens aller Verhältnisse fest.8 Die neue inhaltliche Ausrichtung des Instituts nahm die Kultur, die Psychologie des Individuums und den politischen Parlamentarismus als Sphären, innerhalb deren sich die kapitalistischen Verhältnisse fetischisieren, in den Blick. Da die Mitglieder des Instituts die marx‘sche Kritik des Kapitals nicht in Frage stellten, waren sie überzeugt, dass die Gründe für das Ausbleiben der Weltrevolution in dieser Fetischisierung liegen müssen. Als – nicht nur im theoretischen Wortsinne – diesbezüglich wegweisend können die von Fromm geleiteten Studien über Autorität und Familie gelten. In einem Gespräch erinnert sich Leo Löwenthal:

„Und als wir die Resultate bekamen, das war wohl Anfang 1931, da ist uns das Herz in die Hose gefallen. Denn auf der ideologischen Oberfläche waren diese guten Sozialdemokraten und linke Zentrumswähler alle sehr liberal und republikanisch, aber auf einer tieferen, psychologischen Stufe war der größte Teil ganz autoritär, mit Bewunderung für Bismarck und strenge Erziehung […]. Anstatt diese Studie damals weiter zu betreiben, haben wir uns gesagt: Um Gottes willen, was wir hier in Deutschland geschehen? Denn, wenn das schon das psychologische Make-Up der fortgeschrittensten Kreise der deutschen Bevölkerung ist, wo doch dort der Widerstand verankert sein müsste gegen das offenbar unaufhaltbare Anrollen des Nationalsozialismus, dann gibt es hier kein Halten mehr. […] Wir haben also ganz bewusst eine Politik der Emigration getrieben, einige Jahre bevor irgendein Mensch daran gedacht hat.“9

Hinter der frühen Entscheidung für die Emigration steckt die Ahnung, dass in Deutschland eine Entwicklung in Gang gesetzt wurde, die sich von der anderer (kapitalistischer) Staaten entscheidend unterscheiden könnte, nämlich, dass die Fetischisierung und Ideologie hier zu anderen Konsequenzen innerhalb der Krisen des Kapitals – zu anderen Krisenlösungen – führen würden. Dieser damals überlebensnotwendige Pragmatismus10 erkennt in der „bürgerlich-liberalen Gesellschaft und ihren ideologischen Formationen ist durch das Aufblitzen des Anspruchs auf Verfolgung des individuellen Glücks, wie rudimentär auch immer, ein Restbestand an Vernunft, immanent.“11 In der Zeit des Exils verschärfte sich diese, dem Pragmatismus zu Grunde liegende, Erkenntnis immer weiter. Dabei lauerte natürlich auch die Gefahr der Affirmation dieser Verhältnisse. Doch, so erklärt Stuart Jeffries in seiner Biographie der Frankfurter Schule, „they couldn‘t help comparing the Third Reich to that other oppressive empire on their doorsteps, Hollywood. […] It was Hollywood‘s values, as much as Hitler‘s, that the Frankfurt School challanged in their Californian Exile. But isn‘t it ludicrous to compare the Third Reich to Hollywood?“12

Die Unterscheidung zwischen Vergleich und Gleichsetzung ist hier entscheidend. Nur der Vergleich von Nationalsozialismus und amerikanischer Kulturindustrie ermöglicht die Erkenntnis, dass auf der einen Seite „wie entstellt und instrumentalisiert auch immer, das aufklärerische Versprechen auf Individualität, Freiheit und Glück immer noch vorhanden“13 ist – wenn auch die Tendenz hin zu deren Auslöschung existiert. Während auf der anderen Seite eine „zur lückenlosen Totalität zusammenschließende gesellschaftliche Formation, deren Brechung nur noch von außen möglich ist“ existiert.14 Es sind diese Unterschiede „der nationalen Geschichte“15, von denen Langerhans in seiner Analyse des Staatssubjekt Kapitals spricht, die in der Krisenbewältigung einen Unterschied ums Ganze bedeuten.16 Er unterscheidet zwischen einer bürgerlichen Gesellschaft und einer Vergesellschaftung, in der es möglich ist, ihre notwendigen Widersprüche in der Massenvernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen zu synthetisieren, so dass auf sie die klassischen Begriffe der Ideologiekritik nicht mehr greifen: „An die Stelle der klassisch bürgerlichen Ideologie tritt eine gesinnungsethische Weltanschauung, die zunehmend unfähig ist, Erfahrung zu Theorie zu sublimieren, ja überhaupt Erfahrung zu machen. Diese Weltanschauung ist dadurch charakterisiert, dass die Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse immer nur in das Raster bereits vorher bestehender gesinnungsethischer Kategorien gepresst wird, um so permanent das eigene Weltbild zu bekräftigen.“17

Als kommunistisch kann Kritik nur gelten, wenn sie vom marx‘schen kategorischen Imperativ ausgehend, sich zum Ziel setzt: „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“18 Sie darf dabei jedoch nie die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit aus den Augen verlieren. Das ist zunächst einmal das Überleben desjenigen, der Imstande wäre sie auszusprechen und damit die Existenz einer Gesellschaft, welche ihn als Nichtidentisches nicht wortwörtlich liquidiert (wie es im NS geschehen ist): „Ohne die Ideen von Freiheit und Individualität ist der Begriff der Humanität, der über die Immanenz der Gesellschaft sich erhebt, überhaupt nicht zu denken.“19

II: Die soziale und die nationale Sache.

Die Errichtung eines marxistischen Herrschaftsapparates ist nicht ohne ein Degeneration der marx‘schen Kritik zur sozialdemokratischen Theorie des Marxismus-Leninismus zu haben. In dieser wird – regressiv hegelianisch – statt einer befreiten Gesellschaft ein sozialer Staat der Zukunft als Ende der Geschichte gesetzt; statt des befreiten einzelnen Individuums (die Bedingung der befreiten Gattung) wird vom befreiten Volk geträumt. Die kapitalistischen Verhältnisse des Staates und dessen Staatsvolk bleiben so fetischisiert. Wie fortgeschritten diese Fetischisierung 1933 bereits war, zeigt das historische Versagen der Arbeiterklasse angesichts des nationalsozialistischen Massenmordes. Gemeint war dabei KPD und SPD: „der Glaube an den progressiven Charakter der Massen, der sozialdemokratischen Zukunftsoptimismus, der den sozialdemokratischen Marxismus der zweiten Internationale mit dem Marxismus-Leninismus der dritten, Kommunistischen Internationale verband, und das Bekenntnis zur Nation.“20 Es verwundert angesichts dessen nicht, dass die zerstrittene Sozialdemokratie vor allem in der Aufgabe der Abwehr eines, beim alliierten Sieg drohenden, „zweiten Versailles“ zusammenrückte. So wenig es verwundert, so erschreckend bleibt es doch. Der traurige Höhepunkt ist hier sicherlich Brauer, der ehemalige sozialdemokratische Bürgermeister von Altona, der angesichts der Pläne zur alliierten Militärherrschaft sagte: „If this system is to be imposed on the German people I would say: fight to the death, Germans; it is better than to accept this straitjacket.“21

Auch die größte Sorge von Curt Geyer, bis 1941 Chefredakteur des sozialdemokratischen Neuen Vorwärts und Teil des SPD-Parteivorstandes, galt einmal dem Schicksal des Vaterlandes und dem „Kampf gegen die Formel: ceterum censeo, Germaniam esse delendam.“22 Im Zweiten Weltkrieg sah der Chefredakteur in erster Linie noch den Kampf zwischen Nationen und forderte, dass die deutsche politische Emigration „keine Fremdenlegion, die fremden Nationalismen gegen den wahnsinnig gewordenen deutschen Nationalismus“23 diene, sein solle. Zumindest vertrat er dies zu seiner aktiven publizistischen Zeit beim Neuen Vorwärts. Am zweiten März 1942 wurde jedoch das Manifest der „Fight for Freedom“-Gruppe veröffentlicht, das erklärte:

„Unser Mitunterzeichner Curt Geyer ist aus dem sozialdemokratischen Parteivorstand ausgeschieden, um Handlungsfreiheit als Sozialdemokrat im Wirken gegen jene Richtung der deutsche politischen Emigration zu haben, die offen oder versteckt gegen die einseitige Abrüstung Deutschlands agitiert, und weil er im sozialdemokratischen Parteivorstand nicht mehr eine Basis für diesen Kampf erblickt.“24

Die Gruppe arbeitete von nun an mit Lord Robert Vansittart zusammen, einem der aktivsten Gegner der Apeasement-Politik und Namensgeber der als Vansittarismus bezeichneten Position, die den Nationalsozialismus als Verschmelzung von Staat, Regierung und Bevölkerung begriff. Die Sozialdemokraten versuchte über den „Fight-for-Freedom“-Verlag die britische Bevölkerung über die Besonderheit deutscher Zustände aufzuklären. Sie gingen der Frage nach, warum der Nationalsozialismus ausgerechnet in Deutschland an die Macht kam. Mit groß angelegten Fallstudien sollte die politische Entwicklung in Deutschland analysiert werden und die Verwurzelung des Nationalsozialisten in der deutschen Bevölkerung deutlich gemacht werden. Es ging ihnen, wie sie in ihrem Manifest schrieben, um „die Wahrheit über Deutschland“.25 Und zu dieser gehörte für sie:

„daß der deutsche aggressive Nationalismus die mächtigste politische Kraft im deutschen Volke darstellt, daß er schon vor 1914 und heute erst recht alle gesellschaftlichen Klassen und politischen Parteien erfaßt hat;

daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Führung der Gewerkschaften von 1914 bis 1918 eine wesentliche Stütze des Kriegswillens des deutschen Volkes waren;

daß die Sozialdemokratische Partei im November 1918 keine Revolution gegen den deutschen Nationalismus, nach dem Zeugnis ihrer Führer überhaupt keine Revolution wollte;

daß die Geschichte der Weimarer Republik beweist, daß die nationalistische Tendenz in der Sozialdemokratischen Partei und in den Gewerkschaften fortdauerte;

daß sozialdemokratische Führer eine Politik der deutschen Machtausweitung betrieben haben;

daß die Sozialdemokratische Partei und die Leitung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes eine nationalistische Propaganda gegen den Versailler Vertrag geführt haben, und zwar um so lauter, je energischer die Rechtsparteien den Versailler Vertrag zur psychologischen Vorbereitung des Revanchekrieges benutzt haben;

daß Hitler nicht ein Zufall ist, sondern daß er von der größten Massenbewegung der deutschen Geschichte in die Macht getragen worden ist, und daß seine Regierung eine Mehrheit in Volk und Parlament hatte;

daß der politische Wille des deutschen Volkes sichtbar wird im deutschen Volksheer, das den Sieg will;

daß der Krieg in Deutschland unterstützt wird von einer überragenden Mehrheit des deutschen Volkes.“26

Die Gruppe weigerte sich damit vehement, das deutsche Volk und auch die deutsche Sozialdemokratie frei von Schuld zu sprechen. Sie bestanden wider den Glaubenssätzen der Sozialdemokratie auf die Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus als negative Aufhebung der Klassen als mörderische Volksgemeinschaft den Sozialpakt real praktizierte und ihm gerade nicht mit einer sozialdemokratischen „wirklichen Volksgemeinschaft“ beizukommen sei. Gerade in der Kombination aus politischem Burgfrieden und ökonomischer Generalmobilmachung des Ersten Weltkrieges begriffen sie – wie auch Langerhans – den Beginn des Durchbruchs einer neuen Gesellschaftsordnung:

„Die Weltkrisen haben Kapital und Staat, jene beiden Seiten des gesellschaftlichen Grundverhältnisses Lohnarbeiter-Kapitalisten zu einem einzigen Schutzpanzer eingeschmolzen, um deren Fortbestand zu sichern. Aus dem automatischen Subjekt Kapital mit dem Garanten Staat als besonderem Organ ist das einheitliche Staatssubjekt Kapital geworden. Der Staat ist heute mehr als der bloß »ideelle« Gesamtkapitalist, was in seinen vermehrten Funktionen zum Ausdruck kommt.“27

Zu dieser Gesellschaftsordnung streben als Tendenz zwar alle kapitalistischen Staaten, aber nur im antisemitischen Massenmord der deutschen Volksgemeinschaft konnte sie verwirklicht werden.28 Dies war die materialistische Erweiterung der Positionen des Vansittarismus zum sogenannten „German Problem“, die in einer siebenteiligen Radioserie auf BBC und dem Buch Black Record dargelegt wurden. Als Materialisten konnte die „Fight-for-Freedom“-Gruppe Aussagen wie „He has always been the barbarian, the war-lover, the enemy-furtive or avowed-of humanitarianism, liberalism and Christian civilisation;“29 nicht zustimmen, gingen diese doch von einer zweitausendjährigen Kontinuität aus. Sie erkannten, trotz der unzureichenden Begründung Vansittarts: „Das Ergebnis aber ist richtig.“30

Nach und nach konnte Vansittart und die „Fight-for-Freedom“-Gruppe die britische Öffentlichkeit und auch die Politik überzeugen, sodass nicht nur Churchills Regierungskabinett, sondern selbst die oppositionelle Labour-Party umschwenkte und einen sozialistischen Vansittarismus befürwortete. Nicht zuletzt die militärische Strategie von Sir Airchief Marschall Arthur Harris war in besonderem Maße durch die Überlegungen Vansittarts und der „Fight-for-Freedom“-Gruppe geprägt. Ehe es von Goebbels im Sportpalast offen ausgesprochen wurde, hatten Vansittart und die Gruppe erkannt, dass es in diesem Krieg keine Zivilisten mehr gibt. Nach dieser Erkenntnis handelte Bomber Harris:

„In dem Dresden, das Harris bombardierte, gab es keine Klassen mehr, sondern die Volksgemeinschaft, damit eine grandiose Lüge, die die Nazis praktisch wahr gemacht hatten. Der Nazifaschismus war die Transformation einer wie immer konfliktuellen, tendenziell antagonistischen Klassengesellschaft in das geschlossene Mordkollektiv. […] Diese überaus negative Aufhebung der Klassengesellschaft war ein Projekt des deutschen Kapitals gewesen, seit dem Centralverein zur Hebung des Wohls der arbeitenden Klassen, seit Max Webers Gesellschaft für soziale Reform, seit Eduard Bernsteins Sozialdemokratie, seit Walther Rathenaus Idee einer “Entproletarisierung mit kapitalistischen Mitteln”. Als eine bürgerliche Politik war dies Projekt ideologisch, zum Scheitern verurteilt; erst Hitlers Programm der “Nationalisierung der Massen” verwirklichte es als die blanke Barbarei der “Deutschen Arbeitsfront”, als Barbarei nicht allein im moralischen oder metaphorischen Sinne, sondern als Begriff einer qualitativ neuen, im Aufstiegsplan der Menschheit von der Urgesellschaft zum Kommunismus absolut nicht vorhergesehene und absolut nicht vorhersehbaren Gesellschaftsform.“31

III: Das Erkennen des Minimums an Freiheit

Nicht alle der im Exil dem ehemaligen Frankfurter Institut angehörenden waren so hellsichtig wie Löwenthal. Die Erkenntnis der für Juden und Kommunisten lebensbedrohlichen Spezifika deutscher Ideologie war ein Resultat der Erfahrung im Exil. Die deutschen Besonderheiten wurden zunächst weit mehr erahnt, als erkannt oder durchdrungen. Teilweise hegten vor dem 30. Januar 1933 zum Beispiel Franz Neumann und Otto Kirchheimer durchaus Sympathien für die theoretischen Erwägungen des späteren Nazikronjuristen Carl Schmitt – vermutlich resultierend aus derselben sozialdemokratischen Position, wie die Curt Geyers. Die bedeutenden Erkenntnisse, dass das Recht in seiner formalen negativen Allgemeinheit auch ein „Minimum an Freiheit [garantiert], da die formale Freiheit zweiseitig ist und auch so den Schwachen wenigstens rechtliche Chancen einräumt“32, kam Neumann erst im Exil.

Die von Carl Schmitt vorgebrachte vermeintliche Kritik des abstrakten Rechts, als „funktionalistische Wertneutralität mit der Fiktion gleicher Chancen für unterschiedslos alle Inhalte, Ziele und Strömungen“33, enthält durchaus einiges an Wahrheit über den Charakter des Rechts, wie sie auch von Eugen Paschukanis erkannt wurden. Während letzterer jedoch die kommunistische Notwendigkeit vom Absterben des Staates sah, als Folge des immanenten antinomischen Charakters der Rechtsform, proklamierte der an staatlicher Souveränität festhaltende Schmitt einen „Liberalismus mit umgekehrten Vorzeichen.“34 Denn der sowjetische Jurist Paschukanis, der seine Kritik der Rechtsform aus der marx‘schen Analyse der Warenform entwickelte, hatte einen Begriff der Wertform, der es ihm ermöglichte, sich nicht auf einer Seite der Antinomie zu schlagen, sondern ihre Ursache zu kritisieren. Rechtskritik, die ohne diese Erkenntnisse auskommt, ist notwendigerweise eine konformistische Rebellion, die an ökonomischen Realitäten festhält und gegen deren Symptome in den Kampf zieht. Wie Paschukanis begreift auch Neumann die Rechtsperson als „die ökonomische Charaktermaske des Eigentumsverhältnisses“35, die nichts davon ahnen lässt, dass wegen und nicht trotz der rechtlichen Gleichstellung der Unternehmer über den Arbeiter verfügt.

Im Exil emanzipierte sich Neumann in gewisser Weise von seinen Sympathien für Carl Schmitt und erkannte die Antinomie des Rechts als Bedingung der Unterwerfung und Emanzipation von unmittelbarer Unterdrückung zugleich: „Sie genau in dieser Zwieschlächtigkeit und in diesem Widerspruch nicht zu sehen, mag als radikalere Kritik erschienen und ist in Wahrheit das Gegenteil: Übergang zur Barbarei, die das Individuum mit dem Kapitalverhältnis beseitigen, direkten Zugriff auf seinen Leib wiedergewinnen möchte.“36 In seiner groß angelegten Analyse des Nationalsozialismus Behemoth arbeitet Neumann dieses Bewusstsein der Zwieschlächtigkeit und ihre negative Aufhebung im Nationalsozialismus ebenso sehr heraus, wie in seinen späteren Arbeiten für das Office of Strategic Service. Mit denen er Einfluss auf die amerikanische Kriegspolitik nahm.

IV: Theorie und Kritik

„While Adorno and Horkheimer remained in California during the Second World War, several other members of the Frankfurt School went to work for the US government in Washington to help with its anti-war effort. The Institute for Social Research could as a result cut its wage bill. Viewed from the other side of the Cold War, it may seem surprising that a group of apparently neo-Marxist revolutionaries was invited to the heart of the American government. But Leo Löwenthal, Franz Neumann, Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer and Friedrich Pollock were all hired, because as recent Jewish exiles from Germany, they knew the enemy intimately and so could help in the fight against fascism.“37

Die Notwendigkeit diesen Pragmatismus hier überhaupt zu behandeln, obwohl er als Antifaschismus eigentlich selbstverständlich für jedwede Form kommunistischer Kritik sein sollte, zeigt sich insbesondere, wenn man einen Blick auf Protagonisten der Proteste 1968 wirft. Denn als dieser war sich Daniel Cohn-Bendit nicht zu blöd, immer wieder einen Vortrag Herbert Marcuses in Rom zu unterbrechen, um zu fordern, dass sich dieser zu seiner Tätigkeit als CIA-Agent während des Zweiten Weltkriegs äußern solle. Davon abgesehen, dass die CIA während des Zweiten Weltkriegs nicht existierte, zeugt diese Intervention von einer ganz besonderen Ignoranz gegenüber den Spezifika historischen Konstellationen. Aus dem Vietnamkrieg folgt für ihn und viele andere auf die 68er-Tradition Verpflichtete, dass gegenüber der USA – unabhängig der spezifischen Situation – nur oppositionelle Haltung einzunehmen ist und jedes Mittel richtig zu sein scheint.38

Marcuse und die anderen Mitglieder des Instituts hingegen erkannten, dass in Zeiten der Unmöglichkeit von Kritik als revolutionäre Praxis, Theorie in ihrer akademischsten (vulgo bürgerlichsten) Form einen Beitrag dazu leisten konnte, die Bedingung der Möglichkeit von Kritik zu erhalten. Die militärische Zerschlagung des Nationalsozialismus war eben diese Bedingung der Möglichkeit. Der Unterschied zwischen Theorie und Kritik ist entscheidend für das Verständnis dieser besonderen historischen Konstellation, auf die sich antideutsche Kritik bis heute beruft und auch berufen muss.

„Die Frage was Theorie sei, scheint nach dem heutigen Stand der Wissenschaft keine großen Schwierigkeiten zu bieten. Theorie gilt in der gebräuchlichen Forschung als ein Inbegriff von Sätzen über ein Sachgebiet, die so miteinander verbunden sind, dass aus einigen von ihnen die übrigen abgeleitet werden können. Je geringer die Zahl der höchsten Prinzipien im Verhältnis zu den Konsequenzen, desto vollkommener die Theorie. Ihre reale Gültigkeit besteht darin, dass die abgeleiteten Sätze mit tatsächlichen Ereignissen zusammenstimmen.“39

Theorie erklärt, benennt, vereinfacht, stellt dar und beleuchtet den gegenwärtigen Zustand der Welt. Sie ist „das Kommandieren der Wirklichkeit in Gedanken“40 und der Versuch sich die Wirklichkeit gedanklich untertan zu machen. Materialistische Kritik dagegen „bemängelt, dass das, was nach Maßgabe der Logik vom Menschen nicht begriffen werden kann, sie gefälligst auch nicht zu beherrschen hat.“41 Kritik hat, als „unbeweisbare Intention darauf, dass dieser historische Moment eintreten möge“42, das Ende seines Gegenstandes zu antizipieren. Der Unmöglichkeit den Wert und seine Erscheinungsformen theoretisch zu fassen und auf einen Begriff zu bringen begegnet sie mit rein destruktiver Absicht.43 Der Unmöglichkeit die Spaltung der Gattung in Herrscher und Beherrschte logisch zu rechtfertigen, begegnet sie mit der Denunziation all dessen, was „die Selbstbestimmung des Einzelnen oder der Gattung torpediert“.44 Dabei ist sie „kein Organ und kein Agent, sie hat keine historische Mission und sprichst erst Recht nicht im Namen des Volkes oder der Massen.“45 Sie ist und bleibt gänzlich destruktiv. Kritik verwendet jeden ihrer Begriffe in der Absicht ihn abzuschaffen. Das macht Kritik aber auch ohnmächtig gegen Wehrmacht und Luftwaffe, Auschwitz und Birkenau, SA und SS. Das heißt, in Momenten, in denen sich die logische Unmöglichkeit des Kapitals historisch im Zusammenbruch offenbart und der Staat als Nothelfer auf den Plan tritt, um das Kapitalverhältnis in der Vernichtung zu retten, musste die Kritik als zweckrationale Theorie den Staats- und Militärapparat der Vereinigten Staaten und Groß Britanniens dazu bewegen, ihr Möglichstes zu tun, um dies zu beenden.

Aus der Durchdringung dieser Momente und Konstellationen erwächst der Pragmatismus der (antideutschen) Kritik. Der Reflexionspunkt Auschwitz betrachtet dabei nicht nur die Konstitution des Nationalsozialismus als negative Aufhebung der Klassen, sondern auch das historische Versagen der Arbeiterklasse und der kommunistischen Parteien. Während Stalinisten zunächst der Doktrin des Hitler-Stalin-Pakts folgten und Trotzkisten gegen die imperialistischen Streitmächte der West-Alliierten agitierten, war Georg Elser das einzige proletarische Subjekt in Deutschland, dass versuchte mit Waffengewalt die Juden vor dem Nationalsozialismus zu schützen. Die antideutsche Kritik ist die kommunistische Kritik, die das reflektiert, die kommunistische Kritik, die das nicht reflektiert, scheitert an ihrem eigenen Anspruch. Es kann keinen Materialismus geben, der nicht antideutsch ist.

Post scriptum:

Anders als Cohn-Bendit oder die Anhänger eines marxistischen Dogmatismus meinen erkannt zu haben, determinieren die Situation in den Vereinigten Staaten und die Blockkonfrontation mit der Sowjetunion nicht die Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg. Ursächlich dieser fatalen Analyse ist ein aus seinem Zeitkontext gerissener Leninsche Imperialismusbegriff – inwieweit dieser Gültigkeit während und nach dem Ersten Weltkrieg hatte, ist hierfür irrelevant – der zum Dogma das Antiamerikanismus degenerierte. Vor lauter Imperialismus verschwimmen die Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und USA. Im Wahn dieser antiimperialistischen Gleichsetzungen fallen – nicht nur für Ulrike Meinhof – dann auch Auschwitz und die Bombardierung Dresdens in eins und mit Willy Brandt wird Vansittart zum Rassentheoretiker erklärt.

(An anderer Stelle wird mehr darauf einzugehen sein, inwieweit diese Reflexionen von denen wir hier sprachen zum Jargon verkommen sind und die falsche Freiheit als solche im Namen der antideutschen Kritik affirmiert wird. An dieser Stelle nur so viel: die Aufklärung hat eine Dialektik, wer diese zu einer Seite hin auflöst verweigert sich der radikalen Kritik und betreibt Spiegelfechterei. Egal ob unter dem Label „links“ oder „rechts“, jede Abkehr von der Einsicht in die Dialektik der Aufklärung ist ein Verrat an der antideutschen Kritik.)

  • Fußnoten:

1Unter dem Namen: Kritik der Traditionen und Traditionen der Kritik werden in den nächsten Wochen insgesamt vier Aufsätze erscheinen, die versuchen eine Art Einführung in die antideutsche Kritik zu liefern. Einführung möchten wir dabei jedoch nicht im akademischen Sinne verstanden wissen, wo die grundsätzlichen Begriffe erarbeitet werden sollen, um sie in den eigenen Theoriebaukasten aufnehmen zu können, mittels dessen Hilfe man sich und seinen Dozierenden die Welt begreifbar macht. Im Unterschied zur Theorie existiert Kritik nur als permanent zu erneuernde Verneinung, die von jedem selbst aktiv vollzogen werden muss. Dementsprechend können diese Einführung nur die Denkrichtung einer Kritik andeuten.

2Marx, Karl: An Abraham Lincoln: http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_018.htm

3Seite 61, Herz, Carl: Der Patriotismus verdirbt die Geschichte. In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom.

4Siehe dazu den ersten Text dieser Reihe: https://antideutschorg.wordpress.com/2018/11/05/wertarbeit/ oder Dahlmann, Manfred: Antideutsch: https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/dahlmann-antideutsch/

5Seite 52, Marx und Engels Gesamtausgabe (MEGA) Band 5.

6Hinter dieser gedanklichen Trennung steckt der Gedanke, dass Kritik des Kapitals nur in voller Negativität zu haben ist und „alle Verhältnisse“ verneint, während eine Theorie der proletarische Revolution auch ungleichzeitig und in temporären Bündnissen denken muss. Wir hoffen das diese Überlegungen im Laufe des Textes noch deutlicher werden.

7Marx, Karl: der nordamerikanische Bürgerkrieg: http://www.mlwerke.de/me/me15/me15_329.htm und: an Abraham Lincoln: http://www.mlwerke.de/me/me16/me16_018.htm

8„Die Kritische Theorie, diktierte Max Horkheimer 1937, ist „ein einziges entfaltetes Existentialurteil“. Das Marxsche Denken wurde so bestimmt als die materialistische Kritik der Gesellschaft und – im genauen Gegensatz zu Theorie, Wissenschaft oder Philosophie – gesetzt als das geistige Organ des „kategorischen Imperativs“, keine Ausbeutung und keine Herrschaft zu dulden. Denn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen wie die Herrschaft des Menschen über den Menschen bezeichnen den Skandal des Selbstwiderspruchs der Gattung, ihrer Verkehrung in antagonistische Nicht-Identität; ein Tatbestand, für den es nur historische Legitimation, keinesfalls vernünftige Argumentation geben kann. Vernunft als Kritik setzt sich im Gegensatz zu Verstand als Theorie, die, als Rationalisierung, die Ideologie zum System der positiven Wissenschaften erhebt.“ Aus Bruhn, Joachim: Adornos Messer: http://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/Adornos_Messer.pdf

9Seite 312, Löwenthal, Leo: Schriften Band 4.

10Das sich der Pragmatismus gegenüber den USA auch und vor allem aus dem Streben nach Selbsterhaltung erklären lässt, sagt dabei einiges über den Stellenwert des Individuums innerhalb der Kritischen Theorie aus.

11Seite 229, Gruber, Alex: Deutschland – Amerika. Die kritische Theorie im Kampf gegen Nazideutschland und die Bedeutung der USA für die Kritik, in: Grigat, Spehan (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation – Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus.

12Seite 221ff, Jeffries, Stuart: Grand Hotel Abyss.

13Seite 229, Gruber, Alex: Deutschland – Amerika.

14Seite 230, ebenda.

15Seite 19, Langerhans, Heinz: Die nächste Weltkrise, der Zweite Weltkrieg und die Weltrevolution: http://theoriepraxislokal.org/imp/pdf/Langerhans.pdf

16Siehe zu Langerhans neben unserem letzten Text dieser Reihe (https://antideutschorg.wordpress.com/2018/11/05/wertarbeit/) auch Gerhard Scheit: Totalitärer Staat und Krise des Kapitals: http://www.gerhardscheit.net/pdf/TotalitaererStaat.pdf oder Jan Georg Gerber: Das Staatssubjekt Kapital – Heinz Langerhans und seine Gefängnisthesen: https://www.conne-island.de/nf/117/23.html .

17Seite 233f, ebenda.

18Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung: http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_378.htm

19Seite 227, Gruber, Alex: Deutschland – Amerika.

20Seite 12, Gerber, Jan & Worm, Anja: Die Legende vom „anderen Deutschland“ (Vorwort). In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom.

21Zitiert nach: Seite 67, Erklärung der „Fight-for-Freedom“-Gruppe vom 2. März 1942. In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom. Auch Online: https://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/geyer.loeb.et.al-fight.freedom_lp-1/

22Zitiert nach: Seite 22, Gerber, Jan & Worm, Anja: Die Legende vom „anderen Deutschland“ (Vorwort). In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom.

23Zitiert nach: Seite 22, Gerber, Jan & Worm, Anja: Die Legende vom „anderen Deutschland“ (Vorwort). In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom.

24Seite 69, Erklärung der „Fight-for-Freedom“-Gruppe vom 2. März 1942. In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom. Auch Online: https://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/geyer.loeb.et.al-fight.freedom_lp-1/

25Seite 65, Erklärung der „Fight-for-Freedom“-Gruppe vom 2. März 1942. In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom. Auch Online: https://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/geyer.loeb.et.al-fight.freedom_lp-1/

26Seite 65, Erklärung der „Fight-for-Freedom“-Gruppe vom 2. März 1942. In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom. Auch Online: https://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/geyer.loeb.et.al-fight.freedom_lp-1/

27Seite 19, Langerhans, Heinz: Die nächste Weltkrise, der Zweite Weltkrieg und die Weltrevolution: http://theoriepraxislokal.org/imp/pdf/Langerhans.pdf

28Siehe dazu auch den ersten Abschnitt des ersten Textes dieser Reihe: https://antideutschorg.wordpress.com/2018/11/05/wertarbeit/

29Aus dem Klappentext der englischen Ausgabe.

30Seite 61, Herz, Carl: Der Patriotismus verdirbt die Geschichte. In: Geyer, Curt & Loeb, Walter: Fight for Freedom.

31Bruhn, Joachim: Bomber-Harris und das Minimalprogramm der sozialen Revolution in Deutschland. Online: https://www.ca-ira.net/verein/positionen-und-texte/bruhn-bomber-harris/

32Seite 594, Neumann, Franz: der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft. In: Zeitschrift für Sozialforschung 6/1937. [Zitiert nach Scheit, Gerhard: Dialektik der Feindaufklärung. Siehe Fußnote 36.]

33Seite 90f, Schmitt, Carl: Legalität und Legitimität. [Zitiert nach Scheit, Gerhard: Dialektik der Feindaufklärung. Siehe Fußnote 36.]

34S. 235ff, Strauss, Leo: Anmerkungen zu Carl Schmitt. [Zitiert nach Scheit, Gerhard: Dialektik der Feindaufklärung. Siehe Fußnote 36.]

35Seite 587, Neumann, Franz: der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft. In: Zeitschrift für Sozialforschung 6/1937. [Zitiert nach Scheit, Gerhard: Dialektik der Feindaufklärung. Siehe Fußnote 36.]

36Scheit, Gerhard: Dialektik der Feindaufklärung. In: Bahamas 54. Online: http://www.gerhardscheit.net/pdf/dialektikDerFeindaufklaerung.pdf

37Seite 247, Jeffries, Stuart: Grand Hotel Abyss.

38Siehe dazu auch die Diskussion zwischen Dahlmann und Enderwitz über die USA, die wir im letzten Text behandelten: https://antideutschorg.wordpress.com/2018/11/05/wertarbeit/ .

39Seite 205, Horkheimer, Max: Traditionelle und kritische Theorie – Fünf Aufsätze.

40Seite 31, Initiative Sozialistisches Forum: der Theoretiker ist der Wert.

41Seite 113, Initiative Sozialistisches Forum: der Theoretiker ist der Wert.

42Seite 112, Initiative Sozialistisches Forum: der Theoretiker ist der Wert.

43Zur Ausführung dessen empfehlenswert: der Vortrag Warum Marxisten nicht lesen können von Joachim Bruhn (https://www.youtube.com/watch?v=VEMx6JI6U2w&t=904s) oder das Podium zwischen Michael Heinrich und Manfred Dahlmann auf dem antideutsche Wertarbeit Kongress zu den Implikationen der marxschen Kritik der politischen Ökonomie (http://audioarchiv.blogsport.de/2012/12/30/antideutsche-wertarbeit/).

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Antideutscher Katechismus

Herausgegeben von der
Assoziation Antideutscher Kommunisten ça ira 2003

Der antideutsche Katechismus erscheint anläßlich der antideutschen kommunistischen Konferenz „Gegen die antisemitische Internationale“, Berlin 6.-7. Juni 2003.

Das Original ist auf der Webseite des Verlags als PDF abrufbar.

Das Bild stammt von Joachim Sperl, 2014.

DRAMATIS PERSONAE

Ein Narr
Der Kommunist
Der Agitator
Der Volkstümler
Die Frauenrechtlerin
Der empfindsame Mann
Der Linke
Die Kritikasterin
Der linke Professor
Der Logiker
Der Provinzgelehrte
Der einsame Zeitungsverkäufer
Die Modedenkerin
Der brave Student
Eine Frau aus dem Publikum
Der Antideutsche
Der Feuilletonist
Die Berufsjugendliche

Prolog

Ein Narr.

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des antideutschen Kommunismus. Seine Kraft scheint ungeheuerlich, obwohl es noch stottert und stolpert. Es taucht in Gesprächen wieder und wieder auf, dort stiftet es Skepsis und Verunsicherung. Es hat schon manche Politgruppe gesprengt, manche Freundschaft und WG entzweit. Was vorher fest schien, wird von ihm durcheinander gewirbelt. Besonders Gewitzte wollen es einfach ignorieren, aber so schnell wird man es nicht los, denn die eigenen Zweifel zwingen einen, hinzustarren. Dann schlägt man schamhaft die Augen nieder, distanziert sich geschwind und denunziert es die Sitten zu verderben. Krampfhaft beteuert man, so kühn würde man selbst nicht denken, sondern schön Maß halten und die Extreme vermeiden. Und überhaupt sei das doch alles Wahnsinn. Der Grund für die Aufmerksamkeit ist mitnichten immer die Qualität der Kommunisten, sondern die Verworfenheit des Publikums. Man ahnt, daß sie selbst dann noch gegen einen recht haben, wenn sie irren sollten. Einer ist heute da und stellt sich dem Verhör. Antworten will er auf alle Fragen, dabei treiben sie ihm die Schamesröte ins Gesicht. Höflich will er bleiben, dabei gibt die Welt genügend Grund zum Zorn. Auf die Bühne treten soll schließ- lich doch, was nunmehr 80 Jahre schlief. Dies vorzubereiten ist sein Ziel, auf der Suche nach Menschen, die es teilen. Sehen wir, wie er sich schlägt.

Vorhang auf.

Der Kommunist.

Immer hereinspaziert, meine Damen und Herren! Nur zu. Heute stehe ich Rede und Antwort. Alle dürfen nörgeln, alle dürfen schimpfen, und sogar vernünftige Argumente werden angehört. Wer wirft den ersten Stein?

Der Agitator (für sich).

Ich, wer sonst, bin ich doch die Vorhut der Massen! Muß ich ihnen nicht ein leuchtendes Beispiel sein, wider den Opportunismus? Nur mutig voran!
(mit fiebriger, unheimlicher Energie.) Wie könnt Ihr, die Ihr euch Kommunisten nennt, nur so rückhaltlos hinter Israel stehen? Wißt Ihr denn nicht, daß Israel eine Klassengesellschaft ist wie jede andere auch? Die israelische Bourgeoisie unterdrückt die eigenen Arbeiter und hält sich zudem ein Billigproletariat in den besetzten Gebieten. Ständig redet ihr vom Antisemitismus, doch das ist allein ein Problem der Kleinbürger. Als Kommunisten sollten wir endlich das israelische und das palästinensische Proletariat auffordern, gemeinsam gegen ihre Herren zu kämpfen, heißen die nun Sharon oder Arafat. Die Grenze verläuft schließlich nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten. Ihr seid Kommunisten in Worten, Rassisten in Taten! Der Kommunist. Sehen Sie, in Zeiten, in denen die Arbeiterbewegung noch stark war und man sich Hoffnung auf die selbstbewußte Umwälzung der Verhältnisse machen konnte, war es verständlich, das Kommunisten wider den Zionismus stritten, der nationale Emanzipation forderte, wo längst die der Gattung anstand. Jedoch nachdem die kommunistischen Parteien versagten, in der Wirtschaftskrise kein Aufstand losbrach und schließlich die ganze Welt tatenlos zusah, wie die Deutschen die Juden ins Gas trieben, ist die Alternative von Kommunismus und Zionismus keine mehr. Namhafte Trotzkisten wie Isaac Deutscher haben dies eingesehen. Der Agitator. Ja, aber selbst der spätere Revisionist Kautsky hatte kritisiert, das der Zionismus nur auf ein „Weltgetto“ hinausläuft, das die zahlreichen einzelnen Gettos zusammenfaßt. Damit aber wird das Problem nur verschoben und der Antisemitismus reproduziert sich als Antizionismus auf höherer Stufenleiter. Ihr selbst sagt doch, das Israel der Jude unter den Staaten sei.

Der Kommunist.

In ihrem Eifer gegen uns, sagen sie dies eine mal die Wahrheit. Sie haben recht, nur ist dies kein Argument gegen den Zionismus. Fürchterlich genug, wenn nicht einmal angesichts der Taten der Deutschen die Menschheit so vor sich selbst erschrak, daß sie doch noch den Kommunismus angepackt hätte. Gerade weil die Menschen bis heute sich weigern, die Katastrophe überhaupt nur zu reflektieren, ist es doch ein Grund zur Freude, daß es den der Vernichtung Entkommenden gelang, sich einen eigenen Staat zu erkämpfen und so der Welt immerhin die Möglichkeit der bewaffneten Selbstverteidigung abzutrotzen. Sie haben vergessen zu erwähnen, daß das ‚Weltjudengetto‘ verteidigt wird.
Indem Sie weiter den modernen Antisemitismus zu einer Schrulle des Kleinbürgertums kleinreden, drücken auch Sie sich vor der Reflektion der Katastrophe. Vergessen ist der große Arbeiteraufmarsch am 1.Mai, bald nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Vergessen die freiwillige Gleichschaltung gleich am nächsten Tage. Es kann schon sein, daß die kleinen Bürger aus ihrer erbärmlichen Stellung zwischen dem einst exterritorialen Proletariat und der verfügenden Bourgeoise recht früh einen aggressiven Antisemitismus hervorbrachten. Aber der Gang der Geschichte hat gezeigt, daß der Antisemitismus als klassenübergreifender Reflex geeignet ist, die Herrschaft auch dann am Laufen zu halten, wenn sie durch nichts mehr zu begründen ist. So dient Ihre Phrase allein der Vernebelung. Der Charakter des Nationalsozialismus ist gerade der, daß alle Antisemiten waren und nicht bloß einige durchgedrehte Kleinbürger.
Desgleichen, wenn Sie starrsinnig die Revolution gegen die Bekämpfung des Antisemitismus ausspielen wollen. Aus Ihrer Agitation hätte ein Argument werden können, hätten Sie gesagt, daß nach wie vor nur die Inbesitznahme des Werkzeugs durch die sich assoziierende Menschheit und die damit einhergehende Erlangung des Bewußtseins den Antisemitismus verschwinden ließe. Aber dies steht in keinem logischen Gegensatz zum Gebot, daß sich Juden nach Auschwitz bewaffnet gegen die verteidigen können müssen, die sie ermorden wollen. Sie geben vor, die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse zu wollen, können aber schon in der Bekämpfung des eliminatorischen Antisemitismus nur eine rassistische Tat sehen, die davon ablenke. Vielleicht wirken Sie deshalb so seelenlos.

Der Agitator (dazwischenrufend). Natürlich sind wir gegen die Hamas und gegen die PLO, aber die Werktätigen selbst…

Der Kommunist (genervt).

Sicher, sicher, schön wäre es, die Palästinenser sorgten dafür, daß die Ausbildungsstätten für lebende Bomben geschlossen werden. Aber, solange sie ihre Kinder in solche Schulen stecken, ist es beruhigend, wenn die israelische Armee ein wenig auf der Hut ist.

Der Volkstümler (polternd).

Klassenkampf hin, Antisemitismus her, klar ist doch, daß Israel ein Bollwerk des Imperialismus darstellt, den Pfahl im Herzen des arabischen Volkes, das für seine Befreiung kämpft. Für euch Salonkommunisten mögen die Selbstmordattentate der Hamas und der PLO zu blutig sein. Aber das Elend, das Israel im Interesse des Weltimperialismus anrichtet, zwingt die Völker zu solchen Verzweiflungstaten. Revolutionen sind nun mal nicht so friedlich, wie Ihr Philister das euch wünscht. Das palästinensische und das arabische Volk will Frieden, und Israel verweigert ihn. Kommunisten sind in erster Linie Antiimperialisten, weil die soziale Befreiung überhaupt nicht möglich ist, wenn eine fremde Nation sowohl die einheimische Bourgeoisie wie auch das Volk unterdrückt. Mein Vorredner geht doch an der Realität völlig vorbei, wenn er verlangt, daß sich das Proletariat beider Nationen gegen die jeweilige Herrschende Klasse verbündet. Die Zionisten sind Profiteure des Imperialismus und deshalb im Zweifelsfall im Lager der jeweils Regierenden. Deshalb muß zuerst die arabische Volkseinheit gegen die zionistisch-amerikanische Aggression erkämpft werden.

(Gelächter im Raum.)

Der Kommunist.

Sieh an, da lacht selbst das Publikum und kann endlich einmal sich gemeinsam klüger wähnen.

Die Frauenrechtlerin (mit ostentativer Bestimmtheit).

Klassenkampf, Bekämpfung des Antisemitismus, Volkskrieg…! Ihr seid doch alle gleich. Mit eurem Militanzfetischismus dreht ihr nur an der Spirale der Gewalt. Dasselbe Potenzgehabe wie Arafat und Sharon, nur um wechselseitige Penetration und patriarchale Herrschaft geht’s: Ein uraltes männliches Prinzip, denn die Gewalt wird auf dem Rücken von Frauen und Kindern ausgetragen.

Der empfindsame Mann (höflich, etwas hastig).

Ja, ja, ja, genau, das ist das Problem, die Gewaltspirale, da muß man beginnen. Mal ganz konstruktiv: Warum unterstützt ihr nicht die Bewegung der Kriegsdienstverweigerer in Israel, also die, die als einzige gewaltfreie Konfliktlösungen thematisieren? Seit Beginn der letzten Armee-Offensive in der West Bank haben hunderte von israelischen und ausländischen Friedensaktivisten versucht, sich den Soldaten in den Weg zu stellen. Mit großem persönlichem Risiko haben TeilnehmerInnen der internationalen Solidaritätsbewegung sich selbst zu Geiseln gemacht, um Zivilisten zu schützen. Dies ist ein Zeugnis von außergewöhnlichem Mut und Selbstaufopferung. Gewaltfreiheit, das muß man lernen, z. B. von Ghandi. So hätte man vielleicht durch gewaltfreie Blockaden die Zerstörung der Flüchtlingslager verhindern können…

Die Frauenrechtlerin (aufbrausend).

…in denen die Menschen wie Tiere zusammengepfercht werden! Und dann kommen die Israelis und zerstören noch das Kleinste, was gerade die Frauen oft mit ihren eigenen Händen aufgebaut haben. Den Islam, den nennt ihr patriarchal, aber wer hat denn den gigantischen Militärapparat samt Atombombe?! Israel sponsored by USA and Germany! Wenn sich aber Menschen gegen den übergestülpten Staat wehren und ihr Leben selber organisieren wollen, dann steht ihr auf Seiten der harten Jungs, die mit Sonnenbrille cool auf ihrem Panzer sitzen und sich einen Dreck um die Kultur scheren, die sie. Das ist die Arroganz der Macht, patriarchal wie eh und je!

Der Empfindsame Mann (einstimmend).

Richtig! Aug’ um Aug’ macht alle blind!

Der Kommunist (trällert vor sich hin).

All the lonely people, where do they all come from…

Der Linke (zornig, aber bemüht, sich zu sammeln).

Jawohl, recht haben Eure Kritiker: Ihr seid dreckige Rassisten, Sexisten und Imperialisten! Sicher, ich bin auch gegen den judenfeindlichen Rassismus und gegen den deutschen Nationalismus. Aber Ihr sagt, daß das Böse aus Deutschland kommt und der „deutsche Weg“ zum globalen Weg wird. Was soll denn das bitte heißen? Daß die islamischen Fundamentalisten, auf die Ihr Euch eingeschossen habt, weil die angeblich nichts anderes wollen, als Euer Israel niederzutrampeln, alles Deutsche sind? Jetzt sollen also die Araber Deutsche sein, damit Ihr die besser hassen könnt. Das ist auch nichts anderes als theoretisch aufgemotzter antiarabischer Rassismus.
Fakt ist: Die israelische Armee unter ihrem nationalistischen Führer Sharon geht äußerst brutal und rassistisch vor. Liquidationen und Massaker sind die Normalität. Ich sag nur Sabra und Shatila. Wer wirklich solidarisch mit den Juden sein will, muß Israel für seinen selbstzerstörerischen und falschen Kurs kritisieren, statt den legitimen Antizionismus, welcher Kritik am jüdischen Rassismus ist, ständig mit dem antijüdischen Rassismus gleichzusetzen. Der Begründer des Zionismus, Herzl, argumentiert doch genauso völkisch wie später die Nazis.

Der Kommunist.

Sie geben sich nicht mal Mühe, ihre Schutzlüge, auch Sie seien gegen den deutschen Nationalismus, zu verdecken. Stellvertretend für die Deutschen nehmen Sie die von Deutschland und mittlerweile auch Frankreich protegierte islamische Reaktion in Schutz, nur um am Ende den Zionismus als nationalsozialistisch zu denunzieren. Es liegt offen zu Tage, daß dies reine Projektion ist, weil bekanntlich das Gründungsmanifest des Zionismus mit der Rassenideologie soviel zu tun hat wie die Zeitung mit der Wirklichkeit, also nichts. Doch was projizieren Sie, wenn nicht ihre eigenen verleugneten Wünsche. Was Sie bei den Antisemiten nicht sehen wollen, wähnen sie in Israel zuhause. Damit basteln Sie bereits jetzt an Ihrem Alibi; alles soll nur Notwehr gewesen sein.
Würden sie das von Ihnen angebetete Faktum tatsächlich anerkennen, so wüßten sie, daß das Zentrum des praktischen Antisemitismus nach 1945 in die arabischen Ländern gerückt und dort zum ideologischen Bindemittel der Massen geworden ist. Die Europäische Union changiert zwischen passiver Duldung und tatkräftiger Unterstützung des Antisemitismus; um noch größeren Schaden anzurichten, fehlt ihr bislang zum Glück die Macht. Noch zwingt die Überlegenheit der Vereinigten Staaten die Europäer zur relativen Zurückhaltung, auch wenn die Anführer der Friedensachse sich zuweilen so aufführen, als hätten sie es nicht nötig, die Machtverhältnisse auf der Welt zur Kenntnis zu nehmen. Gerade die offene Unterstützung antisemitischer Regime und Bewegungen zeigt aber, wohin die Reise gehen könnte. Sie aber können die Blaupausen künftiger Untaten nicht sehen, weil er Ihr bewußtlos angestrebtes Ziel offenbaren würde. Unsere Agitation müssen Sie deshalb als Aggression wahrnehmen, zu viel Kenntnisnahme der Welt würde Ihnen nicht wohl tun, Sie müssen sie aufgeregt abwehren.
Es…

Der Kritikasterin (ruft dazwischen).

Hört, hört, Ihr selbsternannten Kommunisten, Ihr könnt ja nicht einmal argumentieren. So klug wie unsere Klassiker von Marx bis Adorno seid ihr eben nicht. Selbst an den nie erwachsen gewordenen Rabauken Wolfgang Pohrt kommt Ihr nicht heran, sondern seid bloß in Euch selbst verliebte Imitationen. Die wirkliche Welt findet sich auch in Euren Worten kaum!

Der Kommunist.

Recht mögen Sie haben, Frau kritische Kritikerin – doch dann wird die hier von uns gestellte Diagnose noch besorgniserregender. Wenn die schimpfende Linke schon unseren manchmal tatsächlich groben Begriff von der Welt nicht aushält, wie wird er dann erst auf den unendlich feineren reagieren, den Sie einfordern und den Sie sicher in der Lage sind, wie ein Florett zu führen?

Der Kritikasterin (ruft noch einmal dazwischen).

Genau, aber solange ich nicht die ganze Theorie erarbeitet habe schweige ich lieber.

Der Kommunist.

Sicher, man sollte erst im Trocknen schwimmen lernen, ehe man ins Wasser steigt. (sammelt sich wieder.)
Aus den Beschimpfungen gegen uns spricht jedenfalls einzig die Abwehr gegen die Erkenntnis der Welt. Das eigene schwache Ich, das nur mit Mühe zusammengehalten wird, droht auseinanderzufliegen. Deshalb muß alles, was wir sagen, unter Bann gestellt werden. Kritisiert man die bornierten Völkergemeinschaften, so heißt das ‚Rassismus’. Unterscheidet man zwischen Wahn und Vernunft in den derzeitigen Machtverhältnissen, wird ‚Imperialismus’ geschrieen. Nimmt man die sinnliche Welt zur Kenntnis, schallt es zeternd von überall ‚Sexismus’. Selbst der Geschlechtsakt wird als Penetration denunziert, weil man längst aufgegeben…

Die Frauenrechtlerin.

Jetzt reicht es endgültig! Arroganter Phallogozentrist!

Der Agitator.

Rassist in Taten!

Der Volkstümler.

Imperialistenknecht!

Der Empfindsame Mann.

Denkt doch mal an Ghandi.

Die Linke.

Ihr penetriert die Völker, …

Die Frauenrechtlerin.

…wie ihr die Frauen penetrieren wollt!

Der Linke, der Volkstümler (im Duett kreischend).

Sabra und Shatila, Sabra und Shatila, Sabra…

(Ein Bierglas fliegt zum Podium und ein Stein fliegt zum Fenster hinein).

Rufe von draußen.

Juden raus!

Antwort draußen.

Das heißt jetzt ‚Zionisten raus’!

Der Narr.

Ein Auftakt nach Maß, aber jetzt gebt wieder Ruhe. Wir wollen doch hören, was er noch zu sagen hat, wenn er nicht gezwungen wird, den Psychiater zu mimen. (Er schnippst mit dem Finger, worauf sich die Lage beruhigt.)

Der linke Professor.

Schön, daß wieder Zivilität eingekehrt ist. Wir wollen uns doch als fähig erweisen, die intersubjektive Kommunikation zu pflegen. Also, ich als Marxist bin immer für den Knecht und gegen den Herrn. Die Palästinenser sind die Knechte, die sich mit Verzweiflungsterror zur Wehr setzen, und die Israelis die Herrn, welche die illegitime Besatzung immer weiter aufrechterhalten. Es gibt keine andere Lösung für den Frieden, als den Palästinensern endlich ihren eigenen Staat und damit eine Lebensgrundlage zu geben. Ihnen muß auch im Prinzip die Solidarität von uns Linken gelten in diesem Konflikt. Ihr aber rechtfertigt fern von jeder Realität in Israel jede Untat von Sharon & Co und denunziert in einem manichäischen EntwederOder-Denken jede demokratische Kritik an der Besatzung als faschistisch und antisemitisch, so als ob ihr Walsers erfundene Moralkeule wirklich schwingen wolltet. Es ist zwanghaft, wie ihr ständig die deutsche Geschichte bemühen müßt. Ihr verharmlost das Menschheitsverbrechen in Auschwitz, indem ihr die absolute Singularität von Auschwitz bezweifelt. Doch mit der Wirklichkeit im Nahen Osten hat dies wenig zu tun: Israel ist in seiner Existenz nicht bedroht. Seit seiner Gründung führt dieser Staat ständig Krieg gegen seine Nachbarn, besetzt Gebiete, bricht ohne Unterlaß UN-Resolutionen. Statt auf die Kriegstreiber muß die Linke deswegen auf die Kräfte des Friedens und des Dialogs setzen: Gush Shalom!, Uri Avnery, Hans Lebrecht, Moshe Zuckermann, Norman Finkelstein, Felicia Langer, Shraga Elam – das müßt ihr rezipieren, dort sind die Anschlußpunkte zu finden, wenn wir eine wieder erstarkte Linke haben wollen.

Der Kommunist.

Wenn sie sagen, daß Sie Marxist sind, dann nur in jener unsäglichen Tradition, die alle Stringenz aus dem marxschen Denken herausnimmt und beliebig einige Brocken in das ansonsten schön subjektive Weltbild integriert, um sich den Anschein von Radikalität zu geben, und dabei doch nur der immer gleiche triviale Konformist zu bleiben. Es braucht, um Sie zu widerlegen, nicht mehr als ein ‚manichäisches’ Denken. Für den Knecht, also das Proletariat, war Marx, weil er ihm zutraute, die freie Assoziation zu bilden. Sind die Knechte Antisemiten, warum sollte ein vernünftiger Mensch ihnen die Stange halten? Ihre vom Verhalten des ‚Knechts’ unabhängige und also generelle Parteinahme für den Knecht ist selbst so schablonenhaft, wie sie es uns unterschieben.
Sie nennen die Besatzung illegitim und nörgeln weiter, daß Israel UN-Resolutionen bricht – als ob der Völkerchor nicht ein gefährlicher Haufen wäre, den einzig die Bildung einer Front gegen die USA einigt. Die Besatzung ist weder illegal noch illegitim. Alle Staaten müssen die Staatsgründung nach außen verteidigen, solange sie nicht anerkannt werden. So mußte Napoleon zum Beispiel gen Rußland ziehen, den Hort der feudalen Konterrevolution. Das war weder legal noch illegal, sondern jenseits dieses Gegensatzpaars.
Den Vorwurf der Auschwitzverharmlosung kommt heute gerne von Leuten, die keine Rede eines Imam in Palästina zur Kenntnis nehmen und die Charta der Hamas nicht lesen wollen. Lassen wir dies und kommen direkt zu ihrem Sozialdemokratismus. Sie plädieren für ein Bündnis mit den abgeschmacktesten und traurigsten Vertretern der Zivilgesellschaft, die im Gegensatz zu den handfesten, also bewaffneten Argumenten Sharons überhaupt kein Konzept haben, schlimmer noch: die Probleme gar nicht benennen wollen und mit untrüglichem Instinkt auf der Seite der Reaktion stehen. Kein Zufall also, daß solche geltungssüchtigen Schufte wie Uri Avnery nur im feindlichen Ausland, insbesondere in diesem Lande, herumtingeln dürfen, während in Israel kein Hahn nach ihnen kräht. Daß die Friedensbewegung in Israel immer dann schwach wird, wenn der Konflikt eskaliert und die militanten Palästinenser einmal mehr ihr Desinteresse an Verhandlungen beweisen, ist nicht einfach nur mangelnde Standfestigkeit und Prinzipientreue, womit Sie es rationalisieren mögen. Vielmehr liegt der Grund in der naiven Realitätsuntüchtigkeit. Ein Erstarken des Kommunismus sich von der Zusammenarbeit mit diesen Tröpfen zu erhoffen wäre so, als ob man Ghandi in die Partei aufnehmen würde. Statt den Frieden zu postulieren müßten die Palästinenser sich gegen die islamische Massenverdummung und arafatische Autokratie zu Wehr setzt. Ihr Kampf hätte aber wie in Afghanistan und dem Irak nur mit der Unterstützung einer ‚fremden’, in diesem Fall der israelischen, Armee Aussicht auf Erfolg.

Der Logiker (ruft dazwischen.)

Jetzt reicht’s aber langsam! Wie könnt ihr als Kommunisten die Staatskritik aufgrund von Moralismus aufgeben? Kein Staat dieser Welt taugt dafür, die Solidarität mit ihm zu einem Imperativ werden zu lassen. Der Zweck eines Staates ist nicht der Schutz seiner Bevölkerung, sondern deren Unterordnung als sein Staatsvolk. Ihr macht staatsfromme Realpolitik, weil wir Kommunisten keine Macht bilden. Aber dann ist eben die Aufgabe, dies zu ändern.

Der Kommunist.

Es geht um Einschätzung der gegenwärtigen Kräfte, ohne die der Kommunismus nie eine Macht werden wird.

Der einsame Zeitungsverkäufer (wild.)

Dann schätze doch die Lage auch richtig ein! Wenn der große Kladderadatsch kommt, dann ist es endgültig mit der Realpolitik vorbei, es sei denn, Ihr wählt Hindenburg oder propagiert Mussolini statt Hitler. Unsere Lösung ist die soziale Revolution. Etwas mehr Vertrauen in die Kraft der Assoziation. Das Problem ist ja nur, das dieses Ziel niemand angeht.

Der Provinzgelehrte.

Genau! Von der Krise möchtet Ihr nicht reden, weil Ihr Kanalratten seid und ängstliche Muttersöhnchen aus den Metropolen, die sich an die Rockzipfel des Staates klammern. Ich aber habe die Krise!

Der Kommunist (etwas aus dem Konzept.)

Hm. Ohne die Feststellung, daß Kooperation mit der Besatzungsmacht einer ‚Friedenslösung’ ähnlicher sehen würde, als die Gründung eines mindestens protofaschistischen Elendsverwaltungsgebildes, wie es der linke Professor vorschlägt, kommen wir keinen Schritt voran. Nur weil es schlimm um die Welt steht, kann man nicht alles in eins fallen lassen und den Unterschied zwischen Gut und Böse tilgen.

Der Logiker.

Blabla. Sie betreiben linke Realpolitik und merken es nicht einmal. Ihre stets eingeforderte Parteilichkeit führt doch zur Realpolitik, die Sie ja angeblich so negieren. Statt mit Moral müssen Sie endlich mit Fakten und nüchterner Analyse der Verhältnisse anfangen, statt sich hoffnungslos in diese zu verwickeln! Was sich da im Nahen Osten abspielt, ist nichts anderes als Staatsterror gegen Staatsgründungsterror. Da muß man keine Position beziehen, weil beides gleich eklig ist. Die Israelis wollen eben den anderen keinen Staat gründen lassen, weil dies nur die Konkurrenz erhöhe. Und dann bomben sie mit ihrem Staatsinteresse halt lieber alles nieder, was sich da an Infrastruktur aufbaut. Und die Palästinenser wollen bessere Bedingungen, um sich besser auf dem Weltmarkt verwerten zu können. Die machen da halt, was sie müssen, um als Konkurrenzsubjekte überleben zu können. Der Fehlschluß aber ist, daß sie ans Personal ihrer Nation appellieren, dieses möge sie vor den Auswirkungen der Konkurrenz schützen und ihnen Arbeit und Wohlstand bereitstellen: So geht Rassismus. Wenn sich da Palästinenser mit selbstgebastelten Bombengürteln in Israel in die Luft sprengen, dann ist das eine besonders verzweifelte Reaktion darauf, daß die eben keinen Staat, keine Rohstoffe, kein Wasser und keine Waffen haben, was Israel alles ganz schön hat. Das ist der reichste Staat im Nahen Osten, weil die eben von den Amerikanern und ihrer Großmachtinteressenpolitik unterstützt werden. Worum es geht, ist die Kritik der politischen Ökonomie.

Der Kommunist.

Mit Verlaub, guter Herr, ich kenne Sie schon aus Ihren wahrhaft gegen-stand-pünktlichen Vereins- und Flugblättern: Sie nudeln allzeit das gleiche Programm herunter, dreschen immer die gleichen Phrasen, egal, um welchen Gegenstand der Kritik es gerade auch gehen mag. Freilich, Sie wähnen sich als die Inkarnation der Objektivität und über den Verhältnissen stehend. Und Sie haben recht: Sie stehen tatsächlich über den Dingen, die Welt bleibt Ihnen immer völlig äußerlich. Wir mögen uns manchmal verwickeln, aber anders als Sie versuchen wir, die Welt in der Welt zu kritisieren.
Ihrem Jargon, der nichts als der Index Ihrer verdinglichten Denkweise ist, mag außer ein paar Studenten niemand zuhören. Kein Wunder, ist es doch in der Tat recht langweilig, zunächst mit unermüdlicher und unendlicher Redlichkeit haufenweise Fakten zu sammeln, nur um sie dann anschließend in das immergleiche Gerüst einzupassen, welches vorab feststand und sich durch keinerlei Erfahrung ändern wird. Wie einst den alten Kirchenvätern dient ihnen der Blick in die Welt nicht etwa dazu, den kritischen Begriff zu schärfen, sondern es geht lediglich darum, das vorab als wahr Erkannte einmal mehr zu bestätigen. So folgt aus jeder Analyse nur, was Sie eh schon wußten – Staat ist Staat und Kapital ist Kapital und beides gleichermaßen böse. Mit dem Gestus des Allwissens seien Sie abstrakte Banalitäten daher und meinen, sich auf Marx berufen zu können. Marx hat aber mitnichten ein universelles System der Welterklärung aufgestellt, sondern vielmehr das Treiben der Welt danach beurteilt, ob es der von ihm antizipierten Emanzipation nutzt oder schadet.
Sie sagen, die Intifada sei eine normale Staatsgründungsbewegung, Israel ein normaler Staat. Business as usual. Beides nur Inkarnationen Ihrer verehrten Kategorien, die dann in schlechter Tradition einfach abstrakt verworfen werden, so daß im Zweifelsfalle (man denke nur an Jugoslawien) keine Position bezogen wird. Sie verharren in scheinbarer Indifferenz und sind darauf erstaunlicherweise auch noch stolz. Wohlgemerkt: Scheinbare Indifferenz. Denn wenn es um Israel geht, offenbart Ihre Gleichgültigkeit ihr wahres Gesicht, dann wird klar, daß Ihre Weltflucht nur dazu taugt, die schlimmste aller Möglichkeiten ideologisch zu verdoppeln.
Die eine Staatsgründung gibt es nicht und dementsprechend auch kein allgemeines Urteil, alles sei gleichermaßen eklig. Nur ein vergeßlicher Mensch vergißt über das gemeinsame Resultat etwa der deutschen und der französischen Staatsgründung die äußerst wichtigen Unterschiede zwischen der großen französischen Revolution und der Politik Bismarcks.
So vergeßlich aber schwatzen Sie, wenn Sie den jetzigen israelischen Staat gleichsetzen mit dem werdenden Palästina. Während die Israelis ihren erkämpften und funktionierenden Staat und damit ihr Leben verteidigen, kann Arafat nichts weniger gebrauchen als eine Gründung eines eigenen Staates für den die materielle Basis völlig fehlt. Was Sie – in Einklang mit Möllemann – Staatsterror nennen ist die praktische Emanzipation der Juden von der permanenten Vernichtungsdrohung. Was Sie Staatsgründungsterror nennen, hat nichts gemein mit der ursprünglichen Zentralisation der Staatsgewalt, sondern ist Aushängeschild der globalen Bewegung, die präventiv ihre spezielle Krisenlösung propagiert, in völliger Identifikation mit dem Aggressor. Palästina ist keine ordinäre Staatswerdung mit dem Ziel der nachholenden Industrialisierung. Dieser hilflose Versuch ist anderswo längst gescheitert und verworfen. Es geht um die restlose Liquidierung der bürgerlichen Freiheit, weil mit dieser im Krisenfall die sture Aufrechterhaltung der Herrschaft nicht vereinbar wäre. Während es der palästinensischen Bewegung um blutige Konterrevolution geht, verteidigt Israel die aus der bürgerlichen Revolution folgende Freiheit, ohne die keine weitere Emanzipation denkbar ist.
Wer diesen durchaus zentralen Konflikt durch die Einreihung des Zionismus als israelische Variante des allgemeinen Staatsterrors verschwinden läßt und die Palästinenser als ebenso normale Staatsgründungsbewegung verharmlost, der spielt den Antisemiten aller Länder in die Hände. Tatsächlich, Herr objektiver Kritiker, haben Sie sich mit Ihrer impliziten, wenn nicht expliziten Parteinahme gegen den Zionismus den zahllosen terroristischen Nationalbewegungen angeschlossen und damit längst eingereiht unter die vielen strammen Antikommunisten, deren Denken nichts mit Marxens Kritik der Verhältnisse zum Zwecke der Verwirklichung der befreiten Gesellschaft zu tun hat. Hinter Ihrem Antizionismus, welcher im Gewande einer reflektierten Kritik an allem Staatlichen daherkommt, steckt ein ganz gewöhnlicher Antisemitismus. Sie wollen nicht einmal sehen, daß allein die staatlich organisierte Gewalt die Juden vor der Hamas schützt. Sie und Ihre ganze Bagage wissenschaftlicher Begründer des Antizionismus unter dem staubigen Deckmantel der Ausgewogenheit und Objektivität sind Gegenstand vernichtender Kritik im Dienste des Kommunismus.

Die Modedenkerin.

Hier muß ich ihnen ausnahmsweise Recht geben, der Vorredner führt mit seinen abstrakten Allgemeinbegriffen tatsächlich einen totalitären Diskurs. Statt ständig Allgemeinheiten zu konstruieren und von Staat, Nation und so zu reden, muß man das Ganze als Text dekonstruieren. Der ganze Hegelsch-Marxsche Ballast muß über Bord. Aber Sie machen doch haargenau dasselbe. Ständig reden Sie von Juden und Palästinensern; ständig von Israel und Palästina. Aber Israel, das ist doch nicht nur Scharon, das ist auch die Friedensbewegung, und die Palästinenser sind doch nicht alles Antisemiten. Ihr Papst Adorno war da ja viel weiter. Anders als Sie glauben, wollte er mit seinem Nichtidentischen die totalitäre Identitätslogik durchbrechen und so die Vielfalt ermöglichen. Anstatt im binären Denken zu verharren, sollte man sich um eine differenzierte und multipolare Sichtweise bemühen. Aufgrund ihres kollektiven Traumas ist es verständlich, wenn viele Juden Israel primär als ihren Zufluchtsort vor dem Genozid sehen. Aus der Sicht vieler Palästinenser stellt sich die Geschichte jedoch anders dar: Für sie war die Staatsgründung Israels gleichbedeutend mit ihrer Vertreibung, der Nakba. Auch diese kollektive Erzählung ist legitim und muß anerkannt werden; nur so kann es Frieden geben. Aber Ihr arroganten Scharon-Linken verabsolutiert den eigenen Sprechort und setzt dreist auf Konfrontation.

Der Kommunist.

Und wenn einer sagt, in seinem Diskurs ergebe zwei plus zwei fünf, so könnten Sie dagegen auch nichts einwenden. Ihre Ablehnung des allgemeinen und gültigen Begriffs ist das Eingeständnis des intellektuellen Bankrotts, denn was ist Denken je anderes als das Ordnen der Mannigfaltigkeit der Sinneseindrücke durch ihre Fassung unter Begriffe? Ohne Begriffe bleibt im Kopf nur chaotischer Brei zurück.
Denken hat nur einen Sinn, wenn die Aussicht besteht, die begrifflich angeeignete Welt auch praktisch dem eigenen Willen gemäß zu gestalten. Je unbrauchbarer die Welt, je unfähiger die isolierten Produzenten, sich diese mit Lust anzueignen, desto verkrüppelter auch der Begriff der schlechten Sache. So stellte jüngst eine Studie fest, daß in Berlin fast die Hälfte der Schulanfänger mit deutschen Eltern zusätzlichen Sprachunterricht bräuchten, weil Sie nicht in der Lage sind, einen korrekten Satz in ihrer Muttersprache zu bilden. Anstatt diesen Zustand als menschenunwürdigen zu erkennen, gefällt Ihro Majestät Frau Robinson die Situation. Ihr Ideal ist das Irrenhaus, wo jeder seine höchst eigene Erzählung spinnen darf, ohne Angst haben zu müssen, von jemanden zurechtgewiesen zu werden. Ihr Bedürfnis ist infantil, sie sehnen sich nach einer Atmosphäre, wo jeder in seiner Unzurechnungsfähigkeit akzeptiert wird und man noch den größten Blödsinn als Ausdruck der Individualität akzeptieren will. Sie wissen sich aus der Welt, die sie sich nicht aneignen können, nur zu retten, indem sie als Ersatz eine fiktive Diskurswelt in freier Assoziation im eigenen Kopf erschaffen. Da liegt es in der Natur der Sache, daß Sie alle Ansprüche intellektueller Redlichkeit als unverschämte Zumutung von Außen wahrnehmen müssen. Alle, die einen Anspruch auf Wahrheit erheben und Begriffe anstreben, die allgemeine Gültigkeit beanspruchen können, müssen Ihnen als Bedrohung ihrer persönlichen Autonomie erscheinen. Daher ihr Hass auf Hegel und Marx, daher auch ihr zwanghafter Versuch, Adorno vom marxschen Materialismus zu lösen und in die Postmoderne einzugemeinden.

Die Modedenkerin (platzt dazwischen).

Sie hängen an der Moderne. Aber Heidegger, Sartre und dann später die Postmodernen haben einen Freiheits- und Wahrheitsbegriff, so unbeschränkt, wie Sie ihn sich doch gar nicht vorstellen können, so sehr sind sie im traditionellen Marxismus eines Herrn Engels verhaftet.

Der Kommunist (Sie ignorierend).

Zwar haben Sie den Anspruch, mit den Dingen praktisch etwas Sinnvolles anzufangen, längst aufgegeben, weshalb Sie sich mit der allerabstraktsten und deshalb bloß eingebildeten Freiheit zufrieden geben, statt gerade in der Beschränkung durch das Objekt die Möglichkeit der Freiheit zu erkennen und anzuerkennen. In Ihrem Inneren aber bohrt und nagt die Unzufriedenheit, weil Ihr Körper, allen Ihren gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, kein Diskursprodukt ist, sondern aus Fleisch und Blut besteht und deshalb leidet, wenn seine Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Die notwendige Kehrseite der Bejahung ihres Daseins als ohnmächtiger Wurm ist daher der Hass auf diejenigen, die noch wagen, was sie nicht einmal als Gedanke zulassen können: sich dem Weltlauf entgegenzustemmen, anstatt sich zu seinem bewußtlosen Vollstrecker zu machen. Daher ihr Hass auf Israel, dessen Staatspersonal die Vernichtungsdrohung als objektive Tatsache anerkennt und arrogant genug ist, sich zu wehren. Israel erinnert Sie daran, daß man dem objektivem Faktum auch objektive Fakten entgegensetzen kann. Diese Erinnerung müssen sie aus dem Bewußtsein tilgen und deshalb hetzen Sie für den Revanchismus wie sonst nur die ostpreußische Landsmannschaft, indem Sie die Vertreibung der Palästinenser mit dem Judenmord auf eine Stufe gesetzt wissen wollen. Damit offenbaren Sie Ihr schlafwandlerisch verfolgtes mörderisches Ziel.
Anstatt, nachdem Sie ihre eigene Unzurechnungsfähigkeit eingestanden haben, einfach den Schnabel zu halten, plappern Sie munter weiter und betreiben ihren antiaufklärerischen Irrationalismus, den Sie zärtelnd Postmoderne nennen. Es ist ihnen darum zu tun, dem Denken jeden Anspruch auf Folgerichtigkeit, dem Bewußtsein jeden Bezug zur Realität und der Urteilskraft jede moralische Verbindlichkeit zu nehmen. Damit leisten Sie mit ihren bescheidenen Mitteln einen kleinen Beitrag zur Vorbereitung eines neuen Faschismus. Dieser erfordert von seinem Personal völlige Prinzipien- und Skrupellosigkeit, und genau das ist es, was Sie mit Ihrer unter dem Banner der Vielfalt betriebenen Einebnung aller Unterschiede betreiben. Wenn jeder objektive Begriff zertrümmert ist, kann die Wahrheit am Ende autoritär und willkürlich vom Souverän gesetzt werden, der wie Hitler ausruft: wer Jude ist, bestimme ich. So helfen Sie mit, liebe Bankrotteurin des Intellekts, ohne es selbst zu wissen, den Kapitalismus auch in der nächsten Krise über seinen Bankrott hinweg am Leben zu erhalten.

Der brave Student.

Ich verstehe Euch beide nicht. Aber zu Euch Kommunisten: Ihr sagt, daß Ihr Staaten abschaffen wollt. Aber das müßte doch für alle Staaten gleichermaßen gelten. Eure Kritik an der Linken ist ja nicht völlig falsch, aber Ihr dreht ja doch nur die Vorzeichen um, seid doch genauso Nationalisten. Ihr selbst sagt doch stereotyp, daß die Staatsbürger notwendig Antisemiten sind! Warum soll dies plötzlich für die Israelis nicht gelten. Erst neulich hat doch so ein verrückter Siedler auf unschuldige, betende Araber geschossen; das sind Eure Bundesgenossen.

Der Agitator.

Wer betet, ist nie unschuldig!

Der brave Student.

Ihr macht mit moralischem Getue und scheinbar besonders radikal Euren Frieden mit dem System. Deswegen sucht Ihr einfach ein Identifikationsobjekt. Um dies zu sehen, muß man sich nur mal Eure komischen Demonstrationen anschauen: Ich würde niemals die Fahne eines Staates in die Hand nehmen, das ist doch alles Heimatsuche. Und auch nicht die von Israel. Schließlich ist das mit dem Holocaust eine Sache und zionistische Staatsideologie, die auch nicht besser ist als alle anderen, eine andere. Ich lehne die ganze Gesellschaft mit allen ihren falschen Alternativen ab. Als Kritiker der herrschenden Verhältnisse nehme ich Abstand von allem Bestehenden, um mir den Kopf freizuhalten, und sage, was objektiv gesagt werden muß. Und das ist halt, daß man Staat, Kapital und Nation abschaffen muß, und damit letztlich auch Israel, ganz klar.

Der Kommunist.

Es geht nicht darum, sich mittels Fahnenschwenkens auf identitäre Heimatsuche zu begeben, wenn man sich eindeutig auf die Seite des seit seiner Gründung bedrohten Staates der Überlebenden der Shoa stellt. Vielmehr hat derjenige, der kommunistische Kritik betreibt, sich ohne leere Differenziererei auf die Seite der materiell gewordenen Konsequenz aus antisemitischer Vernichtungswut zu stellen, also auch und gerade hinter seine Exekutive, die IDF. Und dieses Postulat ist kein moralisches Gebot, sondern eines der emanzipatorischen Vernunft.
Für Sie gilt nur die immergleiche Trias des abzuschaffenden Bestehenden: ‚Staat, Kapital, Nation’. So kommt es zur Leidenschaftslosigkeit Ihrer Kritik, selbst wenn Sie zufälligerweise einmal etwas Richtiges treffen – natürlich gehören ‚Staat, Kapital und Nation’ abgeschafft, aber das ist eine Aussage von nur abstrakter Qualität und damit ohne Bedeutung. Es läuft bei Ihnen nur auf den naiven Wunsch hinaus, daß es besser wäre, es bräuchte keine Polizei, keinen Staat und keine Ausbeutung. Solche Träume überläßt man Kindern; will man Genanntes tatsächlich abschaffen, so darf man nicht bei der Abstraktion stehenbleiben. Tatsächlich ist Kritik am Antisemitismus Kritik an den Formen durch die die Menschen miteinander verkehren, aber diese als konkret historische. Im modernen Kapitalismus scheinen die Menschen kein starkes Ich herausbilden zu können, daß die ungemütlich eingerichtete Welt verändern könnte. Statt dessen wird die übermächtige Welt verdrängt – doch ihren Schrecken bekommt man dadurch nicht los. Die blinden Menschen werden verrückt, sie laufen Amok. Oder schlimmer, sie benutzen ihren zweckrationalen Verstand zur Organisation eines kollektiven Angriffs auf alles was auch nur von Ferne an Glück erinnert. Statt sich für die freie Assoziation zu entscheiden exekutieren die Subjekte dann das deutsche Krisenlösungsmodell. Es ist zwar immer noch allein die gesellschaftliche Aneignung der Produktion und Distribution, die die objektive Gefahr einer Weltbarbarei tatsächlich abwenden kann, aber die plant momentan niemand. Die Exekutoren der nationalsozialistischen Krisenlösung gehören – bei aller momentan unpraktischen materialistischen Reflexion – unbedingt bekämpft; wenn allein Israel und die USA dies tun, ist das verdammt nochmal besser als nichts.

Der brave Student.

Ja, wenn es wenigstens so wäre, wie ich mal dachte, daß Ihr Israel wegen des Holocausts nur als Ausnahme aus der ansonsten radikalen Staatskritik nehmen würdet. Aber so ist es ja gar nicht und da bekomme ich nun wirklich Bauchweh. denn neuerdings verklärt ihr sogar die USA als home of the Glücksversprechen. Ha Ha. Was dann daraus folgt, weiß man ja heute..

Der Kommunist.

Ja Sie hören richtig, werter Herr, und schnauben sie ruhig! Kommunisten sind heute in der ärgerlichen Situation, sich auch hinter die USA als Garantiemacht Israels zu stellen: Dies wiederum nicht „identitär“, wie Sie das sich einzig vorstellen wollen und können, sondern weil die USA gerade in Verfolg ihrer Interessen das tun, was sonst niemand tut: sich den überall aufbrechenden Faschisierungstendenzen entgegenzustellen, mit militärischem und ökonomischen Druck. Wenn die Annahme der Feinde der Aufklärung stimmt, daß die USA nur ihre absolute Hegemonie verteidigen, so sagen wir offen: Uns gefällt es, wenn die Amis den Golf kontrollieren und dort keine panarabische Regionalmacht unter Führung eines Hussein sich breitmachen kann. Wenn Sie es nun ernst meinen würden mit ihrer prinzipiellen Kritik aller Herrschaft, so würden Sie nicht so achtlos alles in eins schmeißen, wie es heute Mode ist und wie es ganz ähnlich schon einige Ihrer Vorredner taten. Sie unterstellen uns die Behauptung, alle Staatsbürger seien automatisch eliminatorische Antisemiten, und schließen selbst daraus, der rassistische Siedler sei ebenso ein Prototyp der israelischen Gesellschaft, wie es zweifellos die Selbstmordattentäter für die der Palästinenser sind. Es wurde schon gesagt, daß es den einen Staat nicht gibt. Falsch ist aber auch, daß alle Staaten nur durch ein irrationales Feindbild zusammengehalten werden. Die Franzosen haben ihren Staat revolutionär gestiftet, und der Absolutismus war ebenso ein tatsächlicher Feind wie die konterrevolutionären Truppen aus dem feindlichen, noch feudalem Ausland. Sie brauchten zumindest in ihrer revolutionären Phase kein dem modernen Antisemitismus analoges Wahnsystem, wenn auch einen höchst paranoiden Tugendterror, der zumindest phänomenologisch Züge des Antisemitismus trägt. Anders in Deutschland: Für eine Nationalbewegung brauchte es hier einen kollektiven eingebildeten Feind als völkischen Kitt, der darüber hinwegtäuschen sollte, daß es ebensowenig einen realen Feind gab, der dem französischen Adel und Klerus entsprochen hätte, noch eine revolutionäre Bourgeoisie als selbstbewußter Träger der Staatsgründung existierte. Es ist eines der Hauptärgernisse, daß solche trivialen Unterscheidungen heute so schwer fallen. Israel, um das es ja hier geht, befindet sich in seiner revolutionären Phase, zu der auch die Verteidigung der eigenen Emanzipation gehört. Im Gegensatz zu den französischen Jakobinern geht man dort aber recht besonnen vor. Gegen die zahlreichen Feinde der Juden ist jedoch eine schlagkräftige Armee und ein effektiver Geheimdienst vonnöten, ohne welche man längst verloren wäre. Auch wenn es die Deutschen gerne hätten: Kein Israeli denkt dabei an die ‚Endlösung der Palästinenserfrage’. Die Wachtürme an der Grenze sagen allen, die es durch Vernunft nicht einsehen wollen: Wir lassen uns nicht weiter abschlachten. Daran zu erinnern und Ihnen die Israelfahne zu Ihrem Ärger zu präsentieren macht uns nicht zu Nationalisten. Es geht uns nicht um Folklore, sondern um die Bedingungen der Freiheit.

Der brave Student.

Na ja, Ihr habt ja heute sogar die amerikanische Fahne auf dem Podium stehen. Damit seid Ihr für mich eh indiskutabel geworden. Davon krieg’ ich Bauchweh.

Der Kommunist.

Schön, wie es den werten Herrn fuchst; Wir werden es wohl wieder tun. Solange Kommunisten sich so bockig anstellen wie Sie, erscheint es mir doch sehr beruhigend, wenn die Amerikaner einige Soldaten auf den Weltmeeren segeln lassen.

Der brave Student (erzürnt, beim Verlassen des Raums).

Singt doch zusammen mit George Bush die amerikanische Nationalhymne!

Eine Frau aus dem Publikum.

Ihr Kommunisten vertretet doch die Position, das Existenzrecht Israels folge allein daraus, daß das von den Nazifaschisten an den Juden begangene Unrecht wiedergutgemacht werden müsse. Dem stimme ich als Linke ohne Vorbehalt zu. Aber es kann doch nicht sein, daß dies auf dem Rücken der Palästinenser ausgetragen wird, die an dem, was wir Deutsche getan haben, doch ganz unschuldig sind. Wäre es da nicht gerechter gewesen, den Juden SchleswigHolstein abzutreten und ihnen Kiel als ihr neues Jerusalem zu überlassen, als in Palästina ein ganzes Volk zu vertreiben?

Der Kommunist.

Wer wie Sie die Shoah als Unrecht charakterisiert, benutzt einen hohlen, nichtssagenden und somit falschen Begriff. Zwar kann das Vorhaben, das Geschehene überhaupt in Worte zu fassen, zwangsläufig nicht gelingen. So unbegreiflich, dem Verstande nicht zugänglich, ist dieser Mord an sechs Millionen Menschen. Doch der Versuch, die staatlich organisierte und industriell durchgeführte Vernichtung der europäischen Juden gerade in die Kategorie des Rechts zu schieben, ignoriert, daß sie erklärtes Ziel des deutschen Staates, also notwendigerweise legal und rechtens war. Unrecht war es, daß ein Jude lebte, unrecht war es auch, ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Wer die Shoah als Unrecht beurteilt, verkennt außerdem die welthistorische Zäsur, die sie darstellt, den qualitativen Umschlag innerhalb des Kapitalverhältnisses. Zum einen beraubt das Resultat des klassenübergreifenden wie klassennegierenden Massenmords – das Paradox der klassenlosen Klassengesellschaft – die Gesellschaft ihrer Begreifbarkeit in den klassischen Kategorien der Gesellschaftskritik, zum anderen läßt das Telos der barbarischen deutschen Revolution gegen das Glück ohne Zwang – die Vernichtung der Juden – jeden Versuch der Erklärung dieser Gesellschaft überhaupt zur Unmöglichkeit werden.

Der Logiker, der Feuilletonist (im Duett.)

Alles irrational oder wie. Ihr macht die Erde wieder zur Scheibe und leugnet das Interesse und somit das ABC des Materialismus, wie wir es mühsam gelernt haben. Ihr seid auch bloß Teil der Postmoderne.

Der Kommunist.

Vielmehr umgekehrt. Die Menschen handeln und denken tatsächlich ‚postmodern’, weil durch die Deutschen der Begriff praktisch außer Kraft gesetzt wurde und damit auch die Rechtskategorien. Auschwitz ist kein Unrecht, sondern Inhalt der deutschen Krisenlösung, der Vernichtung der angeblich glücklichen und parasitären Rasse, durch die das mit sich selbst identische Kollektiv sich herstellen möchte. Diese negative Aufhebung des Kapitals auf seiner eigener Grundlage ist das Ende der bürgerlichen Epoche und verurteilt jeden Versuch, nahtlos an bürgerlichen Verhältnissen anzuknüpfen, zum Scheitern.

Der Logiker.

Völlig unbegreiflich also. Deshalb reden Sie auch so viel und so kryptisch. ‚Negative Aufhebung des Kapitals auf seiner eigenen Grundlage’ – diesen Summs können dann Ihre Adepten auswendig lernen: Sie Scholastiker.

Die Modedenkerin.

Ich für meine Wenigkeit habe mit den bürgerlichen Verhältnissen abgeschlossen, wie Sie es jetzt plötzlich fordern. Aber warum dann immer so ein rüder Ton gegen die Postmodernen?

Der Kommunist.

Man kann natürlich auch nicht ohne die bürgerlichen Verhältnisse und ihre progressiven Erzeugnisse auskommen. Was passiert, wenn man die Aufklärung nicht nachvollzieht, dafür sind sie lebendiger Beweis. Deshalb unser Changieren.
Doch zurück zu der Dame, die Israel aus juristischen Erwägungen in Deutschland gründen möchte. Die Shoah als Unrecht zu bezeichnen, heißt sie als Formalität zu behandeln und verkennt das Entscheidende: Der Antisemitismus, der Haß auf das sich dem Zwang zur allgemeinen Gleichheit entziehende, ist die fundamentale Ideologie der kapitalistischen Gesellschaft, zu dessen immanentem Ziel, der Vernichtung der Juden, das Kapital gemäß seiner ‚inneren’ Bestimmung die Menschen treibt, wenn sie sich ihm völlig ausliefern. Die Deutschen waren darin avantgardistisch und konnten glücklicherweise noch einmal aufgehalten werden. Seither erinnert Israel daran, daß wenigstens einigen die Flucht vor der absoluten Verfügungsmacht durch das Kollektiv gelang. Doch der Antisemitismus ist Mordbereitschaft im Wartezustand und verzeiht den Juden ihre Sabotage an der deutschen Mission nie.
Die Bagatellisierung der Shoah als Unrecht drückt die in Deutschland notwendige Bewußtlosigkeit aus, um weitermachen zu können, als ob nichts Bemerkenswertes geschehen sei. Daß die Deutschen im gemeinsam begangenen Mord ihre innere Verfaßtheit ausdrückten und damit auf der Höhe der Zeit oder gar ihr voraus waren, wird verschleiert und verdrängt…

Der Logiker (höhnisch dazwischen).

…ständig müssen Sie von Verdrängung reden. Hi Hi Hi. Als ob der Marxismus nur wegen einer Massenschießerei, einem Vernichtungsfeldzug und der objektiven Überlebtheit des Kapitalismus um eine soziopsychiatrische Abteilung ergänzt werden müßte. Ich komme ganz ohne den Bürger Freud aus und deduzier’ Ihnen das alles aus Staat und Kapital.

Der Kommunist.

…Diese Verdrängung der deutschen Tat ist die Konstitutionsbedingung der postfaschistischen Gesellschaft.
Doch zu den Konsequenzen Ihres Geschwafels: Nachdem sie völlig falsch den deutschen Massenmord als Rechtsbruch klassifiziert haben, kommen Sie zu den Konsequenzen: Israel sei die Wiedergutmachung für die Brechung des Rechts. Das bürgerliche Gesetz sagt, daß ein Unrecht durch eine Strafe wiedergutzumachen ist. Wenn die Shoah zu einem Unrecht und das ‚Existenzrecht des Staates Israel’ zu einem Akt der Wiedergutmachung gemacht wird, so ließe sich die Existenz des Staates Israels folgerichtig als Strafe bezeichnen, die die Deutschen für ihr Unrecht auferlegt bekommen. Ihr Reden vom ‚Existenzrecht’, das Sie widerwillig den Juden zugestehen, zeigt, daß sie tatsächlich als Strafe empfinden was in Wahrheit selbstverständlich ist.
Desweiteren kann aber ein Existenzrecht nicht Inhalt einer ‚Wiedergutmachung’ sein, denn es ist real nicht existent und somit auch nicht zu verabreichen. Wenn ein Staat existiert ist das keine Frage des Rechts, sondern der Gewalt. Ein Staat existiert, wenn der Souverän in der Lage ist, Grenzen zu setzen und sie zu behaupten und nicht, weil ihm ein Größenwahnsinniger die Erlaubnis dazu erteilt. Der Staat ist selbst Gesetzgeber. Nicht nur dies mißachtet, wer von einem Existenzrecht Israels spricht, sondern vor allem, daß zwischen dem Prozeß dessen Staatsgründung und der Frage nach seinem Existenzrecht, das deutsche Selbstgespräch steht, welches die Frage der Gewalt zu einer Frage des Rechts konstruiert, zu einem von Richtern zu entscheidenden und verhandelbaren Fall.
Indem Sie die glücklicherweise durch die eigene Armee erkämpfte und von den USA garantierte, stets prekäre Existenz Israels zum gewährten ‚Existenzrecht’ verdrehen, stellen Sie von vornherein die Frage nach der Daseinsberechtigung von Juden und krönen sich zum Richter über Leben und Tod, auch wenn Sie liebenswürdigerweise das Recht auf Existenz zugestehen. Dies aber wahrscheinlich auch nur solange, wie Ihr subjektiver Unfug nicht durch eine objektive Zusammenbruchskrise des Kapitals sein wahres mörderisches Wesen offenbart.

Der Provinzgelehrte.

Jetzt sprechen Sie endlich die notwendigen Zusammenbruch der Warenproduktion an. In Sachen Krise bin aber ich der Experte und erklär es Ihnen: In diesen Zeiten der finalen Krise ist Israel einerseits ein Brennpunkt der Barbarisierung und Selbstzerstörung des herrschenden Weltsystems. Und tatsächlich ist Israel, und das haben meine Vorredner kaum bedacht, wegen des Antisemitismus als zentraler kapitalistischer Krisenideologie kein Staat wie andere Staaten, sondern in paradoxer Verschränkung die äußerste Notwehr gegen die Konsequenz der kapitalistischen Subjektform. Deswegen muß die Verteidigung der Existenz Israels auch für die neue, endlich fundamentalwertkritische Kapitalismuskritik unbedingt sein. Aber ihr propagiert in weißer Herrenmenschenmanier den Kreuzzug für die westlichen Werte, ganz so wie es der Mullah Samuel Huntington euch eingeflüstert hat. Längst hat die finale Endkrise des auf Warenproduktion beruhenden Systems auch die Metropolen erreicht. Israel geht seinen eigenen Weg in die Barbarei. Der antiarabische Rassismus ist Notbehelf und Ersatz für die dort nicht mögliche antisemitische Krisenform. Insofern setzt ihr als „Sharon-Linke“ innerhalb Israels auf die falschen Kräfte, welche die Krise vorantreiben. Israel ist zwar eine kapitalistische Demokratie westlicher Prägung, aber andererseits gleicht der israelische Alltag in vielerlei Hinsicht bereits dem eines Gottesstaats nach dem Muster der Taliban. Daher auch die Kriegsverbrechen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten. Die Ultra-RechtsTendenz der Gesellschaft hat sich in den Streitkräften am heftigsten durchgesetzt. Das verweist auf die Barbarisierung der israelischen Gesellschaft selbst, die gerade in dieser Hinsicht ein integraler Bestandteil der kapitalistischen Weltgesellschaft ist. Statt also die Jugend zu verhetzen und in einen Kinderkreuzzug für Amerika zu schicken, solltet ihr lieber die Fetischbasiskategorien der bürgerlichen Welt fundamentalkritisieren, als da wären Wert, Geld, Kapital, Staat etc. pp. Was mir Hoffnung gibt, das seid nicht ihr, ihr Afterkommunisten mit euren alles unterhöhlenden Kanalarbeitern, sondern der Schulstreik der Kinder.

Der Empfindsame Mann, die Frauenrechtlerin.

Genau, aber an die Kinder wollt ihr ja nicht denken.

Der Kommunist.

Bitte, Herr Wert- und Krisenkritiker, beinahe möchte ich Sie bedauern. Viele, viele Jahre haben Sie nun gelesen und gearbeitet, um die ultimative Rekonstruktion der Kritik zu leisten, und sich den Kopf dabei an der Welt zerbrochen. Sie haben gelernt, alle Kategorien der Welt hoch und runter zu deklinieren, nur um am Ende den jeweils existierenden Bewegungen hinterherzulaufen und sich dabei als Avantgarde zu halluzinieren. Wie so oft zeigt sich, daß jemand eine Unzahl von Büchern durchackern kann, um am Ende sich dann doch wieder als der gleiche provinzielle Denker zu erweisen, als der auch er begonnen hat, weil er meint, die Welt habe nur auf seinen Beitrag gewartet, die Krise wolle gleichsam nur für ihn kommen. – Aber Recht hat der Provinzler, wenn er auch sonst immer irrt, indem er auf die potentielle Zusammenbruchskrise hinweist, die er allerdings herbeizusehnen scheint. Um so wichtiger aber, daß Israel ein paar Waffen besitzt und die USA die internationale Barbarei militärisch in Schach halten kann. Die Kommunisten brauchen offenbar noch Zeit, um sich zu sammeln.

Der Antideutsche.

Kommunismus, Kommunismus – beinahe mechanisch klammert Ihr Euch an diesem Begriff fest. Seht doch ein, daß der nicht auf der Tagesordnung steht, ihr scheint ja sonst nicht so dumm zu sein. Ihr müßt doch merken, daß der Kommunismus bei Euch nur eine naive Schwärmerei ist, mit der sich dann doch nur zeigt, daß ihr immer noch emotional einer untergegangenen Linken nachtrauert, die ihr nur verklärt. Überhaupt sind hier ja auch wieder nur lauter Linke versammelt, niemand von der amerikanischen Botschaft wurde geladen und kein Vertreter Israels. Auch ihr wollt offenbar nicht klar kriegen, daß es jetzt um Israel geht und die Bekämpfung des weltweiten Nationalsozialismus, nicht um andere zweifelsfrei wünschenswerten und schönen Dinge wie Aufhebung der Warenform oder des Tauschverhältnisses. Mir jedenfalls ist jeder Ausspruch von Rumsfeld wichtiger, als worum Ihr Euch so in Eurer linken Krabbelstube eskapistisch und im Zweifelsfall quietistisch streitet. Ihr seid unorganisiert und nicht realitätstauglich. Ernst braucht man von Euch ohnehin kein Wort zu nehmen.

Der Kommunist.

Die Emanzipation des Deutschen ist die des Menschen, lehrte einst ein Kommunist und wir pflegen sehr buchstabengläubig zu sein, was unsere Klassiker angeht. Der Kraftaufwand, der nötig ist, um die Konterrevolution auf dem Boden der sie hervorbringenden Verkehrsformen zu stoppen, ist ähnlich dem zur Aneignung der großen Industrie. Deshalb muß Beides in Eins fallen. Wenn die USA solange das Schlimmste verhindern, gewährt uns das die dringend benötigte Zeit, unseren historische Auftrag wieder aufzunehmen und die klassen- und staatenlose Gesellschaft zu erkämpfen, bzw. das zuwege zu bringen, was Sie schüchtern und Hegelsch die Aufhebung der Warenform nennen.

Der Antideutsche.

Vor lauter Kommunismus vergeßt ihr den Antisemitismus, wie die Anarchisten und andere Linksradikale. Ich bleibe dabei, Ihr Kommunisten seid auf eitler Identitätssuche!

Der Feuilletonist (räuspert sich und spricht Onkelhaft).

Nun, Ihr Antideutschen scheint ja auch noch nicht so einig zu sein, wie Ihr manchmal tut. Aber, sei’s drum. Warum aber müßt Ihr eigentlich alle Kritik an Amerika als antiamerikanisch verunglimpfen? Ist es nicht ein wenig übereifrig, wenn ihr die Solidarität mit Israel auch auf die USA ausdehnt, nur weil sie als Schutzmacht Israels auftreten? Niemand kann schließlich ernsthaft bestreiten, daß seit `45 die USA die breiteste Blutspur hinter sich her gezogen haben: in Nicaragua, Chile, Kuba, Vietnam usw. Die USA als Weltmacht führen ihre Kriege nicht für Liberalismus und Individualismus, sondern für den Erhalt ihrer Herrschaft und selbstverständlich auch um ganz materielle Dinge wie Öl. O.k., es kann ja sein, in vier von fünf Fällen ist eure Kritik ganz richtig, aber nur weil der Nazi sagt, zwei plus zwei ist vier, ist dies noch lange nicht falsch. Die amerikanische Politik hat überhaupt erst den Nährboden für das Massaker vom 11.9.2001 bereitet. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Stichwort Weltbank und IWF. Außerdem kam dem amerikanischen Imperialismus der Anschlag so gelegen, daß der Verdacht durchaus zulässig ist, der CIA habe zumindest seine Finger mit im Spiel gehabt. Das kam ja auch schon vor einigen Jahren im Fernsehen.

Der Kommunist.

Für aufgeklärte Amerika-Hasser wie Sie scheint die Polemik gegen die Vereinigten Staaten von Amerika Ausdruck simpelster antikapitalistischer Vernunft zu sein. Das geht etwa so: Wenn wir uns einig sind, daß der Kapitalismus ein weltweites Übel ist, die USA aber ein kapitalistischer Staat, dann muß es doch möglich sein, die USA zu kritisieren, ohne gleich antiamerikanisch zu werden. – Und tatsächlich, wer wollte da widersprechen; keiner mag sie ja im Ernst die USA, die nur mit zahlreichen Gefängnissen ihre Gesellschaft am laufen halten können und unsere vehemente Verteidigung eben dieser USA ist dem Zustand und dem Treiben der restlichen Welt geschuldet. Aber diese nicht-antiamerikanische Kritik an Amerika, über die antideutsche Kommunisten angeblich immer herfallen, es gibt es nicht. Und das hat seine Gründe: Das Problem mit den derzeit virulenten Bewegungen ist ja nicht, daß sie auch gegen Amerika agieren würden, als mehr oder weniger zufällige Dreingabe zu dem, was sie sonst noch tun. Das Problem besteht vielmehr darin, daß sich sowohl die Friedensfreunde als auch die Gegner einer sogenannten „Neoliberalen Globalisierung“ über ihren Hass auf die USA überhaupt erst als Bewegungen konstituieren. Nicht die reale USA ist ihr Gegenstand, sondern ihr vom Ressentiment hervorgebrachtes Zerrbild.
Nun gibt es einige, zu denen auch Sie gehören, welche den Globalisierungsgegner- und Friedensfreundemob zwar kritisieren und auch, wie sie meinen, scharf, aber doch immer unter dem Vorbehalt, diese Bewegungen nur nicht vollständig zu vergrätzen, und deshalb immer die ‚echte’ Friedensbewegung und den ‚echten’ Antiimperialismus einfordernd. Sie lügen sich zurecht, in einem von fünf Fällen sei der Antiamerikanismus ein kritischer.
Für Sie sind die USA als kapitalistische Ordnungsmacht, wenn vielleicht auch nicht identisch mit dem Kapital als vergesellschaftendem Prinzip, so doch verantwortlich an den menschlichen Unkosten der weltweiten Wertvergesellschaftung. Wie der hinterletzte demokratische Sozialist geben sie den Amerikanern die Schuld für das Ressentiment, daß sich gegen sie richtet. Das ist klassischer Antiamerikanismus. Auch Sie sagen: So was kommt von so was. Die Verdammten dieser Erde hätten doch Grund genug, sich in Ihrer rechtmäßigen Empö- rung über das Elend, in dem sie leben, gegen eine konkrete, dafür haftbar zu machende Adresse zu wenden: Eben, wie überraschend, die USA – respektive deren Bourgeoisie im Zusammenspiel mit Regierung und Geheimdiensten, IWF und Weltbank. Der Antisemitismus, der hinter dem Antiamerikanismus steckt und zu den eigentlichen Ursachen führt, kann so natürlich nie angemessen thematisiert werden. Sie weigern sich wie alle unserer Kritiker aus der Linken, das Ressentiment gegen Amerika als gefährliche Ideologie zu benennen, mit der sich die autoritären Charakter präventiv vor den bloßen Gedanken an Freiheit schützen wollen. Der Antiamerikanismus ist dabei meist die Form, die sich der Antisemitismus gibt, wenn er sich noch nicht getraut offen aufzutreten.
Ebenso kann umgekehrt nicht ausgesprochen werden, daß es – gerade aus unserem Blickwinkel – die Aufgabe der Zentralmacht ist, die Welt nicht völlig vor die Hunde gehen zu lassen. Sicher wissen wir, daß es ganz anderer Anstrengungen und Lösungen bedarf, um dies auch tatsächlich einzulösen, aber ihren bornierten Fähigkeiten gemäß stehen die USA für den Status Quo und geben uns Zeit.
Die Fakten zur Rationalisierung Ihres Ressentiments holen Sie sich aus der Vergangenheit. So versuchen Sie, ihm objektive Geltung zu verschaffen. Die Schweinebucht fällt Ihnen ein, der Pinochet-Putsch und der Krieg gegen den Vietkong. Und natürlich, daß die USA Bin Laden und Saddam erst mächtig gemacht haben, daß sie also mit ihrer Weltpolitik die Geister erst riefen, die sie jetzt nicht mehr loswerden.
Nun braucht man sich über den emanzipativen Gehalt der US-Außenpolitik während des Kalten Krieges keine Illusionen zu machen: Handlungsleitend war eine antikommunistische Doktrin, Ergebnis der direkten Konkurrenz zur Sowjetunion, die die USA alles ins Visier nehmen ließ, was an Emanzipation erinnerte und in Wahrheit leider auch damals schon oft nur Vorbote der Barbarei war. Aber die historische Konstellation des Kalten Krieges existiert nicht mehr. Die immerschon höchst fragwürdige Hoffnung auf eine am realsozialistischen Weg orientierte Emanzipation hat sich endgültig zerschlagen; sozialrevolutionäre Bewegungen im Trikont sind fast überall völkischen Banden gewichen. Was den USA heute als „Antiimperialisten“ entgegen tritt, verbürgt kein Versprechen auf Emanzipation mehr, sondern das Gegenteil, die Konterrevolution: die Barbarei der Völker gegen die Differenz, gegen Israel und Amerika.
Die USA haben spätestens am 11. September begriffen, daß ihnen in den völkischen Bewegungen, die sie gegen die kommunistischen lange genug unterstützt hatten, ein Feind entstanden ist, dem sie alles zutrauen müssen. Schon aus rein instrumenteller Vernunft befinden sie sich deshalb heute in einem Boot mit Israel und gegen die dschihadistische und arabisch-faschistische Bedrohung. Nicht aus Altruismus oder Menschenfreundlichkeit haben sie den Irak angegriffen, sondern aus wohlverstandenem Interesse, das wir nicht leugnen. Ein Interesse, daß sich in diesem speziellen Fall mit dem jener Menschen deckt, die an der Verteidigung der bürgerlichen Gesellschaft gegen ihre barbarischen Regressionsformen festhalten wollen. Aber deshalb bleibt zwei plus zwei natürlich vier.

Die Berufsjugendliche.

Ihr habt im Prinzip ja recht, aber bemerkt überhaupt nicht, daß sich schon einiges getan hat, gerade in der antifaschistischen Linken. Die Kids tragen statt Palitüchern Stalingrad-T-Shirts und auf Antifademonstrationen sieht man immer wieder Israelfahnen. Statt also immer die Linke zu denunzieren, müßt ihr das Gespräch suchen. Ihr verschreckt immer alle, indem ihr laut ‚Waffen für Israel!’ fordert und auch noch die USA verteidigt und dabei ständig übertreibend vom ‚globalen Faschismus’ redet. Man muß die Leute aber da abholen, wo sie stehen und ihnen nicht das Ergebnis um die Ohren hauen. Ihr lauft Gefahr, nur noch polemisch zu sein, statt sachlich zu argumentieren und geratet zu Apologeten der Zivilisation, die doch in Auschwitz zu sich kam! Es kommt auf einen prinzipiell herrschaftskritischen Standpunkt an, und da müssen auch autoritäre Momente in Israel und den USA kritisiert werden.
Außerdem solltet ihr wieder Deutschland und den Kapitalismus angreifen, statt euch in größenwahnsinniger Weltpolitik zu verlieren. Sicher ist der Kampf gegen den Antisemitismus ein wichtiger Teilbereich. Aber wie die Marxisten bläht ihr diesen einen Widerspruch zum neuen Hauptwiderspruch.

Der Kommunist.

Sicher, es wird viel über Antisemitismus geredet und sogar der kleine Text von Postone wird rezipiert, weil er kurz genug ist und voller Mängel. Doch bleibt dies folgenlos. Oft wird der Antisemitismus auf einen ominösen strukturellen Antisemitismus heruntergebracht und damit von seinem Inhalt abgetrennt. Nur so ist es überhaupt möglich, den Antisemitismus in Deutschland bekämpfen zu wollen, ohne die Bewaffnung Israels zu bejahen und wenigstens zu thematisieren, daß die einzige Internationale, die sich bildet, momentan die antisemitische Internationale ist. Das seminaristische Palavern über den Antisemitismus als auch einem spannenden Thema unter anderen ist nur Alibi für bruchloses Mitmachen, woran dann auch das ergänzende folkloristische Wedeln mit der richtigen Fahne nichts ändert. Wie bitte soll man die nationalpazifistische Volksgemeinschaft kritisieren, wenn man sich weigert, den Charakter der Regime zu benennen, die diese protegiert. Die Deutschen standen bis zuletzt zu ihrem Onkel Saddam – um zu wissen, was die Deutschen wollen, wenn sie es nicht direkt sagen, muß man sich ihr Identifikationsobjekt vornehmen.
Was die offene Bejahung der Kriege gegen das Baath-Regime und gegen die Taliban angeht, so folgt dies der Logik der Israelsolidarität, die sonst zum leeren Wort würde. Sie und Ihre Genossen, die früher noch gerufen haben, Antifa sei Angriff und man müsse den Nazis militant entgegentreten, da diese brutal gegen alles andere vorgehen, Ihr müßtet doch verstehen. Wieso aber kommt Ihr nicht auf antifaschistische Gedanken, wenn sich Mordkollektive bilden, die ihre Begeisterung für den NS nicht einmal bestreiten? Tatsächlich feiert Ihr immer den sowjetischen Sieg in Stalingrad, ohne aber zu thematisieren, daß es eben auch die Amerikaner waren, die Deutschland niederrangen und dies glücklicherweise mit mehr high-tech und damit weniger eigenen Opfern als die eher zu betrauernde Rote Armee.
Nicht weil wir die Rolle der Sowjetunion schmälern wollen, sondern weil sie nun nicht mehr existiert und allein die USA den antifaschistischen Kampf führen, sei euch seltsamen Poplinken empfohlen, den D-Day auf T-Shirts zu preisen und meinetwegen auch auf D-Day-Partys wild zum Takt der großen Trommel zu tanzen. Unsere Stellungnahmen zur Weltpolitik sind jedenfalls wesentlich antifaschistisch motiviert. Das erscheint uns als Voraussetzung aller Kritik notwendig, wo selbst die Antifa die Bedrohung nicht wahrnehmen will, für die der Ausdruck ‚globaler Faschismus’ eher eine Verharmlosung ist, weil die Bewegung, ob offen oder unbewußt, am deutschen Nationalsozialismus anknüpft. Der ‚deutsche Weg’, der im NS schon einmal beschritten wurde, gewinnt aktuell an Attraktivität; selbst Fidel Castro agitiert gegen Israel. Dieser ‚deutsche Weg’ ist die größte Gefahr für emanzipatorische Bestrebungen, und euer Schweigen an entscheidenden Stellen zeigt, wie wenig es euch ernst ist mit dem, was ihr völlig haltlos prinzipielle Herrschaftskritik nennt. Die Dummheit, den Antisemitismus in Euer Potpourri der Widersprüche und in den Multiple-Oppression-Unsinn einzugemeinden, verfehlt, daß die Vernichtung einer halluzinierten Gegenrasse sich schon einmal als das immanente Telos des Kapitals erwiesen hat, und ignoriert, daß die Predigten in den Leipziger Kirchen und Teheraner Moscheen zeigen, daß die Entwicklung zu diesem Telos durch vereinigte militärische Anstrengung der Allierten nur temporär aufgehalten worden sein könnte, wenn sich die Menschheit nicht endlich eines Besseren besinnt, womit anzufangen Sie sich recht beharrlich weigert.

Der einsame Zeitungsverkäufer.

Ihr habt mit Eurer Einschätzung der Welt vollkommen recht. Auch ich gehe davon aus, daß wir in einer Zeit des sich globalisierenden Faschismus leben – der sicher nicht als einfaches Remake des deutschen Faschismus verstanden werden kann. Ziel des Islamfaschismus, der weltweiten Sozialdemokratie und der Nazis ist die Vernichtung Israels. Dieser Staat muß deshalb von allen fortschrittlichen Menschen verteidigt werden.
Dies aber berechtigt Euch nicht, den Namen ‚Kommunisten’ anzunehmen. Die Expropriation der Expropriateure ist eine ganz andere Sache als die notwendige Verteidigung Israels. Um aber die Ursachen des weltweiten Faschismus zu eliminieren, muß der Kapitalismus insgesamt bekämpft werden. Davon lenkt ihr nur ab. Anstatt das Proletariat zu organisieren, wie es einer anständigen Avantgarde zukäme, propagiert ihr eine Neuauflage der Volksfrontpolitik der 3. Internationale. Damit würgt ihr die Revolution ab und predigt den Klassenkompromiß. Ihr seid keine Kommunisten, sondern bürgerliche Antifaschisten.

Der Kommunist.

Sie scheinen ein Marxist-Leninist zu sein, der einiges von unserer Position zunächst additiv adaptiert, um dann aber die alte Position des Klassenkampfes wieder herzustellen, womit im Resultat unsere Kritik schon wieder verschwunden ist. Sie kritisieren uns nicht, sondern verfahren restaurativ. Konkret: Wir selbst gestanden zu, daß sich unsere Parteinahme für die USA aus antifaschistischen Motiven speist, und eben diesen letztlich tatsächlich bürgerlichen Antifaschismus meinen Sie wohl mit dem Vorwurf der Volksfrontpolitik. Doch betonten wir heute immer die Einheit des Kampfes gegen den Antisemitismus und den gegen Unterdrückung bzw. Ausbeutung; wir haben also gerade keine Volksfrontpolitik verfochten. Dies können Sie nicht bemerken, weil ihr Konzept der alte Klassenkampf ist, gegen den wir nicht einwenden, er sei nicht notwendig, sondern vielmehr, daß er unmittelbar nicht statthat und durch ihr rührendes Bemühen auch nicht statthaben wird. Wer…

Der Antideutsche (schroff).

Aha, ihr Kommunisten seid endlich geständig. Ihr wollt auch einfach den alten Klassenkampf zurück. Es gibt sie aber nicht mehr die Klassen, sondern nur noch Völker.

Der Kommunist (ignoriert den Zwischenruf).

Also, wer jetzt als Avantgarde das Proletariat mobilisieren will, der scheitert entweder hoffnungslos oder organisiert das Pogrom. Die ewige Leier von der revolutionären Vorhut, die das Proletariat organisieren müsse, ist ahistorisch. Die Leninsche Partei neuen Typs war bereits ein Regressionsphänomen, um die ohne Aufstand in den ersten Weltkrieg ziehenden Proleten doch noch zum Kommunismus zu treiben. Sie war bereits Antwort auf den erschreckenden Umstand, daß der Stoff nicht von selbst so wollte, wie Marx es vorsah. Er drängt nicht von selbst zur freien Assoziation, sondern fügt sich aktiv dem Weltlauf. Schon der erste Weltkrieg, der das Massenmordpotential des Kapitalismus offenlegte, reichte nicht als Grund hin, sich selbstständig und spontan zu assoziieren. Nur die Knute trieb die zermürbten Massen zur Revolution, in Deutschland blieb sie durch den kompletten Sieg des Opportunismus nur kümmerlicher Aufstand. Nach Auschwitz haben Kommunisten bei Strafe des völligen Untergangs zu reflektieren, was es bedeutet, wenn nicht einmal das Unfaßbare ein Grund zum Revoltieren ist. So richtig also Ihr Punkt, daß nur die soziale Revolution Abhilfe schaffen kann, so hilflos Ihre Analyse. Gerade die Verdrängung des Klassenantagonismus, gerade die Verdrängung der Staatsgewalt, also die Verdrängung aller Widersprüche, bringt den Antisemitismus hervor und kann offensichtlich im Krisenfall die Massen zum Massenmord treiben. Nur die Reflektion des Verdrängten könnte den Kommunismus wieder möglich machen. Deshalb ist der Kampf gegen die Ausbeutung unmittelbar identisch mit dem Kampf gegen den Antisemitismus und dieser kein Ablenkungsmanöver vom Eigentlichen. Deswegen aber – und dies an den unhöflichen Zwischenrufer gerichtet – ist auch das umgekehrte Ausspielen des Kampfes gegen den Antisemitismus gegen den Klassenkampf untauglich, weil eben der Antisemitismus nicht überwunden werden kann, wenn dem Ressentiment nicht Einsicht in den gesellschaftlichen Stoffwechselprozeß weicht. Sie aber, Herr Zeitungsverkäufer, der Sie die Massen als qualitätslosen Stoff akzeptieren und affirmieren wollen, dem von außen das Bewußtsein zugeführt werden soll und kann, Sie stellen sich diesem Problem nicht. Eine Avantgarde ist nicht unnötig. Aber sie kann momentan nur Einzelnen, die von sich aus bereit sind den Ausbruch zu wagen, dabei helfen. Sie kann nur versuchen, die Schmach schmachvoller zu machen, indem sie diese publiziert. Aber sie kann weder von außen Bewußtsein bringen, wo offensichtlich von innen nichts zum Bewußtsein drängt, und sie kann nicht organisieren, was sich aktuell nur als Mord- oder Arbeitskollektiv organisieren lassen will. Historisch war Lenins verzweifeltes und autoritäres Konzept ein Versuch zur Emanzipation in beinahe auswegloser Situation. Die Jahre 1917 bis 1923 gehören zu den hoffnungsvollsten der Menschheit, und dies – nota bene – nicht trotz der Bolschewiken, sondern wesentlich wegen ihrer kühnen Politik, wenn diese auch notgedrungen immer schon konterrevolutionäre Züge in sich hatte, die sich nach dem Ausbleiben der Weltrevolution vollends durchsetzen mußten. Aber wer im Rückblick ignorieren will, daß die Organisationstätigkeit insbesondere der deutschen Sozialdemokratie nicht freie Menschen erzog, sondern zunächst Parteisoldaten und dann Volksgenossen, muß glauben, daß der Sieg des Revisionismus bloßer Verrat war.

Der einsame Zeitungsverkäufer

Aber der Stoff ist hart und kann sich nicht von selbst bewegen. Sie selbst beschrieben doch, wie wenig er von selbst zum Kommunismus tendiert; vielmehr sogar zum Nazifaschismus. Selbst Michelangelo brauchte einen Meißel um in den Marmor eine Form zu bringen. Das war 1917 nicht anders und heute auch nicht.

Der Kommunist.

Statt also ständig die Massen als Massen organisieren zu wollen, sollten Sie daran denken, die Massen vor sich selbst erschrecken zu machen. Die große Umwälzung, wie wir sie uns vorstellen, ist zwar die kollektive Aktion der sich vereinigenden momentan isolierten Produzenten und keiner weiß ob sie ganz ohne den dezenten Einsatz einer Pauke auskommen wird. Aber in dieser gemeinsamen Aktion und durch diese wird die Masse aufgesprengt und sich dissoziieren. Es werden individuelle Kräfte frei werden, an die der immer zum Staatssozialismus tendierende Parteikommunismus nicht denken mag, der schon an die revolutionäre Repression denkt, wenn an Revolution noch keiner denkt. Statt immer organisieren zu wollen, sollten Sie einmal die Arbeiter als Subjekte ansprechen. Schließlich sollen sie sich selbst emanzipieren und nicht emanzipiert werden.

Vorhang fällt.

Epilog

Der Narr.

Nun also ist der Tanz vorbei. Zu oft fiel das erlösende Wort, das zwar nicht falsch wird durch häufiges Erwähnen, aber besser wäre, die Menschen verstünden’s aus der Sache selbst, ohne daß es immer eigens benannt werden müßte. So geht wohl mancher im Publikum mit dem Gedanken nach Hause, daß dieser Kommunist auch niemand hinter dem Ofen hervorholen wird, an dem er selbst sich’s dann gemütlich machen wird. Das Spielchen, das heute getrieben wurde, geht also weiter, oft und oft wird das ganze Spektakel noch aufgeführt werden. Mühsam ist die freie Assoziation.