Klassenkampf ohne Klasse

Weltweit kämpfen Menschen jeden Tag gegen die Folgen des Kapitalismus, der täglich Tausende durch Hunger, Krieg, behandelbare Krankheiten und erbarmungslose Ausbeutung tötet. Wir sind solidarisch mit ihnen, im Kampf gegen das Kapital und auch im Protest am 1. Mai, als Symbol für den internationalen, revolutionären Kampf.“ Bündnisaufruf zum ersten Mai 2013

SO36. Jedes Jahr aufs Neue. Hier und da brennen vereinzelte Mülltonnen. Oder betagte Autos. Die grünen Wannen fahren mit Blaulicht über rote Ampeln. Überall blitzen Kameras. Die Medienschaffenden sind aus der ganzen Welt angereist. Mittendrin stehen gaffende Touristen. Für das lokale Gewerbe ist das einer der umsatzstärksten Tage im Jahr. Für die Bewohner einer der unangenehmsten.

Einige schwarz vermummte Personen bezeichnen das Schauspiel als solidarischen Kampf gegen die Folgen des Kapitalismus. Aber abgebrannte Autowracks ändern nichts am elenden Zustand der Welt. Weder wird damit der Hunger bekämpft, noch verhindert das Spektakel behandelbare Krankheiten bzw. zaubert die dafür notwendigen Medikamente herbei. Schließlich erinnert das kollektive Ausagieren an der behelmten Staatsmacht an genau jenen Zustand, den man vorgibt zu bekämpfen, einen Krieg.

Am 1. Mai in Berlin ist einfach alles anders. Vereinzelte Subjekte fühlen sich einer Klasse zugehörig, objektiv gibt es aber schon lange keine Klassensolidarität mehr. Der Deutsche Gewerkschaftsbund betreibt eine Leiharbeiterfirma. Die heutigen Revolutionäre organisieren fleißig die Massen, um später in die Fußstapfen ihrer Vorgänger Ulla Schmidt (KBW), Gerhard Schröder (Stamokap-Jusos), Joschka Fischer (Revolutionärer Kampf) oder Winfried Kretschmann (KBW) zu treten. Und das organisierte Industrieproletariat betet inständig dafür, dass niemand ernsthaft in der EU seine Solidarität praktisch einfordert.

Bilder für die BILD

Alle Revolutionen haben bisher nur eines bewiesen, nämlich, dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen.“ Karl Marx

Für die Schweinepresse von Springer ist es der Tag im Jahr, an dem man dem interessierten Werktätigen vorführt, dass seine Befreiung allerhöchstens im Chaos enden kann. Das spärliche Eigentum, was er sein Eigen nennt, fackeln im schlechtesten Fall die selbsternannten Befreier ab. Die aktivsten Steinewerfer enden, dank der unzureichenden Solidarität untereinander, für längere Zeit im Knast. Für eine revolutionäre Agitation ein denkbar schlechtes Ergebnis. Man mobilisiert die Falschen, um die Richtigen zu erreichen.

Kleinkriminelle, Arbeitslose und Studenten, in der Sprache der Revolution: Kleinbürger, pauperisiertes Lumpenproletariat, gelangweilte Bürgersöhne und -schwestern schmeißen in Kreuzberg fleißig Pflastersteine auf Polizisten, die laut Marxscher Klassentheorie eindeutig als Proletarier zu bezeichnen wären. Das organisierte Industrieproletariat dagegen mampft irgendwo in der Innenstadt seine Bockwurst, trinkt Bier und gibt sich den Sonnenstrahlen hin. Eine revolutionäre Situation sieht anders aus.

Das wissen die Organisatoren des Events nur zu genau. Ihnen geht es nicht um die Revolution. Schöne Bilder für die nächste Mobilisierung, virtuelle Schulterklopfer und Frustbewältigung sind die wahren Motive, die eigene Freizeit derart sinnlos zu vergeuden. Das Gerede von der Krise ist dabei nur weiteres propagandistisches Schmuckwerk für die Mobilisierung. Das Ende des Kapitals steht nicht bevor. Deshalb belässt man es bei der alljährlichen Revolutionssimulation.

Der Traum ist aus

Richtige Revolutionäre sind voller Ungeduld und immer in Eile, die Zeit drängt. Bei uns war es umgekehrt, wir hatten alle Zeit der Welt, der Sozialstaat lässt auch seine Revolutionäre nicht verhungern. Man träumt halt ein bisschen. Unerfüllbare Träume sind die schönsten, weil sie nie mit der Realität kollidieren können.“ Wolfgang Pohrt

Der ehemalige Sprecher des revolutionären 1.Mai-Bündnisses ist heute Arzt. Sein Vater erwarb ein besetztes Haus in Berlin um das Portfolio der Familie zu erweitern. Der Zusammenhang dabei ist selbstverständlich kein familiärer. Sippenhaft ist unschicklich. Aber irgendwie muss so ein Bummelstudium in der hippen Hauptstadt auch finanziert werden. Revolution simulieren können Arbeiterkinder in ihrer Freizeit eher weniger. Dafür fehlt einfach das nötige Kleingeld.

Dank dem Schweinesystem hat auch die ehemalige Terroristin und heutige Rentnerin Inge Viett das nötige Kleingeld, um im Namen der Revolution wieder zu agitieren. Der sogenannte Klassenkampf von unten, wie Viett blumig die Aktivitäten der RAF umschreibt, meinte in Wahrheit nur Terror aus Neid. Einzelne Charaktermasken des Kapitalismus zu entführen bzw. zu erschießen war nur deshalb eine Option, weil schon damals die Masse die Revolution verweigerte. Da man aber – wie die Vorbilder aus Lateinamerika oder Vietnam – aktiv am internationalen Befreiungskampf teilnehmen wollte, blieb nur der individuelle Terror.

Für das Recht auf Faulheit

Die bürgerliche Gesellschaft hat es soweit gebracht, daß vernünftig ihre revolutionäre Wahrheit nicht mehr behauptet werden kann, sondern zum Wahn wird. Das Interesse, sie zu revolutionieren, kann außer des trotzigen „Ich will“ keine weiteren Gründe mehr beibringen.“ Joachim Bruhn

Objektiv besteht heutzutage keine revolutionäre Situation. Der Traum von einer Revolution war schon zu Zeiten der K-Gruppen längst ausgeträumt. Deutlich wird dies vor allem dort, wo selbsternannte Revolutionäre als Teil der als Demonstration bezeichneten Trauermärsche gewerkschaftlicher Organisationen auftreten. Die Hoffnung, mit den alten Parolen jene vor dem Ofen hervorzulocken, die sich in den maßgeblichen Situationen für Deutschland und gegen den internationalen Klassenkampf entscheiden, ist ein Unterfangen, welches dem Kampf gegen die Windmühlen verblüffend ähnelt.

Ähnlich wie der Landadlige Alonso Quijano, der nach der Lektüre von fiktiven Ritterromanen eines Tages selbst ein fahrender Ritter werden will, hat das ausgiebige Studium der marxistischen Klassiker bei nicht wenigen Lesern einen ähnlichen Dachschaden angerichtet. Bei den umherschweifenden Berliner Haschrebellen reichten dafür womöglich die Propagandafilme der DDR völlig aus. Die jeweiligen Fraktionen unterscheiden sich zwar, aber das Ergebnis ist ein und derselbe Revolutionszirkus.

Wir rufen auf, am ersten Mai sich von den Strapazen der Lohnarbeit zu erholen, statt Teil einer wie auch immer gearteten „experimentellen Praxis“ zu sein. Der Faulheit zu fröhnen ist zumindest solange ein revolutionärer Akt, wie die Revolution einfach nur Arbeit macht.

Antideutsche Aktion Berlin (ADAB) im April 2013

Genossen in der Krise

Kommunisten sind einsam. Sie haben höchstens die Wahrheit auf ihrer Seite. Die Genossen sind schon Jenseits von Gut und Böse. Die Realität hatte ihnen einst übel mitgespielt. Wenn dann aber doch auf einmal ein solch seltenes Exemplar aus der grauen Masse herausragt, kommt man nicht umhin, dem ollen Marx nachträglich dafür zu danken.

Aber Vorsicht! Im bundesdeutschen Politkarneval sind viele nur als Kommunisten verkleidet. Dem einen Deutschen ist es reine Identität, dem anderen spiegelt es Pluralität. Genau deshalb durften sich vor einigen Jahrzehnten die letzten Aufrechten in einer kommunistischen Partei organisieren, die das entscheidende Wörtchen deutsch dem Kommunismus voranstellte. Heute ist dieser Haufen zwar nur noch ein Häuflein. Ideologie produziert er trotzdem noch.

DDR-Bürger waren es gewohnt, ohne Nachteile zu befürchten, öffentlich, in Belegschafts-, Gewerkschafts-, oder Partei- versammlungen an der Betriebsleitung oder an sonstigen Vorgesetzten Kritik zu üben. Die Diskussion von Problemen in den Betriebsparteiorganisationen der SED war von größter Bedeutung!“, Erich Buchholz, ehemaliger Professor für Strafrecht an der Humboldt Universität Berlin, in Theorie und Praxis, Februar 2013

Elend ohne Not. Kommunisten verteidigen keine Gefängnisse. Nicht einmal die eigenen. Dies gilt selbstverständlich auch für das Freiluftgefängnis DDR. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) hingegen setzt nur zu bereitwillig den Kampf für eine bessere Zukunft aufs Spiel, um die wahrhaft unglaubwürdige Ehrenrettung einer mehr als schlechten Vergangenheit durchzusetzen. Ein Verrat, der nicht größer sein könnte. Und aussichtsloser.

Meinungsfreiheit herrscht nicht.

Grabpflege anstatt Geburtshilfe ist das Motto einer Organisation, die eigentlich der gesamten Welt vorgaukelt, „der Zukunft zugewandt“ zu sein. Ist das nun die Farce, von der einst Karl Marx sprach, oder doch nur ein Ausdruck des alltäglichen deutschen Wahnsinns?

Wir früheren DDR-Bürger vermissen heutzutage den scharfen politischen Witz über das Führungspersonal dieses Landes. Natürlich gibt es eine Fülle gekonnter Satire-Sendungen, die auch als Ventil dienen. Aber es mangelt an der weiter erzählten Persiflage. Bei uns waren pointierte Ulbricht- und Honecker-Witze geradezu Legion. Fast jeder Dritte kannte sie.“ Klaus Steiniger, ehemaliger Redakteur des „Neuen Deutschlands“, in Theorie und Praxis Februar 2003.

Dem einen oder anderen DDR-Bürger ist dabei schon mal das Lachen vergangen. Wenn man Pech hatte und an den Falschen geriet, stand die Staatssicherheit vor der Tür. Für etwas gescheitere Witzbolde gab es die Ausbürgerung. Geschenkt. Dafür konnten sich die Redakteure auf den Fluren des „Neuen Deutschland“ gegenseitig die neuesten Witze über das Führungspersonal erzählen. In der Zeitung lesen konnte man sie dagegen nie.

Was diese Ewiggestrigen einfach nicht verstehen wollen, in der derzeitigen Gesellschaft hat jeder individuelle Probleme. Menschen, die in einem Zwangskollektiv leben nur eines: Als erstes die weitestgehende persönliche Freiheit zu erreichen. Jedenfalls, wenn sie noch halbwegs bei Verstand sind. Das harmlose Ventil im Zwangskollektiv DDR war der politische Witz, erzählt von Mund zu Mund. Die politische Antwort war die Staatssicherheit und einige ausgewählte Satire-Sendungen im Fernsehen.

Die Dialektik des Witzes

Pustekuchen! Leider keine Farce. Ein einschneidendes Ereignis im Januar beweist bedauerlicherweise, es handelt sich hierzulande stets um den alltäglichen deutschen Wahnsinn. Alles andere ist Quark: Die sozialdemokratischen Pendants zur kommunistischen Persiflage gaben aus heiterem Himmel, so mir nichts, dir nichts, ihr neuestes Husarenstück zum Besten. Einige hundert Jungpioniere, organisiert in und bei der Linkspartei sowie der SPD, zogen diesmal, nicht nur ideologisch getrennt von den Stalinisten, Maoisten und Seifenkisten, zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht artig um die Häuser. Gedenken in der Krise, im wahrsten Sinne der Worte.

Auch wenn man nun getrennt marschiert. Die Jugend opfert sich auf beiden Seiten unverblümt für die eigene (Partei)Biografie. Ob sozialdemokratisch oder kommunistisch. Völlig egal. Und eines ist gewiss, ums Ganze ging es an diesem Tag auf den Straßen von Berlin bestimmt nicht. Es ging um die Häuser, die Distinktion und letztendlich um die eigene Identität. In der Sprache der tablettensüchtigen Freunde stumpfer Fabrikmusik: Nein, nein, nein, das hat mit Kommunismus nichts zu tun!

Sozialisten kämpfen niemals für den Mindestlohn. Selbst sie haben höhere Ziele. Rosa & Karl wussten das. Egal wo sich gerade ihre Gebeine befinden, das ewige Rotieren ist ihnen sicher. Dieses Los teilen Beide mit vielen Leidensgenossen. Das derzeitige Elend ist bezeichnend genug. Die Ewigjunggebliebenen stehen als Reservearmee für die bezahlten Politkader in der Tradition der alten deutschen Sozialdemokratie immer bereit. Links blinken, rechts abbiegen. Ein zeitloses Erfolgsmodell.

Die organisierten Kommunisten sind gleichfalls keine guten Vorbilder. Gesinnung ist heutzutage von der Biografie und der Tagesform abhängig. Kein Spaß! Ein Boulevard der Eitelkeiten, auf dem Meinung feil geboten wird, wie die unverkäufliche Bückware bei Penny. Deutsche Ideologie gibt es gratis obendrein. Leider nicht umsonst. Als Ventil kann da nur noch die Satire herhalten.

Treffen sich zwei Kommunistinnen zufällig in der Bäckerei.

Antideutsche Aktion Berlin (ADAB) im Februar 2013