Gedanken zu Antifa und Provinz

Anlässlich der heutigen Mobilisierung gegen das Rechtsrockevent “Eichsfeldtag” möchten wir an folgender Stelle ein paar Worte dazu verlieren, was es heißen sollte heute sich als Antifaschist zu bezeichnen, besonders in der Provinz.

Antifaschismus befindet sich spätestens seit dem von Gerhard Schröder ausgerufenen “Aufstand der Anständigen” im Jahr 2000, in der paradoxen Situation sich immer wieder zwischen staatstragenden Antirechtsaktivismus und selbstzweckhafter Selbstermächtigung zu bewegen.
Je nach Situation bleiben ihm nicht viele Optionen sich sinnhaft einzubringen, ohne zum Selbstzweck zu werden. Wer denkt durch ein paar “Nazis raus” Rufe oder Sitzblockaden ein Neonazifestival verhindern zu können, der hat keinen realitätsnahen Bezug dazu was möglich und sinnvoll ist. Verbote, wie die des Rechtsrockgroßevents in Mattstedt sind nur durch die Ordnungsbehörden möglich und auch diese sind eher Zufall als alles andere.

Antifaschismus muss sich dementsprechend an den vorhandenen Verhältnissen messen lassen und fällt und steigt mit seinem Bezug zu diesen. Wo sich der Antifaschismus der Szene- und Studentenstädten zu einer identitätsstiftenden Freizeitaktivität entwickelt hat, bei denen man sich heldenhaft seine Gesinnung im Kampf gegen die paar übriggebliebenen Proleten beweisen kann, anstatt sich dem politischen Islam und dessen Gehilfen in den Moschee- und Kulturvereinen anzunehmen, ist er in der Provinz durch seine Hilflosigkeit geprägt, aufgrund der Enge des Landlebens, der Verschwiegenheit der Dorfgemeinschaft und deren Wunsch nach der repressiven Idylle.

Gerade in der ländlichen Provinz bleibt Antifaschismus in seinem klassischen Sinne notwendig, da der Aufstand der Anständigen und die Verdrängung der sozial deklassierten aus ehemaligen urbanen Molochen in die Vorstädte, sowie die Verelendung der ländlichen Regionen, in der Provinz nur weiter das Elend und die Verbitterung hervorgekehrt hat. Diese mündet in der falschen Angst vor der Verdrängung und der richtigen Vorahnung der eigenen Überflüssigkeit. Doch muss er sich auch bewusst sein, dass der Kampf gegen Neonazistrukturen ähnlich den bürgerlichen Heimatschützern zugutekommt und muss dies ebenso heftig kritisieren.

Die Reaktion in den Provinzen ist mittlerweile, dass man auch hier eher “Bunt statt braun” sein will, man will auch weltoffen und attraktiv-verwertungsnah sein, wo sich eigentlich der Unmut über die offensichtliche Abgehängtheit weiter breitmacht. Doch bleibt dieser Versuch vor allem besetzt als ein Standortschutz und eine Bewahrung der Idylle, die in letzter Instanz wirkungslos bleiben muss. Das Problem erscheint nicht dringlich, weil es grundlegend falsch ist, sondern weil es die falsche Idylle dort aufdeckt, wo man ihre Störung am liebsten wieder vergessen würde. Neonazis in Thüringen können, trotz ihrer marginalisierte Existenz, ihren verlorener Kampf um die Vernichtung alles “volksfremden” mit einem nicht unbeachtlichen Erfolg fortsetzen. Dass erscheint kaum ein Problem, solange man dem ein konfliktfreies “Bunt statt braun” entgegensetzen kann, dass wenig Einsicht bietet und nicht selten in einen blanken Proletenhass, gegen die minderbemittelten Standortfeinde ausartet.

Die Enge der Provinz verhindert auf doppelte Weise die vernünftige Einsicht in die eigene Lage. Die Unerträglichkeit von sozialer Ausgestoßenheit und Perspektivlosigkeit einerseits und die daraus erwachsenden Gewalt andererseits werden bunt angemalt und sollen dadurch erträglich scheinen. Diejenigen die sich hiergegen positionieren bleiben hilflos zurück oder fliehen in den urbanen Raum. Die Verschwiegenheit des Dorfes soll wieder aufgebaut werden, notfalls auch mit den absurden “Bunt statt Braun” Sprüchen, die nicht nur der Realität aufgrund der homogenen Bevölkerungsschichten fremd sind, sondern auch die eigene Notlage immer wieder verkennen in der sich das Gewaltverhältnis aufbaut.

Antifaschismus kann in dieser Gemengelage nicht die Affirmation des bunten Heimatschutzes sein, er kann aber auch nicht der umstandslose Hass auf die provinziellen Proleten sein, der ähnlich in einer in Affirmation der parteinahen, moralinsauren Standortbeschützer endet. Antifaschismus muss es hier schaffen die radikale Kritik am Bestehenden weiter zu greifen als im allgemein konsensfähigen Kampf gegen Neonazis, der in seiner Radikalität notwendig bleibt, aber eben nicht auf dem Niveau eines Bürgerbündnis stehen bleiben kann um in der Irrelevanz zu enden.

Daher verstehen wir uns notwendig bedacht auf den Kampf gegen Neonazistrukturen, die Allen die offen gegen sie entgegentreten oder einfach nur durch Existenz als unliebsam abgestempelt werden, das Leben zur Hölle macht, aber sehen uns ebenso in der Stellung gegen diejenigen Stellen, die diesen Kampf nur aufnehmen um ihren Standortschutz betreiben zu können und denen die Enge der Dorfgemeinschaft eigentlich behagt. Gleichzeitig forcieren wir die Parteinahme den politischen Islam, der sich nicht nur in Gestalt der seltsamen Salafisten zusammenrottet, sondern in Anzug und ohne Krawatte in Vereinen und Moscheen ihre reaktionäre Ideologie ausbreiten kann und der Stück für Stück das bisschen verbliebene jüdische Leben in Europa unmöglich macht.

Antifaschismus der die Realität der Verhältnisse ernst nimmt muss sich dieser Gemengelage gewahr bleiben oder werden um nicht im wahnhaften und beliebigen Aktivismus zu enden. Hauptsache gegen Rechts gewinnt zwar heute den Applaus von fast allen, bleibt aber wirkungslos. Stattdessen gilt es sich den Rechten, den Linken und den religiös-islamischen Feinden einer möglichen Emanzipation entgegenzustellen.

Für uns heißt das heute den Strukturen einer Neonazirechtsrockindustrie entgegenzutreten. Es heißt aber auch das wir hier nicht stehen bleiben und uns ebenso gegen den politischen Islam und die Verirrungen der wahnhaften Linken stellen werden.

Die Erben Dimitrovs

Antifaschismus im Südwesten

Blickt man auf die Berufsrevolutionäre im Südwesten, stellt man einen politischen Stillstand fest, der sich nur durch eine hartnäckige, narzisstische Ignoranz erklären lässt. Das immergleiche Gerede von der „revolutionären Perspektive“, die es zu schaffen gelte, versetzt jeden, der so viel Langeweile nicht gewohnt ist, direkt in ein Wachkoma. Homepages und blogsport-Seiten verbreiten die frohe Kunde der Revolution, die jedoch nur ein trauriger Abklatsch alter Leninzitate ist und deren Pathos den inhaltslosen Tatendrang preisgibt, dem sich die roten Revolutionäre mit Haut und Haaren verschrieben haben. Zentral für den Stillstand der südwestdeutschen Antifa ist – und das ist ganz bestimmt kein Alleinstellungsmerkmal – die ungebrochene Liebe zur Dimitrov-These.
Bekanntlich stellte Georgi Dimitrov 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern eine Faschismusanalyse vor, die damals schon nicht zutraf. Darin wird der Faschismus als „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ (1) beschrieben. Wenn die bürgerliche Demokratie im Kapitalismus in die Krise gerät, suche sich die herrschende Bourgeoisie „immer mehr ihre Rettung im Faschismus, um die schlimmsten Ausplünderungsmaßnahmen gegen die Werktätigen durchzuführen“ (2). Alle Ursachen des Faschismus werden auf den Kapitalismus reduziert und die konkreten Auswirkungen treffen primär die „werktätigen Massen in Deutschland“ (3). Die These Dimitrovs empfing die linke Internationale wie Moses die Zehn Gebote. In Stein gemeißelt gehört sie heute noch zum Elend linker Theoriebildung. Wer seinen antifaschistischen Tatendrang begründet wissen will, schaut entweder direkt in die Zehn Gebote Dimitrovs oder sucht sich einen beliebigen Antifablog im Ländle aus. Wir lernen beispielsweise bei der Antifaschistischen Aktion Aufbau Stuttgart: „Faschismus bedeutet – materiell betrachtet – eine extreme Steigerung kapitalistischer Phänomene, wie Ausbeutung, Unterdrückung, Leistungszwang usw. und erfüllt Funktionen, die dem kapitalistischen System insbesondere in Zeiten tief greifender Krisen sehr nützlich sind – wie die Zerschlagung von Gewerkschaften und links oppositionellen Strukturen, die in eben solchen Krisenzeiten eine hohe gesellschaftliche Relevanz entwickeln können.“ Folgerichtig wird der Nationalsozialismus im nächsten Abschnitt relativiert und auf das beschränkt, was in der DDR zum Gründungsmythos gehörte: „Das beste Beispiel ist der Nationalsozialismus, also die spezifisch deutsche Ausprägung des Faschismus, innerhalb dessen als erstes alle oppositionellen politischen Kräfte verboten wurden, folglich die Opposition in die Illegalität gehen musste. Die ersten, die in Arbeits- und Konzentrationslagern gefoltert und ermordet wurden, waren KommunistInnen, SozialistInnen und sonstige politische WiderständlerInnen.“ (4) Auch in Villingen-Schwenningen ist der Zeiger stehen geblieben. In ihrer Gründungserklärung findet sich eine „Knappe Analyse“ zum Faschismus, die keine Wünsche offen lässt: „Wir begreifen den Faschismus als Ideologie, die die extremste und reaktionärste Form der Klassengesellschaft darstellt. Der Faschismus als Staatsform stellt keinen grundsätzlichen Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung dar, vielmehr greift er dort vorhandene Versatzstücke wie Rassismus, Sozialchauvinismus und Nationalismus auf und treibt sie ins Extreme.“ (5) Die Antifa in Freiburg spricht vom Staat als fiesem Gegenspieler, der die liebe „revolutionäre Perspektive“ verunmögliche, weshalb „der bürgerliche Staat auch immer wieder mit faschistischen Bewegungen zusammen“ arbeite um „die Gefahr einer revolutionären Umwälzung von links“ (6) zu vermeiden.
Wo man die Mythen der warenförmigen Gesellschaft nicht zur Aufklärung treibt, verkommt die Kapitalismuskritik zu einer Regression, die bekämpft werden muss. Das personifizierte Kapital gab „Antikapitalisten“ jeder Couleur schon seitjeher Anlass zum Pogrom. (7) Antifaschisten, die den Faschismus noch im 21. Jahrhundert allen Ernstes als eine vom Staat bzw. der Bourgeoisie eingesetzte Macht zur Abwehr ihrer nichtigen „revolutionären Perspektive“ auffassen, sind als unverbesserliche Narzissten zu denunzieren. Einer Analyse nachzuhängen, die nicht nur falsch, sondern auch regressiv ist, birgt nicht selten die Gefahr selbst zur Regression zu werden. So verwundert es nicht, dass auch die braunen Kameraden des „Antikapitalistischen Kollektivs“ eine ähnliche Analyse bereithalten. Sie planen „umfassend gegen die Symptome und die kapitalistische Bedrohung an sich vorzugehen. Wir wollen die Komplexität dieses Systems aus Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung nicht nur benennen, sondern uns den einzelnen Protagonisten und Akteure aktiv entgegen stellen.“ (8)
Theoretisch steht die rote Antifa im Südwesten mit einem Fuß in der Querfront – ihr Dasein und Wirken ist nur noch Selbstzweck. Damit ist der süddeutsche Antifaschismus vor allem eins: deutsch.

Antideutsche Aktion Baden

(1)http://www.marxists.org/deutsch/referenz/dimitroff/1935/bericht/ch1.htm#s1
(2)Ebd.
(3)Ebd.
(4)https://www.antifa-stuttgart.org/standpunkte/
(5)https://antifavs.noblogs.org/grundungserklarung/
(6)http://www.antifaschistische-linke.de/PDF/2011-12-10-flugblatt.pdf
(7) Vgl. Scheit, Gerhard: Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus, Freiburg 2006, S. 14: „Für den Antisemitismus ist das Moment der Verkörperung eine Schlüsselfrage. Mögen seiner Phantasie nun Gottesmörder oder Wucherer, schöne Jüdinnen oder ewigen Juden, Ritualmörder oder raffende Kapitalisten entspringen – sie ist stets vom selben Wunsch besessen: das Unheimliche des abstrakt gewordenen Reichtums, das ‚sich selbst vermehrende‘ Geld, zu personifizieren.“
(8)http://www.antikap.org/?page_id=22

Auf dem Dorf ist es scheiße.

Das nächste AZ ist 2 Stunden weg, aber auch nicht besser, die Zecken sind so reaktionär wie die, die sie zu bekämpfen vorgeben. Wir kennen diesen Zustand, wegziehen wäre die beste Option, ist aber nicht in jedem Fall möglich. Was bleibt da noch? Die Vernetzung! Anders als beim „Revolutionären Aufbau“ oder dem „Anarchistischen Netzwerk Südwest“ wollen wir aber nicht in aktionistischer Symbolpolitik aufgehen, sondern gemeinsam diskutieren, uns kennenlernen und diese Vernetzung gestalten. Wir wollen uns gegenseitig stärken und in unserer Kritik bestärken. Wir wollen gemeinsam mit euch die barbarischen Zustände in der Provinz angreifen!

Antideutsche Aktion Baden

Straight to Hell!

Weg mit den braunen Zonen! Weg mit der AfD!

Demonstration an Himmelfahrt (Donnerstag, 5. Mai 2016),
15:00 Uhr in Bornhagen/Thüringen.

Bornhagen ist ein Nest im Thüringischen Eichsfeld. Dort wohnt nicht nur der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, die wohl unangenehmste Gestalt der an unangenehmen Gestalten nicht gerade armen Führungsriege der Partei. Bornhagen steht vielmehr pars pro toto für die Dutzenden Käffer, in denen die Alternative Futterneid, Enthemmung und Wutbürgertum heißt. Vermiesen wir dem Thüringer AfD-Häuptling und seinem Wahlvolk durch unsere bloße Anwesenheit ihr Himmelfahrtsvergnügen und sagen: Go straight to Hell!

Spätestens seit den letzten Landtagswahlen sind sich alle einig. Selbst diejenigen, die angesichts von Pegida, der Nazi-Riots von Freital oder Heidenau noch von einem ostzonalen Problem sprachen, glauben seit dem Einmarsch der AfD in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zu wissen: Der wutbürgerliche Anti-Establishment-Gestus, der seinen organisatorischen Ausdruck in der Truppe um Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke gefunden haben, ist ein gesamtdeutsches Phänomen. In der Tat zeigen die Wahlergebnisse von bis zu 15 Prozent im Westen, dass die AfD auch dort über eine große Anhängerschaft verfügt. Dennoch basiert die Rede von einem gesamtdeutschen Phänomen oder, direkt damit verbunden, einem flächendeckenden rassistischen Normalzustand vielfach auf einem interessierten Missverständnis. Vor allem den Vertretern des etablierten ostdeutschen Politbetriebes – von den ehemaligen Blockflöten bis zur Linkspartei – ist daran gelegen, die Amokläufe der Landeskinder/Ost zu verharmlosen, indem sie diese mit den Vorgängen jenseits der ehemaligen Zonengrenze aufwiegen.

Die Ossis des Westens

In letzter Konsequenz ist die Rede von den gesamtdeutschen Phänomenen AfD ein Angriff auf die Unterscheidungsfähigkeit, die zu den zentralen Voraussetzungen von Erkenntnis und Kritik gehört. Allen Angleichungen zum Trotz gibt es im Hinblick auf die Alternative für Deutschland nämlich ein dreifaches Gefälle: Die Partei ist eher – und darauf liegt die Betonung – ein Ost- als ein Westphänomen, sie findet ihre Wähler eher im ländlichen und mittelstädtischen Raum als in den Ballungszentren und sie ist eher in abgewirtschafteten als in boomenden Regionen erfolgreich.

Der Aufstieg der AfD im Westen geht nicht zuletzt darauf zurück, dass als Folge von Deindustrialisierung, dem Ende des Wohlfahrtsstaates, Arbeitslosigkeit und Prekarisierung auch dort in einigen Regionen ein Sozialtypus entstanden ist, dessen Vertreter wissenschaftlich exakt als Gefühlszonis bezeichnet werden können. Seiner Herausbildung kam eine Veränderung der öffentlichen Meinung entgegen: Gilt der qualifizierte Ausländer inzwischen als Bereicherung der Gesellschaft, sorgen die Angewohnheiten und Verhaltensweisen der vielbeschworenen Modernisierungsverlierer überall für Spott. Das ist nicht nur ein Signal an die bereits Abgehängten, sondern auch an den traditionellen, vom Abstieg bedrohten Mittelstand, der aufgrund fehlender Fremdsprachenkenntnisse und Computerskills befürchten muss auf der Strecke zu bleiben. Wie ihre Gesinnungsgenossen im Osten sehnen sich die Zornis des Westens nach dem traditionellen Volksstaat zurück, der vor den Anforderungen des internationalen Marktes beschützt und zumindest teilweise von der Sorge um den Verkauf der Ware Arbeitskraft befreit. Sie kämpfen gegen die drohende oder bereits stattgefundene Deklassierung und für eine staatliche Sozialpolitik, bei der wieder der Geburtsort darüber entscheidet, wer bei der Verteilung der Staatskohle bevorzugt wird.

Das ist auch der Dreh- und Angelpunkt ihrer regelmäßigen Bezüge auf die Nation. Die emotionale Bindung ans Vaterland ist weniger über die Nationalhymne vermittelt, die auch der herkömmliche AfDler kaum noch kennt, als über die alte D-Mark. Sie ist zum Symbol dessen geworden, was sich längst ins Zentrum des Nationalbewusstseins geschoben hat: das Sozialsystem (Krankenversicherung, Rentensystem, Arbeitslosengeld usw.), das inzwischen ebenso zur Disposition steht wie vor einigen Jahren die alte Währung. Das aufgedrehte Deutschland-Gedudel der AfD heißt weniger, dass man fürs Vaterland endlich wieder in den Schützengraben kriechen will, sondern dass sich Abstammung wieder lohnen soll.

Modell Islam

Dass sich diese Sehnsucht regelmäßig in Warnungen vor einer Islamisierung ausdrückt, mag zunächst willkürlich erscheinen. Und tatsächlich waren die einschlägigen Anti-Islam-Parolen von AfD und Co. stets auch Chiffren für ordinäre Ausländerfeindlichkeit. Das gilt nicht zuletzt für das seit Jahren von Parteienforschern beschworene „rechtsextreme Wählerpotential“, das die AfD überall abgreifen konnte. Trotzdem ist es kein Zufall, dass der Islam zum Symbol für die Krise des Etatismus wurde. Denn im Zuge der Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates wurden zahlreiche Behördenaufgaben an gesellschaftliche und private Initiativen delegiert. So erhielt etwa die Familie als Betriebs- und Bedarfsgemeinschaft neue Bedeutung. Insbesondere in den Regionen, die der AfD und ihrer inoffiziellen Vorfeldorganisation Pegida als Vorhöfe zur Hölle gelten, in Kreuzberg, im Ruhrpott usw., gewannen auf den Feldern, die der Staat bei seinem Rückzug aufgab, islamische Institutionen und Communities an Boden.

Der Islam stellt die praktischen Mittel und das ideologische Rüstzeug bereit, um das Elend zu verwalten, für die sich der Staat nicht mehr verantwortlich fühlt. Krankenversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Altersvorsorge? Das alles hat die Sippe zu gewähren. Religiöse Vorschriften, patriarchale Strukturen und Zwangsbindungen verbürgen die Haftung der einzelnen Mitglieder füreinander, Familiengerichte und Brüderverbände übernehmen den Job von Justiz und Polizei. Auch wenn hierzulande gezögert wird, islamischen Gangs auch offiziell staatliche Aufgaben zu übertragen, zeichnet sich ab, was z.B. in britischen Großstädten längst klare Konturen gewonnen hat: Um Kosten bei Integration und Verwaltung zu sparen, nimmt der Staat die integrierende Kraft islamischer Institutionen in Beschlag. So vollzog sich der Aufstieg des Islams zur Ideologie der Entrechteten europaweit nicht nur parallel zum Niedergang des Sozialstaates, sondern zwischen beiden Entwicklungen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.

Der Otto-Normal-AfDler ist so stark auf den Islam fixiert, weil er für ihn Wunsch- und Angstbild in einem ist. Er sehnt sich auf der einen Seite nach dem Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft, dem Bedeutungszuwachs der Familie, traditionellen Rollenbildern und der Erlaubnis zum Losschlagen. Die Feindschaft gegen die Anhänger des Propheten geht in AfD-Kreisen insofern oft auf Neid zurück – die Umma ist die ersehnte Volksgemeinschaft. Auf der anderen Seite wird der Rückzug des traditionellen Wohlfahrtsstaates, der den Aufstieg des Islams zur Instanz großstädtischer Elendsverwaltung beförderte, hingegen befürchtet: Die islamischen Communities erinnern den bedrängten Mittelstand und die bereits Abgehängten auch an ihr eigenes Schicksal.

Besonderheit West

Neben den tatsächlichen oder halluzinierten Weltmarktverlierern spricht die Partei im Westen jedoch noch eine weitere Klientel an. Wenn es die dortigen Gefühlszonis nicht gäbe, könnte man den Eindruck gewinnen, dass unter dem Namen AfD in den alten und in den neuen Bundesländern zwei verschiedene Vereine auftreten, die um zwei unterschiedliche Wählergruppen werben. Denn trotz des Rückzugs von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel aus der Partei ist der wirtschaftsliberale Flügel im Westen noch stark vertreten. Mehr noch: Seine Vertreter scheinen dort die Alphahähne innerhalb der AfD zu sein.

Die wirtschaftsliberale Fraktion spricht ein Publikum an, das es in der Zone kaum gibt: die traditionellen Wohlstandschauvinisten. Aus diesem Grund ging die AfD in Ost und West auch mit unterschiedlichen, teils gegenläufigen Parolen auf Wählersuche. So dürften die Forderungen nach der Abschaffung des gesetzlichen Mindestlohnes und der Senkung des Hartz-IV-Satzes, mit dem die Partei im Westen hausieren ging, beim AfD-Volk/Ost auf Ablehnung stoßen. Im weniger proletarischen Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz dürften sie der Partei dagegen einige Stimmen eingebracht haben. Das traditionelle, in beiden Ländern stark vertretene Mini- und Kleinunternehmertum ist von Saisonarbeitern, billigen Zulieferern usw. abhängig. Bei ihm hat sich der Traum vom starken Staat, der seine Interessen wahrt, vielfach mit dem Wunsch verbunden, nicht von den Ansprüchen des Prekariats belästigt zu werden.

Kurz: Sieht man von Neonazis und anderen klinischen Fällen, den Chem-Trail-Spezialisten, Spiritisten und weiteren Irren, ab, die sich von der AfD dies- und jenseits der Zonengrenze angesprochen fühlen, dann herrscht unter ihren Wählern im Osten die Sehnsucht nach einer Art – im Wortsinn – nationalem Sozialismus vor, der sein Vorbild in einer autoritäreren Version der sozialdemokratischen Rundumfürsorge der Ära Schmidt hat. Für ihre westlichen Wähler gibt die Partei dagegen eine Reinkarnation des Nationalliberalismus der Bismarck-Ära.

Epizentrum Ost

Weil es diesen Sozialtypus im Osten kaum gibt, die Zahl der tatsächlichen oder halluzinierten Weltmarktverlierer dort wesentlich größer ist und die Linkspartei mit ihrer Propaganda für einen autoritären Sozialismus und ihrem „Belogen-und-Betrogen“-Gejammer den Boden für die AfD bereitet hat, befindet sich die größte Fanbase der Partei auch weiterhin dort. So wurden die Wahlergebnisse, die die AfD in den alten Bundesländern erzielen konnte, in Sachsen-Anhalt noch einmal um mindestens zehn Prozent übertroffen. Umfragen bestätigen diesen Trend: Auch die Bewohner der anderen Zonenländer würden ihre Westverwandtschaft deutlich übertrumpfen, wenn man in den nächsten Wochen Demokratieoffensive spielen und sie an die Wahlurnen lassen würde.

Dieser Unterschied wird noch offenkundiger, wenn man das unterschiedliche Klima betrachtet, in dem die AfD in Ost und West agiert. Die Rede ist von den Handfestigkeiten, mit denen Nazis und andere Wutbürger in den letzten Monaten gegen Ausländer vorgegangen sind: Brandanschläge, deren Täter heimlich und nachts kommen, gibt es auch im Westen. Ansonsten kommt der Protest gegen Asylbewerberheime dort in der Regel jedoch zivilgesellschaftlich mit Bürgerinitiative und Unterschriftensammlung daher. Die Volksaufläufe, Krawalle und Blockadeaktionen sind hingegen fast ausschließlich ostzonale Phänomene. Setzt man die Bevölkerungszahl, den Anteil von Ausländern und die Zahl von Übergriffen zueinander ins Verhältnis, dann gilt zudem immer noch: Für einen Syrer ist es mindestens siebenmal gefährlicher, eine Diskothek in Guben als eine in Gießen zu besuchen.

Warum Bornhagen?

Es würde sich also eigentlich überall in der Ostzone – und in einigen Regionen des Westens dazu – anbieten, gegen die AfD zu demonstrieren. Dass wir uns dennoch für Bornhagen im thüringischen Eichsfeld entschieden haben, hat zwei Gründe: Zum einen lebt jemand in dem 300-Seelen-Kaff, der zu den wohl unangenehmsten Gestalten der Partei gehört: der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke, der erst vor einigen Monaten mit der Rede von einem „afrikanischen Ausbreitungstyp“ für Aufmerksamkeit sorgte. Zum anderen haben wir uns für Bornhagen entschieden, weil es gute Gründe dafür gibt, dass sich der im Westen aufgewachsene Höcke dort so wohl fühlen kann, dass er aus Hessen, wo er im Schuldienst tätig war, dorthin übersiedeln konnte: Der Ort ist so etwas wie das idealtypische AfD-Nest: Es liegt eher im Osten als im Westen, ist eher Dorf als Großstadt und eher abgehängt als prosperierend. Wohl auch deshalb erreichte die Partei dort schon zu einem Zeitpunkt, als sie noch in den Kinderschuhen steckte, erstaunliche Wahlergebnisse. Bei den letzten Thüringer Landtagswahlen im September 2014, also noch vor der Flüchtlingskrise, erzielte die AfD in Bornhagen mit 36,5 Prozent ihr absolutes Rekordergebnis.

Seit Höckes Zuzug und dem Aufstieg der AfD haben im Eichsfeld zudem militante Nazis, zu denen Höcke eine eher kreative Abgrenzungspolitik pflegt, an Stärke gewonnen. Für die wenigen Andersdenkenden der Region, mit denen wir uns ausdrücklich solidarisieren, ist es in diesem nie sehr wirtlichen Landstrich damit noch schwerer geworden. Es gibt insofern genügend Gründe, um in Bornhagen zu protestieren. Umso verwunderlicher ist es, dass bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist, Höcke in seinem Heimatort auf den Zahn zu fühlen. Das ist auch der Grund für unsere Demonstration: Weil es sonst keiner tut, haben wir uns entschlossen, unsere Elfenbeintürme und Hartz-IV-finanzierten Großstadtvillen ausnahmsweise einmal zu verlassen, nach Bornhagen zu fahren und dem Björn zu zeigen, was eine Höcke ist. Vermiesen wir den AfD-Dörflern genau den Tag, an dem sie mal wieder so ausgelassen sein wollen wie sonst wohl nur dann, wenn jemand als Sau durch den Ort getrieben wird. Vermiesen wir ihnen durch unsere bloße Anwesenheit Christi Himmelfahrt!

Antideutsche Aktion Berlin (ADAB), Antifaschistische Gruppen Halle, Association Progrès Eichsfeld im April 2016

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Redebeitrag vom 8. Juli in Insel

Hallo Dieter, Hallo Anita, Hallo Bernd, Hallo Berta,

dass wir, die Demonstranten, sie Scheiße finden, sollte Ihnen schon längst aufgefallen sein. Wie Scheiße wir sie finden, werden wir im folgenden Redebeitrag etwas näher erläutern.

Als Sie sich das erste Mal aufmachten, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen, glichen Sie jenem hässlichen Lynchmob der im Mittelalter unter Gewaltandrohung Menschen aus dem Dorf jagte. Auch diese wussten damals schon: als eingeborene Inselaffen verteidigt man sein Revier mit harter Hand! Dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, negierte nicht nur die ständische Gesellschaft, sondern auch die den Bewohnern anerzogene, ständige Angst vor dem Fremden, dem bis dato Unbekannten. Die dörfliche Idylle, nach der sich heute auch wieder viele Berliner oder Hamburger Biodeutsche sehnen, glich einem Gefängnis, wer rein durfte, aber noch viel wichtiger, wer nicht raus durfte, das bestimmte der Mob.

Die Dörfer waren Hochsicherheitstrakte in denen die ländliche Bevölkerung dahin vegetierte, ein Moloch aus stinkender Arbeit, ständigen Demütigungen und Hass auf jedes Leben jenseits der eigenen vier Mauern. Wo der gesunde Volkszorn wütet, schweigt der Verstand. Wo Zivilisation von den Franzosen mittels Waffengewalt der deutschen Bevölkerung aufgezwungen werden musste, dort regierte einst die Lust auf die Lynchjustiz, da es ihnen nie um Regeln innerhalb einer Gesellschaft ging, sondern immer nur um die barbarische Rache an denjenigen, die nicht der Norm entsprachen.

Heutzutage, nach dem erneuten Abzug der Alliierten, bricht sich dieses feudalistische Bedürfnis da und dort auf dem deutschen Lande wieder seine Bahnen. Sie, Bewohner von Insel, sind dafür das beste Beispiel. Die von Ihnen als öffentliche Moralpanik verpackten Angriffe auf das demokratische Rechtssystem, ihre Lust auf die Bestrafung zweier Menschen, die schon mit Knast bestraft wurden und die Ihnen persönlich nichts angetan haben, ist Ausdruck irrationaler Bedrohungsgefühle und der daraus abgeleiteten Strafwünsche, es ist der Ausdruck der Barbarei des Mittelalters.

Das Mittelalter wurde nach lange Kämpfen auch in Deutschland militärisch besiegt. Werte Bewohner von Insel, dies steht Ihnen nun abermals bevor! Die staatlichen Sicherheitskräfte werden solange im Dorf stationiert sein, bis Sie Ihr Anliegen, zwei Menschen zu lynchen, aufgeben. Wenn es sein muss, bleiben die Polizisten bis ans Ende ihrer Tage hier. Doch damit nicht genug, wir, Antifaschisten aus Sachsen-Anhalt und Umgebung, werden Ihnen auch dauerhaft auf die Pelle rücken. Wer Aufmerksamkeit haben möchte, der bekommt sie auch von unerwünschter Seite. So, wie Ihr anti-zivilisatorisches Aufbegehren die anti-zivilisatorischen Kräfte von Bismarck bis zur NPD anzog, so werden nun, nach der Landesregierung auch andere Demokraten durch Ihr Dorf schreiten.

Wollen Sie dies wirklich? Ihre Insel der Glückseligen ist dann nicht nur von zwei Neumitgliedern Ihrer Gemeinde bedroht, nein die Demotouristen aus den unzähligen autonomen Gruppen in diesem Land setzen dann Insel auf ihre Landkarte. Die Öffentlichkeit wird durch diese Entwicklung noch öfter über das Treiben hier berichten und die Polizei wird ein Hochsicherheitstrakt aus dem Dorf machen. Es könnte am Ende wahrlich so kommen, dass Sie, Dieter, Anita, Bernd und Berta sich bald so vorkommen, als wären sie gefangen. Als würde jeder Schritt von Ihnen beobachtet werden.

Am Ende, liebe Bewohner von Insel, verlieren Sie den Frieden und die Idylle, weswegen sie ja den beiden zugezogenen Männern seit Monaten die Hölle heiß machen. Und mal ganz ehrlich, uns macht es einen Riesenspaß ab und zu mal am Wochenende hier nach dem Rechten zu sehen.

In diesem Sinne, bis bald, Eure Antideutsche Aktion Berlin

Insel Fluten – Gegen den Volksmob, seine Apologeten und Aufstachler

Demonstration: 08. Juli 2012 | Insel, bei Stendal
Treffpunkt: 14:30 UHR, Dorfplatz, Insel
Beginn: 15:00 UHR
Informationen zu Anreise, Route usw.: novolksmob.blogsport.de
Achtung: Abholung aus Stendal mit dem Shuttle-Bus nach Insel erfolgt um 14:30 am Hauptbahnhof in Stendal.


AUFRUF ZUR DEMONSTRATION IN INSEL

In Insel im nördlichen Sachsen-Anhalt finden sich seit letztem Sommer regelmäßig Dorfbewohner zusammen, um zwei Männer, die in den 1980er Jahren wegen Vergewaltigung verurteilt wurden, aus dem Ort zu vertreiben. Zu diesem Zweck haben sie auch den Schulterschluss mit Neonazis geprobt. Ihre Forderungen fanden bei der Landesregierung, bei Bild & Co. zumindest zeitweise Gehör. Anfang Juni versuchte ein 50-köpfiger Lynchmob, das Haus der beiden Männer zu stürmen. Er konnte nur durch vehementen Polizeieinsatz davon abgehalten werden. Die Demonstration „Insel fluten!“ richtet sich weniger gegen die Beteiligung von Neonazis am Protest, sondern gegen die ganz gewöhnliche Lynchmeute vor Ort, gegen die Zugeständnisse der Landesregierung an den Dorfmob und die Hetzkampagne von Bild & Co. Weiterlesen „Insel Fluten – Gegen den Volksmob, seine Apologeten und Aufstachler“