Flugblatt zu „Crash the Party“ / AfD-Bundesparteitag in Braunschweig

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“
– Theodor W. Adorno, Minima Moralia

FCK AFD!

An diesem Wochenende sind zahlreiche linke und linksradikale Personen und Gruppen nach Braunschweig gefahren, um gegen den Bundesparteitag der Alternative für Deutschland zu demonstrieren und versuchen, seine Abläufe wenigstens zu stören. Ein derartiger Sabotageversuch gegen den politischen Betrieb in Deutschland müsste von KommunistInnen und anderen Antideutschen eigentlich gut geheißen werden können – würden die Demonstrationen sich auch als ein solcher verstehen. Doch weder wird eine derartige subversive Radikalität unter dem Großteil der Protestierenden Anklang finden, noch wird der sich selbst als explizit linksradikal verstehende Teil der zu Grunde liegenden Analyse zustimmen. Zu sehr ist man verfangen im identitären Abgrenzungsbedürfnis und zu oft reiht man sich ein in das vermeintlich antifaschistische „zivilgesellschaftliche Engagement“, ohne dabei zu merken, dass man sich dabei von den als links gesehenen Parteien der postnazistischen Bundesrepublik vor den Karren spannen lässt.

Es ist – wie viel zu oft – die deutsche Zumutung des Antisemitismus, an dem das Versagen linker Kritik deutlich wird. Während die Lehre der Shoah für Israel und die meisten Jüdinnen und Juden in Europa heißt, dass sie sich niemals voll auf den Schutz einer anderen Staatsmacht verlassen können,1 demonstrierte die radikale Linke nach dem Attentat in Halle gemeinsam, in Abgrenzung zur AfD, mit VertreterInnen eben jener deutscher Parteien, die im Handel mit dem antizionistischen iranischen Regime – der größten Bedrohung die es für Jüdinnen und Juden auf der Welt momentan gibt – alles andere als ein Problem sehen.2 Der Parlamentarismus erscheint in neuem Glanz, weil unter gemeinschaftsstiftenden Parolen wie „Unteilbar“ oder „gegen den Hass“ die Widerwärtigkeiten der Berliner Republik verdrängt werden können.3

Ideologiekritik und Identität?

Bezeichnend dafür ist, dass die durch die Bank weg antizionistischen Ausfälle deutscher PolitikerInnen anlässlich der feierlichen Debatte zu „70 Jahre Gründung des Staates Israel – In historischer Verantwortung unsere zukunftsgerichtete Freundschaft festigen“4 im deutschen Parlament auch in der antinationalen und israelsolidarischen Linken kaum wahrgenommen wurden. Dass Katrin Göring-Eckardt Israel für den antisemitischen Terrorismus gratulierte oder Dietmar Bartsch, als – nach eigener Aussage – linker Politiker und deutscher Staatsbürger, Israel implizit für die Krisensituationen in seinen Nachbarländern verantwortlich machte, fiel der sprachsensiblen Linken nicht einmal auf, weil die „Einzigartigkeit der Shoah“ und das „Existenzrecht“ betont wurden und somit im für das eigene Wohlbefinden angemessenen Jargon gesprochen wurde.5 Das Einzige, was wirklich Aufsehen erregte, war die Rede einer führenden Charaktermaske der neurechten Bewegungspartei, die gemeinhin unter dem Namen Alexander Gauland bekannt ist. Auch wenn sie sich nur in wenigen Punkten vom sonst üblichen postnazistischen Konsens unterscheidet, war sie Grund genug für die Spaltprodukte der israelsolidarischen Linken – fälschlicherweise auch Rechtsantideutsche und Linksantideutsche genannt –, die eigene Reflexionsfähigkeit freudig über Bord zu werfen und sich politisch klar zur Rede zu positionieren. Ist es bloß ein popkulturindustrielles Bedürfnis nach Distinktion und Tabubruch oder das Ersetzen der sich unversöhnlich selbst gegenüberstehenden und deshalb fürs Individuum einiges an Anstrengung bereithaltenden Ideologiekritik, durch die wohlige Wärme einer politischen Identität im „Kulturkampf“?6 Nur weil das allgemeine Niveau der Debatte sich auf einem derartigen Tiefpunkt befindet, erscheinen einzelne Debattenbeiträge überhaupt als klug.

Politische Positionierungen haben es an sich, dass sie zwar mitunter temporär Raum für kritische Erwägungen haben – wie es einige vernünftige Papiere der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigen – aber im Eifer der Tagespolitik zu allem ein instrumentelles Verhältnis einnehmen müssen – wie es die zur Stiftung gehörende Linkspartei jeden Tag zeigt. Da auf einer Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD aber nicht mit allzu vielen sogenannten Rechtsantideutschen zu rechnen ist, soll uns deren wahnhafte Meinung nicht weiter beschäftigen, sondern der meinende Wahn des Kontraparts. Natürlich ist es für jene, die ihre politische Identität auf einer Solidarität zu Israel aufbauen, unmöglich die Israelsolidarität des politischen Feindes stehen zu lassen. Anders eine kommunistische oder ideologiekritische Israelsolidarität, die sich nicht um Tagespolitik scheren muss, sondern sich allein aus der Kritik von Staat, Kapital und ihren Fetischen begründet. Da die Rede inhaltlich aber kaum Unterschiede hergibt, außer der Zuspitzung der Staatsräson auf die Bereitschaft zu töten, muss sich am Wording abgearbeitet werden.7

Deutschland ist scheiße, in der AfD sind die Beweise.

Es ist nicht zu bestreiten, dass die AfD nicht dieselbe Qualität besitzt, wie die bisher bekannten parlamentarischen VertreterInnen des Postnazismus von Union, FDP, SPD, Linkspartei und Grünen. So sehr letztere auch den deutschen Konsens, gegen den Antideutsche und andere KommunistInnen seit der Wiedervereinigung anrennen, reproduzieren und so wenig ihre Phrasen von den angeblich Lehren des Nationalsozialismus mehr sind, als instrumenteller Teil einer politischen Praxis, einer rechtsradikalen und nationalistischen Bewegungspartei wie der AfD sind sie allemal vorzuziehen. Denn jene muss das Andenken an die Shoah gänzlich verdrängen, weil jede Erinnerung an sie, der von ihnen erträumten „Souveränität des ganzen Volkes“ im Sinne Carl Schmitts, samt todesmutigem Heroismus im Sinne Ernst Jüngers, diametral gegenübersteht.

Die AfD ist eine Reaktion auf eine ökonomische und politische Krise, deren Lösungen in der permanenten Mobilisierung eines ganzen Volkes bestehen und deren Erfolg mordlüsternen und autoritären Charakteren in der ganzen Republik Aufwind gibt. Doch die Mordgelüste und die autoritären Charaktere mussten nicht von der AfD geschaffen werden, sie tragen das notwendige, aber falsches Bewusstsein der sozialen, ökonomischen und staatlichen Zurichtungen im Rechtsnachfolger des Nationalsozialismus. Die AfD gewinnt ihre Stärke dadurch, dass die zivilisierten und von den Westalliierten domestizierten Kanäle zur Sublimation von Antisemitismus und rassistischer Mordlust, also Israelkritik und Abschiebung, nicht für alle gleichermaßen zur Verfügung stehen. Eine Kritik der AfD, die all das nicht berücksichtigt, verdrängt die Ursachen, leugnet den stummen Zwang von Staat und Kapital und vergisst die besondere Widerwärtigkeit dieser Zumutungen in Deutschland.

In diesem Sinne: danke, dass ihr da seid!

Nieder mit Deutschland und für den Kommunismus!
– Solarium (Bremen)

Quelle des Bildes: https://www.nationalismusistkeinealternative.net/autoritaere-sehnsuechte-begraben-die-befreite-gesellschaft-erkaempfen/

1 In diesem Kontext stehen auch die Aussagen eines Mitglieds der jüdischen Gemeinde in Halle gegenüber der Jüdischen Allgemeinen: 
„Die Gemeinde ist sehr, sehr klein. Und über das Video haben wir gesehen, dass er die Türen mit Sprengstoff oder anderen Materialien präpariert hatte. Es gab nur die Möglichkeit, uns in den Räumen zu verstecken und die Tür zu versperren, so gut es eben geht. Wir hatten unfassbare Angst. Die Tür besteht aus Holz und ist nicht sonderlich gesichert gewesen, wie man es etwa aus München oder Berlin kennt. Zudem waren wir unbewaffnet. Es ist ein Wunder, dass wir überlebt haben. Es war wirklich ganz, ganz knapp. Die Fenster sind aus normalem Glas, der Täter hätte nur hineinschießen müssen, schon wäre er drinnen gewesen und hätte ein Blutbad angerichtet. Zudem hat der Täter Molotowcocktails und, glaube ich, Handgranaten an den Türen befestigt. Wir können einfach nur von Glück reden, dass die nicht gezündet haben und die Sukka im Hof nicht Feuer gefangen hat. Denn die Polizei hat 20 Minuten gebraucht, um zu uns in die Synagoge zu kommen, um uns zu schützen.“ 
Siehe: https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/ein-wunder-dass-wir-ueberlebt-haben/  
2 Kurzum: die radikale Linke versagt daran, die Arbeitsteilung innerhalb der antisemitischen Internationalen zwischen der geläuterten und durch die Lektionen aus der Geschichte wieder gut gewordenen Israelkritik der Wirtschaftsmacht Deutschland und den zum Mord bereiteten Antizionisten zu erkennen.
3 An Abschiebungen und Zwangsräumungen sind beispielsweise alle im Bundestag und Landtagen vertretenen Parteien beteiligt.
4 5. Tagesordnungspunkt der 29. Sitzung der 19. Wahlperiode des Bundestages.
5 Unser Dank gebührt an dieser Stelle Daniel Poensgen, der sich durch diese Reden nicht nur gequält hat, sondern sie auch in: Sterben für die Staatsräson. Afd in Israelsolidarität im Bundestag, in: Pólemos #9 treffend in den Kontext zur AfD gestellt hat.
6 Die Skizzierung dieses „Kulturkampfes“ und seiner Spieglung innerhalb der radikalen Linken wurde von der Redaktion antideutsch.org zur letzten Europawahl vorgenommen. 
Siehe: https://antideutschorg.wordpress.com/2019/05/21/europwahl/
7 Auch dazu sei der Artikel von Daniel Poensgen in der Pólemos #9 empfohlen.

Clash of… what?

Einige Überlegungen zur Europa-Wahl der Redaktion.

„Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, daß statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staats, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ – Karl Marx1

„In the 1980es the labour party believed that the poor, who did not deserved to be poor, should be helped by the rich, who did not deserve to be rich. Meanwhile the conservatives thought that the poor, who deserved to be poor, should not be helped by the rich, who deserved to be rich.“ – Steward Lee2

I – das Spiegelspiel der Nachkriegsgesellschaft

Bei der kommenden Europa-Wahl könnte noch deutlicher werden, dass nach dem Ende des Kalten Krieges die politischen Koordinaten gründlich über den Haufen geworfen wurden. Das hat sich in Angela Merkels Pragmatismus – mal liberal, mal konservativ und mal christlich-sozial – deutlich abgezeichnet und erlebte mit Macron in Frankreich und dem Brexit im Vereinigten Königreich eine deutliche Manifestation. Auch wenn CDU/CSU und SPD aktuell noch die beiden stärksten Fraktionen im Bundestag stellen: der große politische Konflikt des postfaschistischen Europas – Sozialismus/Sozialdemokratie versus Konservativismus – hat endgültig ausgedient.

Dieser politische Widerspruch, der von linker Seite gerne als Klassenkampf missverstanden wurde, war das politisches Spiegelspiel der Nachkriegszeit, wie es insbesondere von Joachim Bruhn immer wieder kritisiert wurde.3 Die Nachkriegszeit zeichnete sich wirtschaftlich durch eine relative Stabilität aus – Eric Hobsbawm spricht gar vom „Goldenen Zeitalter des Kapitals“.4 Dennoch sahen beide politische Lager ständig die Existenz der Nachkriegsgesellschaft durch die jeweils andere Seite bedroht. Und so dachte die sozialdemokratische Linke in den Kategorien der ökonomischer Krise vulgo Zusammenbruch, während die konservative Rechte die Gesellschaft in der Perspektive der politischen Krisen vulgo Staatsstreich dachte. Die Rechte träumte vom Markt, bei dem der Staat nur dessen Möglichkeit garantiert. Die Linke träumte vom Staat, der den Markt gerecht organisiert. Daraus folgt, dass „die linke Vorstellung von Politik – Addition der staatsbürgerlichen Einzelwillen zum Inhalt der Souveränität im Akt demokratischer Wahl – exakt negativ und daher komplementär zur rechten Vorstellung vom ökonomischen Prozess sich verhält: Addition der individuellen Nachfrage auf dem Markt zum Bestimmungsgrund der Produktion.“5

Die zwei Meinungen, die sich dabei gegenüberstanden, waren zwei Seiten derselben Münze. In ihrer Wechselwirkung erzeugen Citoyen und Bourgeois die staatliche Souveränität. Indem beide beständig ihr Gegenteil produzierten und ineinander überschlugen, blieben sie doch stets zwei Pole derselben Ideologie. Eine Ideologie, die – anders als es der Alltagsverstand will – keine Meinung, keine Wahlentscheidung oder politische Positionierung ist, sondern eben das Oszillieren zwischen zwei Polen: Ökonomie versus Politik, Markt versus Staat, Ausbeutung versus Autorität, Sozialdemokratie versus Konservatismus.

Ihre Oszillation wurde spätestens immer dann deutlich, wenn mal wieder rechte Regierungen staatliche Eingriffe vornahmen, linke Regierungen die Märkte öffneten oder große Koalitionen die Regierungsgeschäfte übernahmen. Es gab keine linke Partei, die tatsächlich konstant linke Politik machte, ebenso wie es keine rechte Partei gab, die tatsächlich konstant rechte Politik machte: Alle Parteien machten Politik für den Staat des Kapitals. Als Verwalter des Garanten der Akkumulation war diese Primat ihrer Politik – je nach ökonomischer Situation konnten dabei die Methoden variieren. Konservatismus oder Sozialdemokratie waren die politischen Idealtypen der Nachkriegszeit in Westeuropa, die nicht nur zufällig auch einige Analogien zum Zweiparteiensystem ihrer politischen und ökonomischen Schutzmacht den USA enthielten. Diese Polarisierung der inneren Politik folgte auf die Polarisierung der Außenpolitik nach der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus: die Einbettung der Individuen in einen demokratischen Rahmen im Sinne der Totalitarismustheorie,6 im Sinne eines westeuropäischen Bündnisses gegen die Sowjetunion. In der Bundesrepublik Deutschland war dies immer auch gleichbedeutend mit einer demokratischen Einspannung des faschistischen Potenzials.

Von der Perspektive seines Endes her, wurde der Inhalt dieses Spiegelspiels, durch die Hauptfigur aus Michelle Houellebecqs Unterwerfung in äußerst pointierter Weise dargestellt: „Es stimmt, dass die Wahlen in meiner Jugend so uninteressant waren, wie man es sich nur denken konnte. Die Dürftigkeit des „politischen Angebots“ war sogar wirklich frappierend. Man wählte einen Mitte-Links-Kandidaten abhängig von seinem Charisma für die Dauer von einem oder zwei Mandaten. Ein drittes wurde ihm aus undurchsichtigen Gründen verwehrt. Dann wurde das Volk dieses Kandidaten beziehungsweise der Mitte-Links-Regierung überdrüssig – hier ließ sich gut das Phänomen des demokratischen Wechselspiels beobachten –, woraufhin die Wähler einen Mitte-Rechts-Kandidaten an die Macht brachten, ebenfalls für die Dauer von ein oder zwei Mandaten, je nach Typ. Seltsamerweise war der Westen überaus stolz auf dieses Wahlsystem, das doch nicht mehr war als die Aufteilung der Macht zwischen zwei rivalisierenden Gangs. Seit dem Vormarsch der Rechtsextremen war die ganze Sache ein wenig spannender geworden, die Debatten waren vom vergessenen Beben des Faschismus untermalt.“7

II – Nach Nachkriegszeit

Es wird zukünftigen HistorikerInnen überlassen sein, zu bestimmen, welches Ereignis die Nachkriegszeit als Zeit der Blockkonfrontation beendete: die deutsche Wiedervereinigung oder der 11. September 2001? Die neue politische Zeitordnung lässt sich nicht mehr leugnen. Zum einen zeichnet sich die gegenwärtige politische Realität dadurch aus, dass außenpolitische Konflikte fernab der gewohnten Polarität stattfinden. So kennt der syrische Bürgerkrieg beispielsweise unzählige Mitspielern, deren Verhältnisse zueinander – nicht trotz sondern wegen zahlreicher Verflechtungen miteinander – sich tagtäglich ändern. Zum anderen lässt sich das Ende der Polarität auch innenpolitisch in der Zerstückelung der Parteienlandschaft beobachten. Ließen sich zu Anfangs auch die Grünen und schließlich auch PDS/Linkspartei noch einigermaßen in das politische Schema der Nachkriegszeit einordnen – so wussten schon die Piraten bei ihrem Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus nicht mehr, wohin sie sich den setzen sollten.

Auch wirtschaftlich ist die Phase der Nachkriegszeit vorbei. Von den hochsubventionierten Landschaften des Postnazismus, die noch 1990 den sogenannten Neuen Bundesländer als blühend versprochen wurden, ist auch im Westen kaum noch etwas zu sehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Bundesrepublik davon ausgegangen wurde, dass die Kinder ihre Eltern ökonomisch und sozial überholen würden, ist größtenteils einer Angst vor der eigenen Überflüssigkeit als Arbeitskraftbehälter und dem Hass auf der dem zu Grunde liegenden Freiheit gewichen.

Durch den Wegfall der Subventionen und die technische Revolution wurde die Formen der Wertproduktion im ehemaligen Westen zusehends verändert. Die Industrie wandert entweder in Niedriglohnländer ab – die zum Teil erst durch den Fall des Eisernen Vorhangs an den kapitalistischen Weltmarkt angeschlossen wurden – oder wird mittels technischer Entwicklungen immer weiter entmenschlicht. Die Leidtragenden sind die TrägerInnen der Ware Arbeitskraft, die die einzige Ware, die sie besitzen, nicht mehr oder nur noch zu stark verschlechterten Konditionen verkaufen können.

III – Krise der Sozialdemokratie

Dies betrifft gerade die Stammwählerschaft der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien. Diese waren in ihrer Politik des aktiven Sozialstaats auf wirtschaftliche Stabilität angewiesen und sahen sich nun gezwungen ihre Politik an die veränderte wirtschaftliche Situation anzupassen. Besonders anschaulich geschah dies in Großbritannien, wo New Labour ökonomisch gezwungen war, das staatliche Eingreifen – also die Politik des aktiven Sozialstaates – rapide weiter zu reduzieren. Das dadurch entstehende Vakuum wurde versucht zu füllen: mittels Identitätspolitik. Damit verbunden versuchte der Staat die eigene Souveränität mit Hilfe eines – meist islamischen – Gegensouveräns zu erhalten.8 New Labour fokussierte „ein Netzwerk lokaler partnerships, in der sich der Wohlfahrtsstaat vorhandener (oder auch nur eingebildeter) kommunitärer Strukturen bediente, um die notorische Finanzierungskrise der Sozialpolitik mittels „Kultur“ zu beheben“.9 Der von der Regierung Blair verabschiedete new deal for communities „strebte sein Ziel konsequent an, nämlich die möglichst kostengünstige Delegation vormals zentralstaatlicher Sozialaufgaben“.10

Die Hinwendung der britischen Sozialdemokratie, die west-europäischen Modellcharakter hat, hin zu den migrantischen Communities war dabei auch eine wahltaktische Entscheidung, um neue Wählerschaften zu erschließen. Dabei verlor Labour jedoch immer mehr den Bezug zu ihrer Stammwählerschaft, die dann mehrheitlich für den Brexit stimmte. Besonders die immigration policy wird immer wieder – beispielsweise vom ex-trotzkistischen pro-Brexit Magazin Spiked! – als Grund für den Niedergang der Sozialdemokratie begriffen.11 Anstelle von Versuchen, dies materialistisch zu begreifen, verfällt man anlässlich dessen in alte trotzkistische Muster zurück und geht davon aus, dass der Arbeiterklasse das revolutionäre Bewusstseins per se innewohnt – lediglich kompromittiert von BürokratInnen. Die Feindschaft richtet sich nicht gegen die staatliche Souveränität – die zur Aufrechterhaltung immer Elemente einer Gegensouveränität beinhaltet – sondern gegen die vermeintlichen Subjekte der Gegensouveränität, die in Wahrheit nur deren Objekte sind.

Die Einwanderer aus Osteuropa sind für das abgehängten Proletariat der deindustrialisierten Midlands in der Krise ihrer eigenen Verwertbarkeit besonders eine Konkurrenz im Niedriglohnsektor, der sich schon immer fast ausschließlich aus den „neuhinzugekommenen Habenichtsen“ rekurrierte.12 An ihnen werden die Widersprüche des Nationalstaats, als Garanten der Kapitalakkumulation, exekutiert: „Es ist der ideologische Überbau der etatistisch garantierten, kapitalisierten Gesellschaft und damit die praktische Gedankenform, in der die profitable Verwertung des Menschen als gesellschaftlich inszenierte Spaltung der Menschheit in wertes und unwertes Leben sich ausspricht.“13

Was bei Spiked! hingegen deutlich erkannt wird: die britische Sozialdemokratie demonstriert die Krise der westeuropäischen Sozialdemokratien am deutlichsten durch ihre Unfähigkeit, von der Selbstzerstörung der Konservativen zu profitieren. Trotz der andauernden Brexit-Blamage der Tory-Regierung um Theresa May, trotz der totalen Zerstrittenheit ihrer Partei über das britische Verhältnis zu Europa, gelang es der Labour Party bei den kürzlich abgehaltenen Kommunalwahlen 84 Sitze zu verlieren. Dazuhält man bei Spiked! schadenfroh fest: „Yes, the Conservative Party lost 1,330 seats, an undeniable disaster. But under such favourable conditions, Labour should have been gaining hundreds of new councillors, not ending the night with a deficit.“14 Wer schlussendlich vom Versagen der Tories und der Unfähigkeit der Sozialdemokraten profitieren kann und soll, dass kann ebenfalls dortnachgelesen werden: „The Brexit Party is the earthquake british politics needs“.15

IV – die politische Formation des Souveränismus

Der Souveränismus ist nicht nur die Leitidee des Brexits, sondern aller europäischen Rechten. Sie greifen das etatistische Versprechen der Sozialdemokratie auf und stellen seinen implizit nationalistischen Kern offensiv ins Schaufenster. Im Vordergrund des Wahlkampfs stehen darüber hinaus vor allem kulturelle Symbole der jeweiligen Nachkriegs-Nostalgie:16 wie die bürgerliche Kleinfamilie, die „christliche Wertegemeinschaft“ oder teilweise sogar die Vorgängerwährungen des Euros. Dabei sprechen souveränistische Parteien sowohl breite Teile der konservativen als auch der sozialdemokratischen Wählerschaft an. Sie sprengen sprichwörtlich den politischen Rahmen der Nachkriegszeit. Bereits nach der letzten Europawahl stellte Kenan Malik ernüchtert fest:

„Nehmen wir die Ukip. Weil sie im Wahlkampf sowohl für die Labour-Partei als auch für die Tories gefährlich geworden war, wurde sie von Politikern jeder Couleur sowie von den Medien stark angefeindet. Etwa mit der Enthüllung, dass der Parteivorsitzende Nigel Farage sich aus einem illegalen EU-Fonds bedient hat. Die rassistischen, sexistischen und schlichtweg schwachsinnigen Ansichten zahlreicher Ukip-Mitglieder, Stadträte und Abgeordneter sind öffentlich skandalisiert worden. Gemäß den alten Regeln der Politik hätten solche heftigen Angriffe die Wahlaussichten der Partei negativ beeinflusst. Das war aber nicht so. Die Kritik der Medien, die politische Häme und die öffentlichen Bloßstellungen haben Farages Popularität wenig geschadet. Eher das Gegenteil ist geschehen.“17

Auf welchem Stier reitet Europa in die Zukunft?
photo by Dinesh Weerapurage

Die Politik der Souveränisten und der AfD ist die des gallischen Dorfes in der Globalisierung. Sie betreiben eine Entgrenzung des bornierten Individuums – vom triebregulativen Stammtisch hinaus auf die Straße, ins Internet oder die Politik – die von einer entweder sozialpädagogischen oder marktorientierten Medienlandschaft gerne aufgenommen wird. Die infantile Entgrenzung geht einher mit einer Regression und der Sehnsucht nach der väterlichen Autorität: dem nationalstaatlichen Souverän, der einen schützen und auch züchtigen möge. Es ist beinahe dieselbe infantile Regression, die sich auch auf ihrer Gegenseite finden lässt und über die in ideologiekritischen Kreisen schon ausführlich geschrieben wurde.

Was in der Tendenz als „neue politische Trennlinien in Europa“18 – wie Kenan Malik zeigt – schon nach der letzten Europawahl erkennbar wurde, hat sich in den letzten Jahren immer weiter inhaltlich konkretisiert. Auf der einen Seite stehen die vom Souveränismus Vertretenen, „die sich aussortiert, enteignet und ohne Stimme fühlen“19 und ihre Hoffnungen auf sozialen Nationalstaat der Nachkriegszeit setzen. Sie richten sich gegen „ jene, die sich im postideologischen, postpolitischen Zeitalter zu Hause fühlen – oder zumindest sich daran anpassen können“.20 Einige Umfragen nach dem Brexit-Votum machen dies deutlich: „Für den EU-Austritt stimmten 81 Prozent der Britinnen und Briten, die den Multikulturalismus für eine »negative Kraft« halten. Die meisten, die für den Austritt stimmten, sind gegen Immigration (80 Prozent), Globalisierung (69 Prozent) und Feminismus (74 Prozent). Hingegen gab es keine relevante Korrelation mit der Ablehnung von Kapitalismus.“21

V – multicultarism22 und die europäische Zivilgesellschaft

Wie das community management in Großbritannien ist auch die europäische Zivilgesellschaft eine der gegenwärtigen Formen der Gegensouveränität und ein Produkt der Grenzen der staatlichen Steuerungsfähigkeiten.23 Die Milieus dieser Zivilgesellschaft umfassen zum Beispiel die sogenannte Generation Erasmus, jene jungen, mehrsprachig und studierten WarenhüterInnen, die den Anforderungen der New Economy entsprechen – auch und gerade in ihrer Bereitschaft niedrige Löhne im Ausgleich für ein kulturelles Kapitel zu akzeptieren. Das multiculturalist Prekariat profitiert von der Freizügigkeit des Binnenmarktes der Europäischen Union, der ihnen dank ihrer Flexibilität und Sprachkenntnissen diverse Möglichkeiten des Arbeitsmarktes offenhält. Auch hier ist das Brexit-Votum ein sehr genauer Gradmesser, wer den Versprechen der Europäischen Union etwas abgewinnen kann und wer nicht. In Deutschland gestaltet sich die Suche nach dem einen Gradmesser deutlich schwieriger. Demonstrationen wie Pulse of Europe oder auch Unteilbar geben bisher nur eine Ahnung von einer genauen demographischen Zusammensetzung.

Die jungen EU-Profiteure sind vor allen in den Metropolen anzutreffen – auch wenn sie oftmals ursprünglich aus der Peripherie stammen. Der Erfolg von Didier Eribons Rückkehr nach Reims hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich ein bestimmtes Milieu mit dem Protagonisten identifizieren kann. Hier wird deutlich, wie sich die sozialen Klassen – eine maßgebliche Strukturierung der politischen Landschaft der Nachkriegszeit – in den subkulturen Milieus des Prekariats auflösen. Das relativ flache Gefälle und die Hierarchien der New Economy werden kulturell egalisiert. Deutlich wird das, wenn Didier Eribon beim Schreiben über seinen beruflichen Start als Journalist gar nicht über ökonomisches, aber viel über vermeintlich soziales und kulturelles Kapital spricht: „Auf völlig unerwartete und ungeplante Weise verschaffte mir der Journalismus Zugang zum und Teilhabe am intellektuellen Leben. […] Ich traf Verleger zum Mittagessen, lernte Autoren kennen[…]. Mit einigen war ich bald befreundet, mit Michel Foucault und Pierre Bourdieu sogar sehr eng.“24

Neben den beruflichen Hoffnungen lockt das Emanzipationsversprechen der Metropole gerade Frauen, sexuelle Minderheiten und gesellschaftliche Außenseiter. So auch Eribon: „Ich war mit der doppelten Hoffnung nach Paris gekommen, ein freies schwules Leben zu führen und ein ‚Intellektueller‘ zu werden.“25 Dies schlägt sich ebenso nieder in der politischen Ausrichtung der Zivilgesellschaft und ihrer politischen Parteien, durch die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung, LGBTIQ-Politiken oder antirassistischer Praxis. Ihre entsprechende Ideologie finden sie im Intersektionalismus, der sowohl die Gleichheit in der prekären Existenz behauptet als auch eine Möglichkeit bietet, die eigene Arbeitskraft bestmöglich zu Markte zu tragen: die Identität.

Die transnationalen Politikformen dieser Zivilgesellschaften sind dabei nicht – wie es der Souveränistmus behauptet – ein Angriff auf die Staatlichkeit. „Die Zivilgesellschaft tritt dort auf, wo die Steuerungsfunktion des Staates an seine Grenzen stößt, er politische Widersprüche nicht mehr autoritär aufheben kann. Sie verbleibt aber in einem Verweisungsverhältnis auf den Staat, ergänzt ihn, ist selbst verstaatlicht.“26 Die Zivilgesellschaft ist die Vermenschlichung des Staates, nicht seine negative oder gar positive Aufhebung. Die Autorität verschwindet nicht, sie wird fluid oder transnational. Die Antinomien Staat und Zivilgesellschaft, Souverän und Gegensouverän bedingen einander und konstituieren sich in der Krise immer wieder gegenseitig neu. Dabei bleibt der schlussendliche Zweck immer derselbe: Garantie der Selbstverwertung des Wertes.

VI – und die Linke?

Zwar wird dieser politische Widerspruch in Deutschland parteipolitisch von der AfD und den Grünen als die beiden Gegenpole ausgetragen, jedoch zwingt er sämtliche Parteien zur Positionierung. Innerhalb der Linken – als Partei und Szene – reproduziert sich die gleiche politische Trennlinie und so auch die gegenwärtige Form des Spiegelspiels der Politik, wie sich im Konflikt Anarchismus und Marxismus das alte Spiegelspiel reproduzierte.27 Beide Seiten brauchen und bedingen sich gegenseitig. Der ideologische Kampf zwischen souveränen Nationalstaat und multiculturalist Transnationalismus trennt die Linke und ihre Parteien. Exemplarisch hierfür stehen zwei Politikerinnen der Linkspartei: Sarah Wagenknecht und Katja Kipping.28 Und die vermeintlich antinationale Linke und die sogenannte ideologiekritische Szene freuen sich anlässlich der neuen politischen Möglichkeiten den Platz zwischen den Stühlen verlassen zu können.

Weil Staat und Souveränität materialistisch falsch gefasst werden, setzt man beispielsweise bei der TOP B3RLIN alle Hoffnungen auf die europäische Multitude.29 Ihre Kritik des Staates geht nicht über die Nörgelei an der „Gesamtscheiße“ hinaus. Sie ist bloßes Etikett geworden, wie der demokratische Sozialismus einer SPD. Sie richtet sich gegen den Inhalt allein und will von dessen Form nichts mehr wissen. Deutlich wird das, wenn in der Jungle World der Marsch durch die Institutionen der Europäischen Union der Nationalstaaten gefordert wird: „the only way out is through“.30 Als hätte es die materialistische Staatskritik eines Johannes Agnioli nie gegeben, kann der Staat nicht abseits seiner autoritären Konkrektionen gedacht werden. Das eint sie in ihrer akademischen Anschlussfähigkeit mit antideutschen MarxistInnen vom Schlage eines Rainer Tramperts. In dessen Jungle World Artikel steht dann auch nicht viel anderes als in dem der linksradikalen Berliner Eventagentur.31

Doch auch die Überbleibsel der ideologiekritischen Szene machen ihren Frieden mit dem Staat: „Wo die Ideologien und mit ihnen die Aussichten auf eine bessere Zukunft zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, heftet sich die Hoffnung an eine nostalgisch verklärte Vergangenheit. Hatten Ideologien noch einen rationalen Gehalt, an den sich anknüpfen ließ – das in ihnen enthaltene Glücksversprechen –, so tritt gegenwärtig ein reines Bekenntnis an deren Stelle. Folglich wird die nostalgische Ideologiekritik immer mehr durch Dezisionismus ersetzt und es ist ganz konsequent, dass sich zahnlos gewordene Ideologiekritiker fast nur noch auf den Souverän beziehen, der die gewünschte Ordnung herstellen beziehungsweise schützen soll. Stattdessen wird die „Restvernunft“ in den Staat projiziert, der angeblich über der Gesellschaft schwebt und, von ihr unberührt, autonom vor sich hin prozessiert.“32Aus notwendiger Kritik am islamischen Gegensouverän und der sie hofierenden post-bürgerlichen und grünen Zivilgesellschaft heraus, sind sie in eine Affirmation des Souveräns verfallen – ohne zu erkennen, dass dieser in der Krise immer schon jene Momente der Gegensouveränität beinhaltete. Sie sind das exakte Spiegelbild der Affirmation der Zivilgesellschaft durch die antinationalen KritikerInnen eines autoritären Nationalstaats.

In der politischen Interpretation nun sowohl pro-europäisch als auch souveränistisch zu haben.

Was Antinationalismus und Ideologiekritik eigentlich einst begriffen hatten, scheint mittlerweile irgendwo ganz hinten im Bücherregal zu verstauben: das Politische ist notwendig antisemitisch. Antisemitismus ist die Denkform der bürgerlichen Gesellschaft und kein Denkfehler in ihr. Sie reproduziert sich immer dort, wo sich Individuen als vermeintlich rechtliche Gleiche bei tatsächlicher ökonomischer Ungleichheit, vermittelt durch die Souveränität – sei sie europäisch oder britisch –, aufeinander beziehen.33 Wenn behauptet wird, dass das Ressentiment gegen George Soros „nichts mit dessen Judentum zu tun“ habe oder mit Zitaten von bekennenden Antizionistinnen zum Frauenkampftag aufgerufen wird, dann wird deutlich was als Erstes diesen politischen Bedürfnissen geopfert werden muss: eine Kritik des Antisemitismus.

VII – Kritik statt Politik.

Die Redaktion antideutsch.org sieht derweil weiter keinen Sinn darin, die Position zwischen den Stühlen zu verlassen und hofft, dass es darüber noch ein Interesse an Kritik abseits der Fallstricke der Politik gibt. Auch wenn es also nicht mehr Teil einer linksradikalen oder ideologiekritischen Mode zu sein scheint, etwas über eine Wahl zu schreiben, ohne dabei eine Wahlempfehlung abzugeben, bleiben wir in diesem Sinne so orthodox wie Meye Schorim. Wer am Sonntag aufstehen und eine Wahlurne aufsuchen möchte soll das nicht unseretwegen tun, das antideutsche Geschäft bleibt das destruktive der Kritik, der politischen Sabotage und der schweigsamen Treue gegenüber der Utopie:

„Kritik ist die Provokation darauf, daß die gesellschaftlichen Individuen die Resultate ihrer Vergesellschaftung sich als Resultate ihres Willens nicht zurechnen können – also die kontrafaktische Unterstellung dessen, daß es außerhalb des Spiegelspiels von Bourgeois und Citoyen ein Anderes noch geben könnte.“34

We know you love us,

XOXO Redaktion antideutsch.org.

  • Fußnoten:
  • 1MEW 1, Seite 401.
  • 2Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=at_zUPnnx3Q
  • 3Vgl. Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates – Thesen zum Verhältnis anarchistischer und materialistischer Staatskritik in: Bruhn, Joachim: Was deutsch ist – zur kritischen Theorie der Nation.
  • 4Vgl. Hobsbawm, Eric J: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20ten Jahrhunderts.
  • 5Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates – Thesen zum Verhältnis anarchistischer und materialistischer Staatskritik, Seite 176.
  • 6Die auf Hannah Arendt zurückzuführende Totalitarismustheorie war fester Bestandteil der amerikanischen Europapolitik und der politischen Praxis konservativer und sozialdemokratischer Parteien. Das hieß konkret: linker Flügel der SPD und rechter Flügel der CDU bildeten die Grenzen der gesellschaftlichen Mitte.
  • 7Houllebecq, Michelle: Unterwerfung.
  • 8Vgl. zur Situation in Großbritannien Malik, Kenan: das Unbehagen in den Kulturen. Zum Verhältnis Souverän und Gegensouverän: Keuner, Hans-Herrmann: Einheit und Zerfall in: Prodomo 21, 2019. Online: http://www.prodomo-online.org/ausgabe-21/archiv/artikel/n/einheit-und-zerfall-1.html
  • 9Krug, Uli: Londonistan is burning in: bahamas 63/2012. Online: http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web63-1.html
  • 10Ebenda.
  • 11Vgl. z.B. Chilton, Brendan: What happened to old labour? Online: https://www.spiked-online.com/2018/09/05/what-happened-to-old-labour/
  • 12Ein Blick in die Geschichte derjenigen, die für die britische Gesellschaft als Einwander galten und die gegen sie gerichteten Ressentiments zeigt deutlich, wie diese „neuhinzugekommenen Habenichtse“ von Anfang an rassifiziert wurden. Das fing mit der britischen Landbevölkerung an die in die Städte kamen, setzte sich fort mit Einwanderungsgruppen aus Irland, Pakistan und Indien, Polen und Bulgarien. Nur so lassen sich auch die heutigen Ressentiments indischer Einwanderern aus den 50er Jahren gegenüber den erst kürzlich eingewanderten „bloody poles“ wirklich begreifen.
  • 13Bruhn, Joachim: Unmensch und Übermensch – über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus in: Was deutsch ist – zur kritischen Theorie der Nation, S. 98.
  • 14Ehsan, Rakib: How labour lost it heartlands. Online: https://www.spiked-online.com/2019/05/07/how-labour-lost-its-heartlands/
  • 15O‘Neill, Brandon: The Brexit Party is the earthquake british politics needs. Online: https://www.spiked-online.com/2019/04/29/the-brexit-party-is-the-earthquake-british-politics-needs/
  • 16In Osteuropa ist es eine Vokriegs-Nostalgie.
  • 17Malik, Kenan: Die neue europäische Trennlinie in: Jungle World 23/2014. Online: https://jungle.world/artikel/2014/23/die-neue-europaeische-trennlinie
  • 18Ebenda.
  • 19Ebenda.
  • 20ebd..
  • 21Bassi, Camila: Die da oben in: Jungle World 05/2017. Online: https://jungle.world/artikel/2017/05/die-da-oben
  • 22Die Begriffe multiculturalism und Multikulturalismus sind nicht deckungsgleich, weswegen wir uns für den englischen Begriff in der Form entschieden haben, wie Kenan Malik ihn geprägt hat. Alternativ könnte man auch von „neoliberalen Demokraten“ sprechen, um nicht den tief im souveränistischen Jargon verankerten Begriff zu verwenden. An dieser Stelle soll jedoch der Verweis auf die ursprünglich intendierte gesellschaftskritische Dimension des Begriffs bei Malik verwiesen werden, der ihn gerade nicht als Ersatz für eine Kritik gebraucht.
  • 23Vgl. dazu wieder Keuner, Hans-Herrmann: Einheit und Zerfall in: Prodomo 21, 2019.
  • 24 Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims, S. 224.
  • 25Ebd., S. 223,.
  • 26Keuner, Hans-Herrmann: Einheit und Zerfall in: Prodomo 21, 2019.
  • 27Joachim Bruhn zeigte, wie Anarchismus und Marxismus das Spiegelspiel zwischen Konservativen und Sozialdemokraten innerhalb der Linken noch einmal reproduzierten und sich dabei als kritisch generierten. Ähnliches kann beim neuen Spiegelspiel beobachtet werden.
  • 28Der wie alle Linken TTIP-kritisch eingestellte Flügel um Katja Kipping fällt der Illusion anheim, dass sich der Warenverkehr regulieren lasse, ohne auch den Verkehr der Warenhüter der Arbeitskraft zu regulieren.
  • 29Wie wenig die selbst ernannten „materialistischen StaatskritikerInnen“ vom Staat begriffen haben, zeigt sich in Momenten, in denen wegen des Mobilisierungsfaktors der popkulturellen Referenz ernsthaft „fundamental rights“ gefordert werden oder man vor lauter Rechtspopulismus vergisst, dass Frontex notwendige Bedingung und nicht bloß zu vernachlässigendes Anhängsel ist.
  • 30Wester, Mark (Mitglied Top B3rlin): Transnationalismus oder Barbarei in Jungle World 19/2019. Online: https://jungle.world/artikel/2019/19/transnationalismus-oder-barbarei. Als hätte es weder 68 noch die Grünen gegeben.
  • 31Trampert, Rainer: Und jetzt das Volk in: Jungle World 20/2019. Online: https://jungle.world/artikel/2019/20/und-jetzt-das-volk
  • 32Redaktion Prodomo Bange machen gilt nicht in:Prodomo 21, 2019. Online: http://www.prodomo-online.org/ausgabe-21/archiv/artikel/n/bange-machen-gilt-nicht-2.html
  • 33Vgl. Bruhn, Joachim: Unmensch und Übermensch – über das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus.
  • 34Seite 194, Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates – Thesen zum Verhältnis anarchistischer und materialistischer Staatskritik.

Vom Teufel und vom Beelzebub

Deutschland zeigt sich in diesen Tagen wieder in all seiner Hässlichkeit. Wie Björn Höckes Rede in Dresden eindrucksvoll beweist, war es richtig im Mai letzten Jahres den Höcke-Sumpf in Bornhagen „Straight to hell“ zu wünschen. So weit, so schlecht.

Nur einen Tag später wird jedem, dem noch etwas an der Kritik der deutschen Verhältnisse liegt, eindrucksvoll bewusstgemacht, dass in Deutschland das Gegenteil von etwas Schlechtem nicht zwangsläufig das Bessere ist. Es hagelte Anzeigen verschiedener Personen und Politiker wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen Höcke. Unabhängig davon, ob dies juristisch nun der Fall ist oder nicht lohnt sich ein Blick auf so manche, die sich jetzt mit einem solchen Schritt versichern auf der richtigen, also der linken und deutschen, Seite zu stehen.

Dazu gehört auch der Autor folgender Zeilen: „Unser Volk war die bereitwilligste Manövriermasse für die Kulturmonopolisten aus den USA. Derart intensiv ist kein Volk in Westeurropa jemals fremdbestimmt worden. (…) Das hier vorliegende Volksliederbuch ist in einer historischen Phase entstanden, die Geschichtsschreiber später wohl einmal als neuen nationalen Aufbruch bezeichnen werden. Der deutsche Wald, die Heimat können sich nur noch auf die Linke verlassen, sei sie nun rot oder grün oder am besten beides.

Zugegeben, das ist schon etwas länger her. Zur Fußball EM 2016 machte sich der Höckekritiker auf, eine Deutschlandfahne an sein Auto anzubringen um ein Zeichen gegen „antideutsche Intoleranz“ zu setzen. Gegenüber Xavier Naidoo, der ja schon mal bei Reichsbürgern singt, sieht er schon einmal eine „antideutsche shitstorm SA“ am Werk. Er selbst bezeichnet sich auch als „glühenden Verschwörungstheoretiker“ und findet, dass man sich auch „mit der Hamas solidarisieren können“ muss. Kurz: Wer braucht schon einen Höcke, wenn man einen Diether Dehm hat.

Doch auch das staatstragende Deutschland in Person von Sigmar Gabriel (SPD) reagiert selbstredend entsetzt. Höckes Statement zu seiner Dresdner Rede liest sich auf seiner Facebook Seite so: „Diese Fähigkeit, sich der eigenen Schuld zu stellen, zeichnet uns Deutsche aus.“ Ebenfalls auf Facebook schreibt Gabriel: „wir Deutschen haben uns mit diesen unvorstellbaren Verbrechen auf eine Art und Weise auseinandergesetzt, die uns auch bei denen Respekt eingebracht hat, denen gegenüber Deutsche schuldig geworden sind.“ Feel the difference.

Gabriel fährt fort und beweist, dass man in Deutschland immer den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will: „Björn Höcke unterstellt, der Umgang mit unserer Nazi-Vergangenheit mache uns klein. Das Gegenteil ist richtig: Dass wir uns unserer Geschichte gestellt, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben, war die Voraussetzung dafür, dass Deutschland weltweit respektiert wird. Björn Höcke verachtet das #Deutschland, auf das ich stolz bin. Nie, niemals dürfen wir die Demagogie eines Björn Höcke unwidersprochen lassen. Nicht als Deutsche, schon gar nicht als Sozialdemokraten.

Die Geschichte als „abstraktes Symbol“, als „Anstecknadel und Gesinnungsbrosche“ (Eike Geisel) die Deutschland wieder zu weltweitem Respekt (Sigmar Gabriel) verhilft, ist dabei nur die andere Seite der deutschen Medaille.

Antideutsche Aktion Berlin im Januar 2017

Redebeitrag Straight to hell

Redebeitrag vom 05.05. in Bornhagen

Seit nun schon über einem Jahr kreist der politische und gesellschaftliche Diskurs um die so genannte Flüchtlingskrise. Die Gesprächsrunden im Fernsehen, in der Kneipe und am Kaffeetisch beinhalten nie enden wollende Debatten über „die deutsche Kultur“, über „andere Kulturen“, über Krieg, Heimat, Steuergelder, was unsere Wirtschaft braucht, wer kommen darf, wer wann wieder geht und vor allem, welche Probleme an welchen Stellen auftreten. Vielschichtig und umfangreich gestaltet sich die Diskussion, in der vor allem die untergehen, die es ernst meinen mit einer ausführlichen Beleuchtung der Verhältnisse. Ungeachtet der komplexen internationalen und realpolitischen Zusammenhänge drängen sich in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung die nach vorne, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten. Seien es die PEGIDA-Bewegungen unter anderem mit dem verurteilten Volksverhetzer Lutz Bachmann, die ultrarechten Kleinstparteien „Der 3. Weg“ und „Die Rechte“, die NPD, oder sei es die AfD mit ihren Galeonsfiguren Höcke, Petry und von Storch. Systematisch versucht die völkische Allianz, den Diskurs an sich zu reißen. Von Anfang an wurden Stimmen laut, die vor einer „Masseninvasion“, vor „Chaos“ und einem „unkontrollierbaren Zustrom“ an Flüchtenden schwadronierten.
Vor allem in den Regionen, in denen die große Politik nicht spürbar abläuft und man sich seit Jahren von „denen da oben“ herumgeschubst fühlt, finden menschenfeindliche Positionen Anschluss. So ist es nicht verwunderlich, dass sich in ganz Thüringen, das eher einem gigantischen Freiluft-Museum für Agrarwirtschaft gleicht, seit einer Weile vielerorts größere und kleinere Gruppen an Rassisten zusammenrotten. Wie gewöhnlich ein wenig verzögert ließ und lässt sich dies auch im Eichsfeld beobachten. Musste die NPD bei ihrer Sommer-Tour zu Landtagswahl 2014 in Heiligenstadt und Leinefelde noch vor 10 Zuhörern ihre aktuelle Position zu Tierrechten hervorkramen, um ein paar Stimmen zu erhaschen, fanden sie ein Jahr später schon deutlich größere Gruppen an Interessenten vor. Seitdem finden regelmäßige Kundgebungen, Demos und Hetzjagden auf politische Gegner in Nordthüringen und Südniedersachsen statt. Durch ständige Präsenz und Militanz versuchen die NPD und ihre Schäfchen, die Meinungshoheit in der Region an sich zu reißen. Sei es unter dem Namen „Freundeskreis Thüringen / Niedersachen“, „Junge Alternative Göttingen“, „EinProzent“ oder „Ein Licht für Deutschland.“
Angesichts brennender Flüchtlingsheime und unaufgeklärter halbherziger Anzeigen gegen Unbekannt hat man obendrein das Gefühl, die staatlichen Einrichtungen hätten bestimmte Teile des Landes bereits sich selbst überlassen. Doch nicht nur in der Bekämpfung des rechten Roll-Backs sehen sich Freunde der Aufklärung in der Pampa im Stich gelassen. Wer den Schritt geht, Geflüchtete direkt vor Ort zu unterstützen, wird schnell merken, dass die staatliche Ordnung an der Schaffung eines normalen Lebens für Refugees nicht interessiert oder zu schlecht aufgestellt ist. Oftmals sind es engagierte Freiwillige, die den Geflüchteten Starthilfe geben. Vor allem im ländlichen Raum mit mangelnder Infrastruktur sind ehrenamtliche Helfende und Supporter unabdingbar.

Dies alles geschieht in einer öffentlichen Diskussion, die vor allem durch ein nicht sehen wollen der Zustände glänzt. So wurde nach mehrmaligen Angriffen von Neonazis auf Jugendliche und Demonstrationsteilnehmer*innen in Heiligenstadt kaum Selbsteinsicht gezeigt und stattdessen von Verleumdung geredet sowie mit Anzeigen gedroht, wie im Fall des Eichsfelder Polizeichefs Marko Grosa.
Wer also die Lage im Eichsfeld kennt, die spießbürgerlichen Reflexe, die den vermeintlichen Nestbeschmutzern entgegenschlagen und die Welle an Ignoranz die jeden kritischen Impetus versucht, im Keim zu ersticken, den wundert auch nicht, dass sich grade ein ressentiment geladener Phrasendrescher wie Björn Höcke im angeblich so beschaulichen Bornhagen niederlässt. Wo die Wurststraße noch eine kulturelle Errungenschaft darstellt und eine Demonstration als sprichwörtlicher Untergang der volksgemeinschaftlich gehandelten, sich selber voraufklärerisch romantisierenden Dorfidylle gilt, ist der Anschluss an die thüringische AfD nicht weit. Man kennt sich in Bornhagen und weiß, wofür man steht. Der Bürgermeister Mario-Paul Apel sieht in der Demonstration einen nahtlosen Anschluss der als kommunistischer Gesinnungsterror gehandelten düsteren DDR Zeit und Ministerpräsident Ramelow fantasiert sich eine Mustergemeinde herbei, die von Nazimethoden überzogen wird. Hier lebt man das neue helle Deutschland und weiß sich selbst vor Störenfrieden gefeit, die angeblich mit ihrer Kritik an der Tristesse die Mauer wieder hochziehen wollen.
Statt Kritik seiner selbst gilt es nur, abwehrend von Toleranz zu schwafeln. Die Differenz von öffentlicher Darstellung als tolerante Mustergemeinde und dem doch offensichtlichen Zuspruch für Sozialneider und Rassisten der AfD erscheint dabei als vergeblicher Versuch, das Politische dann doch privat zu halten. Wahlergebnisse interessieren hier wenig, da ja angeblich auch kaum jemand wählt, so Apel. Man gibt sich unpolitisch und ist dabei erwartbar reaktionär. Öffentlich wird versucht zu retten, was geht. So lamentiert Apel in Interviews lieber etwas von einer bunten und multikulturellen Gemeinschaft, ohne sich selbst klar zu machen, wie dies auszudeklinieren wäre. Phrasen gegen Rechts bleibt auch der gewohnte Jargon der narzisstischen Ehrenrettung der ostzonalen Peripherie. Schädelvermesser und Goebbels Laiendarsteller wie Björn Höcke passen da wunderbar in die von diffusem Hass auf alles Außenstehende schwellende Gemeinschaften, welche für Ramelow anscheinend eine Art Naturschutzgebiet darstellen.
Die Reaktionen auf den heutigen Tag haben dabei alles bestätigt, was Bornhagen zu dem Ausflugsziel von vornherein ausgemacht hat. Die Selbstvergessenheit, der Drang zum Geschichtsrevisionismus und der völkische Traum der Mustergemeinde sind hier ein langer Wegbegleiter und keineswegs eine Ausnahmeerscheinung.
Wer hier aufwächst und es schafft, über den Tellerrand der geistigen Verelendung zu schauen, dem bleibt nur zu wünschen, möglichst schnell die Flucht zu ergreifen, um auch zu den reaktionären und patriachistischen Anlässen wie dem Vatertag und Familienfeiern nicht wiederkehren zu müssen.

PM: ‚Linker‘ Ministerpräsident vergleicht eine antifaschistische Demonstration in Bornhagen mit antisemitischen Pogromen der 1930er Jahre.

10391016_1009394855763125_3560000155197627051_nBodo Ramelow erdreistete sich auf Reaktion auf den TLZ Artikel vom 10. April 2016 eine antifaschistische  Demonstration, die sich gegen die Afd richtet mit der Vorgehensweise brutaler Nazi Schergen zu vergleichen. Explizit nannte er das Begehren der Demonstration eine „Nazi-Methode“, dies äußerte er am 11. April 2016 auf Twitter. Laut Paula Schuchardt, der Pressesprecherin der Gruppe Asociation Progrès ist dieser geschmacklose und perfide Vergleich untragbar und muss strengstens zurückgewiesen werden. Seine Vorwürfe gehen sogar soweit, dass er spezifiziert was er mit Nazi Methode meint, nämlich „Was die NSDAP mit Fackeln und Wachen bei politischen Gegnern und jüdischen Geschäften gemacht hat. “ Schuchardt argumentiert weiter, dass es sich bei dieser pseudo Argumentationsweise seinerseits um eine infame Täter-Opfer-Umkehr handelt , die gerade in Hinblick auf die politischen Positionen der Afd unannehmbar ist. Es sei nicht hinzunehmen, dass ein Politiker der ‚Linken‘ sich Bildern der NS Zeit bedient und damit aktuelle rechtsgesinnte Politikerinnen und Parteien als leidende Personen stilisiert, die wie die JüdInnen damals unter den Nazis litten.
Dass es sich bei der Demonstration um eine Meinungsäußerung in einem demokratischen Sinne handelt sollte nicht verkannt werden. Björn Höcke ist eine Person des öffentlichen Lebens und muss auch Kritik gegenüber seiner Person akzeptieren.

Weitere Infos auf http://www.straighttohellbornhagen.wordpress.com

Aufruf: Straight to Hell!

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Straight to Hell!

Weg mit den braunen Zonen! Weg mit der AfD!

Demonstration an Himmelfahrt (Donnerstag, 5. Mai), 15:00 Uhr in Bornhagen/Thüringen.

Bornhagen ist ein Nest im Thüringischen Eichsfeld. Dort wohnt nicht nur der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, die wohl unangenehmste Gestalt der an unangenehmen Gestalten nicht gerade armen Führungsriege der Partei. Bornhagen steht vielmehr pars pro toto für die Dutzenden Käffer, in denen die Alternative Futterneid, Enthemmung und Wutbürgertum heißt. Vermiesen wir dem Thüringer AfD-Häuptling und seinem Wahlvolk durch unsere bloße Anwesenheit ihr Himmelfahrtsvergnügen und sagen: Go straight to Hell!

Spätestens seit den letzten Landtagswahlen sind sich alle einig. Selbst diejenigen, die angesichts von Pegida, der Nazi-Riots von Freital oder Heidenau noch von einem ostzonalen Problem sprachen, glauben seit dem Einmarsch der AfD in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zu wissen: Der wutbürgerliche Anti-Establishment-Gestus, der seinen organisatorischen Ausdruck in der Truppe um Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke gefunden haben, ist ein gesamtdeutsches Phänomen.

In der Tat zeigen die Wahlergebnisse von bis zu 15 Prozent im Westen, dass die AfD auch dort über eine große Anhängerschaft verfügt. Dennoch basiert die Rede von einem gesamtdeutschen Phänomen oder, direkt damit verbunden, einem flächendeckenden rassistischen Normalzustand vielfach auf einem interessierten Missverständnis. Vor allem den Vertretern des etablierten ostdeutschen Politbetriebes – von den ehemaligen Blockflöten bis zur Linkspartei – ist daran gelegen, die Amokläufe der Landeskinder/Ost zu verharmlosen, indem sie diese mit den Vorgängen jenseits der ehemaligen Zonengrenze aufwiegen.

Die Ossis des Westens

In letzter Konsequenz ist die Rede von den gesamtdeutschen Phänomenen AfD ein Angriff auf die Unterscheidungsfähigkeit, die zu den zentralen Voraussetzungen von Erkenntnis und Kritik gehört. Allen Angleichungen zum Trotz gibt es im Hinblick auf die Alternative für Deutschland nämlich ein dreifaches Gefälle: Die Partei ist eher – und darauf liegt die Betonung – ein Ost- als ein Westphänomen, sie findet ihre Wähler eher im ländlichen und mittelstädtischen Raum als in den Ballungszentren und sie ist eher in abgewirtschafteten als in boomenden Regionen erfolgreich.

Der Aufstieg der AfD im Westen geht nicht zuletzt darauf zurück, dass als Folge von Deindustrialisierung, dem Ende des Wohlfahrtsstaates, Arbeitslosigkeit und Prekarisierung auch dort in einigen Regionen ein Sozialtypus entstanden ist, dessen Vertreter wissenschaftlich exakt als Gefühlszonis bezeichnet werden können. Seiner Herausbildung kam eine Veränderung der öffentlichen Meinung entgegen: Gilt der qualifizierte Ausländer inzwischen als Bereicherung der Gesellschaft, sorgen die Angewohnheiten und Verhaltensweisen der vielbeschworenen Modernisierungsverlierer überall für Spott. Das ist nicht nur ein Signal an die bereits Abgehängten, sondern auch an den traditionellen, vom Abstieg bedrohten Mittelstand, der aufgrund fehlender Fremdsprachenkenntnisse und Computerskills befürchten muss auf der Strecke zu bleiben. Wie ihre Gesinnungsgenossen im Osten sehnen sich die Zornis des Westens nach dem traditionellen Volksstaat zurück, der vor den Anforderungen des internationalen Marktes beschützt und zumindest teilweise von der Sorge um den Verkauf der Ware Arbeitskraft befreit. Sie kämpfen gegen die drohende oder bereits stattgefundene Deklassierung und für eine staatliche Sozialpolitik, bei der wieder der Geburtsort darüber entscheidet, wer bei der Verteilung der Staatskohle bevorzugt wird.

Das ist auch der Dreh- und Angelpunkt ihrer regelmäßigen Bezüge auf die Nation. Die emotionale Bindung ans Vaterland ist weniger über die Nationalhymne vermittelt, die auch der herkömmliche AfDler kaum noch kennt, als über die alte D-Mark. Sie ist zum Symbol dessen geworden, was sich längst ins Zentrum des Nationalbewusstseins geschoben hat: das Sozialsystem (Krankenversicherung, Rentensystem, Arbeitslosengeld usw.), das inzwischen ebenso zur Disposition steht wie vor einigen Jahren die alte Währung. Das aufgedrehte Deutschland-Gedudel der AfD heißt weniger, dass man fürs Vaterland endlich wieder in den Schützengraben kriechen will, sondern dass sich Abstammung wieder lohnen soll.

Modell Islam

Dass sich diese Sehnsucht regelmäßig in Warnungen vor einer Islamisierung ausdrückt, mag zunächst willkürlich erscheinen. Und tatsächlich waren die einschlägigen Anti-Islam-Parolen von AfD und Co. stets auch Chiffren für ordinäre Ausländerfeindlichkeit. Das gilt nicht zuletzt für das seit Jahren von Parteienforschern beschworene „rechtsextreme Wählerpotential“, das die AfD überall abgreifen konnte. Trotzdem ist es kein Zufall, dass der Islam zum Symbol für die Krise des Etatismus wurde. Denn im Zuge der Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates wurden zahlreiche Behördenaufgaben an gesellschaftliche und private Initiativen delegiert. So erhielt etwa die Familie als Betriebs- und Bedarfsgemeinschaft neue Bedeutung. Insbesondere in den Regionen, die der AfD und ihrer inoffiziellen Vorfeldorganisation Pegida als Vorhöfe zur Hölle gelten, in Kreuzberg, im Ruhrpott usw., gewannen auf den Feldern, die der Staat bei seinem Rückzug aufgab, islamische Institutionen und Communities an Boden. Der Islam stellt die praktischen Mittel und das ideologische Rüstzeug bereit, um das Elend zu verwalten, für die sich der Staat nicht mehr verantwortlich fühlt. Krankenversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Altersvorsorge? Das alles hat die Sippe zu gewähren. Religiöse Vorschriften, patriarchale Strukturen und Zwangsbindungen verbürgen die Haftung der einzelnen Mitglieder füreinander, Familiengerichte und Brüderverbände übernehmen den Job von Justiz und Polizei. Auch wenn hierzulande gezögert wird, islamischen Gangs auch offiziell staatliche Aufgaben zu übertragen, zeichnet sich ab, was z.B. in britischen Großstädten längst klare Konturen gewonnen hat: Um Kosten bei Integration und Verwaltung zu sparen, nimmt der Staat die integrierende Kraft islamischer Institutionen in Beschlag. So vollzog sich der Aufstieg des Islams zur Ideologie der Entrechteten europaweit nicht nur parallel zum Niedergang des Sozialstaates, sondern zwischen beiden Entwicklungen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.

Der Otto-Normal-AfDler ist so stark auf den Islam fixiert, weil er für ihn Wunsch- und Angstbild in einem ist. Er sehnt sich auf der einen Seite nach dem Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft, dem Bedeutungszuwachs der Familie, traditionellen Rollenbildern und der Erlaubnis zum Losschlagen. Die Feindschaft gegen die Anhänger des Propheten geht in AfD-Kreisen insofern oft auf Neid zurück – die Umma ist die ersehnte Volksgemeinschaft. Auf der anderen Seite wird der Rückzug des traditionellen Wohlfahrtsstaates, der den Aufstieg des Islams zur Instanz großstädtischer Elendsverwaltung beförderte, hingegen befürchtet: Die islamischen Communities erinnern den bedrängten Mittelstand und die bereits Abgehängten auch an ihr eigenes Schicksal.

Besonderheit West

Neben den tatsächlichen oder halluzinierten Weltmarktverlierern spricht die Partei im Westen jedoch noch eine weitere Klientel an. Wenn es die dortigen Gefühlszonis nicht gäbe, könnte man den Eindruck gewinnen, dass unter dem Namen AfD in den alten und in den neuen Bundesländern zwei verschiedene Vereine auftreten, die um zwei unterschiedliche Wählergruppen werben. Denn trotz des Rückzugs von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel aus der Partei ist der wirtschaftsliberale Flügel im Westen noch stark vertreten. Mehr noch: Seine Vertreter scheinen dort die Alphahähne innerhalb der AfD zu sein.

Die wirtschaftsliberale Fraktion spricht ein Publikum an, das es in der Zone kaum gibt: die traditionellen Wohlstandschauvinisten. Aus diesem Grund ging die AfD in Ost und West auch mit unterschiedlichen, teils gegenläufigen Parolen auf Wählersuche. So dürften die Forderungen nach der Abschaffung des gesetzlichen Mindestlohnes und der Senkung des Hartz-IV-Satzes, mit dem die Partei im Westen hausieren ging, beim AfD-Volk/Ost auf Ablehnung stoßen. Im weniger proletarischen Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz dürften sie der Partei dagegen einige Stimmen eingebracht haben. Das traditionelle, in beiden Ländern stark vertretene Mini- und Kleinunternehmertum ist von Saisonarbeitern, billigen Zulieferern usw. abhängig. Bei ihm hat sich der Traum vom starken Staat, der seine Interessen wahrt, vielfach mit dem Wunsch verbunden, nicht von den Ansprüchen des Prekariats belästigt zu werden. Kurz: Sieht man von Neonazis und anderen klinischen Fällen, den Chem-Trail-Spezialisten, Spiritisten und weiteren Irren, ab, die sich von der AfD dies- und jenseits der Zonengrenze angesprochen fühlen, dann herrscht unter ihren Wählern im Osten die Sehnsucht nach einer Art – im Wortsinn – nationalem Sozialismus vor, der sein Vorbild in einer autoritäreren Version der sozialdemokratischen Rundumfürsorge der Ära Schmidt hat. Für ihre westlichen Wähler gibt die Partei dagegen eine Reinkarnation des Nationalliberalismus der Bismarck-Ära.

Epizentrum Ost

Weil es diesen Sozialtypus im Osten kaum gibt, die Zahl der tatsächlichen oder halluzinierten Weltmarktverlierer dort wesentlich größer ist und die Linkspartei mit ihrer Propaganda für einen autoritären Sozialismus und ihrem „Belogen-und-Betrogen“-Gejammer den Boden für die AfD bereitet hat, befindet sich die größte Fanbase der Partei auch weiterhin dort. So wurden die Wahlergebnisse, die die AfD in den alten Bundesländern erzielen konnte, in Sachsen-Anhalt noch einmal um mindestens zehn Prozent übertroffen. Umfragen bestätigen diesen Trend: Auch die Bewohner der anderen Zonenländer würden ihre Westverwandtschaft deutlich übertrumpfen, wenn man in den nächsten Wochen Demokratieoffensive spielen und sie an die Wahlurnen lassen würde.

Dieser Unterschied wird noch offenkundiger, wenn man das unterschiedliche Klima betrachtet, in dem die AfD in Ost und West agiert. Die Rede ist von den Handfestigkeiten, mit denen Nazis und andere Wutbürger in den letzten Monaten gegen Ausländer vorgegangen sind: Brandanschläge, deren Täter heimlich und nachts kommen, gibt es auch im Westen. Ansonsten kommt der Protest gegen Asylbewerberheime dort in der Regel jedoch zivilgesellschaftlich mit Bürgerinitiative und Unterschriftensammlung daher. Die Volksaufläufe, Krawalle und Blockadeaktionen sind hingegen fast ausschließlich ostzonale Phänomene. Setzt man die Bevölkerungszahl, den Anteil von Ausländern und die Zahl von Übergriffen zueinander ins Verhältnis, dann gilt zudem immer noch: Für einen Syrer ist es mindestens siebenmal gefährlicher, eine Diskothek in Guben als eine in Gießen zu besuchen.

Warum Bornhagen?

Es würde sich also eigentlich überall in der Ostzone – und in einigen Regionen des Westens dazu – anbieten, gegen die AfD zu demonstrieren. Dass wir uns dennoch für Bornhagen im thüringischen Eichsfeld entschieden haben, hat zwei Gründe: Zum einen lebt jemand in dem 300-Seelen-Kaff, der zu den wohl unangenehmsten Gestalten der Partei gehört: der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke, der erst vor einigen Monaten mit der Rede von einem „afrikanischen Ausbreitungstyp“ für Aufmerksamkeit sorgte. Zum anderen haben wir uns für Bornhagen entschieden, weil es gute Gründe dafür gibt, dass sich der im Westen aufgewachsene Höcke dort so wohl fühlen kann, dass er aus Hessen, wo er im Schuldienst tätig war, dorthin übersiedeln konnte: Der Ort ist so etwas wie das idealtypische AfD-Nest: Es liegt eher im Osten als im Westen, ist eher Dorf als Großstadt und eher abgehängt als prosperierend. Wohl auch deshalb erreichte die Partei dort schon zu einem Zeitpunkt, als sie noch in den Kinderschuhen steckte, erstaunliche Wahlergebnisse. Bei den letzten Thüringer Landtagswahlen im September 2014, also noch vor der Flüchtlingskrise, erzielte die AfD in Bornhagen mit 36,5 Prozent ihr absolutes Rekordergebnis.

Seit Höckes Zuzug und dem Aufstieg der AfD haben im Eichsfeld zudem militante Nazis, zu denen Höcke eine eher kreative Abgrenzungspolitik pflegt, an Stärke gewonnen. Für die wenigen Andersdenkenden der Region, mit denen wir uns ausdrücklich solidarisieren, ist es in diesem nie sehr wirtlichen Landstrich damit noch schwerer geworden. Es gibt insofern genügend Gründe, um in Bornhagen zu protestieren. Umso verwunderlicher ist es, dass bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist, Höcke in seinem Heimatort auf den Zahn zu fühlen. Das ist auch der Grund für unsere Demonstration: Weil es sonst keiner tut, haben wir uns entschlossen, unsere Elfenbeintürme und Hartz-IV-finanzierten Großstadtvillen ausnahmsweise einmal zu verlassen, nach Bornhagen zu fahren und dem Björn zu zeigen, was eine Höcke ist. Vermiesen wir den AfD-Dörflern genau den Tag, an dem sie mal wieder so ausgelassen sein wollen wie sonst wohl nur dann, wenn jemand als Sau durch den Ort getrieben wird. Vermiesen wir ihnen durch unsere bloße Anwesenheit Christi Himmelfahrt!

Antideutsche Aktion Berlin (ADAB), Antifaschistische Gruppen Halle, Association Progrès (Eichsfeld)

Straight to Hell!

Weg mit den braunen Zonen! Weg mit der AfD!

Demonstration an Himmelfahrt (Donnerstag, 5. Mai 2016),
15:00 Uhr in Bornhagen/Thüringen.

Bornhagen ist ein Nest im Thüringischen Eichsfeld. Dort wohnt nicht nur der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, die wohl unangenehmste Gestalt der an unangenehmen Gestalten nicht gerade armen Führungsriege der Partei. Bornhagen steht vielmehr pars pro toto für die Dutzenden Käffer, in denen die Alternative Futterneid, Enthemmung und Wutbürgertum heißt. Vermiesen wir dem Thüringer AfD-Häuptling und seinem Wahlvolk durch unsere bloße Anwesenheit ihr Himmelfahrtsvergnügen und sagen: Go straight to Hell!

Spätestens seit den letzten Landtagswahlen sind sich alle einig. Selbst diejenigen, die angesichts von Pegida, der Nazi-Riots von Freital oder Heidenau noch von einem ostzonalen Problem sprachen, glauben seit dem Einmarsch der AfD in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zu wissen: Der wutbürgerliche Anti-Establishment-Gestus, der seinen organisatorischen Ausdruck in der Truppe um Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke gefunden haben, ist ein gesamtdeutsches Phänomen. In der Tat zeigen die Wahlergebnisse von bis zu 15 Prozent im Westen, dass die AfD auch dort über eine große Anhängerschaft verfügt. Dennoch basiert die Rede von einem gesamtdeutschen Phänomen oder, direkt damit verbunden, einem flächendeckenden rassistischen Normalzustand vielfach auf einem interessierten Missverständnis. Vor allem den Vertretern des etablierten ostdeutschen Politbetriebes – von den ehemaligen Blockflöten bis zur Linkspartei – ist daran gelegen, die Amokläufe der Landeskinder/Ost zu verharmlosen, indem sie diese mit den Vorgängen jenseits der ehemaligen Zonengrenze aufwiegen.

Die Ossis des Westens

In letzter Konsequenz ist die Rede von den gesamtdeutschen Phänomenen AfD ein Angriff auf die Unterscheidungsfähigkeit, die zu den zentralen Voraussetzungen von Erkenntnis und Kritik gehört. Allen Angleichungen zum Trotz gibt es im Hinblick auf die Alternative für Deutschland nämlich ein dreifaches Gefälle: Die Partei ist eher – und darauf liegt die Betonung – ein Ost- als ein Westphänomen, sie findet ihre Wähler eher im ländlichen und mittelstädtischen Raum als in den Ballungszentren und sie ist eher in abgewirtschafteten als in boomenden Regionen erfolgreich.

Der Aufstieg der AfD im Westen geht nicht zuletzt darauf zurück, dass als Folge von Deindustrialisierung, dem Ende des Wohlfahrtsstaates, Arbeitslosigkeit und Prekarisierung auch dort in einigen Regionen ein Sozialtypus entstanden ist, dessen Vertreter wissenschaftlich exakt als Gefühlszonis bezeichnet werden können. Seiner Herausbildung kam eine Veränderung der öffentlichen Meinung entgegen: Gilt der qualifizierte Ausländer inzwischen als Bereicherung der Gesellschaft, sorgen die Angewohnheiten und Verhaltensweisen der vielbeschworenen Modernisierungsverlierer überall für Spott. Das ist nicht nur ein Signal an die bereits Abgehängten, sondern auch an den traditionellen, vom Abstieg bedrohten Mittelstand, der aufgrund fehlender Fremdsprachenkenntnisse und Computerskills befürchten muss auf der Strecke zu bleiben. Wie ihre Gesinnungsgenossen im Osten sehnen sich die Zornis des Westens nach dem traditionellen Volksstaat zurück, der vor den Anforderungen des internationalen Marktes beschützt und zumindest teilweise von der Sorge um den Verkauf der Ware Arbeitskraft befreit. Sie kämpfen gegen die drohende oder bereits stattgefundene Deklassierung und für eine staatliche Sozialpolitik, bei der wieder der Geburtsort darüber entscheidet, wer bei der Verteilung der Staatskohle bevorzugt wird.

Das ist auch der Dreh- und Angelpunkt ihrer regelmäßigen Bezüge auf die Nation. Die emotionale Bindung ans Vaterland ist weniger über die Nationalhymne vermittelt, die auch der herkömmliche AfDler kaum noch kennt, als über die alte D-Mark. Sie ist zum Symbol dessen geworden, was sich längst ins Zentrum des Nationalbewusstseins geschoben hat: das Sozialsystem (Krankenversicherung, Rentensystem, Arbeitslosengeld usw.), das inzwischen ebenso zur Disposition steht wie vor einigen Jahren die alte Währung. Das aufgedrehte Deutschland-Gedudel der AfD heißt weniger, dass man fürs Vaterland endlich wieder in den Schützengraben kriechen will, sondern dass sich Abstammung wieder lohnen soll.

Modell Islam

Dass sich diese Sehnsucht regelmäßig in Warnungen vor einer Islamisierung ausdrückt, mag zunächst willkürlich erscheinen. Und tatsächlich waren die einschlägigen Anti-Islam-Parolen von AfD und Co. stets auch Chiffren für ordinäre Ausländerfeindlichkeit. Das gilt nicht zuletzt für das seit Jahren von Parteienforschern beschworene „rechtsextreme Wählerpotential“, das die AfD überall abgreifen konnte. Trotzdem ist es kein Zufall, dass der Islam zum Symbol für die Krise des Etatismus wurde. Denn im Zuge der Umgestaltung des Wohlfahrtsstaates wurden zahlreiche Behördenaufgaben an gesellschaftliche und private Initiativen delegiert. So erhielt etwa die Familie als Betriebs- und Bedarfsgemeinschaft neue Bedeutung. Insbesondere in den Regionen, die der AfD und ihrer inoffiziellen Vorfeldorganisation Pegida als Vorhöfe zur Hölle gelten, in Kreuzberg, im Ruhrpott usw., gewannen auf den Feldern, die der Staat bei seinem Rückzug aufgab, islamische Institutionen und Communities an Boden.

Der Islam stellt die praktischen Mittel und das ideologische Rüstzeug bereit, um das Elend zu verwalten, für die sich der Staat nicht mehr verantwortlich fühlt. Krankenversicherung, Arbeitslosenunterstützung, Altersvorsorge? Das alles hat die Sippe zu gewähren. Religiöse Vorschriften, patriarchale Strukturen und Zwangsbindungen verbürgen die Haftung der einzelnen Mitglieder füreinander, Familiengerichte und Brüderverbände übernehmen den Job von Justiz und Polizei. Auch wenn hierzulande gezögert wird, islamischen Gangs auch offiziell staatliche Aufgaben zu übertragen, zeichnet sich ab, was z.B. in britischen Großstädten längst klare Konturen gewonnen hat: Um Kosten bei Integration und Verwaltung zu sparen, nimmt der Staat die integrierende Kraft islamischer Institutionen in Beschlag. So vollzog sich der Aufstieg des Islams zur Ideologie der Entrechteten europaweit nicht nur parallel zum Niedergang des Sozialstaates, sondern zwischen beiden Entwicklungen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang.

Der Otto-Normal-AfDler ist so stark auf den Islam fixiert, weil er für ihn Wunsch- und Angstbild in einem ist. Er sehnt sich auf der einen Seite nach dem Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft, dem Bedeutungszuwachs der Familie, traditionellen Rollenbildern und der Erlaubnis zum Losschlagen. Die Feindschaft gegen die Anhänger des Propheten geht in AfD-Kreisen insofern oft auf Neid zurück – die Umma ist die ersehnte Volksgemeinschaft. Auf der anderen Seite wird der Rückzug des traditionellen Wohlfahrtsstaates, der den Aufstieg des Islams zur Instanz großstädtischer Elendsverwaltung beförderte, hingegen befürchtet: Die islamischen Communities erinnern den bedrängten Mittelstand und die bereits Abgehängten auch an ihr eigenes Schicksal.

Besonderheit West

Neben den tatsächlichen oder halluzinierten Weltmarktverlierern spricht die Partei im Westen jedoch noch eine weitere Klientel an. Wenn es die dortigen Gefühlszonis nicht gäbe, könnte man den Eindruck gewinnen, dass unter dem Namen AfD in den alten und in den neuen Bundesländern zwei verschiedene Vereine auftreten, die um zwei unterschiedliche Wählergruppen werben. Denn trotz des Rückzugs von Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel aus der Partei ist der wirtschaftsliberale Flügel im Westen noch stark vertreten. Mehr noch: Seine Vertreter scheinen dort die Alphahähne innerhalb der AfD zu sein.

Die wirtschaftsliberale Fraktion spricht ein Publikum an, das es in der Zone kaum gibt: die traditionellen Wohlstandschauvinisten. Aus diesem Grund ging die AfD in Ost und West auch mit unterschiedlichen, teils gegenläufigen Parolen auf Wählersuche. So dürften die Forderungen nach der Abschaffung des gesetzlichen Mindestlohnes und der Senkung des Hartz-IV-Satzes, mit dem die Partei im Westen hausieren ging, beim AfD-Volk/Ost auf Ablehnung stoßen. Im weniger proletarischen Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz dürften sie der Partei dagegen einige Stimmen eingebracht haben. Das traditionelle, in beiden Ländern stark vertretene Mini- und Kleinunternehmertum ist von Saisonarbeitern, billigen Zulieferern usw. abhängig. Bei ihm hat sich der Traum vom starken Staat, der seine Interessen wahrt, vielfach mit dem Wunsch verbunden, nicht von den Ansprüchen des Prekariats belästigt zu werden.

Kurz: Sieht man von Neonazis und anderen klinischen Fällen, den Chem-Trail-Spezialisten, Spiritisten und weiteren Irren, ab, die sich von der AfD dies- und jenseits der Zonengrenze angesprochen fühlen, dann herrscht unter ihren Wählern im Osten die Sehnsucht nach einer Art – im Wortsinn – nationalem Sozialismus vor, der sein Vorbild in einer autoritäreren Version der sozialdemokratischen Rundumfürsorge der Ära Schmidt hat. Für ihre westlichen Wähler gibt die Partei dagegen eine Reinkarnation des Nationalliberalismus der Bismarck-Ära.

Epizentrum Ost

Weil es diesen Sozialtypus im Osten kaum gibt, die Zahl der tatsächlichen oder halluzinierten Weltmarktverlierer dort wesentlich größer ist und die Linkspartei mit ihrer Propaganda für einen autoritären Sozialismus und ihrem „Belogen-und-Betrogen“-Gejammer den Boden für die AfD bereitet hat, befindet sich die größte Fanbase der Partei auch weiterhin dort. So wurden die Wahlergebnisse, die die AfD in den alten Bundesländern erzielen konnte, in Sachsen-Anhalt noch einmal um mindestens zehn Prozent übertroffen. Umfragen bestätigen diesen Trend: Auch die Bewohner der anderen Zonenländer würden ihre Westverwandtschaft deutlich übertrumpfen, wenn man in den nächsten Wochen Demokratieoffensive spielen und sie an die Wahlurnen lassen würde.

Dieser Unterschied wird noch offenkundiger, wenn man das unterschiedliche Klima betrachtet, in dem die AfD in Ost und West agiert. Die Rede ist von den Handfestigkeiten, mit denen Nazis und andere Wutbürger in den letzten Monaten gegen Ausländer vorgegangen sind: Brandanschläge, deren Täter heimlich und nachts kommen, gibt es auch im Westen. Ansonsten kommt der Protest gegen Asylbewerberheime dort in der Regel jedoch zivilgesellschaftlich mit Bürgerinitiative und Unterschriftensammlung daher. Die Volksaufläufe, Krawalle und Blockadeaktionen sind hingegen fast ausschließlich ostzonale Phänomene. Setzt man die Bevölkerungszahl, den Anteil von Ausländern und die Zahl von Übergriffen zueinander ins Verhältnis, dann gilt zudem immer noch: Für einen Syrer ist es mindestens siebenmal gefährlicher, eine Diskothek in Guben als eine in Gießen zu besuchen.

Warum Bornhagen?

Es würde sich also eigentlich überall in der Ostzone – und in einigen Regionen des Westens dazu – anbieten, gegen die AfD zu demonstrieren. Dass wir uns dennoch für Bornhagen im thüringischen Eichsfeld entschieden haben, hat zwei Gründe: Zum einen lebt jemand in dem 300-Seelen-Kaff, der zu den wohl unangenehmsten Gestalten der Partei gehört: der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke, der erst vor einigen Monaten mit der Rede von einem „afrikanischen Ausbreitungstyp“ für Aufmerksamkeit sorgte. Zum anderen haben wir uns für Bornhagen entschieden, weil es gute Gründe dafür gibt, dass sich der im Westen aufgewachsene Höcke dort so wohl fühlen kann, dass er aus Hessen, wo er im Schuldienst tätig war, dorthin übersiedeln konnte: Der Ort ist so etwas wie das idealtypische AfD-Nest: Es liegt eher im Osten als im Westen, ist eher Dorf als Großstadt und eher abgehängt als prosperierend. Wohl auch deshalb erreichte die Partei dort schon zu einem Zeitpunkt, als sie noch in den Kinderschuhen steckte, erstaunliche Wahlergebnisse. Bei den letzten Thüringer Landtagswahlen im September 2014, also noch vor der Flüchtlingskrise, erzielte die AfD in Bornhagen mit 36,5 Prozent ihr absolutes Rekordergebnis.

Seit Höckes Zuzug und dem Aufstieg der AfD haben im Eichsfeld zudem militante Nazis, zu denen Höcke eine eher kreative Abgrenzungspolitik pflegt, an Stärke gewonnen. Für die wenigen Andersdenkenden der Region, mit denen wir uns ausdrücklich solidarisieren, ist es in diesem nie sehr wirtlichen Landstrich damit noch schwerer geworden. Es gibt insofern genügend Gründe, um in Bornhagen zu protestieren. Umso verwunderlicher ist es, dass bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist, Höcke in seinem Heimatort auf den Zahn zu fühlen. Das ist auch der Grund für unsere Demonstration: Weil es sonst keiner tut, haben wir uns entschlossen, unsere Elfenbeintürme und Hartz-IV-finanzierten Großstadtvillen ausnahmsweise einmal zu verlassen, nach Bornhagen zu fahren und dem Björn zu zeigen, was eine Höcke ist. Vermiesen wir den AfD-Dörflern genau den Tag, an dem sie mal wieder so ausgelassen sein wollen wie sonst wohl nur dann, wenn jemand als Sau durch den Ort getrieben wird. Vermiesen wir ihnen durch unsere bloße Anwesenheit Christi Himmelfahrt!

Antideutsche Aktion Berlin (ADAB), Antifaschistische Gruppen Halle, Association Progrès Eichsfeld im April 2016

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